Die Gentechnik als Mittel der modernen Kriegsführung


Hausarbeit, 2003

53 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Geschichte biologischer Kriegsführung
2.1 Biowaffen im vor-gentechnischen Zeitalter
a) Klassisches Stadium
b) Ursprung der biologischen Rüstungsspirale
c) Der Weg zum endgültigen B-Waffenverbot
d) Die Genfer Konvention von 1972
2.2 Der Einzug der Gentechnik
a) Das sowjetische B-Waffenprogramm
b) Perestroika mit Gentechnik-Waffen
c) Perestroika der Gentechnik-Waffen ?

3. Moderne Biowaffenproduktion
3.1 Basismaterial und Verbreitung
a) B-Waffen – Definition und Überblick
b) Trägersysteme und Trägersubstanzen
c) Drei Steckbriefe waffentauglicher Krankheiten
3.2 Gentechnische „Produktveredlung“
a) Krankheitserreger aus dem Modellbaukasten
b) Umgehung der Immunabwehr
c) Neuartige Krankheitsbilder
d) Freund-Feind-Erkennung
e) Ethnische Bombe
f) „Nicht-tödliche“ B/C-Waffen
g) Toxinwaffen
h) Biologische Anti-Tierwaffen
i) Pflanzenpathogene
j) Material zerstörende Agenzien

4. Schutz vor biologischen Waffen
a) Reaktive Maßnahmen
b) Schutz vor akuter Bedrohung
c) Schutz vor abstrakter Bedrohung, Vorbeugung

5. Diskussion und Ausblick
a) Wirklich die „Atombombe des kleinen Mannes“ ?
b) Die Verklärung der US-Regierung
c) Tod durch „nicht-tödliche“ Waffen
d) Internationale Ver- und Vorstöße gegen das Genfer Abkommen
e) Die Erosion des Völkerrechts
f) Die Bedrohung liegt in der Zukunft
– Ein Plädoyer für eine Stärkung der B-Waffenkonvention

6. Literatur und Quellenangaben
6.1 Verzeichnis nach Autoren
6.2 Pressemeldungen
6.3 Internetseiten
6.4 Bildquellennachweis

Disease has long been the deadliest enemy of mankind. Infectious diseases make no distinctions among people and recognize no borders. We have fought the causes and consequences of disease throughout history and must continue to do so with every available means. All civilized nations reject as intolerable the use of disease and biological weapons as instruments of war and terror.

President George W. Bush
November 1, 2001

1 Einleitung

Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 hat nicht nur welt-weites Bestürzen ausgelöst – in Folge lieferte er gerade die Motivation zu weiteren terroristischen Akten. Nicht zuletzt wurde die aufkommende Panik in der „westlichen Welt“ von der Furcht vor Angriffen mit tödlichen Viren und Bakterien getragen. In den USA wurden mehrfach Briefe mit Milzbranderregern an öffentliche Stellen verschickt und in Deutschland sorgten Trittbrettfahrer mit fingierten Milzbrand-Anschlägen für

Aufruhr.

Die Diskussion über biologische Waffen erhält in diesem Zusammenhang eine ganz neue Brisanz. Von der „Atombombe des kleinen Mannes“ ist hier die Rede (vgl. J. v. Aken 2001) und es heißt, dass solche Waffen bereits von Amateuren mit einfacher Laborausrüstung herzustellen seien. In den USA wurde gar ein Buch veröffentlicht, das eine „Bauanleitung“ für Milzbrand-Waffen (Anthrax) beinhaltet. (L. W. Harris: "Bacteriological Warfare: A Major Threat to North America")

In der Bundesrepublik Deutschland rüsten die Gesundheitsbehörden neuerdings wieder zur Pockenimpfung, um im Falle des ersten Auftretens dieser seit 1977 als ausgerottet

geltenden Seuche sofort reagieren zu können. (s. z. B. ARD Tagesschau, 16.01.2003)

Welche Bedrohung geht von biologischen Waffen nun tatsächlich aus ?

Wie und in welcher Art werden solche Agenzien hergestellt, wie können sie von Unter-grundorganisationen oder vom Militär eingesetzt werden ?

