Die Beziehung von Staat und Medien in Großbritannien am Beispiel der David-Kelly-Affäre


Hausarbeit, 2008

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Merkmale des britischen Mediensystems
2.1 Der Staat als „primary definer“
2.2 Professionalisierung als Schutz vor Instrumentalisierung
2.3 Politischer Parallelismus
2.4 Die Stellung der BBC

3. Staat vs. BBC – Die David-Kelly-Affäre
3.1 Einflussnahme der Blair-Regierung
3.1.1 Falschinformation
3.1.2 Druck auf die BBC
3.2 Professionalisierung

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In diesen Tagen jährt sich der Beginn des Irakkrieges zum fünften Mal. Mit dem erklärten Ziel, die Welt von einem tyrannischen Despoten zu befreien und damit ein Stück sicherer zu machen, war im März 2003 die „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA in das Golfland einmarschiert. Wichtigster Partner in der Allianz war und ist Großbritannien.

Sicherer ist der Irak nicht geworden. Fünf Millionen Menschen sind auf der Flucht, das Rote Kreuz meldet 151.000 getötete Zivilisten, allein 4000 US-Soldaten sind bis heute gefallen. Auch finanziell stellt die Operation eine Katastrophe dar, Gesamtschätzungen beziffern die Kosten auf bis zu vier Billionen Dollar.[1]

Über die Gründe des dritten Golfkrieges wird viel spekuliert. Religiöse Motive, der Ölreichtum des Landes, oder doch das wahrhaftige Streben nach einer freien und demokratischen Welt – dies steht zur Diskussion.

Offizieller Anlass jedoch war einerseits die vermutete Verbindung des irakischen Regimes unter Saddam Hussein zu transnationalen islamistischen Terrororganisationen, v.a. al-Qaida, und andererseits die vermeintliche Existenz von Massenvernichtungswaffen, die eine Bedrohung für Länder des Nahen Ostens, insbesondere Israel bedeutet hätte.

Heute ist bekannt, dass beide Vermutungen falsch waren. Die irakische Abteilung von al-Qaida entstand erst nach der Besatzung des Landes durch Koalitionsstreitkräfte[2] und Massenvernichtungswaffen von militärisch signifikanter Qualität hat es zu diesem Zeitpunkt laut Untersuchungen der Iraq Survey Group nicht gegeben.[3]

Die Regierung des Vereinigten Königreichs veröffentlichte am 24. September 2002 einen Bericht, der die vom Irak ausgehende Gefahr aufgrund von Geheimdienstinformationen evaluierte und das britische Parlament von der Notwendigkeit militärischer Schritte gegen den Irak überzeugen sollte – das sogenannte September-Dossier.[4]

Die prägnanteste Aussage des Dossiers bestand in der Warnung, irakische ABC-Waffen könnten innerhalb von 45 Minuten gefechtsbereit sein.[5] Die Schlagzeile der nächsten Ausgabe der Sun lautete: „Brits 45 Mins From Doom“.[6] Der Bericht des BBC-Reporters Andrew Gilligan über die Hintergründe des Entstehens dieser Behauptung führte zu einer der größten Auseinandersetzungen der BBC mit der Regierung Großbritanniens in der Geschichte des Landes.

Im Folgenden möchte ich anhand dieses Streits, der besonders geeignet scheint, die Beziehung zwischen Medien und Staat aufzuzeigen, einige Aspekte des britischen Mediensystems beleuchten und feststellen, inwiefern diese mit den Merkmalen liberaler Mediensysteme übereinstimmen, die Hallin und Mancini in ihrem Buch Comparing Media Systems [7] modellhaft erarbeiteten.

2. Merkmale des britischen Mediensystems

Hallin und Mancini haben in Comparing Media Systems eine Typisierung westlicher Mediensysteme vorgenommen, die eine vergleichende Analyse ermöglichen soll. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Verbindung zwischen politischem System und Mediensystem gelegt. D.h. aus Charakteristika wie der politischen Geschichte, der Entwicklung rational-legaler Autorität oder Regierungsart (Konsens vs. Mehrheit) werden zu erwartende Ausprägungen des Mediensystems, im Einzelnen: Grad der Professionalisierung, Zeitungsverbreitung, Rolle des Staates und Stärke des politischen Parallelismus abgeleitet.[8]

So ergeben sich drei Modelle, die weite Regionen Europas und Nordamerikas abdecken: Das polarisiert-pluralistische, das demokratisch-korporatistische und das nordatlantisch-liberale Modell. Neben den USA, Kanada und Irland wird auch Großbritannien dem letztgenannten System zugerechnet.

Zunächst möchte ich drei der vier genannten Variablen des liberalen Medienmodells, nämlich Rolle des Staates, Professionalisierung und politischer Parallelismus vorstellen und auf den Fall Großbritannien beziehen.[9] Dieser nimmt eine Sonderstellung innerhalb des skizzierten nordatlantisch-liberalen Modells ein und wird von Hallin und Mancini an einigen Stellen deutlich v.a. von den USA abgegrenzt.[10] Daher werde ich nicht auf das liberale System als Ganzes eingehen, sondern die Aspekte behandeln, die Hallin und Mancini als für das Vereinigte Königreich gültig betrachten und nur gelegentlich auf Unterschiede innerhalb des Modells eingehen.

