Zur Kulturgeschichte des Anrufbeantworters


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Entkörperlichung der menschlichen Stimme im 19. Jahrhundert

2. Die Kultur- und Technikgeschichte des Anrufbeantworters
2.1 Phonograph und Telegraphon
2.2 Der Faktor ‚Telefongesellschaft‘
2.3 Antwortdienste, automatische Ansagen, automatische Anrufbeantworter

3. Tele-Kommunikation über die Maschine
3.1 Das Unbehagen der einseitigen Kommunikation
3.2 Alte und neue Machtverhältnisse in der Tele-Kommunikation

4. Schlußbetrachtung

Literatur

Einleitung

Körperlose Stimmen, das sind die Stimmen der körperlich Abwesenden. Wo zur sprachlichen Kommunikation die physischen Grenzen der menschlichen Stimme erreicht sind, müssen Medien herhalten, um über Raum- und Zeitdistanzen die Verbindungen zu erhalten. So hat schon das Medium Schrift die Stimme im Sinne von ‚ das Gesagte ‘ in einer visuellen Form festgehalten. Die menschliche Stimme als ein akustisches, in Schallwellen meßbares Phänomen wurde dann im 19. Jahrhundert erstmals durch die Entwicklung der Telephonie übertragbar und durch Phonographie und Magnettonaufzeichnung speicherbar. In dieser Hausarbeit soll es um jenes Medium, technische Gerät und Alltagskultur-Objekt gehen, welches entstanden ist, um eine Gleichzeitigkeit von Übertragung und Speicherung der menschlichen Stimme herzustellen: um den Anrufbeantworter.

Es gibt heute wohl kaum ein Medium, über welches so viele Menschen täglich ihre eigene Stimme in gespeicherter Form repräsentieren wie den Anrufbeantworter. Dennoch ist eine kulturwissenschaftliche Betrachtung dieses Phänomens bisher weitgehend ausgeblieben. Die Geräte sind in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem Massenprodukt geworden, die Ausrüstung dafür gibt es aber schon seit über 100 Jahren. Die Kultur- und Technikgeschichte des Anrufbeantworters beginnt mit der Entstehung der Stimmübertragungs- und Speichermedien. Weil der Anrufbeantworter ein spezialisierter Telefon-Rekorder ist, fand seine weitere Entwicklung zu einem gebrauchsfähigen Produkt und zu einem neuen Medium der Kommunikation im Kontext der Entwicklung des staatlichen Telefonsystems statt. Die Geschichte des Anrufbeantworter ist daher eng mit der Telefonkultur verknüpft. Diese Entwicklung will ich darstellen.

Der Anrufbeantworter ist wie das Telefon ein Mittel der Tele-Kommunikation, die Kommunikation findet hier jedoch nicht unmittelbar zwischen den Gesprächspartnern, sondern zeitversetzt über ihre gespeicherten Stimmen statt. Die Nutzung von Anrufbeantwortern ist somit eine sehr spezifische Form akustischer Repräsentation und menschlicher Kommunikation. Es soll aufgezeigt werden, inwieweit die Möglichkeiten zur Konversation über die Maschine Verhaltensmuster und sozialen Beziehungen in der Tele-Kommunikation verändert haben. Dies streift letztlich auch die Frage nach der Kultur der Erreichbarkeit.

1. Die Entkörperlichung der menschlichen Stimme im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert wird für die Übertragung und Speicherung von Geräuschen, Klängen und damit auch der menschlichen Stimme zur wichtigsten Epoche. Es beginnt eine Verwandlung der Möglichkeiten menschlichen Kontaktes, bei der die Begriffe tele- und - graphie die entscheidende Rolle spielen:

Tele - suggests a new scale of distances – telegraphy (word), telephony (sound), television (image), and telepathy (spirit); - graphy suggests new forms of inscription – telegraph (word), photograph (image), phonograph (sound), and electroencephalograph (brain waves). The nineteenth century saw a revolution in both space binding and time binding.“[1]

