Kulturpolitik mit der Brechstange - Die literarische Intelligenz als Oppositionskraft in den 1970er Jahren der DDR


Examensarbeit, 2008

99 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literatur im Geiste des aates
2.1 Der real existierende zialismus
2.2 Die „Propheten einer verheißungsvollen Zukunft“

3. DDR – Literatur unter Ulbricht
3.1 „Bitterfelder Weg“
3.2 Kontrollinstanzen unter Ulbricht
3.2.1 aatssicherheit in den fünfziger und sechziger Jahren
3.2.2 Zensur in den fünfziger und sechziger Jahren
3.3 Das 11. ZK- Plenum 1965
3.3.1 Zur Vorgeschichte
3.3.2 „Kahlschlag“ durch Honecker
3.4 Christa Wolf vs. die literarische Produktivkraft
3.5 Der Dolchstoß gegen Ulbricht

4. 1971 – 1973 Kulturpolitische Entspannungsphase unter Honecker
4.1 Honecker: Förderer von Literatur?
4.2 Der VII. hriftstellerkongress 1973

5. Das Ende der kulturpolitischen Öffnung
5.1 Der Fall Kunze
5.2 Die Ausbürgerung Wolf Biermanns
5.3 „Nachwehen um die Biermann – Ausbürgerung“

6. Kontrollinstanzen unter Honecker
6.1 aatssicherheit in den siebziger Jahren
6.1.1 Deckname « Lyrik »
6.2 Zensur in den siebziger Jahren

7. Der VIII. hriftstellerkongress 1978

8. Das Tribunal von 1979

9. Die achtziger Jahre unter Honecker

10. Fazit

11. Anhang

Literaturverzeichnis

„Literatur gewinnt für den Menschen selten eine so lebenserhaltende Bedeutung wie in autoritären oder totalitären Staaten, denn sie ist die einzige Gegenkraft gegen eine brutale, pervertierte Welt. Sie ist die letzte Zuflucht der Unterdrückten, die Hoffnung der Erniedrigten und Beleidigten. Aus ihr schöpfen die zur Opposition Entschlossenen Kraft und Überzeugung. Sie wirkt im Stillen als einigendes und haltspendendes Band der Andersdenkenden.“[1]

1. Einleitung

Wäre die gegenwärtige deutsche Literatur Gegenstand einer wissenschaftlichen Arbeit, würde es sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit wohl um eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Germanistik handeln. Gleiches könnte man mit Sicherheit auch für die Erforschung der BRD-Literatur der letzten vier bis fünf Jahrzehnte behaupten. Was jedoch die DDR-Literatur angeht, so findet man einen Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dieser auseinandersetzen, in den Bücherregalen historischer Abteilungen, sieht man einmal von jenen Werken ab, die sich tatsächlich ausschließlich mit linguistischen Phänomenen oder literarischen Gattungen beschäftigen. Während die Literatur der BRD nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keinen spürbaren politischen Einfluss innerhalb des eigenen Staates ausübte,[2] kann die Literatur in der DDR nicht unabhängig von Politik und Macht der SED betrachtet werden, was diese unstreitbar zu einem historischen Forschungsgebiet werden lässt.

Literatur in der DDR war nicht nur einfach das Produkt eines Schriftstellers, das auf direktem Wege von den Bürgern rezipiert wurde. Literatur in der DDR verstand sich zum einen als sozialistische Auftragsliteratur der SED, die das Talent der Schriftsteller für propagandistische Zwecke zu nutzen versuchte, zum anderen versuchte sie jedoch eine eigenständige Literatur zu sein, die sich von den inhaltlichen Forderungen der Partei distanzierte. Auf eben jener um Autonomie bemühten Literatur soll der Fokus der vorliegenden Arbeit liegen. Von den SED-Machthabern wurde sie als ernst zu nehmender Gegner, als starke Opposition verstanden, die der Imagepflege der DDR im Wege stand. Schwerpunkt der Betrachtung sind dabei die siebziger Jahre, da diese als Höhepunkt der literarischen Oppositionsbewegung betrachtet werden können. Zwar erweckte die Machtübernahme Honeckers im Jahre 1971 zunächst keineswegs den Anschein, als könne unter seiner Staatsführung eine künstlerische Protestbewegung entstehen, da er den Kulturschaffenden als neuer Staatspräsident äußerst positiv gegenüberzustehen schien, doch schien ihm die gewährte künstlerische Freiheit missverstanden worden zu sein. Er sah sich also gezwungen seinen kulturpolitischen Weg zu korrigieren, um der sozialistischen Ideologie wieder gerecht zu werden, die, wie er glaubte mehr und mehr von der künstlerischen Intelligenz vernachlässigt wurde. Denn während des gesamten Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik galt es eine künstlerische Leitlinie einzuhalten, die ihren Ursprung in der Sowjetunion hatte und von dem jungen SED-Staat übernommen wurde.

Auch wenn der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf den siebziger Jahren liegt, ist es zum Verständnis der Thematik notwendig bis in die Anfänge der fünfziger Jahre zurückzugehen, in denen die künstlerische Leitlinie der DDR begründet wurde, die sozusagen den Auslöser für das künstlerische Aufbegehren darstellte. Gültigkeit hatte jene Linie für Literatur, Film, Theater und Kunst, doch sei an dieser Stelle bereits erwähnt, dass sich die vorliegende Arbeit in ihren Darstellungen fast ausnahmslos auf den Bereich der Literatur beschränkt. Dabei soll Literatur im Folgenden als die Gesamtheit aller literarischen Äußerungen in ihren unterschiedlichsten Genres verstanden werden.

Doch nicht nur die Erläuterung der künstlerischen Leitlinie macht es erforderlich einen Blick auf die fünfziger Jahre zu werfen. Die gesamte Kulturpolitik Walter Ulbrichts muss genauer betrachtet werden, da mit ihr der Grundstein für die Honeckers gelegt wurde. Kontrollinstanzen wie Staatssicherheit und Zensur gilt es auch unter Ulbrichts Amtszeit zu untersuchen, da ihre Bedeutung in den siebziger Jahren aus ihren Entwicklungen in den fünfziger und sechziger Jahren resultiert. So wird die kulturpolitische Gesamtsituation der fünfziger und sechziger Jahre verdeutlichen, dass bereits in den ersten beiden Jahrzehnten des Bestehens der DDR das Potential für Konflikte zwischen Literaten und Politikern geschaffen wurde. Zwar wurden, wie sich noch zeigen wird, jene Konflikte teilweise auch schon vor dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker öffentlich ausgetragen, doch keinesfalls in einer solchen Intensität wie in den siebziger Jahren.

