Gewaltspiele im öffentlichen Diskurs

Eine diskursanalytische Untersuchung


Seminararbeit, 2008

49 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Diskursanalytische Vorgehensweise

2.1 Der Diskurs in der Sozialforschung
2.2 Ansätze der Diskursforschung
2.3 Der Datenkorpus
2.4 Computergestützte Verfahren der Datenanalyse

3 Auswertung
3.1 Kontra-Positionen
3.2 Differenzierende Positionen
3.3 Zusammenfassung und Interpretation

4 Schlussbetrachtung

5 Quellenverzeichnis

6 Anhang : Datenmaterial
6.1 (www : 1) Killerspiele verbieten - Das ist der falsche Reflex
6.2 (www : 2) Eine Frage der Moral
6.3 (www : 3) Wer aggressiv ist, spielt mehr
6.4 (www : 4) Interview mit Dr. Peter Vorderer
6.5 (www : 5) Expertenstreit um Killerspiele?

1 Einleitung

Als der 20-jahrige Bastian B. um 9.30 Uhr am 20. November 2006, schwer bewaffnet mit Gewehren und Rohrbomben seine ehemalige Schule, die Geschwister-Scholl Realschule in Emsdetten betrat, war dies der Beginn seines verheerenden Amoklaufs, der mehrere Dutzend Verletzte forderte und mit dem Selbstmord des Taters endete. Diese schockierende Tat erregte die offentliche Aufmerksamkeit in lange nicht mehr gekanntem MaBe, zumal dies bereits der zweite Amoklauf an einer deutschen Schule war: Denn am 26. April 2002 hatte der 19-jahrige Robert Steinhauser, ehemaliger Schiiler am Gutenberg Gymnasium, ein noch schlimmeres Massaker angerichtet : Bei seinem Anschlag mussten 17 Menschen, Lehrer und Mitschiiler, ihr Leben lassen. Amoklaufe von derart verheerenden AusmaBen, ausgefiihrt von Jugendlichen, hatte es bis dato in Deutschland nicht gegeben, galten jugendliche Amoklaufer doch vor allem als amerikanisches Phanomen. Doch nun hatte sich das amerikanische Syndrom offensichtlich bis nach Deutschland ausgebreitet, war doch der Amoklauf von Emsdetten bereits der zweite Anschlag, womit die schreckliche Tat von Robert Steinhauser nicht mehr als Einzelfall eingestuft werden konnte. Musste man nun mit dem gehauften Auftreten von jugendlichen Gewaltausbriichen rechnen? Wie konnte ein ahnliches Drama in Zukunft verhindert werden, kurz was waren die auslosenden Faktoren fiir die verheerenden Gewalttaten? Die Suche nach den Ursachen, die letztlich dafiir sorgten, dass die Tater die letzte Hemmschwelle iiberschritten hatten und nun bereit waren Menschen zu toten, riickte ins Zentrum zahlloser Debatten in der Folgezeit der Gewalttaten.

Zwar ist Jugendgewalt kein Novum per se, doch zweifellos haben die vollig neuen AusmaBe mit Dutzenden von Opfern eine verstorende Qualitat angenommen, die aus sozio-moralischer Sicht nicht ignoriert werden kann. Als mogliche Ursachen fiir jene Gewaltausbriiche sind neben schulischen Problemen, wie Leistungsdruck und Mobbing gegen die Tater, oder dem allzu leicht gemachten Zugang zu Waffen, gerade Computerspiele mit Gewaltinhalten ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Diese schnell als „Killerspiele" betitelten Medien animierten — so eine der Positionen — aufgrund ihres hohen Interaktionsgrades ihre Konsumenten zu Nachahmungstaten, besonders wenn es sich dabei um „labile" Personlichkeiten handele. Es bleibt festzuhalten, dass keine andere mogliche Ursache eine derartige Aufmerksamkeit erreichte und derart mit Emotionen verbunden wurde wie eben jene Killerspiele. Zum ersten Mal geriet eine gesamte Subkultur von Computerspielern, deutschlandweit etwa 38% der Bevölkerungsgruppe von 14 bis 64 Jahren1 von denen ein nicht unerheblicher Teil im Bereich von mehreren Millionen „Gamern", Spiele mit Gewaltinhalten konsumiert, in den Fokus des offentlichen Interesses, und dies mit nicht unerheblichen Folgen.

