Krankheit ist Krieg?

"Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben; und heilen kann sie nur der Tod" (Heinrich Heine) - Über Metaphern und Konzeptgedanken, sowie deren Verwendung in Krankheitserzählungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Theorie der Metapher
2.1 Das “sprachliche Feld” Lexikalisch – semantische Annäherungen an das Phänomen der Metapher
2.2 Harald Weinrichs (text-)semantische Neuerungen in der Zeit nach Trier
2.3 Kognitive Metapherntheorie

III. Krankheit und Metapher
3.1 „Illness as metaphor“
3.2 Krankheit und das Kommunikationsmodell nach Brünner und Gülich

IV. Krankheit und Erzählung

V. Schlussbetrachtung

VI. Anhang
Geschichtlicher Hintergrund

I. Einleitung

Die Metaphernforschung blickt auf eine über zwei Jahrtausende dauernde Geschichte zurück. Philosophen, Rhetoriker, Literaturwissenschafter und Linguisten haben versucht das Phänomen Metapher zu erklären, beschreiben und zu analysieren. Die daraus resultierende, kaum überschaubare Vielfalt metapherntheoretischer Ansätze und Forschungsbemühungen erschwert die Möglichkeit diese zu kategorisieren. Ortonys Einteilung „konstruktivistischer und nicht-konstruktivistischer Art“1 erscheinen an dieser Stelle als durchaus sinnvoll. Die nichtkonstruktivistische Richtung, welche die Metapher als eine gegen linguistische Regeln verstoßende, eine von der Norm abweichende, dem suggestiven Sprachgebrauch entspringende Form oder auch als „Schmuckwort“ in ihrer ästhetischen Funktion versteht, wie es die auf Aristoteles zurückgehende Substitutionstheorie darstellt, ist für diese Arbeit weniger von Bedeutung.

Die Metapher als Gegenstand mentaler Konstruktion, Realität als Essenz aus menschlichem Wissen, Erkenntnissen, Erfahrungen und Wahrnehmungen bilden den Kern der konstruktivistischen Richtung.

Keineswegs erhebt diese Arbeit den Anspruch auf Vollständigkeit in der Darstellung metapherntheoretischer Ansätze, als dass sie sich vielmehr auf die Darstellung der kognitiven Linguistik nach George Lakoff und Mark Johnson beschränkt. Die in ihrer Gemeinschaftsarbeit erbrachten Erkenntnisse nebst vorangegangener Ausführungen von Jost Trier und Harald Weinrich bilden den fundamentalen Kern dieser Untersuchung.

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es anhand von Krankheitsbeschreibungen verschiedener Patienten spezifische Funktionen in der Wahl ihrer Metaphern herauszuarbeiten.

Im Zentrum der Arbeit steht daher die Frage mit welchen Bildern die jeweiligen Patienten ihre Krankheiten beschreiben, mit dem Ziel herauszufinden, in welchem Verhältnis die Patienten zu ihrer Krankheit stehen. Dabei kann die von den Patienten benutzte Bildsprache unter anderem darüber Auskunft geben, ob sie ihre Krankheit angenommen haben oder ablehnen, sich mit ihrer Krankheit "versöhnt" haben oder sie als Teil ihres persönlichen Alltags begriffen haben.

Darüber hinaus dürfte es nicht unerheblich sein zu fragen, ob die am Krankheitsdiskurs beteiligten Personenkreise auf die gleichen oder doch eher auf unterschiedliche Metaphern (Herkunftsbereiche) zurückgreifen (Patient steht mit der Krankheit auf Kriegsfuß). Welche Erkenntnis erlangen wir aus der Tastsache, dass am Krankheitsdiskurs beteiligte Experten andere Metaphern benutzen als die Betroffenen? Inwiefern dienen Metaphern dazu Missverständnisse im Kommunikationsprozess der Krankheit zu klären? Können sie dabei behilflich sein Patienten oder Laien Aufschluss darüber geben, ein angemessenes Verhältnis zu Ihrer Krankheit zu entwickeln? Welche Gefühlsneigungen können sich aus der Wahl von Metaphern von Patienten im Umgang mit Ihrer Krankheit ableiten lassen?

II. Theorie der Metapher

2.1 „Das sprachliche Feld“, lexikalisch - semantische Annäherungen an das Phänomen der Metapher

Erst die Entwicklung der neuzeitlichen Sprachwissenschaften hat der Theorie der Metaphern neuen Auftrieb gebracht.