Honeckers Kulturpolitik wird schließlich ab Kapitel 4 Gegenstand der Betrachtung. Die Leitfrage wird sein: Was brachte Honecker, auf den zunächst alle Kulturschaffenden ihre Hoffnung setzten, die unter Ulbrichts Repressionen gelitten hatten, den Ruf ein, eine repressive Kulturpolitik oder eine Kulturpolitik mit der Brechstange zu betreiben, wie es Joachim – Rüdiger Groth bezeichnet?[3] Es soll veranschaulicht werden, welche Ereignisse und kulturpolitischen Maßnahmen viele Schriftsteller zu Dissidenten machten und welchem Druck jene ausgesetzt waren. Dabei werden zum einen erneut die Kontrollinstanzen Staatssicherheit und Zensur thematisiert ohne die eine Durchsetzung der kulturpolitischen Linie undenkbar gewesen wäre. Aber auch Konflikte unter den Schriftstellern selbst begünstigten die Abkehr vieler Literaten und machten sie zu Oppositionellen. Aus diesem Grund soll auch die Stimmung innerhalb der eigenen Reihen veranschaulicht werden.

Bewusst wird darauf verzichtet lediglich das Schicksal eines einzelnen Kulturschaffenden darzustellen. Vielmehr bietet es die Themenauswahl der Kapitel an mehrere Einzelschicksale der literarischen Intelligenz zu beleuchten, was teilweise auch für die Veranschaulichung der damals vorherrschenden Stimmung förderlich ist.

Insbesondere die Kapitel über Zensur und Staatssicherheit in der DDR werden voraussichtlich noch einige Fragen offen lassen. Um Kritik über schlechte Recherche vorzubeugen, soll bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich auch die Autoren der Werke über Zensur und Staatsicherheit, die für die vorliegende Arbeit herangezogen wurden, den teilweise sehr undurchsichtigen Praxen beider Kontrollinstanzen hilflos gegenübersahen. Entsprechende Hinweise darauf erfolgen auch in den jeweiligen Kapiteln.

Hatte die Kulturpolitik der fünfziger und sechziger Jahre starken Einfluss auf die kulturpolitischen Geschehnisse der siebziger Jahre, so versteht es sich fast von selbst, dass sich die Opposition der Literaten mit dem Beginn der achtziger Jahre nicht einfach auflöste, auch wenn die Ereignisse um 1979 zu dieser Vermutung hätten führen können, wie sich in Kapitel 8 noch zeigen wird. Der Vollständigkeit halber soll also in einem knappen neunten Kapitel ein kurzer Abriss der Oppositionsbewegung der Literaten in den achtziger Jahren erfolgen.

Es liegt also eine wissenschaftliche Arbeit vor, die von der Darstellung kulturpolitischer Widersprüche eines Staates geprägt ist, in die er sich über 40 Jahre so tief verstrickte, dass er mit der Zeit aus den Augen verlor, welche Gefahr seit Bestehen der DDR tatsächlich von der literarischen Intelligenz ausging.

2. Literatur im Geiste des Staates

Als Reaktion auf die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten entstand die Literatur der DDR gewissermaßen als Reflex. Sie setzte sich zum Ziel aktiv am Erstarken eines besseren, sozialistischen Deutschland mitzuwirken. Man wollte die Menschen aus den faschistischen Klauen befreien und sie für die sozialistische Staatsform gewinnen, für „das aufgelöste Rätsel der Geschichte“[4]. Dabei waren sich sowohl der Staat als auch die Autoren der besonderen Wirkungsmöglichkeiten von Literatur bewusst. Der real existierende Sozialismus als künstlerische Leitlinie stand somit stellvertretend für die Ideologie des SED-Staates und war von allen Schriftstellern der DDR in ihren Werken zu repräsentieren, um die Umerziehung des Volkes ganz nach den Vorstellungen der Regierung zu gewährleisten. Nach einer kurzen Begriffserläuterung des Prinzips des real existierenden Sozialismus, wird der Blick auf das Selbstverständnis und die Funktion des Schriftstellers in der DDR gerichtet. Zwei Kapitel also, die unverzichtbar für das Verständnis der gesamten vorliegenden Arbeit sind. Im Anschluss soll der „Bitterfelder Weg“ vorgestellt werden, ein Versuch Parteilinie, Kultur und Arbeiter im Zeichen des real existierenden Sozialismus miteinander zu vereinen.

2.1 Der real existierende Sozialismus

In der 1980 erschienen Biographie Erich Honeckers „Aus meinem Leben“ äußert er sich zu der sozialistischen Kulturpolitik der DDR u. a. wie folgt:

„Im kulturellen Leben der DDR hat jeder Künstler Platz und Raum, dessen Werk dem Frieden und Humanismus, der Solidarität und dem realen Sozialismus verpflichtet ist.“[5]

Dabei ist die Vorstellung eines realen Sozialismus keineswegs aus dem Gedankengut Erich Honeckers erwachsen und auch nicht aus dem seines Vorgängers Walter Ulbricht. Die Idee des real existierenden Sozialismus hat ihren Ursprung bereits in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, wo 1906/07 Maxim Gorki diese in seinem Roman „Die Mutter“ verarbeitet.[6] Aus der bloßen Idee wurde eine Doktrin, eine künstlerische Strategie die 1932 in der Sowjetunion unter Stalin verpflichtend wurde, nachdem dieser im gleichen Jahr eine Zwangsauflösung der Schriftstellerverbände durchsetzte. Der neue literarische Stil sollte eine einheitliche politisch-ideologische Basis schaffen, so wie es später auch Ulbricht anstrebte. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff des realen Sozialismus? Und welchem Zwecke diente er dem SED-Staat?

In Wolfgang Emmerichs „Kleine Literaturgeschichte der DDR“ heißt es, der Künstler solle „das Leben kennen, es nicht scholastisch, nicht tot, nicht als objektive Wirklichkeit, sondern als die objektive Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung darstellen. Dabei muss die wahrheitsgetreue und historisch konkrete künstlerische Darstellung mit der Aufgabe verbunden werden, die werktätigen Menschen im Geiste des Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen.“[7]

Dabei wurde auch immer wieder die Unverzichtbarkeit des positiven Helden innerhalb des literarischen Werkes betont, der als zentrale Leitfigur den Sozialismus in all seiner Perfektion zu repräsentieren hatte. Ob klassenbewusster Arbeiter oder Antifaschist nach 1945 sollte dieser stellvertretend, von Optimismus geleitet, die Realität detailgetreu wiedergeben und als Vorbild fungieren. Entscheidend für die Entstehung und besonders für die Veröffentlichung eines Werkes in der DDR waren vor allem die deutlich erkennbare Volksverbundenheit und die Nähe zum SED-Staat, so dass der Arbeiterklasse durch das geschriebene Wort neue Denk-und Handelsweisen nahe gebracht werden konnten. Dies wiederum konnte nur geschehen, wenn Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Werkes gewährleistet waren.