In unserer Rolle als Sozialforscher und Autoren dieser Arbeit ist die Thematik der Gewaltspiele und der davon ausgehende Diskurs von zweifacher Bedeutung : Der „Mouse-Klick-Kohorte" zugehörend haben wir den technologische Fortschritt jener faszinierenden und stetig neue Lebensbereiche vereinnahmenden (und erschaffenden) Rechenmaschinen von deren Aufkommen bis in die Gegenwart in Hard- und Software-Entwicklung intensiv miterlebt. So gehören auch wir zu eben dieser Spielerkultur. Es geht uns somit darum, eben dieses Phänomen aus soziologischem Standpunkt aus zu erkunden, dessen Teil wir längst geworden sind. Wir sind aber auch, in der Rolle der Computerspieler, betroffen von den Folgen und Nebenfolgen des Gewaltspieldiskurses.

2 Die Diskursanalytische Vorgehensweise

Diese Arbeit will das Phänomen Gewaltspiele nicht moralisch bewerten, sondern interessiert sich aus soziologischer Perspektive dafur, wie der offentliche Diskurs fiber Gewalt in und durch Computerspiele strukturiert ist und funktioniert. Nicht die Spiele und deren Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft stehen im Fokus der Untersuchung, sondern der aus diesem Konstrukt hervorgehende gesellschaftliche Diskurs.

Doch welche gesellschaftlichen Funktionen und Bedeutungen gehen aus, vor allem offentlich geführten, Diskursen hervor? Welche Aspekte der Diskursanalyse lassen gerade sie als Methodik zur Ausarbeitung des Gegenstandes angemessen erscheinen? Was zeichnet sie aus in Gegentiberstellung mit anderen Methoden der qualitativen Sozialforschung? Auf diese Fragestellungen soll in den folgenden Abschnitten uberblicksartig eingegangen werden, und schlieBlich eine Darstellung der konkret angewandten diskursanalytischen Vorgehensweise erfolgen.

2.1 Der Diskurs in der Sozialforschung

In seiner sozialen Praxis ist der Diskurs „[...] zum einen Gegenstand von Konflikten, weil in und mit Diskursen Deutungsvorgaben fir politische und soziale Ereignis- und Handlungszusammenhänge produziert werden, die dariiber entscheiden, wie diese Ereignis-und Handlungszusammenhänge wahrgenommen und bewertet werden. Diese Deutungsvorgaben sind umstritten, weil sie das Richtige vom Falschen, das Gute vom Bösen, das Angemessene vom Unangemessenen oder das Normale vom Abweichenden trennen und damit soziales und politisches Handeln legitimieren." (Schwab-Trapp 2001, S. 263)

Der Diskurs wird umso notwendiger, je mehr Wissensanschauungen und Wissensvorräte von Individuen oder Interessensgruppen miteinander konkurrieren, und je differenzierter diese ausgeprägt sind, „[...] weil nur dort, wo konkurrierende Anspriiche auf Definitionsmacht erhoben werden, diskursive Prozesse vorangetrieben werden. Wo jedermann davon iiberzeugt ist, dass weiB weiB und schwarz schwarz ist und auf der Grundlage dieser Uberzeugung handelt, braucht niemand mehr sagen, dass weiB weiB und schwarz schwarz ist. Der Diskurs bestiinde in diesem Fall aus einem verbindlichen und 'geheiligten' Text, der allenfalls kommentarlos weitergeschrieben wiirde. (Schwab-Trapp 2001, S. 263f)

Die Diskrepanz der Anschauungen und Interessen der am Diskurs beteiligten Protagonisten bildet gleichsam den Nährboden des Diskurses. Im Diskurs spiegeln sich folglich die persönlichen, sozialen oder ökonomischen Interessen der teilnehmenden Individuen oder Organisationen wieder, deren methodische Betrachtung einen der Hauptgegenstände diskursanalytischer Verfahren bildet. Welche Unterschiedlichkeiten bei Betrachtungs- und Vorgehensweisen, Gegenstandsbereich und Zielsetzungen von diskursanalytischen Methodiken vorherrschen, soll im folgenden Abschnitt erläutert werden.