Bestehen wirksame Schutzmaßnahmen gegen biologische Kampfstoffe ?

Diese Fragen werden in der vorliegenden Arbeit erörtert. Der Fokus konzentriert sich hierbei auf die neuesten Verfahren der Gentechnologie, die für das Militär nützlich sind.

Sollte die eigentliche Bedrohung etwa erst mit der gentechnischen Aufrüstung der Militärs beginnen ? – Nun, leider bahnt sich diese Aufrüstung gerade an.

Über Jahrtausende hinweg war der Missbrauch von Krankheiten zu feindseligen Zwecken überwiegend geächtet. Doch seit einiger Zeit ist erneut ein deutlicher Knick in der allge-meingültigen Ablehnung zu spüren. Dass die Wende mit der explosionsartigen Expansion der Biotechnologien einhergeht, ist, wie im Folgenden ausgeführt wird, offensichtlich!

2. Die Geschichte biologischer Kriegsführung

2.1 Biowaffen im vor-gentechnischen Zeitalter

a) Klassisches Stadium

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Geschichte biologischer Kampfstoffe ist beinahe so alt wie die der Kriege selbst: Bereits in vorchristlicher Zeit kamen ver-giftete Pfeile zum Einsatz und es wurden Brunnen mit Tierkadavern verseucht.

In biblischer Erzählung wirft Moses eine Hand voll Ofenruß in die Höhe, dessen Staub auf ganz Ägypten niedergeht und „an Mensch und Vieh Geschwüre mit aufplatzenden Blasen“ hervorruft.

(EXODUS 9,8 – 9,10)

Abb. 2.1: Historische Darstellung eines Pestarztes

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der bisher folgenschwerste Einsatz von Krankheitserregern als Kampfmittel fand sicherlich – soll man den Überlieferungen glauben – um 1346 statt.

Angeblich katapultierten die Tataren nach vergeblicher Belagerung der Stadt Kaffa am Schwarzen Meer Pestleichen über die Stadtmauer. Die Einwohner sollen dann mit Schiffen nach Italien geflohen sein, von wo aus sich die Seuche über ganz Europa ausbreitete und 25 Millionen Menschenleben forderte. (vgl. Konopka 1990)

Unumstritten ist der militärische Einsatz von Pockenviren 1763 durch die Engländer ge-gen die indianische Urbevölkerung Nordamerikas. Dabei wurden an die Häuptlinge auf-ständischer Stämme Wäschestücke verteilt, „die aus dem Hospital entnommen worden waren, um die Pocken auf die Indianer zu übertragen“ (zit. n. Geißler 2001)

Dies geschah im Sinne des Oberkommandierenden der britischen Invasionstruppen zur „Ausrottung der abscheulichen Rasse“.

b) Ursprung der biologischen Rüstungsspirale

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Medizin durch das neue Wissen über Mikro-organismen revolutioniert. Lebende Organismen wurden erstmals 1876 von Robert Koch am Bacillus anthracis als spezifische Ursache einer Infektionskrankheit (Milzbrand) beschrieben. In der Folgezeit entwickelte Koch die ersten Verfahren zur Anreicherung der Organismen in Reinkulturen und untersuchte weitere Infektionskrankheiten und ihre Erreger: Tuberkulose, Cholera, Malaria und die Pest.

Während Koch seine Forschung mit der Intention der Seuchenprävention und -bekäm-pfung betrieb, lieferte er dem Militär zugleich neues Handwerkszeug zum kriegerischen Einsatz von Erregern.