Schon Stalin erkannte, dass Literatur einen großen Einfluss auf die Menschen ausüben kann, als er den realen Sozialismus als verbindlich für schriftstellerische Kreativität festlegte. Und so war sich auch Ulbricht bewusst, dass die Feder sprichwörtlich stärker ist als das Schwert und deshalb auch keine kritische Darstellung des Staates und seiner Regierung in der Literatur geduldet werden kann. Der real existierende Sozialismus als Kunstdoktrin sollte vielmehr als Stütze dem Staate dienen. Deutlich wird diese Ansicht bereits auf dem III. Parteitag der SED vom 20. – 24. Juli 1950, nach der Gründung der DDR am 7.Oktober 1949, als Ulbricht in seiner Rede die Einheit von Geist und Macht, Literatur und Politik, sowie von Kultur und Ökonomie fordert.[8]

Und so machen auch die bereits aufgelisteten literarischen Richtlinien, die es zu erfüllen galt, deutlich, dass Ulbricht den realen Sozialismus nach sowjetischem Vorbild und den Staat miteinander zu vereinen suchte, um eine Instrumentalisierung des Volkes zu erreichen.

Ausführende Kraft waren die Schriftsteller, die bereits früh lernen sollten, dass man es nicht zu genau nehmen durfte mit der Freiheit der Wissenschaft und Kunst, die in der ersten Verfassung der DDR von 1949 in Artikel 34 garantiert wurde.[9]

Wie die Literaten auf die Forderungen des SED-Regimes reagierten und diese umsetzten, soll in einem nächsten Kapitel thematisiert werden.[10]

2.2 Die „Propheten einer verheißungsvollen Zukunft“

Nachdem aus dem Nationalsozialismus nur Elend hervorgegangen war, sahen viele Schriftsteller ihre Chance einen Beitrag für eine bessere Zukunft zu leisten. Viele von ihnen kamen aus dem Exil, wie beispielsweise Stefan Heym[11], oder aus Konzentrationslagern und entschieden sich bewusst für das „sozialistische Experiment“[12], wie es Rüther bezeichnet. Manche Kritiker nennen es Naivität, häufiger war es jedoch tiefe politische und ideologische Überzeugung, aus der heraus über den Sozialismus in seiner Vollkommenheit geschrieben wurde.

Nur wenige Schriftsteller fühlten sich anfangs durch die literarischen Vorgaben, die der SED-Staat formulierte, eingeschränkt. Und nur wenige erkannten, dass Artikel 34 der Verfassung keine künstlerische Freiheit, sondern Abhängigkeit bedeutete und das Geschriebene weniger dem eigenen Gedankengut entsprang als vielmehr dem der Partei.

Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verfassung, wurde am 18. August 1951 das Gesetz zur „Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur“ erlassen, das am 1. September 1951 seine Gültigkeit erhielt. Dabei wurde in § 1 der Verordnung das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ gegründet, dessen Aufgaben in § 2 festgelegt wurden. Was fortan die Arbeit der Schriftsteller beeinflusste und einer Art Zensur gleichkam, wurde in Abschnitt b des § 2 festgehalten: „Die Hebung der Qualität der Literatur durch Begutachtung der geplanten Werke und Beratung der Verleger.“[13]

Konflikte ließen jedoch nicht lange auf sich warten. Stimmen wurden laut, die sich dagegen zu wehren versuchten, mit ihren Werken lediglich ein Instrument des Staates zu sein. Denn immer häufiger sahen sich Schriftsteller mit aufgezwungenen Überarbeitungen oder angeordneten Nichtveröffentlichungen ihrer Arbeiten konfrontiert.

So überrascht es doch, dass die Schriftstellerin Anna Seghers ein Jahr nachdem entschieden wurde, den Schriftsteller seiner Mündigkeit zu berauben, indem fortan das Amt für Literatur und Verlagswesen darüber entschied, was gedruckt wurde und was nicht, in einer Rede auf dem III. Deutschen Schriftstellerkongress 1952 folgendermaßen zu verstehen gab:

„Der deutsche Faschismus hat so viel Leid über das eigene Volk und über andere Länder gebracht. Nun haben wir deutschen Schriftsteller die grandiose Aufgabe, in den deutschen Menschen das nationale Ehrgefühl, den internationalen Geist, das Selbstbewusstsein, die Kampfkraft für die Verteidigung des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit neu zu entflammen. Dafür sind wir hier. Das ist unser Beruf!“[14]

Im Folgenden betont sie weiter, und auch hier wieder stellvertretend für alle Schriftsteller der DDR, dass man sich der enormen Verantwortung durchaus bewusst sei, der Wille und das Bewusstsein für diese Aufgabe jedoch ebenso groß seien.

Der Sozialismus konnte also auf Anna Seghers zählen, so wie sie auf ihn vertraute. Demnach überrascht es nicht, dass Seghers auf eben jenem Schriftstellerkongress als Nachfolgerin von Bodo Uhse zur Vorsitzenden gewählt wurde. Sicherlich hatte sie sich bereits aufgrund ihrer literarischen Fähigkeiten einen Namen gemacht, doch brauchte der deutsche Schriftstellerverband mehr als schriftstellerisches Talent an seiner Spitze. Entscheidend war politische Treue, die bei Anna Seghers mehr als verankert war. Ihre Zuverlässigkeit brachte ihr den Posten als Vorsitzende immerhin bis 1978 ein.[15]

Während Seghers also die Erziehungsaufgabe der Schriftsteller erkannte und an ihre Kollegen appellierte mit Optimismus ein besseres Deutschland zu schaffen, begann sich das Lager der Literaten bereits zu spalten. Autoren wie Stefan Heym, Arnold Zweig und Christa Wolf waren zwar überzeugte Sozialisten, betrachteten die literarischen Einschränkungen mitsamt der Verordnung von 1951 jedoch als Zumutung.

Ständig mussten sie sich die Frage stellen, ob ihr Werk dem Erziehungsauftrag gerecht wurde oder doch zu sehr durch die persönliche Handschrift auffiel, auf die der Literat keinen Anspruch mehr hatte. Ob es der Öffentlichkeit letztendlich vorenthalten werden würde oder nicht.