2.2 Ansätze der Diskursforschung

Einen der wohl grundlegendsten Leitgedanken der qualitativen Sozialforschung konstituiert die Reflexion des Forschers iiber sich und die konkret angewandte Forschungsmethode. Gerade da die qualitative Sozialforschung, die in besonderem Sinne auf „Akten der Deutung" (König 1962, S. 109) beruht, einen vom forschenden Subjekt besonders stark abhängigen interpretativen Charakter aufweist, gehört zum wissenschaftlichen Verständnis unweigerlich die Beschreibung und das Verstehen des Verstehens selbst. Die theoretische Legitimation einer Methode ergibt sich erst aus der konkreten Begriindung im Zusammenhang und aus dem Material heraus. Die Praktikabilität der gewählten Methode ergibt sich aber nicht nur aus dem Datenmaterial, sondern auch aus der eingeschlagenen Zielrichtung — sei es die Analyse von implizierten Deutungsstrukturen, aber auch weiterfiihrende Formen der Thesen-, Modell-, oder Theoriebildung.

Als angemessen erscheinende Methoden zur qualitativen Analyse des Gewaltspieldiskurses kommen neben der Diskursanalyse nach Foucault auch die Gegenstandsbezogene Theoriebildung, bzw. Grounded Theory nach Strauss und Glaser, sowie die Verfahren der objektiven Hermeneutik nach Oevermann in Betracht. Die genannten qualitativen Verfahren sind jedoch in keiner Weise als strikt gefasste Paletten festgelegter Analyseschritte zu verstehen, die gleich einer Bedienungsanleitung in linearer Abarbeitung ein bestimmtes Resultat anvisieren. Vielmehr handelt es sich jeweils um einen spezifischen Forschungsstil, der basierend auf den Paradigmen der jeweilig zugrunde liegenden Theorierichtung eigentümliche Verfahrensvorgaben an den Forscher richtet. So basiert die vor allem von Michel Foucault geprägte Diskursanalyse auf einer ebenso wissenssoziologischen wie auch konstruktivistischen Perspektive, die Forschungsgegenstände in ihrer Begrifflichkeit ,,[...] als kontingente Erscheinungen, die ihre Existenz unterschiedlichen Wissens- und Praxisformen verdanken", aufgreift. (Keller 2004, Kap.2). Gegenstand des Verfahrens ist die Analyse und Herausarbeitung der Regeln und RegelmäBigkeiten des Diskurses, dessen Anteil an der Konstruktion von Wirklichkeit, dessen historische Veränderungen, wie auch die Wirkungsweise des Diskurses aus dem sozialen wie institutionellen Kontext heraus.

Im Vergleich zur Diskursanalyse ist die auf den Paradigmen des Symbolischen Interaktionismus basierende Gegenstandsbezogene, bzw. Gegenstandsverankerte Theoriebildung nach Strauss und Glaser ein Forschungsansatz zur Analyse qualitativer Daten mit der Zielsetzung der Theoriegenerierung aus dem konkreten Datenmaterial heraus. In zirkulären Prozessen und unter besonderem Einbezug des Kontextwissens des Forschers stellt die Grounded Theory ein systematisches Verfahren zur Aufdeckung und Erklärung sozialer Phänomene dar, deren wiederholte Reflexion und Rekonstruktion zur Verdichtung der Erkenntnis und schlieBlich zur Erzeugung einer realitätsnahen Theorie führt.