Mit dem ersten Weltkrieg wurde schließlich eine neue Etappe in der Geschichte der biologischen Kriegsführung eingeleitet. Vom deutschen Geheimdienst wurden gezielte Biosabotageakte mit Milzbrand- und Rotzerregern organisiert, Einsätze fanden mindestens in Rumänien, Spanien und Argentinien statt (vgl. Geißler 2001). Jedoch richteten sich diese Aktionen ausschließlich gegen Tiere. Die oberste Heeresleitung prüfte zugleich Vorschläge, England mit Pestbakterien anzugreifen, sah jedoch davon ab. Gemäß der Weisung des Großen Generalstabs zum „Kriegsgebrauch im Landkrieg“ von 1902 galt es nämlich „gewisse, unnötige Leiden herbeiführende Kampfmittel von jeglicher Anwendung auszuschließen“ (zit. n. Geißler 2001)

Deutschland unterzeichnete nach dem Krieg das so genannte Genfer Protokoll von 1925, das Verbot des Einsatzes chemischer und biologischer Kampfmittel im Krieg, und ratifizierte es 1929. Hinsichtlich der Anwendung von Biowaffen hielt sich Hitler sogar während des zweiten Weltkrieges an dieses Protokoll. 1942 verbot er ausdrücklich alle offensiven Biowaffenprogramme. (Gleichwohl schreckten „eifrige“ NAZI-Wissenschaft-ler nicht davor zurück, an KZ-Häftlingen grausame Experimente durchzuführen)

Die deutschen Biosabotageakte während des ersten Weltkrieges waren den ausländischen Behörden nicht entgangen. Da diese Nation seinerzeit führend auf dem Gebiet der Bakteriologie und in der pharmazeutisch-chemischen Produktion war, gingen die Kriegs-gegner und andere Staaten verständlicherweise davon aus, dass Deutschland den einge-schlagenen Weg fortsetze. Nacheinander begannen Frankreich (1922), die Sowjetunion (1926) und Japan (1932) eigene Biowaffen-Programme aufzunehmen.

Nach Hitlers Machtübernahme wuchs die Furcht vor einer angeblichen deutschen Biokriegsvorbereitung. Falsche Informationen der Geheimdienste und einflussreicher antifaschistischer Emigranten bestätigten dies, und so nahmen auch Italien (1934), Großbritannien und Ungarn (1936) und Kanada (1938) entsprechende Aktivitäten auf.

Während des zweiten Weltkrieges waren die Angloamerikaner bereits gezielt darauf vorbereitet, im Falle eines deutschen Ersteinsatzes von Biowaffen gleichartige Vergel-tungsschläge zu führen: Fünf Millionen Stück Rinder-Trockenfutter („cattle cakes“) standen abwurfbereit verpackt und mit Milzbrandsporen kontaminiert. (vgl. Geißler 2001) Die „Durchschlagskraft“ einer Milzbrandbombe hatten die Engländer bereits auf der schottischen Insel „Gruinard“ getestet. Bis zur Dekontamination des gesamten Erd-reichs mit Formaldehyd im Jahre 1986 war diese Inseln denn auch nur mit Schutzklei-dung begehbar, immer wieder ausgesetzte Schafe starben innerhalb kurzer Zeit.

Abb. 2.2: Die „Anthrax-Insel“ Gruinard Island

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unterdessen erprobte Japan die Wirkungsweise biologischer Waffen an mindestens 3000 Gefangenen und im großen Stil durch den Angriff mindestens 11 chinesischer Städte mit Milzbranderregern (vgl. Konopka 1990) und Pest-infizierten Flöhen. (vgl. A Med-World AG, www.m-ww.de)

In den Jahren 1940 – 1945 fielen dieser Art der Kriegsforschung – nach seriösen Schät-zungen – etwa 270 000 Menschen zum Opfer. Unter den verlässlich dokumentierten Biowaffen-Einsätzen ist dies bis heute der folgenschwerste.

c) Der Weg bis zum endgültigen B-Waffenverbot

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bereits nach Ende des zweiten Weltkrieges stand ein erweitertes Wissen zur Entwicklung von B-Waffenagenzien zur Verfügung. Neuere Verfah-ren der Mikrobengenetik ermöglichten, unter künstlicher Auslösung von Mutation, der Ausnut-zung parasexueller Vorgänge und anschließender Selektion, Organismen mit spezifischen Eigen-schaften zu züchten.

Konopka (1990) spricht hier vom eigentlichen Beginn des zweiten Stadiums der Entwicklung biologischer Waffen. Während dieser Zeit (1945 -1972) sind mindestens in England, den USA und Kanada bemerkenswerte Forschungsprogramme inklusive Feldstudien gelaufen.