Einschreibung steht dabei, so John Durham Peters, für die Entfernung einer Äußerung von einer ursprünglichen Situation.[2] Als eine erste Form der Entkörperlichung der menschlichen Stimme kann daher die Schrift angesehen werden. Sie ist für lange Zeit das wichtigste Medium, um mit abwesenden Personen zu kommunizieren. Nachrichten, Botschaften oder Reden werden an einem Ort niedergeschrieben, um mittels eines Boten an einem anderen Ort vorgelesen und damit wieder hörbar gemacht zu werden. Die ‚Stimme des Gesetzes‘ wird mit der Schrift festgehalten, um sich später wieder zu erheben, und das englische Wort tales deutet noch immer darauf hin, daß es sich bei den niedergeschriebenen Märchen um Erzählungen handelt. Die Schrift überwindet die Grenzen, die der menschlichen Stimme körperlich durch Distanz oder Tod gesetzt sind, indem sie das, was gesagt wird und das, was noch gesagt werden muß, aufbewahrt und übermittelt. Mit der Schrift, so Peters, „the far could now speak to the near, and the dead could now speak to the living.“[3] Die Schrift ist somit eine erste Form der Verbindung von Aufzeichnung und Übertragung, sie ist jedoch ein zeitlich versetzter Datenfluß. Zudem muß Literatur als eine Kunstform der Schrift, „um Lautsequenzen des Redens zu speichern, [...] sie im System der sechsundzwanzig Buchstaben arretieren [...].“[4] Selbst die im Vergleich zur Literatur weitaus ‚geräuschvollere‘ Kunstform ‚Comic‘ muß in ihrer Bild- und Textsprache letztlich auf Informationen wie z.B. das Alphabet zurückgreifen.

Die Visualisierung von Geräuschen und Stimmen versagt insofern zwar dort, wo diese als ein akustisches Phänomen gefragt sind. Dennoch sind alle Erfindungen des 19. Jahrhunderts, die die menschliche Stimme über Raum und Zeit hörbar machten, aus den vielfältigen Bemühungen entstanden, Sprache und Stimme in neue Formen zu übertragen. Aus dem Braillschen System, in welchem Buchstaben in Punkte umcodiert wurden, entwickelte sich so einerseits die Blindenschrift und andererseits das Morsealphabet, welches schließlich zur Sprache des Telegrafen wurde. Der Telegraf spielt nach Marshall McLuhan bei der Entkörperlichung der Stimme eine bedeutende Rolle, denn er

„übertrug die Schrift in den Ton, ein Sachverhalt, der direkt mit dem Ursprung von Telefon wie Phonograph zusammenhängt [...] Die Elektrifizierung der Schrift war ein fast so bedeutender Schritt zum nichtvisuellen und auditiven Raum, wie es die Schritte waren, die später mit Telefon, Radio und Fernsehen gemacht wurden.“[5]

Wurden Botschaften vorher durch Kuriere, Tauben und andere Mittel übertragen, so machte der Telegraf eine Kommunikation ohne Körper möglich, die im Gegensatz z.B. zum Brief eine neue Form der Unmittelbarkeit bot. Eines der ersten Telegramme, die Wort für Wort nach Amerika übermittelt wurden, war interessanterweise die Thron rede Bismarcks im Preußischen Abgeordnetenhaus. Mit der Telegraphie konnten also Botschaften und in Schrift umgewandelte Stimmen relativ schnell über große Entfernungen übertragen werden. Karl-Heinz Göttert merkt hierzu an:

“Eine Erfindung wie die Telegraphie verwandelt nicht nur Sprache in Impulse, sondern kappt die letzten Assoziationen an die körperliche Herkunft von Kommunikation, an die Koppelung von Sinn und Persönlichkeit. Doch dies hatte keineswegs zur Folge, daß die Stimme verschwand, die Antwort war vielmehr Differenzierung.“[6]

