25 Jahre grüne Politik in Deutschland: Bündnis 90/ Die Grünen - von einer Bewegungs- zu einer Allerweltspartei?


Hausarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Begriffsdefinitionen
2.1 Bewegungspartei
2.2 Allerweltspartei

3. Zur Parteigeschichte

4. Merkmale einer Allerweltspartei

5. Analyse von Bündnis 90/ Die Grünen
5.1 Was ist die Ideologie noch wert?
5.2 Machtkonzentration an der Parteispitze?
5.3 Welche Rolle spielt das einzelne Parteimitglied?
5.4 Gibt es eine „feste“ (Milieu-)Wählerschaft?
5.5 Zu welchen Interessenverbänden bestehen Verbindungen?

6. Fazit

1. Vorwort

Als Antiparteien-Partei vor 25 Jahren aus sozialen Bewegungen1 entstanden, sind die Grünen2 mittlerweile fest im politischen System der Bundesrepublik verankert. In ihrer noch jungen Geschichte haben sie sich mehr oder weniger kontinuierlich weiterentwickelt und sowohl in der Opposition als auch in der Regierung der Länder und des Bundes Verantwortung übernommen. Als demokratische Partei werden sie mittlerweile von allen im Parlament vertretenen Fraktionen akzeptiert, doch wie weit ist es mit der breiten Akzeptanz in der Bevölkerung? Für einige mögen die Grünen immer noch eine reine Öko-oder Umweltpartei sein, andere sehen sie wiederum als ‚vollwertige’ demokratische Partei. Sind sie der Prototyp einer erfolgreichen Bewegungspartei, die ihre Unterstützung ähnlich einer früheren Milieupartei aus bestimmten Schichten der Bevölkerung erfährt oder sind sie auf dem langen Weg durch Deutschlands Parlamente und Regierungen mittlerweile an dem Punkt angekommen, wo sie einer wählermaximierenden Allerweltspartei in nichts nachstehen?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werde ich zunächst eine genauere Definition der beiden Begriffe ‚Bewegungspartei’ und ‚Allerweltspartei’ vornehmen. Es folgt ein kurzer Rückblick auf die bisherige Geschichte der Partei, um das Verständnis der Zusammenhänge zu verbessern. Einleitend in den Hauptteil der Arbeit werde ich die genauen Kriterien zur Bestimmung einer Allerweltspartei erläutern, an denen sich die darauffolgende Analyse der Partei orientiert. Zum Abschluss präsentiere ich eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie eine Einschätzung, wie diese einzuordnen sind.

2. Begriffsdefinitionen

2.1 Bewegungspartei

Der Begriff ‚Bewegungspartei’ als Typisierungsmöglichkeit für politische Parteien ergibt schon in der wörtlichen Interpretation einen Bezug zu den sozialen Bewegungen. Er unterstellt, dass eine entsprechend typisierte Partei in einem besonderen Verhältnis zu den sozialen Bewegungen steht oder gar aus diesen heraus entstanden ist.

Bewegungsparteien als zeitlich eher junges Phänomen werden insbesondere mit den gesellschaftlichen Veränderungen der fortschreitenden Globalisierung in Verbindung gebracht. Der Wandel des Mediensystems, der seinen Ausdruck vor allem im Bedeutungsverlust der Parteipresse und einer Interessenverschiebung der Medien von politischen Inhalten hin zu wirtschaftlichen Kriterien findet, ermöglicht deutliche Wettbewerbsvorteile für soziale Bewegungen, die mit unkonventionellen Aktionen verstärkte Aufmerksamkeit erregen. Der wachsende Konkurrenzkampf um Medienresonanz zwischen Parteien und sozialen Bewegungen veranlasst die Parteien sich durch Symbolisierung von Politik den sozialen Bewegungen anzunähern oder diese in ihren Teilgebieten vollständig zu kopieren. So entsteht die Bewegungspartei. Diese zeichnet sich als offene und basisdemokratische Organisation durch unkonventionelle Öffentlichkeitsarbeit, wie Aktionen zivilen Ungehorsams, Protestaktionen oder Manifestationen aus, welche neben den klassischen Mitteln (Wahlwerbung, Pressekonferenzen o.Ä.) einen festen Bestandteil der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen ausmachen und lässt dennoch einen Drang zu den Machtpositionen des politischen Systems erkennen.3

Können die Grünen dieses Ideal der Bewegungspartei (noch) verkörpern oder haben sie bereits deutliche Schritte in Richtung der folgenden Typisierung von Allerweltsparteien vollzogen?