Die Zensurpraxis der DDR wird in einem späteren Kapitel noch ausführlicher behandelt. An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen werden, dass auch sie schon zu Beginn der 50er Jahre präsent war und von den Schriftstellern als unerträglich empfunden wurde. So hatten die Autoren beispielsweise durchaus das Bedürfnis die geschichtliche Vergangenheit in ihren Werken zu verarbeiten, was ihnen jedoch untersagt wurde, da der real existierende Sozialismus nur Platz für Arbeiten ließ, die sich ausschließlich mit gegenwärtigen Themen auseinandersetzte, die wiederum auch nur in einem positiven Licht darzustellen waren. So war die literarische Bewältigung des Nationalsozialismus nicht mit dem Prinzip des realen Sozialismus vereinbar.

Die Unruhe in den Reihen der Schriftsteller sollte jedoch nicht bedeuten, dass die Staatsform nicht gutgeheißen wurde. Denn die Autoren, die sich entschieden in der DDR zu leben und zu schreiben, waren allesamt Anhänger des Sozialismus. So wurde der 17. Juni 1953 beispielsweise als Chance gesehen, sich aus der literarischen Zwangsjacke, die der reale Sozialismus geschaffen hatte, zu befreien. Jene, die sich auflehnten, sahen die künstlerische Leitlinie als Erbe der stalinistischen Herrschaft an, von der es sich ihrer Meinung nach zu lösen galt, um den antifaschistischen Staat nach neuen Mustern aufzubauen. Die so aufgekommenen Spannungen zwischen den Schriftstellern der DDR und dem Staatsapparat, wurden erstmals auf dem IV. Schriftstellerkongress 1956 deutlich, der zunächst mehrfach verschoben worden war, da die SED kein Interesse an einer öffentlichen Auseinandersetzung über ihre angeblichen Fehler in den frühen fünfziger Jahren hatte. Als der Kongress im Januar 1956 endlich stattfand, wurde schnell deutlich, dass die Partei im Grunde nicht von ihren Forderungen abließ: Sie wollte auch weiterhin die Mittel der Literatur als unterstützendes Element ihrer Politik garantiert wissen. Mit dieser Einstellung sah sie sich jedoch Äußerungen von Schriftstellern gegenüber, die deutliche Unterschiede zwischen den Ansprüchen von Geist und Macht erkennen ließen. So scheute Georg Maurer, Lyriker und Lehrer am Leipziger „Institut für Literatur“ nicht davor zurück klar Stellung zu beziehen:

„Durch die dauernden Behauptungen, daß das Leben wunderschön ist, wird das Leben noch nicht wunderschön. (...) Warum müssen wir uns über solche Gedichte so oft ärgern oder über sie lachen und sie in Aufsätzen zerpflücken? Weil sie geschrieben werden? Nein! Weil sie gedruckt werden.“[16]

Bertolt Brecht forderte in seiner Rede auf dem IV. Schriftstellerkongress beispielsweise zu mehr Experimenten auf[17], Stefan Heym bezeichnete die Literatur, die den Forderungen der Partei entsprechen soll als „hölzerne Primitivität“[18] und Ernst Bloch nannte sie „reklamehafte Schönfärberei“[19].

Allgemein lässt sich sagen, dass die Forderungen, die auf den Schriftstellerkongressen in den fünfziger Jahren laut wurden, zwar nicht von heute auf morgen umgesetzt wurden, jedoch zunächst langsam, dann aber mit erhöhtem Tempo zu einer Trendwende in der Literatur führten. So sei an dieser Stelle auf Uwe Johnsons Roman „Mutmaßungen über Jakob“ hingewiesen, der 1959 erschien, allerdings lediglich im Westen Deutschlands veröffentlicht wurde. Darstellungen über illegale Grenzübergänge einer der Figuren, aber auch über gesetzestreue Bemühungen um einen legalen Grenzübergang des Protagonisten, bis hin zu dessen Tod mitsamt Spekulationen über einen eventuellen Selbstmord, passten wieder einmal nicht zu der Ideologie des Staates.[20] Die Partei befürchtete, es könne der Wunsch aufkommen in den Westen zu flüchten und verbot somit die Veröffentlichung im eigenen Staat.

Mit dem Ende der fünfziger Jahre fand das gebrochene Verhältnis von Schriftsteller und Politik, aber auch innerhalb der Autorenreihen, seinen Anfang. Jeder einzelne hatte sich für den Sozialismus entschieden, nur waren einige Literaten nicht mit seiner Ausführung einverstanden. Wollten sie Ende der vierziger Jahre den Menschen noch den Glauben an eine bessere Zukunft zurückgeben, schrieben sie zehn Jahre später ihre Gedanken über gesellschaftliche Spannungen und politische Konflikte nieder und bahnten sich so den Weg in ein literarisch turbulentes Jahrzehnt.

3. DDR-Literatur unter Ulbricht

Sollte das vorangegangene Kapitel das Verständnis des jungen sozialistischen Staates von Literatur darstellen, so ist es im folgenden notwendig detaillierter auf die Ursprünge der aufkommenden Konflikte zwischen Kulturschaffenden und SED-Machthabern einzugehen, deren Herausbildung bereits am Ende des zweiten Kapitels angedeutet wurden. Ostdeutsche Schriftsteller sahen sich plötzlich mit Forderungen des Staates konfrontiert, die nur schwer oder gar nicht eingehalten werden konnten. Zudem sahen sie sich einem immer größeren Druck seitens der Staatssicherheit und der Zensurbehörden ausgesetzt. Die dadurch entstandenen Konflikte fanden unter Ulbrichts Staatsführung ihren Höhepunkt im Jahr 1965. Ein Jahr, das im Zeichen des so genannten „Kahlschlag-Plenums“ stand. Um zu begreifen, warum es den DDR-Machthabern notwendig erschien die Kulturschaffenden des Landes deutlich in ihre Schranken zu weisen, muss man den Blick auf die späten fünfziger Jahre richten, in denen ein kulturpolitischer Weg eingeschlagen wurde, der von Missverständnissen gezeichnet war.

Das folgende Kapitel widmet sich überwiegend den sechziger Jahren und der Kulturpolitik Ulbrichts, deren Auswirkungen auch kurz exemplarisch an Christa Wolfs Roman „Nachdenken über Christa T.“ verdeutlicht werden sollen. Wie es dann letztendlich zu dem populären Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker kam, wird der Vollständigkeit halber den Abschluss des Kapitel 3 bilden.