Die direkte Kommunikation hat so erstmals die räumlichen Grenzen der Stimme verlassen, „wobei gerade die Codierung allen Makel des tönenden Wortes zugunsten der nackten Information tilgt.“[7] Diese ‚Briefpost mit elektrischen Mitteln‘wurde in erster Linie für die staatliche und geschäftliche Kommunikation genutzt und diente vor allem dem Absenden von Mitteilungen, für eine private Fernverständigung war sie kaum relevant. Dennoch glich diese Form der Kommunikation manchmal schon dem Gespräch, indem sich Geschäftspartner z.B. zu einer bestimmten Uhrzeit an beiden Enden des Drahtes verabredeten und dann mit Hilfe der Telegraphenangestellten ‚unterhielten‘: „So fand der Übergang von der telegraphischen Mitteilung zum telegraphischen Gespräch in Handel und Finanz bereits vor dem Aufkommen des Telephons statt.“[8] Bells Motivation für die Entwicklung des Telefons entsprang letztlich unter anderem auch dem Bedürfnis, ein „Mittel für Ferngespräche ohne Zwischenperson“ zu erfinden.[9] Die Erfindung des Telefons, so faßt McLuhan es zusammen, war letztlich das Ergebnis „einer langen Reihe von Bemühungen um die Sichtbarmachung der Sprache im vergangenen Jahrhundert.“[10]

Mit dem Telefon wird es schließlich möglich, Stimmen im Sinne von akustischen Signalen zu übertragen, und es kommt damit „zu einer Ausweitung des Gehörs und der Stimme, die eine Art außersinnliche Wahrnehmung darstellt.“[11] Mit der Ausweitung des Mediums Stimme wird sein wesentlicher Unterschied zur schriftlichen Form von Information deutlich: die menschliche Stimme ist kein neturales Werkzeug der Sinnübetragung, denn mit ihr spricht stets der Körper, und sie ist individuell in Tonhöhe, Lautstärke und Klangfarbe.[12] Das Telefon personalisiert also die Tele-Kommunikation, und es verlangt außerdem im Unterschied zur geschriebenen oder gedruckten Seite die volle Anteilnahme, ist eine „zur Teilnahme auffordernde Form [...], die mit der ganzen Kraft der elektrischen Polarität nach einem Partner verlangt.“[13] Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein hat es jedoch eine ähnliche Funktion wie der Telegraf: Es dient vor allem der geschäftlichen Kommunikation, während rein private Gespräche eher selten damit geführt werden.

Während die Übertragungsmedien im 19. Jahrhundert ein Durchqueren des Raumes erlauben, erlauben die Speichermedien, die nun entstehen, einen Sprung durch die Zeit. Für Kittler ist das 19. Jahrhundert gar eine Epochenschwelle, weil es nun erstmals Speicher gibt, „die akustische und optische Daten in ihrem Zeitfluß selber festhalten und wiedergeben können.“[14] Bevor jedoch gegen Ende des Jahrhunderts mit der Kinematographie Bilder in ihrem Fluß gespeichert werden können, entwickelt sich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zunächst die Photographie. Parallel dazu werden die Stimmen derer lauter, die anstreben, künftig neben Bildern auch Töne festhalten zu können. Das wird mit dem Phonographen schließlich möglich. Mit ihm können zum Ende des Jahrhunderts hin erstmals Stimmen und Klänge aus dem organischen Kreislauf von Leben und Tod herausgenommen werden:

„Dieser Wunsch, Spuren der Gegenwart zu bewahren und sich der Vergänglichkeit der Zeit entgegenzustellen – sogar Tote noch sehen und hören zu können – gehört in den Umkreis der Vorstellungen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts an die neuen Kommunikationsmittel knüpften.“[15]

Der Phonograph entkörperlicht die Stimme in einer neuen Form und macht sie so unsterblich:

„The phonograph presented a human voice without a human body. The human soul, the breath, had taken up residence in a machine.“[16]