2.1 Der Staat als „primary definer“

Die direkte Form staatlicher Intervention im Mediensystem ist im nordatlantisch-liberalen Modell, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, grundsätzlich schwach ausgeprägt. Das Ideal der freien, unabhängigen Berichterstattung besitzt hier einen besonderen Stellenwert. Jedoch weisen Hallin und Mancini auf eine wichtige Ausnahme hin:

„Important manifestation [sic] of Britain’s strong state tradition include the D-notice system, which restricts reporting of information that affects ‘national security’, and the Official Secrets Act, under which both journalists and public officials can be punished for ‘leaks’ of privileged information.”[11]

Dies ist eine Besonderheit innerhalb des nordatlantisch-liberalen Modells und Unterscheidungskriterium zur Praxis der USA:

„ (...) [F]reedom of the press remains an important cultural tradition but not the privileged legal principle it is in the United States.“[12]

Hallin und Mancini kritisieren die oben erwähnte Auffassung eines automatisch staatsfernen Mediensystems in liberalen Ländern. So bewege sich zwar die Rolle der Regierungmacht als Besitzer, Regulierer und Finanzierer von Medienbetrieben in engeren Grenzen, dies bedeute aber nicht zwangsläufig einen geringeren Einfluss auf den „news-making process“.[13]

Dies wird deutlich am Begriff des „state as the ‚primary definer‘“von Nachrichten: Der Staat gibt die Nachrichtenthemen vor und liefert die Interpretation gleich mit.[14] Dies erscheint als Antithese zum ebenfalls in liberalen Systemen stark verbreiteten investigativen Journalismus, der auf Konfrontation mit offiziellen Stellen setzt. Gerade in Krisenzeiten scheint sich die „mutual dependence“[15] von Staat und Medien zu verstärken, Hallin und Mancini beobachten dies heute an der Entwicklung des „national security state“.[16] Sowohl Journalisten als auch Staatsvertreter sehen sich als hier als relativ neutrale Vetreter der Öffentlichkeit und arbeiten eng zusammen:

[...]


[1] Pitzke, Marc: Fünf Jahre Irakkrieg – Wie Bush der Wirklichkeit trotzt. In: Spiegel Online. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,542553,00.html, 19.03.2008 (Zugriff: 20.03.2008)

[2] Ebd.

[3] „ISG has not found evidence that Saddam Husayn possessed WMD stocks in 2003, but the available evidence from its investigation—including detainee interviews and document exploitation—leaves open the possibility that some weapons existed in Iraq although not of a militarily significant capability.” Iraq Survey Group Final Report. http://www.globalsecurity.org/wmd/library/report/2004/isg-final-report/isg-final-report_vol1_rsi-06.htm (Zugriff 20.03.2008)

[4] Iraq's Weapons of Mass Destruction - The assessment of the British Government. http://www.number-10.gov.uk/output/Page271.asp (Zugriff 20.03.2008)

[5] Tony Blair im Vorwort: „And the document discloses that his [Saddam Husseins] military planning allows for some of the WMD to be ready within 45 minutes of an order to use them.”

[6] Frankel, Glenn/Chandrasekaran, Rajiv: 45 Minutes. Behind the Blair Claim. In: Washington Post. http://www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn/A15697-2004Feb28, 29.02.2004 (Zugriff 20.03.2008)

[7] Hallin, Daniel C./Mancini, Paolo: Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics. Cambridge u.a.: Cambridge University 2004.

[8] Mediensysteme sind jedoch nicht ausschließlich abhängige Varibale: „But there is good evidence that media institutions have an impact of their own on other social structures.“ (Comparing Media Systems, S. 8)

[9] Ich verzichte auf die Zeitungsverbreitung, da ich mich im Folgenden auf die Rolle der BBC konzentriere.

[10] „(...) we should be careful about throwing around the notion of an ‚Anglo-American‘ media model to easily. The British and to a lesser extent the Irish and Canadian systems share important characteristics in common with continental European systems (…)”. (Comparing Media Systems, S. 246)

[11] Comparing Media Systems, S. 231.

[12] Ebd., S. 230.

[13] Ebd., S. 233.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Comparing Media Systems, S. 234.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Beziehung von Staat und Medien in Großbritannien am Beispiel der David-Kelly-Affäre
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
13
Katalognummer
V133019
ISBN (eBook)
9783640393510
ISBN (Buch)
9783640393701
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hallin, Mancini
Arbeit zitieren
Sebastian Heinrich (Autor:in), 2008, Die Beziehung von Staat und Medien in Großbritannien am Beispiel der David-Kelly-Affäre , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133019

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