Dem gegenübergestellt konzentriert sich das Verfahren der objektiven Hermeneutik nach Oevermann auf die Rekonstruktion der latenten Bedeutungsstrukturen von Texten. Sie möchte Argumentationszusammenhänge in Struktur, Konsistenz und Funktion sichtbar machen und in ihrer Systematik erschlieBen. In Anlehnung an Mead wird hierbei angenommen, dass in den von Individuen verwendeten sprachlichen Mustern intersubjektiv geteilte Regeln und Bedeutungen zu tragen kommen, deren Rekonstruktion im Mittelpunkt des Verfahrens steht. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht zugleich, dass unterschiedliche methodische Blickrichtungen mit unterschiedlichen, klar definierten Untersuchungsschwerpunkten zu definitiv unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, obgleich sie zur Analyse desselben Forschungsgegenstandes herangezogen werden. Sicherlich lieBe sich aus dem Diskurs über Computerspiele mit Gewaltdarstellungen auch eine die sozialen Verhaltensmuster erklärende Theorie ableiten. Ebenso die in der Sprache der Akteure verborgenen Bedeutungsstrukturen. Durch die stetige Beschäftigung mit der Thematik und dem Datenmaterial hat sich schlieBlich die Zielrichtung dieser Ausarbeitung erschlossen, und damit die Legitimitätsfrage der anzuwendenden Methode geklärt : Der Diskurs in seiner Zusammensetzung und seiner Wirkungsweise soll im Zentrum der Analyse stehen, und damit verbunden die Frage seiner methodologischen Erfassung. Doch wie kann der Diskurs in seiner soziologischen Relevanz erschlossen werden? Was meint Diskursanalyse im weiteren wie im engeren Sinne? Welche Schwerpunkte werden dabei herausgearbeitet? Im Hinblick auf diese Fragestellungen lässt sich die soziologische Diskursanalyse, wie bereits erwähnt, als Konzeption, Stil oder Paradigma beschreiben. Einen hinreichende Vorstellung der Methode und deren eigentümlicher Charakteristika liefert Dr. Schwab-Trapp wie folgt:

- Diskursanalyse ist erstens Konfliktanalyse - sie rekonstruiert diskursive Auseinandersetzungen, in denen die Diskursteilnehmer Deutungen für soziale und politische Handlungszusammenhänge entwerfen und um die kollektive Geltung dieser Deutungen ringen.
- Damit ist Diskursanalyse zweitens Prozessanalyse - sie untersucht die Entstehung, die Verbreitung, die Institutionalisierung und den historischen Wandel mehr oder weniger kollektiv geteilter Deutungen fir politische Ereignis- und Handlungszusammenhänge.
- Diskursanalyse ist drittens vor allem eine Analyse öffentlicher Auseinandersetzungen - sie begreift Diskurse als ein offentliches Gut, das in Auseinandersetzungen zwischen administrativen oder politisch-kulturellen Eliten hergestellt und reproduziert wird.
- Als Analyse offentlicher Auseinandersetzungen ist Diskursanalyse viertens eine Analyse der Beziehungen, die Diskursbeiträge und ihre Träger in ihren Auseinandersetzungen eingehen - sie rekonstruiert Diskursordnungen, in die sich Diskursbeiträge einschreiben.
- Diskursanalyse ist fiinftens auf die Legitimität sozialer und politischer Ereignis- und Handlungszusammenhänge bezogen - sie untersucht, wie Diskurse soziales oder politisches Handeln legitimieren und welche Deutungen als legitime Deutungsvorgaben institutionalisiert werden.
- Diskursanalyse ist sechstens Einzelfallanalyse - ihr primärer Untersuchungsgegenstand sind spezifische diskursive Ereignisse, in denen die an diesen Ereignissen beteiligten Akteure Deutungen entwickeln und um die Anerkennung ihrer Deutungen ringen.
- Als Analyse diskursiver Ereignisse ist Diskursanalyse schliel3lich siebtens stets vergleichende Analyse - erst im Vergleich gewinnt sie die Fähigkeit, die Prozesse, die in und durch diskursive Ereignisse angestoBen werden, zu identifizieren und zu bestimmen (Schwab-Trapp, 2001, S 264; die Hervorhebung stammt vom Verfasser)

2.3 Der Datenkorpus

Um eine vollständige Diskursanalyse zu gewährleisten ist es nötig, den Diskurs möglichst iiber den gesamten Zeitraum, sowie mit allen unterschiedlichen Blickwinkeln bzw. Meinungen zu erfassen. Aufgrund des begrenzten Rahmens, der uns im Rahmen dieser Arbeit zur Verfügung steht, sind wir aber gezwungen Zugeständnisse zu machen. So konzentrieren wir uns explizit nur auf den Zeitraum des Diskurses, der nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002 bis ins Jahr 2007, kurz nach dem Amoklauf von Emsdetten stattfand, sozusagen die heiBe Phase des Diskurses. Denn Debatten iiber die Wirkung gewalthaltiger Spiele hatte es schon lange vorher gegeben, vermutlich seit dem Erscheinen der ersten Ego-Shooter2, die mithilfe der Darstellung des Spielgeschehens aus der Ich-Perspektive sowohl einen neuen Standard, als auch ein intensiveres Spielgefühl geschafft haben. Seit Veröffentlichung der ersten Spiele dieses Genres haben sich enorme Fortschritte in der Computertechnologie vollzogen und somit zu gesteigerten Spielgeschwindigkeiten und ausgefeilteren Optiken beigetragen. Aktuelle Spiele wie beispielsweise Crysis3 stellen hohe Anforderungen an die Hardware und damit an den Geldbeutel der Konsumenten, belohnen diese aber im Gegenzug mit nahezu foto-realistischen Grafiken und quasi wirklichkeitsgetreuer Physik4, was auf moralischer Seite die Befürchtung rechtfertigt, dass Computerspiele zunehmend die Grenzen zwischen Realität und virtuellem Geschehen verwischen lassen.