Im Rückgriff auf Aristoteles und Cicero knüpft die Sprachwissenschaft an ’peosis’ um die Erweiterung der Bildsprache an.

1931 setzt Jost Trier mit der Wortfeldtheorie, einem vorwiegend semantischen Konzept vor allem der inhaltsbezogenen Grammatik die Grundlage der heutigen Bildfeldtheorie der kognitiven Linguistik.

Ein Lexem ist nicht isoliert im Bewusstsein des Hörer / Sprechers anzusiedeln, sondern vielmehr bildet jedes Lexem eine noch undefinierte Menge sich gegenseitig beeinflussender Wörter. Die seitens Trier noch undefinierte Menge von Lexemen, welche in engerer bzw. weiter entfernten Begriffsverwandtschaft zueinander stehen, bezeichnet man als „Wortfeld“ oder „sprachliches Feld“. In diesem Sinne führt Trier den Saussure’ schen Gedanken, den Weg von einer isolierten Einzelbetrachtung hinweg führend zu einer „ganzheitlichen“ systembezogenen Betrachtung von Sprache weiter fort.

Durch die Verbindung des sprachlichen Feldes mit der Bedeutung eines Wortes lassen sich im Wesentlichen zwei nachfolgende Prämissen herausarbeiten:

- Die Bedeutung des einzelnen Wortes ist abhängig von der Bedeutung der übrigen Wörter des gleichen Wort- bzw. Begriffsfeldes (Trier führt das Beispiel der Notenskala der deutschen schulischen Leistungsbewertung ein2)
- Das einzelne Wortfeld ist mosaikartig und lückenlos zusammengesetzt, und die Gesamtmenge aller Wortfelder einer Sprache spiegelt ein in sich geschlossenes Bild der Wirklichkeit.

Die Betrachtung des Lexems als ein Steinchen eines mosaikartigen Gefüges und die Abhängigkeit der einzelnen Wörter von ihren begriffsverwandten Nachbarn in Hinblick auf einen möglichen Bedeutungswandel eines Lexems bewirkt eine Neustrukturierung des gesamten sprachlichen Feldes. Augenmerklich sind Triers Ambitionen, die bestehende Wortforschung in Hinblick auf seine Erkenntnisse durch eine entsprechende Feldforschung zu ersetzen, erkennbar.

Fehlende Konkretisierungen anhand entsprechender Beispiele und eher selten aufgezeigten Möglichkeiten der differenzierten Betrachtung seiner Konzeption bewirken eine doch recht schwere Nachvollziehbarkeit Triers grundlegenden Vorstellung verwandtschaftsbezogener Relationen der im Sprachgebrauch verwendeten Lexeme.

Erst die durch Baumgärtner im Jahre 1967 geprägte Komponentialanalyse, die Zerlegung von bedeutungsverwandten Begriffen in Bedeutungskomponenten verwandtschaftshierarchischer Gliederung, ermöglicht eine differenziertere Betrachtung des sprachlichen Feldes und eine Überprüfbarkeit in der Bedeutungsbestimmung der Lexeme.3

Obwohl sich Trier durchaus der bedeutungstragenden Funktion eines syntaktischen Gefüges in Hinblick auf einzelne Lexeme bewusst ist, führt er seine Theorie des sprachlichen Feldes als weiteren bedeutungsbestimmenden Faktor ein. Die Vernetzung syntaktischer und (text-)semantischer Faktoren liegt zu diesem Zeitpunkt nicht in seinem Interesse. Jedoch gerade der durch die Verwendung von Tropen wie der Metapher entstandene Bruch Triers Theorie bedarf einer genaueren Betrachtung dieses Zusammenhangs.