Zeittafel 2.1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach Harris und Paxman (zit. n. Konopka 1990) fanden in den USA im Jahre 1950 mehrere Angriffsübungen der US-Armee auf amerika-

nische Städte mit „unechten B-Waffen“ statt.

Besonders beispielhaft ist das 1966 durchgeführtes Verbreitungsexperiment in der New Yorker Untergrundbahn. Mitarbeiter der B-Waffenforschungsstätte Fort Detrick warfen Glühbirnen aus dem fahrenden Zug, die mit nichtpathogenen Bakterien „gefüllt“ waren. Der Versuch zeigte, dass durch den permanenten Luftzug der U-Bahnschächte innerhalb weniger Minuten die ganze Stadt verseucht werden konnte. (vgl. ebend., zit. n. Konopka)

Trotz dieser durchschlagenden „Erfolge“ gelang es den Wissenschaftlern nicht, das Militär von der Einsatzfähigkeit biologischer Waffen zu überzeugen. Zum einen ist der Umgang mit Krankheitserregern als Kampfstoff ein zweischneidiges Schwert: Eigene Truppen bzw. die eigene Zivilbevölkerung können von den ausgelösten Epidemien eben-so heimgesucht werden, wie der Kriegsgegner (fehlende „Freund-Feind-Erkennung“).

Zum anderen wiesen die damals gezüchteten Erreger keine ausreichende Stabilität auf, um sie ähnlich „effektiv“ einsetzen zu können, wie vorhandene chemische und atomare Waffensysteme. Nicht zuletzt galt und gilt der Gebrauch biologisch-chemischer Kampfmittel nach wie vor als völkerrechtswidrig und lief bzw. läuft den Tugenden „ordentlicher“ Kriegsführung entgegen.

Abb. 2.3: Protestkundgebung gegen den Vietnam-Krieg (Washington 1971)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mit dem Einsatz chemischer Kampfmit-tel wie Agent Orange oder (im weiteren Sinne) Napalm hatten die amerikani-schen Streitkräfte bereits während des Vietnam-Krieges riesige Landgebiete verwüstet und in der vietnamesischen Zivilbevölkerung ein solches Leid verur-sacht, dass dies von der eigenen Bevölkerung, den US-Bürgern, nicht mehr hingenommen werden konnte.

Der innenpolitische Druck auf die US-

Regierung unter Präsident Nixon wuchs derart, dass dieser 1969 den einseitigen

Verzicht auf weitere B- und C-Waffenforschung versprach. Vorhandene Bestände sollten vernichtet und die Forschungsstätte Fort Detrick eingemottet werden.

So wurde der Weg zur Genfer Konvention im Jahre 1972 geebnet.

d) Die Genfer Konvention von 1972

Auf der 26. UNO-Vollversammlung gelang 1972 mit dem Beschluss zur „Konvention über das Verbot der Entwicklung, Produktion und Lagerung bakteriologischer (biologi-scher) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen“ ein bahn-brechender Erfolg. Mit diesem Vertrag, den bis 2001 144 Staaten unterzeichnet hatten – darunter die USA, die ehemalige UdSSR, der Irak, China, England, Frankreich und die BR Deutschland –, wurde erstmals eine ganze Waffengattung vollständig verboten.

Die von biologischen Kampfstoffen ausgehende Bedrohung ist damit jedoch nicht aus der Welt geschafft. Zum einen haben nicht alle Staaten (z. B. Israel) dieses Abkommen unter-schrieben, zum anderen erlaubt der Vertrag ausdrücklich die Erforschung, Entwicklung und Lagerung entsprechender Erreger wenn sich dies – so der Text - im Sinne von „Vor-beugung, Schutz oder sonstige friedliche Zwecke“ begründen lässt.

Die Handhabung mit kampfstoffgeeigneten Erregern wird also nicht nach dem Produkt, sondern nach dem Motiv beurteilt (general purpose criterion). Und dieses Motiv wiede-rum lässt sich beliebig deklarieren. Somit ist der biologischen Aufrüstung nach wie vor ein weiter legitimer Spielraum gegeben. Und kommt es dennoch zum Vertragsbruch, so ist keineswegs festgelegt, wie mit den entsprechenden Staaten verfahren werden soll.