3.1 „Bitterfelder Weg“

Wie bereits aus Kapitel 2.1 hervorging, war die Arbeiterklasse der Rezipient der DDR-Literatur, den es nach sozialistischen Vorstellungen zu formen galt. Im Hinblick auf eben diese Arbeiter, konnte die SED zufrieden stellend auf enorme Steigerungen in der Industrieproduktion blicken, die allmählich die Lücken der Versorgungsengpässe zu schließen schienen. Um die aufkommenden Unstimmigkeiten zwischen Literaten und der Partei im Keim zu ersticken, fasste die SED letztendlich den Entschluss als Konsequenz einen neuen kulturpolitischen Weg einzuschlagen, der sowohl die Köpfe der Intellektuellen, als auch die der Arbeiter für den Staat gewinnen sollte. Aufgrund einer am 24. April 1959 abgehaltenen Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlags in Bitterfeld wurde jener fortan als „Bitterfelder Weg“ bezeichnet. Mit diesem neuen Programm schuf die DDR eine eigene kulturpolitische Bewegung und kopierte nicht, wie noch Anfang der fünfziger Jahre, ein sowjetisches Vorbild.

Schon auf dem V. Parteitag der SED, der vom 10. bis 16. Juli 1958 abgehalten wurde, sprach Ulbricht sich dafür aus eine engere Beziehung zwischen Kultur und materieller Produktion zu schaffen.[21] Diese Forderung sollte mit der Konferenz in Bitterfeld endgültig umgesetzt werden. Explizit hieß das, man sah die Schriftsteller als Instrument an, um die Arbeiterklasse in den kulturellen Bereich zu integrieren oder wie Groth es ausdrückt, um „Kulturproduzenten“[22] aus ihnen zu machen. Kultureller Überbau und ökonomische Basis befänden sich in idealtypischer Verklammerung und gegenseitiger Befruchtung, überlagert und kontrolliert vom Apparat der Partei,[23] so Groth. Das Zusammenführen von wirtschaftlicher und literarisch-künstlerischer Produktivität, sollte dem Westen Deutschlands die Stirn bieten und verdeutlichen, dass Geist und Ökonomie, anders als in der BRD, in Harmonie zueinander stehen.

Wie ernst es der Partei mit dieser „gegenseitigen Befruchtung“ war zeigt die Tatsache, dass auch Ulbricht sich auf eben jener Konferenz einfand und in seiner Rede die Schriftsteller aufforderte am sozialistischen Aufbau tatkräftig mitzuwirken und zugleich Arbeiter zum Schreiben zu ermutigen und zu fördern.[24] Ulbricht stellte die Arbeiter als die größte potentielle Leserschaft dar und setzte die Schriftsteller damit quasi unter Druck in ihren Werken nicht von den Inhalten abzuweichen, die es anzustreben galt: alltägliche Geschehnisse der Arbeiter in der Fabrik und die Beziehung der Menschen untereinander.[25] Durch den auf der Konferenz entstandenen Aufruf: „Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!“[26], wurde den Schriftstellern bewusst, dass um eine Konkurrenz geworben wurde, die die Werke der Berufsautoren ersetzen sollten, wenn sich diese nicht den neuen Forderungen des Bitterfelder Wegs anpassten. Zwar entstanden zu jener Zeit einige Veröffentlichungen der Arbeiterschaft, doch waren diese das Ergebnis politischer Vorgaben der Verlage und der „Handbücher für schreibende Arbeiter“, die jenen als Leitfaden dienen sollten.[27]

Von einer „Massenbewegung“ möchte Rüther aber nicht sprechen und so geriet die von Arbeitern verfasste Literatur schnell in die Kritik. Die Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ sprach den „neuen“ Autoren sogar eine „künstlerische Ärmlichkeit und Trockenheit“[28] zu.

Neben der eher unbefriedigenden Literatur der Arbeiter selbst hatten nach Aufforderung der Partei zwar auch einige Berufsschriftsteller Kontakt zur Arbeitswelt aufgenommen, doch zeigte sich schnell, dass auch diese Schwierigkeiten hatten einen überzeugenden Arbeiterroman zu verfassen. So ließ beispielsweise Franz Fühmann den damaligen Kulturminister Hans Bentzien (1961 – 1966) wissen, dass dieser den „großen Betriebsroman“ nicht schreiben könne, der ursprünglich nach zahlreichen Besuchen in der Warnow-Werft bei Warnemünde geplant gewesen war. Als Begründung gab er an, er habe ebenso wenig eine Beziehung zu der Werft wie zu den Arbeitern dort gefunden.[29] Fühmann sprach dem Kulturminister gegenüber genau das aus, was viele seiner Kollegen dachten:

„Es muß aufhören jede thematisch begrüßenswerte, doch künstlerisch amorphe Arbeit als „Meisterwerk“ oder „erneuten Beweis für unsere noch nie dagewesene Literaturblüte“ zu feiern. Es muß aufhören, daß einer für Pfusch und Murks noch honoriert wird. (...) Wir müssen allen Versuchen einer Nivellierung und Gleichmacherei entgegenwirken.“[30]

Und so musste auch Ulbricht auf der II. Bitterfelder Konferenz am 24. und 25. April 1964 eingestehen, dass der „Bitterfelder Weg“ in seinen wesentlichen Punkten gescheitert war. Auf der Konferenz ergriff er das Wort, um abermals einen neuen politisch-ideologischen Weg der Kulturpolitik einzuschlagen. Wie sich während seiner Rede herausstellte wollte er durchaus an den Grundideen des Bitterfelder Weges festhalten, die aufgekommenen Schwierigkeiten jedoch beseitigen, indem er auf die Wichtigkeit der Perspektive eines Planers und Leiters hinwies, ein neuer Blickwinkel also, der bisher in den Werken der Autoren unberücksichtigt geblieben waren. Um die Literatur wieder interessanter zu gestalten sollten die Protagonisten der Romane fortan auch mit Konflikten konfrontiert werden, aus denen sie jedoch letztendlich wieder als positive Helden hervorgingen.[31]

Was Ulbricht mit diesem geschaffenen literarischen Spielraum wirklich hervorrief, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Denn die Autoren der DDR ließen tatsächlich ihr kritisches Denken mit in ihre Arbeiten einfließen und setzten so Christa Wolfs Aufforderung auf der 2. Bitterfelder Konferenz, in der Literatur „gegen den Strich zu bürsten“[32], in die Tat um. Welch weit reichende Konsequenzen dieser Schreibstilwechsel für die Schriftsteller hatte, der sich gewiss nicht mit den Anforderungen der SED deckte, wird noch in einem späteren Kapitel genauer beschrieben.