2.2 Allerweltspartei

Den Begriff ‚Allerweltspartei’4 verbindet man im Allgemeinen mit dem Namen Otto Kirchheimer. Dieser hat bereits 1965 in seinem Aufsatz ‚Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems’ die Entwicklung von den (Massen-) Integrationsparteien zu den sogenannten Allerweltsparteien erkannt und thematisiert. Ohne die speziellen Merkmale dieses Parteientyps, die unter Punkt vier dieser Arbeit näher erläutert werden, vorweg zu nehmen, zeichnet sich die Allerweltspartei durch eine Strategie der Stimmenmaximierung infolge weitgehender Entideologisierung aus. „Die zentrale These Kirchheimers ist die, daß die Zeit der ideologisch gebundenen Parteien in allen westlichen Demokratien ihr Ende gefunden habe und entweder deren Ausweitung zum Typ, (sic!) der Volkspartei (ebenso: Allerweltspartei oder catch-all-party) gelingen müsse oder sie keine Zukunft mehr besäßen.“5 Kirchheimer stellt die Entwicklung zur Allerweltspartei demnach als notwendigen Prozess der Parteien dar. Als Voraussetzung für diesen Prozess nennt von Beyme die Erhebung der Parteien in den Verfassungsrang nach dem Zweiten Weltkrieg.6

Die Programme der Allerweltsparteien müssen unter dem Ziel der Stimmenmaximierung für eine größtmögliche Masse von Wählern offen sein und folglich eher im Unbestimmten bleiben. Diese Leere an politischen Inhalten bedingt eine wachsende Personalisierung, die gleichzeitig eine Stärkung der Parteielite auf Kosten der Basis bedeutet. „[...] geworben wird mit der Person des Kanzlers oder Kanzlerkandidaten, nicht mit dem Programm.“7

Um einen möglichen Prozess von einer Bewegungs- hin zu einer Allerweltspartei bei den Grünen erkennen und erklären zu können, sollte man sich zunächst etwas genauer mit der Parteigeschichte befassen. Der nächste Abschnitt versucht in knappem Umfang die für diese Arbeit relevanten Punkte darzustellen.

3. Zur Parteigeschichte

„Die Anfänge der Grünen Bewegung datieren zurück auf Ende der 70er Jahre, als sich in einzelnen Städten und Landkreisen unterschiedliche Bürgerinitiativen und kommunale Wählervereinigungen an Wahlen beteiligten.“8 Von einer einheitlichen Grünen Bewegung konnte damals allerdings noch keine Rede sein, da die Hauptanliegen in den verschiedenen Bundesländern und teilweise sogar hinunter bis in die einzelnen Landkreise oder Orte, höchst unterschiedlich waren. Im Mittelpunkt standen dabei insbesondere die Bereiche Umweltpolitik, Nuklearenergie, Abrüstung, Selbstbestimmung und demokratische Freiheiten sowie Gleichberechtigung der Geschlechter.9

Der erste landesweite Erfolg gelang bei den Bürgerschaftswahlen im Oktober 1979 in Bremen durch die Bremer Grüne Liste (BGL), die 5,1 Prozent der gültigen Stimmen erreiche und damit ins dortige Landesparlament einzog. Es folgten weitere Erfolge auf Landesebene in Baden-Württemberg, Hessen und Berlin in den nächsten Jahren.10

Auf Bundesebene stellte die Gründung der ‚Sonstigen Politischen Vereinigung – Die Grünen’ (SPV) zur Europawahl 1979 den ersten wichtigen Punkt dar. „Das programmatische Ziel der GRÜNEN war ein ‚Europa der Regionen’, in dem die Menschen und Institutionen umweltbewußt, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei handeln und leben sollen.“11 Nach der Europawahl, die mit einem Stimmenanteil von 3,2 Prozent bundesweit einen ersten Achtungserfolg für die Grünen darstellte, erfolgte die Parteigründung im Januar 1980. Umstritten ist hierbei die Motivation unter der sich die verschiedenen Listen und Bewegungen zu einer Partei zusammengeschlossen haben. Poguntke nennt sowohl die Möglichkeit eines „Artefakts der Fünf-Prozent-Hürde“, als auch die der klaren gemeinsamen politischen Ziele.12

Es folgten Teilnahmen an den Bundestagswahlen seit 1980, der erste Einzug in den Bundestag 1983 und eine weitere Steigerung an erhaltenen Zweitstimmen 1987. Ein herber Rückschlag waren die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen 1990, bei denen die Grünen in Westdeutschland erstmals seit 1980 die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden konnten, während das Bündnis 90/ Grüne mit 6 Prozent der Zweitstimmen in Ostdeutschland acht Mandate im Bundestag erhielt. 1994 folgte der Wiedereinzug in den Bundestag für die gesamtdeutschen Grünen und 1998 erreichte man erstmals eine Regierungsbeteiligung im Bund, die 2002 bestätigt wurde.13