Seit 1991 verhandelt nun eine Ad Hoc Gruppe (bekannt unter dem Namen VEREX) über Verifikationsmaßnahmen, mit der die Vertragstreue der Unterzeichnerstaaten überprüft werden soll. Der Maßnahmenkatalog des ersten Abschlußberichts (1994) reicht von der Überwachung relevanter Publikationen bis zu Satellitenüberwachung, Probenentnahmen und unabhängigen Inspektoren vor Ort.

Seit 1995 ist die Gruppe damit beschäftigt, Vorschläge zur Stärkung des Abkommens auszuarbeiten und ein rechtlich bindendes Kontrollsystem zu entwerfen, das auch die Exportkontrolle einschließen soll. Zudem findet alle fünf Jahre eine Überprüfungs-konferenz statt, bei der alle Vertragsstaaten zusammenkommen müssen. Die jüngste Konferenz wurde Ende 2001 abgehalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Der Einzug der Gentechnik

„Hätten die verantwortlichen Militärs schon von den bevorstehenden Möglichkeiten der Genmani-pulation gewusst, wäre eine internationale Rege-lung wohl nicht mehr zustande gekommen.“, beurteilt Konopka (1990) den Beschluss zur Genfer Konvention von 1972.

Bereits im folgenden Jahr 1973 führten Cohen, Boyer und Mitarbeiter die erste in vitro Rekom-bination bei Escherichia coli durch und legten so den Grundstein der modernen Gentechnik.

Zeittafel 2.2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1974 wurde erstmals von namhaften Wissen-schaftlern auf die möglichen Gefahren dieser neuen Technologie hingewiesen und schon in den 1980’er Jahren geschah – wie im Folgenden ausgeführt wird – der erste Missbrauch zu militärischen Zwecken.

a) Das sowjetische B-Waffenprogramm

Gegen Ende des kalten Krieges unterhielt die Sowjetunion ein B-Waffenprogramm, das die Welt – im zweifachen Sinne des Wortes – noch nicht gesehen hatte.

Verborgen vor den Augen amerikanischer und britischer Geheimdienste ließ das sowjeti-sche Verteidigungsministerium die Arsenale tonnenweise mit biologischen Kampfstoffen füllen, um im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung mit den USA gerüstet zu sein. Erstmals wurde die „westliche Welt“ auf diese Aktivitäten im Jahre 1979 aufmerksam, als eine Milzbrandepidemie in der russischen Stadt Swerdlowsk, dem heutigen Jekaterin-burg mindestens 66 Menschenleben forderte. Die russischen Behörden beharrten damals auf eine Lebensmittelvergiftung und erst in den 1990’er Jahren kam es zur Aufklärung: Die Erreger waren aus dem Lüftungsschacht einer Biowaffenanlage entwichen. Schuld war ein vergessener Luftfilter. So gesehen ein Unfall, wurde darin jedoch von Seiten des Militärs ein ungeplanter Feldversuch gesehen.

Auf der „Insel der Wiedergeburt“ im Aralsee wurde seit 1936 die Wirkung von Milzbrand, Pest, Pocken und anderen Erregern im großen Stil getestet. Über Jahre hinweg wurden dieser Forschung etliche Tausend Affen geopfert. Menschliche Todesfälle, die sich infolge der Verseuchung im Umland des Sees immer wieder zutrugen, nahm man stillschweigend hin.

Während des Afghanistan-Krieges bot sich dem Militär sicher eine willkommene Möglichkeit, biologische Kampfstoffe „in der Praxis“ zu testen. Nach Information von Ken Alibek (Der Spiegel 15/1999) wurde dort 1982 in „kleinem Umfang“ Rotz eingesetzt, da es „wegen der Berge schwierig ist, mit konventionellen Waffen zu operieren oder auch mit taktischen Nuklearwaffen“.

b) Perestroika mit Gentechnik-Waffen

Trotz des 1972 unterzeichneten Genfer Vertrages zum Verbot bakteriologischer Waffen stieß Michail Gorbatschow 1985 ein Biowaffen-Programm an, das zum größten der Geschichte wurde. Als „besonders wichtig“ wurde darin die Weiterentwicklung von Pocken-Stämmen erachtet. Die seit 1977 als ausgerottet geltenden Erreger durften damals (und dürfen bis heute) weltweit nur von zwei Instituten kultiviert werden: Von einem Amerikanischen und von einem Russischen. Ein erneuter Ausbruch dieser Epidemie hätte

also – mangels Schutzimpfungen – katastrophale Folgen.

