Informationsverzerrung in der Steuerwahrnehmung


Seminararbeit, 2008

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


GLIEDERUNG

1. Einleitung

2. Effekte der Verhaltensökonomik
2.1 Framing Effect
2.2 Loss Aversion (Verlustaversion)
2.3 Endowment Effect (Besitztumeffekt)
2.4 Status-Quo-Bias (Status-Quo-Bevorzugung)
2.5 Isolationseffekt

3. Weitere Verzerrungen in der Steuerwahrnehmung
3.1 Metric Effect
3.2 Strafaversion
3.3 Steueraversion
3.4 Hidden Tax Bias (Bevorzugung versteckter Steuern)

4. Auswirkungen und Reaktionen
4.1 Disaggregation Bias
4.2 Starve-The-Beast - Strategie

5. Die Bedeutung für das Steuersystem
5.1 Effizienz und Gerechtigkeit
5.2 Politik

6. Mögliche Lösungsansätze
6.1 Ökonomie in der Schule
6.2 Systemänderungen
6.3 Expertengruppen
6.4 Steuerwettbewerb

7. Abschließende Bemerkungen

Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

In der irrationalen Wahrnehmung der Steuerbelastung wie sie in der Allgemeinheit vorzufinden ist, kann nach 'objektiver' und 'subjektiver' Steuerbelastung unterschieden werden. Die 'objektive Steuerbelastung' steht für die tatsächlich durch Besteuerung verursachten Einkommenseinbußen, während die 'subjektive Steuerbelastung' (das sogenannte 'Steuerbelastungsgefühl') von psychischen Wahrnehmungsfiltern (z.B. die Merklichkeit und Dauerhaftigkeit der Steuer oder die eigene finanzielle Lage) beeinflusst wird. Objektive, tatsächliche Steuerlast und ihre subjektive Wahrnehmung fallen häufig auseinander. In ihrer Wahrnehmung wie auch in ihrem Handeln sind Menschen häufig von vielen psychologischen Neigungen geleitet. Dies wirkt sich jedoch nur selten zu ihrem Vorteil aus. Sie entscheiden kurzsichtig, ohne die letztendlichen Konsequenzen vollständig zu durchdenken und häufig irrational zu Lasten ihres eigenen oder des gemeinsamen Nutzens. Unter anderem beschäftigt sich die Verhaltensökonomik (Behavioral Economics) mit kognitiven Phänomenen als Ursache dieser Divergenzen. Überwiegend mit Hilfe empirischer Forschung wird versucht, Erklärungen für die Schwächen des Homo Oeconomicus – Modells zu finden und regelmäßige, vorhersehbare Abweichungen zu systematisieren.

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht die Wirkung kognitiver Schwächen, sowohl auf die Gerechtigkeit des Steuersystems als auch auf die Effizienz der volkswirtschaftlichen Wohlfahrt. In der Theorie soll gemäß dem ersten Wohlfahrtssatz der freie Markt selbständig über den Preismechanismus zum Gleichgewicht finden und so für Effizienz sorgen. Der zur Verfügung stehende „Kuchen“ in einer Volkswirtschaft soll so groß wie möglich werden. Eine gerechte Verteilung soll mit der Umsetzung des zweiten Wohlfahrtssatz erreicht werden, soweit dies überhaupt möglich ist. Staatliche Redistribution soll das individuelle Wohlergehen maximieren und damit dem Gerechtigkeitspostulat folgen. Effizienz- und Gerechtigkeitsziele können gemäß der Umsetzung der beiden Wohlfahrtssätze voneinander unabhängig verfolgt werden.

Als zentrales Ergebnis der Arbeit soll gezeigt werden, dass das von psychologischen Verzerrungen beeinflusste Handeln der Wirtschaftssubjekte Allokation und Distribution so beeinträchtigt, dass Gerechtigkeit und Effizienz in eine Trade-Off Beziehung zueinander geraten können. Wenn die Wirtschaftssubjekte versteckte Steuern bevorzugen, obwohl sie mehr Effizienzverluste auslösen als gegebene Alternativen, würde dies unter anderem die Preise verzerren und der erste Wohlfahrtssatz wäre verletzt, da sich die Preise nicht mehr unabhängig auf dem Markt bildeten. Wenn unmerkliche Steuern zur Illusion kostenloser öffentlicher Leistungen führen, wird mehr Umverteilung in Form staatlicher Ausgaben akzeptiert als effizient ist. Dies ist der Fall, wenn ein höheres Staatsausgabenniveau erreicht wird, als bei einem Zustand mit korrekter Kostenwahrnehmung.[1] Überdies kann ein zu hohes Niveau öffentlicher Leistungen zu einer verzerrten Anreizwirkung auf die Arbeit-Freizeit-Entscheidung führen, wenn es zunehmend attraktiver wird, staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen und weniger zu ihrer Finanzierung beizutragen.[2] Damit ist die Umverteilung nicht unabhängig von dem Anspruch nach effizienten Märkten, und die Forderungen nach Effizienz und Gerechtigkeit sind interdependent.