3.2 Kontrollinstanzen unter Ulbricht

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass die DDR in der Zeit ihres Bestehens ein nahezu perfektes System zur Kontrolle ihrer Bürger entwickelt hat, um sicherzustellen, dass jedes Individuum die ideologischen Vorstellungen des Staates verinnerlichte und repräsentierte. Da gab es zum einen das Ministerium für Staatssicherheit (im Folgenden auch: MfS), dessen Bildung gesetzlich am 8. Februar 1950 und somit nur vier Monate nach der Gründung der DDR beschlossen wurde und dessen Auftrag es war die staatliche Sicherheit der DDR zu gewährleisten, indem es diese vor inneren und äußeren Feinden schützte. Die oftmals massiven Eingriffe in die Privatsphären konnten jeden einzelnen Bürger der DDR treffen, der sich entweder in irgendeiner Form staatsfeindlich äußerte oder sogar dementsprechend handelte.

Demgegenüber steht die Zensur als weitere Kontrollinstanz der SED. Von dieser waren nur die Schreibenden betroffen. Im weitesten Sinne natürlich auch das Volk, dem durch Nichtveröffentlichungen, als Folge der Zensur, viele Werke schlichtweg vorenthalten wurden.

Sowohl der Staatssicherheit als auch der Zensur sollen ein zusätzliches Kapitel gewidmet werden. Vielmehr ist es sogar zwingend, da beide Kontrollinstanzen unverzichtbar für die Verwirklichung der Kulturpolitik waren.

Im Folgenden werden beide Formen der Lenkung zunächst für die Amtszeit Ulbrichts untersucht.

3.2.1 Staatssicherheit in den fünfziger und sechziger Jahren

Das MfS verlieh sich selbst den Titel „Schild und Schwert der Partei“. Im MfS- Wörterbuch kann man nachlesen, dass das MfS als das ausführende Organ der SED dazu verpflichtet war „ausgehend vom einheitlichen Klassenauftrag der Partei, an die Schutz- und Sicherheitsorgane vorrangig alle subversiven Angriffe des Gegners, insbesondere auf die Verteidigungsfähigkeit des Sozialismus, die störungsfreie Durchsetzung der ökonomischen Strategie der Partei und die ideologischen Grundlagen der Weltanschauung der Arbeiterklasse, vorbeugend zu verhindern, rechtzeitig aufzudecken und wirksam zu bekämpfen.“[33]

Interessant dabei ist, dass jene Bestimmung und auch sonstige Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche des MfS jedoch nicht gesetzlich festgelegt wurden. Regelungen, die speziell das MfS betrafen, wurden vielmehr durch interne Richtlinien oder Dienstanweisungen beschlossen, die der Minister für Staatssicherheit entweder erließ oder außer Kraft setzte.[34]

Da die SED auch in allen Kunstschaffenden potentielle Staatsfeinde sah, war es also auch Aufgabe des MfS, den Bereich der Literatur abzusichern. Dabei wird die nahezu 40-jährige Geschichte der Überwachung und Beeinflussung der DDR – Literatur durch die Staatssicherheit von Joachim Walther in drei Phasen unterteilt. Er nennt sie die frühe Phase (1950 – 1963), die mittlere Phase (1963 – 1976) und die letzte Phase (1976 – 1989).[35] Diese Aufteilung wird zwar vielfach von anderen Autoren übernommen[36], was zweifellos auch sinnvoll ist, da sich, wie noch gezeigt werden wird, sowohl im Jahr 1963 als auch im Jahr 1976 strukturelle und personelle Veränderungen vollziehen. Doch ist für diese Arbeit eine Aufteilung in die zwei großen Phasen 1950 – 1971 und 1971 - 1989 interessanter, die in etwa mit den Amtsperioden der beiden Staatsmänner übereinstimmen.

Generell, und das gilt für alle vier Jahrzehnte der DDR, waren alle Institutionen, die mit Literatur in Berührung kamen, mit Inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit (im Folgenden auch: IM) besetzt. Das galt beispielsweise für den Schriftstellerverband, die Verlage, die Zensurbehörde, für die Akademie der Künste aber auch für das P.E.N. – Zentrum[37] und das Ministerium für Kultur. Die Anzahl der jeweiligen IM in den einzelnen Institutionen war unterschiedlich hoch und abhängig von der Einschätzung seitens des MfS und der Partei inwieweit kultur- und sicherheitspolitischer Schutz nötig war.

Die Männer der Staatssicherheit handelten nach einem so genannten Methodenkatalog[38], wobei für den Sicherungsbereich Literatur jedoch nie ein spezieller Methodenkatalog formuliert wurde. Aus diesem Grund mussten die inoffiziellen Mitarbeiter jene Methode anwenden, die von einem mit dem Fall vertrauten MfS – Offizier für passend empfunden wurde. Zuvor musste diese jedoch noch zusätzlich von dem jeweiligen Abteilungs- oder Referatsleiter abgesegnet werden.

Eine der am häufigsten ausgeführten Methoden war die des Observierens, die das Beobachten im privaten wie beruflichen Bereich umfasste. Das Belauschen, Abhören und das Verletzten des Briefgeheimnisses brachte dem Staatssicherheitsdienst die volkstümliche Bezeichnung „Horch und Guck“ ein, was wiederum verdeutlichte, wie bewusst sich die Bevölkerung der Präsenz und dem Tun der Stasi war.

An dieser Stelle soll der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass es neben dem Observieren noch eine ganze Reihe anderer Methoden gab, die das operative Instrumentarium des MfS bildeten. Walther stellt all diese Methoden in seinem Werk „Sicherungsbereich Literatur“ auf über 100 Seiten zusammen, daher versteht es sich fast von selbst, dass diese in der vorliegenden Arbeit nicht näher betrachtet werden können, was aber dem Verständnis der Thematik keinen Abbruch tun wird.

Über die Tätigkeiten der Staatssicherheit im Bereich der Literatur in den 50er Jahren kann an dieser Stelle nur wenig berichtet werden, da diese in dem ersten Jahrzehnt der DDR im Vergleich zu den folgenden relativ zurückhaltend agierte und die Kontrolle der Literatur überwiegend der Zensurbehörde unterlag. Manfred Jäger beschreibt in seinem Aufsatz „Schriftstellers Unsicherheit und Staates Sicherheit“ den Apparat der Staatssicherheit in den 50er Jahren zudem als „noch nicht so aufgebläht“[39], was auch bedeutete, dass das MfS zu dieser Zeit nur über eine geringe Anzahl von IM verfügte.