Darüber hinaus wurde an zahlreichen anderen Erregern gearbeitet: Pest, Tularämie, Bru-cellose, Rotz, Milzbrand, Ebola und sogar HIV. Hierbei bediente man sich offensichtlich nicht nur mikrobengenetischer Zuchtverfahren, sondern betrieb erstmals Genmanipulati-on, um vorhandene Erreger waffentauglicher machen (vgl. Neue Züricher Zeitung 29.09.2001). Das Hauptinteresse der Forscher hatte darin bestanden, Antibiotika-Resistenzen auf die Organismen zu übertragen. Außerdem galt es, die Virulenz und Um-weltstabilität (UV-Schutz) der Erreger zu erhöhen; mit welchen Techniken dies erreicht wurde, ist aus vorhandenen Berichten (z.B. Der Spiegel 15/1999) jedoch nicht nachvoll-ziehbar.

Jedenfalls wurde bis 1989 eine Milzbrandwaffe fertig gestellt, die angeblich viermal so „effektiv“ ist, wie das Standardprodukt. (vgl. Preston 1998) Man ging Anfang der 90’er Jahre sogar so weit, dass man unterschiedliche Krankheiten miteinander „kreuzte“: Beispielsweise wurde aus der Venezuela-Pferdeenzephaltitis und den Menschenpocken per Gentechnik eine Pockenenzephalitis-Chimäre erschaffen. (s. Preston 1998)

Abb. 2.4: Prüfung einer Bio-Bombe in der Sowjetunion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

c) Perestroika der Gentechnik-Waffen ?

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, brach auch das sowjetische B-Waffenpro-gramm zusammen und wurde der „westlichen Welt“ in seinem ungefähren Ausmaß bekannt. Zahlreiche Wissenschaftler, die an diesem Programm beteiligt waren, hatten das Land verlassen. Der ranghöchste unter ihnen: Dr. Kanatjan Alibekow, Direktor einer Biowaffenfabrik und zweiter Direktor des 1973 gegründeten Konzerns Biopräparat mit damals 32.000 Mitarbeitern. 1992 floh Alibekow mit seiner Familie in die USA und klärte dort die CIA über seine bisherigen Forschungsaktivitäten auf. Insbesondere wies er den amerikanischen Geheimdienst auf die Gefahren dieser biologischen Waffen hin, wenngleich er zu jener Zeit mit seinen Befürchtungen nicht ganz ernst genommen wurde.

Inzwischen fungiert er jedoch mit seinem Spezialwissen als enger Berater des Pentagons und entwickelt als Chefwissenschaftler der amerikanischen Firma Hadron Schutzmaß-nahmen gegen B-Waffenangriffe.

Zu dieser außerordentlichen Kehrtwende gelangte Alibekow, nachdem er 1992 zuerst als Waffeninspekteur in die USA gereist war. Wie schon einmal (und nicht zum letzten Mal) in der Geschichte, hatten nämlich falsche Informationen der Geheimdienste und die Hetzpropaganda ein völlig überzogenes Bild des gegnerischen B-Waffen-Programms vermittelt. Das von der KGB gemalte Bild zerbrach in Alibekows Kopf jedoch augenblicklich während seines ersten USA-Aufenthalts. Um seine daraufhin einsetzende Entwicklung „vom Saulus zum Paulus“ (Zitat aus Die Welt, 09.05.2000) komplett zu machen, änderte er sogar seinen Namen in Ken Alibek. In wieweit ihm diese Wandlung geglückt ist, bleibt kritisch zu betrachten. Tatsache ist, dass er nun für eine Regierung arbeitet, die die B-Waffenkonvention ebenfalls missachtet und sich über bestehendes Völkerrecht hinwegzusetzen sucht.