Für die reale Politik sind erhebliche Folgen durch verzerrte Wahrnehmung und psychologische Effekte feststellbar. Diese zeigen sich hinsichtlich der Ausgestaltung des Steuersystems sowie in der Entstehung von Widerständen in der Bevölkerung, ihrer Steuermoral und ihrer Steuermentalität. „[...] Mit keinem anderen Zweig der Politik [...] haben alle Staatsbürger ständig mehr zu tun, als mit dem Steuerwesen, weil es Geld von ihnen verlangt und als Gegenleistung öffentliche Einrichtungen zur allgemeinen Nutzung zur Verfügung stellt [...]“[3] Es ist einleuchtend, dass sowohl die Staatsbürger somit ein besonderes Interesse an der Finanzpolitik haben als auch die Politik ein besonderes Interesse an der öffentlichen Meinung der Bürger zu Steuern und deren Verwendung hat. „Die Politik kann nicht an starken Steuerwiderständen vorbeisehen, die in der Lage sind die finanzielle Basis der Politik überhaupt einzuengen; erst recht gilt dies in der Demokratie, wo einerseits fiskalischen Zwangsmaßnahmen sehr enge Grenzen gesetzt sind und andererseits die Rücksicht auf zukünftige Wahlentscheidungen eine Rolle spielt.“[4]

Die Verhaltensökonomik (Behavioral Economics) insbesondere die „Prospect Theory“ identifiziert und klassifiziert etliche kognitive Anomalien.[5] Einige sind für die subjektive Steuerwahrnehmung von besonderer Bedeutung. Die Studie von McCaffery und Baron 2005 führt diese im Steuerkontext fort und erweitert die Analyse durch vertiefende Experimente.[6] Zunächst werden die Effekte kurz dargestellt und anhand von Beispielen erläutert, dann Ihre Auswirkungen beschrieben und anschließend aufgezeigt, wie Effekte antizipiert werden könnten, wie Politik und Politiker darauf reagieren könnten und wie die negativen Effekte verringert werden könnten. Abschließende Bemerkungen bilden den Schluss.

2. EFFEKTE DER VERHALTENSÖKONOMIK

Zu den bedeutendsten Erkenntnissen des Phänomens des irrationalen Handelns durch verzerrte Wahrnehmung gehören die Untersuchungen der „Prospect Theory“ von Daniel Kahnemann und Amos Tversky.[7] Einige der Effekte sollen hier kurz wiedergegeben werden: Framing-Effekt, Loss Aversion (Verlustaversion), Endowment Effect (Besitztumeffekt), Status-Quo-Bias (Status-Quo-Bevorzugung) und der Isolationseffekt. Elemente dieser Effektgruppen finden sich in allen hier untersuchten Anomalien.

2.1 Framing Effect

Der Framing-Effect beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem Probleme ihrer dargestellten Form nach beurteilt werden. Ein halb volles Glas wird gegenüber einem halb leeren Glas bevorzugt. Die positive Darstellung wird gegenüber der negativen favorisiert. Die Form der Präsentation ein und desselben Sachverhaltes beeinflusst bereits die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung. Steuerreformen können je nach individuellem Interesse unterstützt oder diskreditiert werden, ein Effekt der sich häufig in Verbindung mit anderen Anomalien wieder zeigt.

2.2 Loss Aversion (Verlustaversion)

Die Beobachtung, dass Menschen Verluste stärker als Gewinne gewichten, wird als Verlustaversion bezeichnet. Etwas zu bekommen, bedeutet dem Individuum einen geringeren Nutzenzuwachs als der Nutzenverlust wenn ihm dasselbe weggenommen wird. Eine Steuererhöhung wird danach immer stärker nachteilig als eine Steuersenkung positiv wahrgenommen.[8] Um den Nutzen nach einer Steuererhöhung wieder auf das zuvor erreichte Niveau zu heben, würde es nicht ausreichen, den Erhöhungsbetrag wieder zu erstatten, sondern es müsste zu einer zusätzlichen Entschädigung kommen.

2.3 Endowment Effect (Besitztumeffekt)

Wenn ein Gegenstand in den persönlichen Besitz übergeht, ist häufig zu beobachten, dass der Besitzer diesem Gut einen höheren Wert beimisst, als er selbst dafür bezahlt hat. Alleine die Tatsache, dass er ihn nun besitzt, ist ihm einen Aufschlag wert. Diese Auffälligkeit wird als Endowment Effect (Besitztumseffekt) bezeichnet.[9]

2.4 Status-Quo-Bias (Status-Quo-Bevorzugung)

Eine Verbindung zwischen Endowment Effekt und Verlustaversion stellt die Status-Quo-Bias her. Die Angst vor Verlusten und das Überschätzen von Besitztümern führen zu einer Bevorzugung des bestehenden Zustandes gegenüber einer Veränderung. Dass auch die Aussicht auf einen Ausgleich nach Erleiden eines Verlustes in derselben Höhe das alte Nutzenniveau nicht wieder herstellen kann, verdeutlicht diese Neigung.