Hinzu kommt, dass es in den 50er Jahren auch noch keinen spezifischen Apparat innerhalb des MfS gab, der sich um den Bereich der Literatur kümmerte. Und auch 1964 kam es noch nicht zu einer Gründung eines solchen, obwohl das MfS den deutlichen Auftrag von Ulbricht erhielt, Kunst und Kultur hätten zukünftig verstärkt im Zentrum der nach innen gerichteten Repressionen zu stehen.[40] Das änderte sich erst im Jahre 1969, als die Stasi mit der Hauptabteilung XX/7 und den entsprechenden Referaten 7 in den MfS- Bezirksverwaltungen eine Diensteinheit schuf, die sich fortan ausschließlich um die Kontrolle des Kulturbetriebs bemühte. Wie zwingend notwendig eine solche Diensteinheit für die Sicherheit der DDR erschien, zeigte ich schon auf dem 11. ZK-Plenum von 1965, auf dem die Kunstschaffenden mit heftigen Worten zurechtgewiesen wurden, was aber an einer anderen Stelle noch ausführlicher behandelt werden soll. Nur ca. vier Wochen nach eben jenem Plenum fand am 20. Januar 1966 eine Parteiaktivtagung des MfS statt, auf der Sicherheitsminister Erich Mielke ein „Referat zur Auswertung des 11. Plenums“ hielt. In dem hieß es:

„Wenn hier Heym und alle solchen Literaten und Künstler die Macht hätten, dann hätten wir die DDR schnell aufgefressen! ... Und wir sind dagegen, dass man uns hier solche Sachen zeigt[41], um zu zersetzen unsere Gesellschaft...“[42]

Nach dieser indirekten Aufforderung an die Staatssicherheit, noch stärker in die Kulturpolitik einzugreifen folgte der Prager Frühling im Jahre 1968, wofür die SED und das MfS vor allem die Intellektuellen verantwortlich machten. Daraufhin wurde am 18. Juni 1969 der Befehl 20/69 mit der Begründung erlassen, der Gegner, in dem Fall die Bevölkerungsgruppe der Intellektuellen und besonders die der Schriftsteller, nehme verstärkt Einfluss auf die „politisch – ideologischen Grundlagen der sozialistischen Kultur“[43]. Der neue Befehl, den die Stasi-Mitarbeiter fortan zu befolgen hatten, begann mit einer Beschreibung der Ziele die es zu verwirklichen galt:

„Das strategische Ziel der sozialistischen Kulturpolitik besteht in der Herausbildung der sozialistischen Menschengemeinschaft und in der Schaffung der gebildeten sozialistischen Nation, die zugleich als Vorbild auf Westdeutschland und andere kapitalistische Länder ausstrahlt. (...) Als Instrumente des Klassenkampfes auf politisch – ideologischem und geistig – kulturellem Gebiet haben sie [Schriftsteller, Medien, Presse] die Errungenschaften der Deutschen Demokratischen Republik interessant und vielseitig zu popularisieren...“[44]

Was hier als Forderung nicht neu erscheint, wird im folgenden noch konkretisiert. Neben der Aufzählung der Mittel, die Gegner der sozialistischen Kultur zu bekämpfen, werden die „operativen Schwerpunkte“ aufgezählt, zu denen neben Funk und Fernsehen, dem gesamten DDR-Pressewesen und allen kulturellen Einrichtungen der bildenden, darstellenden und unterhaltenden Kunst[45] auch Schriftsteller, der Schriftstellerverband, Verlagswesen, Buchhandel und Druckereien gehörten. Im weiteren Verlauf der Dienstanweisung wurde festgelegt, welche Personen es genau abzusichern galt. Das betraf all diejenigen, die entweder haupt- oder nebenberuflich etwas mit den oben genannten kulturellen Bereichen zu tun hatten.

Um diese neuen Anweisungen zu verwirklichen bedurfte es ausreichend Mitarbeiter. Aus diesem Grund wurde auch die Erweiterung und vollständige Nutzung aller IM beschlossen. Die Stasi sollte sich verstärkt darum bemühen neue Spitzel für sich zu gewinnen, die vornehmlich aus künstlerischen und technischen Bereichen zu stammen hatten. Kann für das Jahr 1967 noch die Zahl von 32.900 Bediensteten verzeichnet werden, erreichte man bis 1971 den Stand von 45.500 hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern.[46]

In einem weiteren Punkt wurden die Mitarbeiter zudem aufgefordert „alle Hinweise über feindliche Handlungen“ sofort zu überprüfen „und die Tatbestände entsprechend der verletzten Strafrechtsnormen allseitig aufzuklären und herauszuarbeiten“[47].

Außerdem wurden den Leitern der Abteilungen XX/7 die Aufgabe aufgetragen sich „eine Übersicht über die im Verantwortungsbereich tätigen fest angestellten oder freischaffenden Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler, Übersetzer u. a. Kulturschaffenden zu verschaffen“[48]. Und letztens erhielten die Bezirksverwaltungen die Anweisung sich bei „verstärkter Feindtätigkeit“ unverzüglich bei der HA XX/7 zu melden und periodische Lageeinschätzungen in Form von Achtwochenberichten und Halbjahresanalysen zu liefern.

Dieser Befehl 20/69 beweist unmissverständlich das Vorhaben der Staatssicherheit alle Bereiche des kulturellen Lebens zu überwachen und entsprechend Einfluss auf diese auszuüben.

Mit der beginnenden außenpolitischen Entspannungsphase von 1972, die durch den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR gekennzeichnet ist, verändert sich auch die operative Arbeit der Staatssicherheit. Doch da diese Phase bereits in die Ära Honeckers fällt, wird die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit erst wieder in einem späteren Kapitel aufgegriffen.

Um sich eine Vorstellung von der tatsächlichen Größe des Staatssicherheitsdienstes zu machen, sollen an dieser Stelle Zahlen aus dem Jahr 1991 präsentiert werden, die belegen, dass mit dem Ende der DDR Informationen von insgesamt 6 Millionen Deutschen aus Ost und West von 90.000 hauptamtlichen und 150.000 inoffiziellen Mitarbeitern zusammengetragen wurden. Aneinandergereiht ergibt das aus der Bespitzelung entstandene Aktenmaterial eine Länge von 202 Kilometern. Vgl. Kloepfer, M.: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die Pressefreiheit. Verfassungsfragen des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Stasi – Unterlagen – Gesetz). Berlin, 1993. S. 11

[...]


[1] Rüther, G.: „Greif zur Feder, Kumpel“: Schriftsteller, Literatur und Politik in der DDR 1949 – 1990. Düsseldorf, 1991. S. 18

[2] Vgl. „Politische Enthaltsamkeit der Literatur in Westdeutschland“, S. 40 ff. In: Rüther: „Greif zur Feder, Kumpel.“

[3] Vgl. Groth, J. – R.: Widersprüche. Literatur und Politik in der DDR 1949 – 1989. Frankfurt a. M., 1994. S. 79

[4] Mittenzwei, W.: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland von 1945 bis 2000. Leipzig, 2001. S. 545

[5] Honecker, E.: Aus meinem Leben. Berlin, 1980. S. 344 f.