Ehemalige sowjetische Kollegen Alibeks haben sich über viele Staaten der Erde verteilt: Einige sind nach Großbritannien und in die USA geflohen, bei den meisten ist der Aufenthaltsort jedoch selbst der russischen Regierung unbekannt. Sie könnten sich nun in Staaten wie Libyen, Syrien, China, Indien, Iran oder dem Irak aufhalten, mutmaßt Alibek (vgl. Preston 1998) und dort ihr Wissen entweder der jeweiligen Regierung oder etwa terroristischen Organisationen zur Verfügung stellen. (vgl. auch Neue Züricher Zeitung 29.09.2001)

Mit dem Ende des kalten Krieges ist ein neues Zeitalter hereingebrochen.

Die im gegenseitigen Wettrüsten von den USA und der UdSSR entwickelten Massenver-nichtungswaffen bzw. das entsprechende know how steht nun anderen Mächten zur Ver-fügung, die die Weltordnung gerne ändern möchten.

1995 gab die AUM-Sekte in der Untergrundbahn von Tokio einen bitteren Vorge-schmack. Mit dem Nervengas Sarin führte sie – erstmals in der Geschichte des Terroris-mus – Anschläge mit Massenvernichtungsmitteln. Bei dem Attentat auf die U-Bahn-Fahrgäste starben 12 Menschen, 5000 wurden verletzt. Der Einsatz des Gases war jedoch alles andere als effektiv (vgl. Neuneck 1999). Geeignete Sprühvorrichtungen (z. B. präparierte Feuerlöscher) und wirksamere Kampfstoffe hätten eine weitaus höhere Zahl Menschenleben gekostet. Späteren Informationen zufolge hatten AUM-Mitglieder bereits mit biologischen Agenzien (z. B. Botulin oder Ebola ?, vgl. auch Cole 1997) experimentiert und die Sekte verfügte über einen Hubschrauber aus russischen Beständen, mit dem sie in der Lage gewesen wäre, B/C-Kampfstoffe aus der Luft zu

versprühen (vgl. Neuneck 1999). Dem US-Geheimdienst war die Existenz dieser

internationalen Sekte trotz der vielen amerikanischen und russischen Mitglieder bis 1995 völlig entgangen und die japanische Regierung hatte die Gefahr bis dahin unterschätzt.

Wie einfach die Beschaffung kampfstoffgeeigneter biologischer Agenzien ist, demon-strierte Larry W. Harris, ein Labortechniker aus Ohio mit Kontakten zu Extremisten-Gruppen, im selben Jahr. Per Katalog und mit gefälschtem Briefkopf bestellte er sich drei Ampullen tiefgefrorener Pestbakterien von der American Type Culture Collection (ATTC) in Maryland. Die amerikanischen Behörden haben infolge dessen 1996 ein Antiterrorismus-Gesetz verabschiedet und damit die Sicherheitsbestimmungen zum Transport von Pathogenen verschärft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Jahre 1995 erfolgte ebenso der erste Anschlag auf das World Trade Center.

1998 wurde Osama Bin Laden mit den Anschlägen auf die beiden US-Botschaften in Nairobi und Daressalam in Verbindung gebracht, bei denen 200 Menschen getötet und tausende teilweise schwer verletzt wurden.

Abb. 2.5: Osama Bin Laden, gegenwärtig US-Feind Nr. 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Seit dem zweiten Anschlag auf das World Trade Center, der die Zwillingstürme am 11. September 2001 zum Einsturz brachte und ca. 3.000 Menschenleben forderte, scheint nichts mehr so zu sein, wie vorher:

In einem Vergeltungskrieg gegen Afghanistan müssen weitere 6000 Menschen sterben und noch bevor dieser Krieg wirklich zu Ende geführt ist, wird schon der Irak angegrif-fen. Nordkorea und der Iran stehen als die nächsten Ziele auf der Liste. Panik und Hysterie herrschen in der Zivilbevölkerung Europas und der USA. Die Furcht vor terroristischen Anschlägen mit Krankheitserregern war niemals größer als zuvor.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die „westliche Welt“ einer neuen Herausforde-rung zu stellen: Proliferation heißt das Schlagwort für die Verbreitung von Massenver-nichtungswaffen und die neuen Feinde sind Terroristen und so genannte „Schurkenstaaten“