Wir haben unsere Recherche im Internet durchgeführt, und dabei Meinungen und Artikel aus unterschiedlichen Quellen, wie beispielsweise den Homepages von Computerspielherstellern, Computerspielzeitschriften, Zeitungen, TV-Sendern und privaten Blogs zusammengestellt. Somit wird der Diskurs aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Spieler, Spielhersteller, Journalisten, Politiker, und Experten wie Kriminologen oder Psychologen beleuchtet. Zielsetzung fir die weitere Feinauswahl und damit Konzentration des Datenmaterials ist die Repräsentativität der diskursanalytischen Betrachtung. Der Auswahlprozess ist dabei in Anlehnung an die — besonders aus der Methode der Grounded Theory bekannten — Prinzipien des theorieorientierten Samplings (vgl. Keller, 2007, Kap. 4) erfolgt. Durch Gegentiber-stellung der Diskursfragmente mittels minimaler und maximaler Kontrastierung haben sich bestimmte Positionen als prägnant und besonders aussagekräftig dargestellt, und somit zur Heranziehung fir die weitere Feinanalyse qualifiziert. So haben wir uns auf lediglich eine Position aus der Gruppe der Politiker konzentriert, nämlich jener von Günter Beckstein, der in seinem Verbotsplädoyer nicht nur durch seine kontrastierende Profilierung auffällt, sondern auch aufgrund von medialem Einflussvermögen und politischer Macht ein regelrechtes Schwergewicht im Diskurs verkörpert. Grund genug, (auch aus politischem Interesse) differenzierend argumentierende Politiker, wie beispielsweise Volker Beck von B90 — die Grünen, au13en vor zu belassen. Zur Verdeutlichung der Position der Medien haben wir, im Hinblick auf die Möglichkeiten der Beinflussung der offentlichen Meinung, das Statement der Journalistin Susanne Gaschke ausgewählt. Repräsentativ für die Interessengruppe der Hersteller wird die Position von Thomas Zeitner, Geschäftsführer von Electronic Arts Deutschland, herangezogen. Mit Rücksicht auf die im offentlich geführten Diskurs passiv erscheinenden Computerspieler soll bei der Feinanalyse ebenso auf die Position eines anonym Stellung nehmenden Computerspielers eingegangen werden. Von besonderer Bedeutung für die Konstitution und Veränderung von Wissens- und Machtstrukturen im Gewaltspieldiskurs ist die Gruppe der „Experten". Diese wird vertreten durch die Stellungnahme des Kommunikationswissenschaftlers und Psychologen Dr. Peter Vorderer. Mit Hinweis auf die Uneinigkeit der Experten bezüglich der Wirkung von Gewaltspielen lässt sich ein separat zu betrachtender Teil des Gewaltspieldiskurses ableiten. Unterschiedlichkeiten in der Forschungsrichtung, also im wissenschaftlichen Blickwinkel, aber auch in der Ausführung der Studien selbst führen unweigerlich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Konkurrierende wissenschaftliche Richtungen, wie Medienwirkungsforschung im Vergleich zur Mediennutzungsforschung und deren unterschiedliche, zu Tage gebrachten Ergebnisse buhlen geradezu um das Aufsehen der Offentlichkeit und die Gunst der Politik. Differenzierende Positionen bezüglich der Wirkung von Gewaltmedien, wie von Peter Vorderer vertreten, erscheinen in diesem Kontext als darstellenswert, besonders da jene einschlägig negativen Expertenurteile wie beispielsweise von Dave Grossman5, Werner Glogauer6 oder Christian Pfeiffer7, bereits zur Stützung der Position der populistischen Politiker aufgegriffen werden und in deren Argumentation geradezu „mitschwingen". Es handelt sich bei unserer Selektion wiederum um einen Griff der Gewichtung bezüglich der offentlichen Wirkung.