1934 ergänzt Trier seine Ausführungen in Hinblick auf die Metapher, ohne allerdings näher auf diesen Zusammenhang einzugehen, somit musste

„[...] der Gedanke des Feldes, dieser Grundgedanke des „neuen Sprachbegriffs“ irgendwann einmal mit dem ältesten und beständigsten Gedanken alles wissenschaftlichen Denkens über die Sprache, nämlich dem der Metapher, zusammensto B en und sich auseinandersetzen“4

Demnach entspringt die Einzelmetapher "Geldquelle" einem „Wortfeld“ von Metaphern (Geldquelle, Geldregen, in Geld schwimmen)

"Immer ganze Gruppen sind sinnmä B ig zusammenhängende Gruppen von Wörtern, die sich in metaphorischer Expansion auf andere Seinsbereiche ausdehnen".5

In dieser weiteren Abhandlung nimmt sich Trier auch dem durch die Verwendung von Metaphern entstehenden Bruch seiner Theorie an. Die Übertragung der Wortbedeutung in eines dem Lexem völlig entfremdeten Feldes6 und die dadurch entstehende Auflösung jeglicher Verwandtschaftsbeziehungen vermag berechtigte Zweifel an der Schlüssigkeit Triers Konzeption aufkommen lassen. In diesem Sinne „muss die Metapher so verstanden werden, dass ein Feld in einem Sinnbereich durch ein anderes Feld in einem anderen Sinnbereich strukturiert wird“7

Die Auswahl des Herkunftsbereiches einer Metapher in Hinblick auf das sprachliche Feld des Zielbereiches wird hier erstmals von dem Verstehensprozess abhängig gemacht, worauf im späteren Verlauf der Arbeit bei der Verknüpfung von Erfahrung und kognitiven Prozessen näher eingegangen wird.

2.2 Harald Weinrichs (textsemantische) Neuerungen in der Zeit nach Trier

1958 greift Weinrich die Wortfeldtheorie Triers wieder auf und übernimmt Frickes Termini des Bildfeldes, innerhalb derer ein Verbund von Metaphern besteht. Das Bildfeld ist ein zusammenhängender Bereich einzelner metaphorischer Ausdrücke, welcher sich aus gemeinsamer Projektion eines Bildspenderbereichs auf einen Bildempfängerbereich ergibt. Mit Hilfe der Ausführungen von Trier und Fricke schöpft er den Terminus "bildempfangendes Feld". Mit der Erkenntnis, dass zwei Sinnbereiche Bestandteile eines Bildfeldes sein müssen, werden diese als "bildspendendes und bildempfangendes Feld " benannt.

Kommt also die Quelle aus dem „bildspendenden Feld“, so wäre die Geldquelle dem „bildempfangenden Feld“ zuzurechnen. Gipper entwickelte 1980 weiterhin die Begriffe des Herkunftsbereiches und des Zielbereiches. Sei also Wasser der Herkunftsbereich der Quelle, ist Geld als Zielbereich der Geldquelle anzusehen. Mit der Verfeinerung dieser Begrifflichkeiten lassen sich ebenfalls völlig gleiche Lexeme sowohl dem bildspendenden als auch dem bildempfangenden Bereich zuordnen.

Während Geldquelle eine Neubildung darstellt, kann das Verb schwimmen aus dem Herkunftsbereich Wasser im Sinne von Fortbewegung stammen, es kann aber auch dem Zielbereich Geld zugeordnet werden (im Sinne von: im Geld schwimmen).

Gerade dieser Verbund von Metaphern innerhalb eines Bildfeldes scheint bestimmend für das jeweilige Weltbild einer Sprechgemeinschaft zu sein. In diesem Punkt wird eine erste Neuerung zu den Trier’schen Ausführungen deutlich. Weinrich überträgt die identitätsstiftende Funktion der Metapher, neben der Zugehörigkeit zu einem Bildfeld, auf eine situative, weltbildschöpfende und kontextuelle sowie intertextuelle Funktion.

Im Gegensatz zu Trier definiert Weinrich den in meinen Ausführungen immer wieder erwähnten „Theoriebruch“, hervorgerufen durch das Auftreten einer Metapher. Das Verhalten eines Lexems innerhalb eines bestimmten Kontextes außerhalb der „normalen Determination“ und die daraus entstehende Inkongruenz in Bezug auf andere Lexeme beschreibt er als „Konterdetermination“. Ferner „ein Bruch zwischen der ursprünglichen Wortbedeutung eines Lexems und der vom Kontext erzwungenen unerwarteten Meinung“8

2.3 Kognitive Metapherntheorie

Der Metaphernbegriff der späten siebziger Jahre und der nachfolgenden achtziger Jahre, in Hinblick auf die durch Trier und Weinrich erbrachten Erkenntnisse, sind zum größten Teil durch Ausführungen einer kognitiven Linguistik geprägt. Die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken rückt immer mehr in den Vordergrund.