Als Entwicklungsstufen der Grünen kann man nach Poguntke vier eigenständige Phasen erkennen. Begonnen wird mit der ‚Gründungsphase’, die durch den ersten Bundestagseinzug 1983 beendet wurde. Als zweite Phase nennt er die ‚Parlamentarisierung’ der Partei, welche sich über die nächsten beiden Legislaturperioden hinzieht. Weiterhin folgt die dritte Phase des ‚Anstreben nationaler Regierungs-verantwortung , geprägt durch die Niederlage bei der Bundestagswahl 1990. Als letzte Phase der Entwicklung ergibt sich die ‚Phase des Regierens’, in welcher auch das aktuelle Grundsatzprogramm der Partei entstand.14

Welche Faktoren begünstigten die Entstehung der Grünen als Partei? Poguntke unterscheidet zwischen der Argumentation, dass die Grünen ein Resultat der defizitären Systemleistungen sind „Das Entstehen der Grünen wird aus dieser Sicht primär mit dem Versagen der Großparteien erklärt.“15 und der Argumentation der Grünen als Produkt einer ‚Neuen Politik’. „Die Grünen werden als Ausdruck tiefergehender Wandlungsprozesse in westlichen Industriegesellschaften interpretiert.“16 Diese Interpretation ordnet die Grünen in eine neue internationale Parteienfamilie ein, die sich als ‚Parteien neuen Typs’ durch grün-alternative, links-libertäre Politik oder auch als Bewegungsparteien darstellen.17

Im Jahre 1993 wurden die Grünen also von Poguntke definitiv als Bewegungspartei eingeordnet. Wie es sich zwölf Jahre später darstellt, versucht diese Arbeit im weiteren Verlauf zu analysieren. Der nächste Abschnitt befasst sich mit den genauen Kriterien einer Allerweltspartei, anhand derer die darauffolgende Analyse der Grünen vorgenommen wird.

[...]


1 Soziale Bewegungen sind untereinander vernetzte Gruppen, die sich mit sozialen Problemlagen befassen wie z.B. die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die „68er-Bewegung“ in Europa und den USA, bzw. neue soziale Bewegungen wie die Anti-Atomkraftbewegung, die Friedensbewegung oder die globalisierungskritische Bewegung.

2 Aus rein praktischen Gründen wird in dieser Arbeit von „den Grünen“ gesprochen, womit bis zum Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bündnis 90/ Grüne die ehemals westdeutsche Partei „Die Grünen“ und danach die gesamtdeutsche Partei „Bündnis 90/ Die Grünen“ gemeint ist.

3 Vgl. Ladner 2000, 5f

4 Synonym zum Begriff „Allerweltspartei“ gelten auch die Begriffe „catch-all-party“ und „Volkspartei“. Da die Bezeichnung „Volkspartei“ vorschnell mit CDU/CSU und SPD in Verbindung gebracht wird und im Kontext dieser Arbeit für mich nicht ganz treffend das zu untersuchende Phänomen beschreibt und die Bezeichnung „Allerweltspartei“ sprachlich in dieser Arbeit gegenüber der „catch-all-party“ von Vorteil ist, habe ich mich für diese entschieden.

5 Berger 1995, 25

6 Vgl. Beyme 2000, 29

7 Berger 1995, 26

8 Müller-Rommel 1993, 54

9 Vgl. Poguntke 1993, 189

10 Vgl. Müller-Rommel 1993, 54ff.

11 Müller-Rommel 1993, 62

12 Vgl. Poguntke 1993, 192f

13 Vgl. Müller-Rommel 1993, 62f

14 Vgl. Poguntke 2003, 93ff.

15 Poguntke 1993, 205

16 Poguntke 1993, 205

17 Vgl. Poguntke 1993, 204ff.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
25 Jahre grüne Politik in Deutschland: Bündnis 90/ Die Grünen - von einer Bewegungs- zu einer Allerweltspartei?
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Einführung in die Parteienforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V133559
ISBN (eBook)
9783640405053
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jahre, Politik, Deutschland, Bündnis, Grünen, Bewegungs-, Allerweltspartei
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts (B.A.) Nicolas Sturm (Autor:in), 2005, 25 Jahre grüne Politik in Deutschland: Bündnis 90/ Die Grünen - von einer Bewegungs- zu einer Allerweltspartei?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133559

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