2.4 Computergestützte Verfahren der Datenanalyse

Als wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des Seminars Computergestützte Verfahren der qualitativen Sozialforschung besteht ein Aspekt dieser Ausarbeitung darin, die qualitative Datenanalyse mit den Möglichkeiten computerisierter Verfahren effizienter zu gestalten. Denn, wie sich beispielsweise an transkribierten Interviews, deren Materialumfang durchaus mehrere tausend DIN A4 Seiten einnehmen kann, erkennen lässt, kann die Datenflut oftmals schier unUbersehbare AusmaBe annehmen, und so bei der analytischen Verarbeitung schnell zu Kapazitätsengpässen fiihren. Nichts scheint dieser Problematik besser Abhilfe zu schaffen, als der Einbezug der hohen Speicher- und Rechenkapazitäten moderner Computersysteme. Dabei ist anzumerken, dass die fir die qualitative Datenanalyse kommerziell angebotenen Software-Lösungen teils wegen der relativen Frische der wissenschaftlichen Disziplin, teils wegen der ungeahnten Leistungssteigerungen der Computertechnologie in den letzten 5-10 Jahren noch in einem relativ frühen Entwicklungsstadium stecken. Wachsende Verwendung und Beliebtheit in der Nutzung, zunehmende Wirtschaftlichkeit, wie auch verstärktes user-feedback werden, so hoffen wir, die eben gemachte Anmerkung bald Vergangenheit werden lassen.

Zum Einsatz bei der Ausarbeitung kam die Analysesoftware MaxQDA 2 (die aktuelle Version der Software ist MaxQDA 2007). Als Analysewerkzeug bietet MaxQDA eine Reihe von essentiellen Funktionalitäten, um die Vor- und Aufbereitung der in Textform gewonnenen qualitativen Daten zu erleichtern. Dazu zählen mitunter:

- das Einlesen bzw. Importieren von Textdokumenten
- das Erzeugen von Codes8 und Codieren, also das Zuordnen von Textstellen zu den erzeugten Codes
- das manuelle (Nach-)Gewichten von Codes
- das Einordnen und Strukturieren der Codes zu einem schematischen Codesystem
- Das Erstellen und Bearbeiten von Code-Memos und Text-Memos, also Anmerkungen, Ideen, oder Kommentaren zu den jeweiligen Codings, respektive zu gesonderten Textpassagen
- Das Aufzeigen von Korrelationen zwischen den erzeugten Codes
- Exportfunktionen zum exportieren des Datenmaterials
- zusätzliche Textverarbeitungsfunktionen wie beispielsweise die lexikalische Suche

Dabei gilt zu erwahnen, dass jene Funktionen in MaxQDA Version 2 überwiegend unvollstandig implementiert und daher als unausgereift anzusehen sind. So sind die einlesbaren Textdokumente auf rtf-Dateien beschrankt, Codings lassen sich zwar farblich kennzeichnen, doch stehen dem weniger als ein Dutzend Farben zur Auswahl; auch produziert der Daten-Export im txt-Format nur unvollstandige Textdokumente. Warum gerade html-Dateien als einzig mogliche Exportoption verbleiben, erscheint uns ebenso schleierhaft. Weiterhin ware die Möglichkeit des selektiven Exportierens von Codes, beispielsweise nur jener zu „Polemiken" abgelegten Codings nützlich und wünschenswert.

Die Prozeduren der Datenaufbereitung dieser Arbeit können wie folgt festgehalten werden: Die zur Feinanalyse in die engere Auswahl gezogenen Diskursfragmente haben wir nach entsprechender Umwandlung in das rtf-Format mittels OpenOffice 2.3 in MaxQDA 2 importiert, und inhaltlich codiert. Beispielsweise sind alle in den Texten vorhandenen Bezüge zu subjektiven Beeinflussungen oder Ubergangen zwischen der virtuellen und der realen Welt dem Code „Intermondialer Transfer" zugeordnet worden. Die dabei entstandenen Codes haben sich zu einem Codesystem zusammengefügt, welches in der folgenden Abbildung dargestellt ist :

Auffallend sind die Haufigkeiten der Codes „Wissenschaftliche Erkenntnis", „Forderungen und Konsequenzen" und „Moral und Verantwortung", sowie weiterhin „Personliche Uberzeugungen", „Polemiken", und „labile Persönlichkeiten". Daraus lässt sich bereits schlieBen, dass der Gewaltspieldiskurs maBgeblich mit Standpunkten und Argumentationen eben dieser Codes bestritten wird.