3. Moderne Biowaffenproduktion

3.1 Basismaterial und Verbreitung

a) B-Waffen – Definition und Überblick

B-Waffen sind „lebende Organismen aller Art, welche Grundstruktur sie auch haben, oder von ihnen abstammendes infektiöses Material, das dann dazu dient, bei Menschen, Tieren oder Pflanzen Krankheiten oder Tod zu verursachen, und welche zur Entfaltung ihrer Wirkung von ihrer Fähigkeit, sich in den befallenen Menschen, Tieren oder Pflanzen zu vermehren, abhängt.“ (UN, 1969)

An erster Stelle nennt man im Zusammenhang biologischer Waffen meist Viren und pathogene Bakterien. Bezieht man sich auf die oben genannte Definition des UN-Generalsekretärs von 1969 (zit. n. Konopka 1990), die der der Weltgesundheitsorganisa-tion (WHO) von 1972 entspricht, fallen Viren jedoch allenfalls unter „von ihnen abstammendes infektiöses Material“, da sie im eigentlichen Sinne keine lebenden Organismen darstellen. Ein Virus-Partikel (virus = gr. Gift) besteht aus einer Nuklein-säure (entweder RNS oder DNS), die von einer Proteinhülle (Capsid) umgeben ist. Da es keinen eigenen Stoffwechsel besitzt, kann es nur innerhalb einer spezifischen Wirtszelle vermehrt werden. Zu den typischen Virusinfektions-Krankheiten beim Menschen zählen die Pocken (Variola-Virus), AIDS (HIV-Virus), Grippe (Influenzavirus), Gelbfieber (Arbo-Virus), Herpes (Herpesvirus) und die Kinderlähmung (Polio-Virus).

Bakterien unterscheiden sich von Tier- und Pflanzenzellen, sowie von den Pilzen durch einen stark vereinfachten Aufbau. Sie besitzen nur ein einzelnes ringförmiges Chromo-som und können sich im eigentlichen Sinne nicht sexuell, sondern nur durch Zellteilung vermehren. Ökologisch kommt ihnen einen außerordentlich hohe Bedeutung zur Auf-rechterhaltung der Stoffkreisläufe zu. Sie sind im Boden ebenso unverzichtbar, wie im Darm des Menschen. Nur einige von ihnen verursachen schwere Infektionskrankheiten, dazu zählen Pest (Yersinia pestis), Milzbrand (Bacillus anthracis), Typhus (Salmonella thyphii), Tularämie (Francisella tularensis), Brucellose (Brucella spec.) und „Rotz“ (Burkholderia pseudomallei)

Ein Teil der Bakterien produziert hochwirksame Nervengifte (Toxine), die ebenfalls im Interesse der Militärs stehen. Im Zusammenhang mit B-Waffen wird Botulismus häufiger erwähnt. Es handelt sich hierbei um eine schwere Fleischvergiftung, die vom Gift des Clostridium botulinum herrührt. Nur wenige µg dieses Giftes sind für den Menschen tödlich. Toxine werden offiziell zu den C-Kampfstoffen gezählt, da sie sich im Gegensatz zu lebenden Organismen nicht selbst vermehren können. Im Vertragstest der Genfer Konvention 1972 sind sie gesondert aufgeführt und verboten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Die Gentechnik als Mittel der modernen Kriegsführung
Hochschule
Universität Bremen  (Fachbereich 2: Biologie)
Veranstaltung
BGW - Chancen und Risiken der Gentechnik
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
53
Katalognummer
V13345
ISBN (eBook)
9783638190251
ISBN (Buch)
9783638731485
Dateigröße
3480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biowaffen, Gentechnik, Terror
Arbeit zitieren
Christoph Schmitt (Autor:in), 2003, Die Gentechnik als Mittel der modernen Kriegsführung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13345

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