Nach Peters hat die Entstehung neuer Medien einerseits neue Theorien und Ideen zur Kommunikation hervorgebracht. Gleichzeitig hätten die durch die Medien entstehenden ‚Phantasmen der Lebenden‘ im 19. Jahrhundert auch zu einer Wiederbevölkerung der Geisterwelt geführt:

„Media both define and enlarge the spirit world, being populated by spectral beings who look or sound human but offer no personal presence and possess no flesh“[17]

Auch Kittler weist darauf hin, daß Medien immer schon Gespenstererscheinungen liefern.[18] So werden mit Aufkommen des Morsealphabets plötzlich auch Klopfzeichen von Geistern wahrgenommen, und auch die ersten fotografischen Ergebnisse liefern in ihrer Schemenhaftigkeit vor allem Abbildungen von Geistern und Gespenstern. Spiritualismus, so Peters, war für die Auseinandersetzungen mit (außerkörperlicher) Kommunikation im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Hauptvehikel, und die Verbreitung des Telefons half, ihn zu beflügeln.

Offensichtlich liegen in keinem anderen Jahrhundert die Parallelen zwischen der Medienwelt und der Welt der ‚Medien‘ so nah beieinander. Die Realisierung des Geist-zu-Geist-Kontaktes durch die Technologie führt so zu einer Neubewertung der Präsenz als Person, Peters nennt es auch eine dialektische Krise der Repräsentation. Die menschliche Stimme ist in diesem Jahrhundert auf eine neue Art körperlos geworden. Sie hat aber andererseits ein Stück Körperlichkeit wiedergewonnen, weil sie in einer neuen Dimension wieder als Äußerung des Körpers wahrnehmbar wurde. Für McLuhan bedeutet die zunehmende Mechanisierung gar eine Ausweitung des Körpers in den Raum, und die Elektrisierung ersetzt schließlich das ZNS. Daß dieser Wandel psychologisch nicht ohne Probleme von Statten ging, darauf macht Göttert aufmerksam. So hat der wachsende Bedarf and Telefonen Ende des Jahrhunderts zu einem Zusammenbruch der Technik und in der Folge zu einer Massenhysterie unter Telefonistinnen geführt. Im Jahre 1904 beginnt daraufhin in den USA die systematische Erforschung neurotischer Störungen:

„Deren Urschache sucht man in der völlig ungewohnten Situation eines Kommunizierens ohne Kommunikation: immerfort auf Kommunikationen wartend, die nichts als die Ankündigung von Kommunikation enthalten, wird das „Amt des Ge-horchens“ zur Überforderung eines noch auf Ganzheitlichkeit ausgerichteten psychischen Systems“[19]

[...]


[1] John Durham Peters: Speaking into the air. A history of the idea of communication. Chicago 1999: S. 138

[2] ebd.: S. 160

[3] ebd.: S. 138

[4] Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin 1986: S. 11

[5] Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle [Understanding Media 1964]. Basel 1994: S. 429

[6] Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme. München 1998: S. 458

[7] ebd.: S. 405

[8] Patrice Flichy: Tele – Geschichte der modernen Kommunikation [Une histoire de la communication moderne 1991]. Frankfurt/Main 1994: S. 145

[9] ebd.: S. 143

[10] McLuhan: S. 409

[11] ebd.: S. 403

[12] Göttert: S. 13

[13] McLuhan: S. 407

[14] Kittler: S. 10

[15] Flichy: S. 112

[16] Peters: S. 161

[17] ebd.: S. 141

[18] Kittler: S. 22

[19] Göttert: S. 416

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Zur Kulturgeschichte des Anrufbeantworters
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften)
Veranstaltung
Zur Kultur- und Technikgeschichte akustischer Repräsentation
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V13341
ISBN (eBook)
9783638190237
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kulturgeschichte, Anrufbeantworters, Kultur-, Technikgeschichte, Repräsentation
Arbeit zitieren
Tonja Mayr (Autor:in), 2003, Zur Kulturgeschichte des Anrufbeantworters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13341

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