[6] Vgl. Rüther, G.: „Greif zur Feder, Kumpel.“ S. 47 f.

[7] Emmerich, W.: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Leipzig, 1996. S. 119

[8] Vgl. Rüther, G. (Hrsg.): Literatur in der Diktatur: Schreiben im Nationalsozialismus und DDR- Sozialismus. Paderborn, 1997. S. 251

[9] Artikel 34 besagt: 1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. 2) Der Staat nimmt an ihrer Pflege teil und gewährt ihnen Schutz, insbesondere gegen den Missbrauch für Zwecke, die den Bestimmungen und dem Geist der Verfassung widersprechen. In: Regierungskanzlei der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.): Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Jahrgang 1949. Berlin, 1949. S. 8

[10] Rüther: Literatur in der Diktatur. S. 252

[11] Stefan Heym wurde 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz geboren. 1933 emigrierte er infolge der Machtübernahme der NSDAP in die CSR und nahm zum Schutz der Familie den Namen Stefan Heym an. Er lebte von 1935 – 1951 in den USA und entschied sich dann nach Aufenthalten in Warschau und Prag, 1952 in die DDR überzusiedeln. Vgl. Müller-Enbergs, H./ Wielgohs, J. u.a. (Hrsg.): Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien. Band 1 A-L. Berlin, 2006. S. 419

[12] Rüther: Literatur in der Diktatur. S. 251

[13] Regierungskanzlei der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.): Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Jahrgang 1951. Berlin, 1951. S.785

[14] Seghers, A.: Aufsätze – Ansprachen – Essays 1927 – 1953. Berlin, Weimar, 1980. S. 384f.

[15] Müller-Enbergs, H./ Wielgohs, J. u.a. (Hrsg.): Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien. Band 2 M-Z. Berlin, 2006. S. 933 f.

[16] Jäger, M.: Kultur und Politik in der DDR 1945 – 1990. Köln, 1995. S. 80

[17] Vgl. ebd., S. 80

[18] Rüther: Literatur in der Diktatur. S. 253

[19] Ebd., S. 253

[20] Vgl. Mayer, H.: Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945 – 1967. Berlin, 1988. S. 187 ff.

[21] Vgl. Groth, J.-R.: Partei, Staat und Literatur in der DDR – Grundlagen, Interpretationen und Hinweise für den Unterricht. S. 67 f. In: Rüther, G. (Hrsg.): Kulturbetrieb und Literatur in der DDR. Köln, 1987

[22] Ebd., S. 68

[23] Ebd., S. 68

[24] Vgl. ebd., S. 68

[25] Vgl. Rüther: „Greif zur Feder, Kumpel.“ S. 88

[26] Ebd., S. 86

[27] Vgl. ebd., S. 88 f.

[28] Ebd., S. 89

[29] Vgl. ebd., S. 90

[30] Ebd., S. 90 f.

[31] Vgl. ebd., S. 92

[32] Ebd., S. 93

[33] Walther, J.: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin, 1999. S. 35

[34] Vgl. Fricke, K. W.: MfS intern. Macht, Strukturen, Auflösung der DDR-Staatssicherheit. Analyse und Dokumentation. Köln, 1991. S. 11

[35] Ebd., S. 238

[36] siehe Rüther (Hrsg.): Literatur in der Diktatur. S. 286 f.

[37] Das P.E.N. - Zentrum der DDR war ähnlich wie der Schriftstellerverband eine Vereinigung von Schriftstellern und Dichtern der DDR. Im Gegensatz zum ostdeutschen Schriftstellerverband vertritt das P.E.N. – Zentrum der DDR die ostdeutsche Literatur und die Kulturpolitik der SED jedoch auch auf internationaler Ebene. P.E.N. steht für „Poets, Essayists, Novelists“ und geht auf den von C. A. D. Scott 1921 gegründeten P.E.N – Club zurück. Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): DDR Handbuch. Band 2 M – Z. Köln, 1985. S. 980

[38] Unter dem Stichwort „Methode, operative“ findet man im MfS-Wörterbuch folgende Definition: „System von Prinzipien, Regeln, Empfehlungen oder Handlungsvorschriften zur Lösung genau bestimmter politisch-operativer Aufgaben. (...) Methoden entstehen durch bzw. sind das Ergebnis der Verallgemeinerungen operativer Erfahrungen, operativer bzw. wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Anwendung der M. und ihre Weiterentwicklung in der politisch-operativen Arbeit erfolgt auf der Grundlage der Gesetzmäßigkeiten, Bedingungen und Erfordernisse des Kampfes gegen den Feind, der geltenden gesetzlichen Bestimmungen sowie der dienstlichen Bestimmungen und Weisungen im MfS. Operative M. sind beispielsweise: - Herausbrechen von Personen aus feindlichen Gruppen, - Einführung von IM in die Bearbeitung von Operativen Vorgängen, (...) – Zersetzung, (...).“ Walther: Sicherungsbereich Literatur. S.320

[39] Jäger, M.: Schriftstellers Unsicherheit und Staates Sicherheit. S. 38 In: Böthig, P. und Michael, K. (Hrsg.): Machtspiele – Literatur und Staatssicherheit. Leipzig, 1993.

[40] Vgl. Walther: Sicherungsbereich Literatur. S. 36

[41] Damit spielt er u. a. auf Heyms Roman „Langeweile von Minsk“ an, den er einige Sätze zuvor als „Staatsverrat“ bezeichnet hat.

[42] Walther: Sicherungsbereich Literatur. S. 61f.

[43] Ebd., S. 89

[44] Ebd., S. 89

[45] Kontrolliert wurden künstlerische Hoch- und Fachschulen, alle Theater, Orchester, die Konzert- und Gastspieldirektion, Kabaretts, Tanzkapellen, Kultur- und Klubhäuser in Städten, Gemeinden und Betrieben.

[46] Vgl. Gieseke, J.: Das Ministerium für Staatssicherheit 1950 bis 1989/90. Ein kurzer historischer Abriß. Berlin, 1998. S. 23

[47] Walther: Sicherungsbereich Literatur. S. 91

[48] Ebd., S. 91

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Kulturpolitik mit der Brechstange - Die literarische Intelligenz als Oppositionskraft in den 1970er Jahren der DDR
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
99
Katalognummer
V132989
ISBN (eBook)
9783640380657
ISBN (Buch)
9783640380398
Dateigröße
1454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaur, DDR, Opposition, Kulturpolitik
Arbeit zitieren
Mandy Heite (Autor:in), 2008, Kulturpolitik mit der Brechstange - Die literarische Intelligenz als Oppositionskraft in den 1970er Jahren der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132989

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