2.5 Isolationseffekt

Die Konzentration auf Teilaspekte einer Entscheidung und die Nichtbeachtung relevanter Informationen ist ein zentraler Störfaktor bei der Akzeptanz umfassender Steuersysteme. Betrachtet wird nur ein Ausschnitt einer zu beurteilenden Fragestellung und insbesondere die Wirkungen auf andere ebenfalls entscheidungsrelevante Themen werden ausgeblendet. Den folgenden von McCaffery und Baron untersuchten Effekten ist das Element dieses Isolationseffektes gemeinsam.

3. WEITERE VERZERRUNGEN IN DER STEUERWAHRNEHMUNG

3.1 Metric Effect

Auf der Suche nach einem gewünschten Steuerprogressionsmaß ist festzustellen, dass sich die Angaben der Befragten stark unterscheiden und zwar in Abhängigkeit davon, ob nach prozentualen Abgaben oder nach absoluten Abgaben gefragt wird. Weil der Absolutbetrag einer Steuer auch bei einer Pauschalsteuer mit einheitlichem Steuersatz (Flat-Tax) mit der Bemessungsgrundlage steigt und damit bei erheblicheren Einkommen höher ist als bei geringeren Einkommen, kommt es in der öffentlichen Wahrnehmung häufig zu einer Progressionsillusion. An einem Beispiel lässt sich dies verdeutlichen. Bei einem einheitlichen Einkommensteuersatz von 20% zahlt ein Erwerbstätiger mit einem Einkommen von 50.000 Euro genau 10.000 Euro EK-Steuern. Jemand, der 100.000 Euro verdient würde 20.000 Euro bezahlen. Dass dabei gar keine Progression vorliegt, wird vielen Befragten erst deutlich wenn die Steuer in Prozent angegeben wird. So ist der Wunsch nach progressiven Steuern bei der Betrachtung in Prozentangaben sehr viel stärker ausgeprägt als bei Betrachtung in absoluten Geldbeträgen. Dieses Phänomen wird als „Metric Effect“ bezeichnet.

3.2 Strafaversion

Der Framing Effect zeigt, welche Bedeutung der Form der Darstellung zukommt. Eine Bestätigung beobachtet die Strafaversion. Strafen und Verluste werden gerne vermieden, während Vergünstigungen und Gratifikationen nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Thaler hat dazu ein Experiment durchgeführt, in dem er zwei gegenüberliegende Tankstellen beobachtete.[10] Eine der beiden forderte einen Aufschlag für die Bezahlung mit der Kreditkarte, die andere gewährte einen Bonus in derselben Höhe bei Bezahlung in bar. Obwohl beide Auswirkungen identisch sind, wurde nur die Strafe konsequent umgangen wohingegen der Bonus bei Barzahlung nur teilweise genutzt wurde. Stefan Traub hat den Effekt am Beispiel der diskutierten Einführung einer Strafsteuer für Kinderlose (als Kindergeldersatz) auf die Steuerproblematik übertragen und festgestellt, dass Boni für gerechter gehalten werden als Aufschläge.[11]

[...]


[1] Vgl. Sausgruber (2002, S. 25)

[2] Vgl. v. Weizsäcker (1998, S.4)

[3] Vgl. Schmölders, 1960, S. 7

[4] Vgl. Schmölders, 1960, S. 7

[5] Vgl. Kahnemann & Tversky, 1979

[6] Vgl. McCaffery & Baron, 2005

[7] Vgl. Kahnemann & Tversky, 1979 sowie Kahnemann, Knetsch, & Thaler, 1991

[8] Vgl. Benartzi & Thaler, 1995

[9] Vgl. Kahnemann, Knetsch, & Thaler, 1991

[10] Vgl. Thaler, 1980, S.45

[11] Vgl. Traub, 2000 sowie Schelling, 1981 (daher auch Schelling Effect)

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Informationsverzerrung in der Steuerwahrnehmung
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Veranstaltung
Finanzwissenschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V132981
ISBN (eBook)
9783640397433
ISBN (Buch)
9783640397877
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Steuerperzeption, Steuern, psychologische Steuern, Steuerpsychologie, Steuerverzerrung, Steuereffizienz, Steuergerechtigkeit, Steuer, Steuerwahrnehmung
Arbeit zitieren
Burkhard Heling (Autor:in), 2008, Informationsverzerrung in der Steuerwahrnehmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132981

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