3 Auswertung

Bei der Betrachtung des Datenkorpus in seiner Ganzheit fallt auf, dass sich die Diskursteilnehmer entsprechend einer groben Kategorisierung in zwei gegenilbergestellte Diskurspositionen9 einordnen lassen. Zwar greifen die Sprecher innerhalb einer Position oft auf unterschiedliche Argumentationen zurtick, oder gewichten ihre Positionen unterschiedlich, doch erscheint die grobe Einordnung der Sprecher zu jenen Positionen sinnvoll.

Zum einen die Position der Computerspielgegner, die ihre Argumentationen konsequent auf die — zweifellos vorhandenen — negativen Aspekte von gewalthaltigen Computerspielen ausrichten, und diese Argumentationsstruktur nutzen, um ein volliges Verbot gewalthaltiger Computerspiele zu fordern.

Dieser steht eine Position von abwagend-differenzierenden Urteilen gegenilber. Hier wird vor allem auf die Ambivalenz von Computerspielen eingegangen. Die Vertreter dieser Position gehen neben den negativen Aspekten von Computerspielen auch auf die positiven Effekte, beispielsweise fur die Personlichkeitsentwicklung oder verbesserte Reaktionsfahigkeit ein. Zudem weisen sie auf fehlende Realitatsnahe und fehlenden Tiefgang der bisherigen Gewaltwirkungsforschung sowie auf oftmals einseitig aufbereitete und pauschalisierende Forschungsergebnisse hin. Aufgrund dieser Tatsachen lehnen sie ein volliges Verbot von Gewaltspielen ab, sprechen sich aber fur eine bessere Ausschopfung des bereits bestehenden Gesetzesrahmens aus.

Im Folgenden sollen die eben dargelegten Positionen ausführlich in Argumentationsstruktur, - strategie und Reichweite sowie Legitimation ihrer Sprecherposition analysiert werden.

3.1 Kontra-Positionen

Als einer der in Vehemenz und Einfluss herausragenden Vertreter der Kontra-Gewaltspiele Position hat sich der damalige bayrische Innenminister Gunter Beckstein im Diskurs um Gewaltspiele etabliert. Dank seiner politischen Position wird Herr Beckstein als legitimer Sprecher akzeptiert, gar politsche Stellungnahmen und MaBnahmen seinerseits erwartet. Doch wird der politische Diskurs möglicherweise als Scheindebatte und notwendiges Ubel denn als ernst zu nehmende Auseinandersetzung wahrgenommen. Wer wiirde demnach Becksteins Eintreten in den Diskurs in Frage stellen, und das obgleich Herr Beckstein, wie aus dem Interview in der Frankfurter Rundschau hervorgeht, keinerlei praktische Kenntnisse, Erfahrungen oder spezifisches Wissen mit dem Medium Computerspiele vorweisen kann. So muss Beckstein auf Nachfrage des Interviewers zugeben „[m]eine Erfahrungen sind hier auf „Kindergartenniveau "". (www : 1). Zudem hat Herr Beckstein als legitimer Sprecher und Regierungsmitglied die Möglichkeit, seine Position in einer Diskursarena mit hoher Reichweite, nämlich einer bekannten Zeitung mit hoher Auflage wie der Frankfurter Rundschau zu etablieren.

Seine politische Position verschafft Herrn Beckstein nicht nur die Legitimation in den Diskurs einzutreten, sondern auch einen höheren Einfluss bzw. ein höheres Gewicht in der Akzeptanz seiner Ansicht, als es ein „einfacher" Diskursteilnehmer ohne Bildungstitel hat. Auch aufgrund seiner sprachlichen Performanz als rhetorisch geschulter Politiker erlangen seine AuBerungen eine besondere Durchsetzungsfähigkeit.