Die Betrachtung der Metapher als Tropus in ihrer ästhetischen Funktion scheint für Lakoff und Johnson weniger von Bedeutung zu sein, als vielmehr die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen menschlicher Sprache in der Alltagswelt, und die sich daraus ergebenden kognitiven Strukturen menschlicher Sprache und menschlichen Handelns. Beide verstehen die Metapher im Sinne einer Konzeptualisierung. Metaphern lassen sich zu einem Konzept bündeln, durch diese wir mittels unserer Erfahrung die Welt erschliessen und rekonstruieren, uns sogar nicht zu erschließende Sachverhalte mittels der Metapher zugänglich machen. Susan Sontag rekonstruiert die Metaphern in der Krankheitssprache auf die Formulierung „Krankheit ist Krieg“. Zu dieser Rekonstruktion veranlassen sie die Verwendung von Metaphern wie „invasorische Krebszellen“, auf die im späteren Verlauf dieser Arbeit noch weiter eingegangen werden soll.

Während sowohl Trier als auch Weinrich in ihren Ausführungen näher auf das Phänomen der Metaphern eingehen, jedoch keine hinreichende Erklärung für das eigentliche Entstehen der Metapher, sowie des Zweckes einer Übertragung von einem „bildspendenden“ zu einem „bildempfangenden Feld“ geben, nehmen Lakoff und Johnson sich dieser Tatsache an und orientieren sich offenbar an dem Grundgedanken der Substitutionstheorie.

„Die weniger Klar umrissenen (und generell weniger konkreten) Konzepte werden partiell von den klarer umrissenen (und generell konkreteren) und direkt in unserer Erfahrung verankerten Konzepten her verstanden.“9

Eindeutige Orientierungen an den in den dreißiger Jahren und späten sechziger Jahren erbrachten Erkenntnissen von Trier und Weinrich sind durchaus erkennbar. Vor allem die Bündelung von Metaphern zu einem größeren Gefüge, überschreiben tendenziell die Wort- und Bildfeldtheorie.

A posteriori, von der Erfahrung und von kulturellen Gegebenheiten geprägt, bildet der Mensch Metaphern während des Ablaufens des alltäglichen Verstehensprozess. In Abhängigkeit des Verstehensprozesses und der Findung der Wahrheit vermag der Mensch auf die Nutzung von Metaphern nicht verzichten zu können.

[...]


1 vgl. Andrew Ortony, Metaphor and Thought, Cambridge University Press, Cambridge, 1993

2 Jost Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, Die Geschichte eines sprachlichen Feldes, Band 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 13, Jahrhunderts, Carl Winter Verlag, Heidelberg 1931

3 Angelika Linke / Markus Nussbaumer / Paul R. Portmann , Studienbuch Linguistik, Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1996

4 Jost Trier, Deutsche Bedeutungsforschung, In: Goetze, Horn, Maurer, Germanische Philologie, Ergebnisse und Aufgaben, Festschrift für Otto Behagel, Heidelberg, 1934

5 vgl. Metaphern II: Bildfeldtheorien, Vorlesung/Übung: Tropen der deutschen Alltagssprache, Wolf – Andreas Liebert, Universität Koblenz-Landau, 2003

6 Walter Porzig bezeichnet im ähnlichen Sinne den „strukturierten“ sowie den „nicht strukturierten“ Bereich vgl.

7 vgl. Metaphern II: Bildfeldtheorien, Vorlesung/Übung: Tropen der deutschen Alltagssprache, Wolf – Andreas Liebert, Universität Koblenz-Landau, 2003

8 Harald Weinrich, Sprache in Texten, S. 320, Klett Verlag, Stuttgart, 1976

9 George Lakoff, Mark Johnson, Leben in Metaphern, Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, aus dem Amerikanischen übersetzt von Astrid Hildebrand, Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg, 1998

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Krankheit ist Krieg?
Untertitel
"Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben; und heilen kann sie nur der Tod" (Heinrich Heine) - Über Metaphern und Konzeptgedanken, sowie deren Verwendung in Krankheitserzählungen
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Labyrinthe der Krankheit und Heilung
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
43
Katalognummer
V133759
ISBN (eBook)
9783640415687
ISBN (Buch)
9783640406111
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krankheit, Krieg, Krankheit, Leben, Heine), Metaphern, Konzeptgedanken, Verwendung, Krankheitserzählungen
Arbeit zitieren
Mario Dieninghoff (Autor:in), 2006, Krankheit ist Krieg?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133759

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