„[...] ich bin felsenfest iiberzeugt: Spiele wie "Counter-Strike" oder "Medal of Honor" können einen Einfluss auf das Verhalten von labilen Menschen haben. Da werden Hemmschwellen herabgesetzt, es gibt Nachahmungstaten. Das sagen uns die Kriminalisten. Deswegen miissen die Killerspiele verboten werden " (www: 1).

An diesem kurzen Zitat zu Beginn des Interviews lässt sich bereits die gesamte Argumentationsstruktur Becksteins aufzeigen. Als „felsenfest" stellt Beckstein seine Meinung dar, die er mit weiterem Verweis auf die Erkenntnisse von Experten (hier : Kriminalisten) versucht unangreifbar zu machen. Weiter verbindet Beckstein den Diskurs iiber Gewaltspiele mit dem psychologisch-medizinischen Diskurs iiber labile Menschen. Denn obwohl nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Computerspieler als labil eingestuft werden kann, konstruiert Beckstein die Verbindung zwischen „labil" und „Gewaltspiele", die unweigerlich zu Nachahmungen fiihre, und damit zu einer Gefährdung fiir die Gesellschaft. Diese Diskursverschränkung10 dient dem Zweck, die begriffliche Verkniipfung als Gefahrenpotential zu etablieren, obgleich sie aus statistischen wie logischen Griinden nicht nahe liegt. Aus den, seiner Meinung nach, hieb- und stichfesten Erkenntnissen der Experten folgert Beckstein, dass ein Verbot das einzige probate Mittel sei, um die Gefährdung der Mitmenschen zu unterbinden.

[...]


1 vgl. Prof. Dr. Thorsten Quandt : „Games-Markt Deutschland", München, 2007.

2 Nennenswert als die ersten Ego-Shooter sind u.a.: Midi-Maze — Hybrid Arts, 1987; Wolfenstein 3D — id software, 1992; Doom — id software, 1993.

3 Crysis — Crytek, November 2007.

4 im Sinne von physikalischer Berechnung und Darstellung bewegter Objekte im Spiel durch Simulation der Newtonschen Modelle, in Einbezug von Variablen wie Masse, Friktion, Geschwindigkeit, Schwerkraft, Luftwiderstand, o.ä.

5 vgl. Grossman, Dave: On Killing: The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society, Back Bay Books, 1996.

6 vgl. Glogauer, Werner: Die neuen Medien machen uns krank. Gesundheitliche Schäden durch die Medien-Nutzung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Weinheim, 1999.

7 vgl. Thomas Mo13le, Matthias Kleimann, Florian Rehbein und Christian Pfeiffer: Mediennutzung, Schulerfolg, Jugendgewalt und die Krise der Jungen. In : Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 3/2006.

8 Die Kategorisierung von Deutungsmustern zu entsprechenden Codes; dies kann sowohl auf soziologischen Konstrukten basieren, also auf Fachwissen und Kenntnis des Forschers basierenden Kodes, als auch auf naturlichen Verhaltensweisen oder Vorgängen der Akteure.

9 Die Sicht eines jeden einzelnen Autors. S. Jager beschreibt diese als Kategorie „mit der ein spezifischer ideologischer Standort einer Person oder eines Mediums gemeint ist" (Jager 1999)

10 Also ein Aufeinander-Bezugnehmen bzw. Obergreifen der unterschiedlichen Diskursstränge.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Gewaltspiele im öffentlichen Diskurs
Untertitel
Eine diskursanalytische Untersuchung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Computergestützte Verfahren der qualitativen Sozialforschung
Note
1,7
Autoren
Jahr
2008
Seiten
49
Katalognummer
V133044
ISBN (eBook)
9783640395347
Dateigröße
743 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Verfasst von: Michael Hagl, Manfred W.J. Schoberth. Erstellt mit: Open Office 2.4. Eingereicht am: 21. April 2008.
Schlagworte
Killerspiele, Amoklauf, Emsdetten, Diskursanalyse, Rechtsstaat, Verbot, labile Persönlichkeiten, Spieler, Gamer, Sozialforschung
Arbeit zitieren
Manfred Schoberth (Autor:in)Michael Hagl (Autor:in), 2008, Gewaltspiele im öffentlichen Diskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133044

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