Die Ciris: Der Musenanruf Zeile 92-100, Appendix Vergiliana


Seminararbeit, 2004

15 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Text und Übersetzung

3. Kommentare zu den einzelnen Sinneinheiten

4. Exkurs zur Musenanrufung

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

Die Musenanrufung ist eine typische Komponente in der klassischen Dichtung. Der Dichter ruft die Göttinnen der kreativen Künste an, damit sie ihm ihre Unterstützung bei seinem Schaffen schenken.

In dieser Arbeit möchte ich mich mit der Musenanrufung aus dem Gedicht Ciris aus der Appendix Vergiliana beschäftigen. Es ist nicht bekannt wer der antike Dichter dieses Werkes gewesen ist. Es gibt Vermutungen, dass es Vergil gewesen ist oder jemand, der versuchte Vergil zu imitieren. Die betreffenden Zeilen, die ich bearbeiten werde, sind 92 bis 100. In den vorangegangenen Zeilen hat der antike Autor eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse geliefert, die das Gedicht inhaltlich behandelt. Erst nach der Musenanrufung in der vorliegenden Textstelle befasst sich der Dichter dann mit der genauen Darstellung der einzelnen Geschehnisse. Thematisch behandelt der Dichter den Verwandlungsmythos des jungen Mädchens Skylla, den ich im Folgenden kurz zusammenfassen werde. Sie ist die Tochter des Königs Nisus von Megara. Diese Stadt wird durch die dritte wichtige Figur, den König Minos von Kreta, belagert. Megara wird aber durch eine purpurne Locke, die König Nisus auf seinem Haupt trägt, beschützt. Die junge Skylla verliebt sich in den feindlichen Belagerer und versucht dessen Herz zu erobern. Mit Hilfe ihrer Amme ersinnt sie letztendlich die List die Locke des Vaters abzuschneiden, um somit die Stadt für ihre Liebe zu opfern. Dieser Plan wird auch in die Tat umgesetzt, was zur Folge hat, dass die Stadt Megara dem Erdboden gleich gemacht wird. Aber Skylla erhält nicht den Lohn ihrer Mühen, den sie sich erwünscht hätte. Als Bestrafung für ihren Verrat lässt Minos sie vor den Bug seines Schiffes ketten und fährt mit ihr als menschliche Galionsfigur durch die Meere. Die Götter verwandeln sie in einen Eisvogel, die ciris, und sie kann frei davonfliegen. Aber auch ihr Vater wurde in einen Jagdvogel verwandelt, der sie nun auf ewig verfolgt.

Quam pater ut vidit (nam iam pendebat in aura et modo factus erat fulvis haliaeetus alis), ibat, ut haerentem rostro laceraret adunco. Illa metu puppim dimisit, et aura cadentem sustinuisse levi, ne tangeret aequora, visa est; pluma fuit: plumis in avem mutata vocatur ciris et a tonso est hoc nomen adepta capillo. (Ovid, Metamorphosen, Liber octavus, Z. 145-151.)1 2

Ich werde in dieser Arbeit versuchen die Textstelle grammatisch zu analysieren und Anspielungen auf Mythen erläutern, um als Ergebnis eine möglichst den Sinn treffende Übersetzung zu liefern. Im Folgenden stelle ich zunächst den Text und eine von mir selbst angefertigte Übersetzung vor. Anschließend kommentiere ich, kleineren Sinneinheiten folgend, die Textausschnitte und begründe meine Übersetzung.

2 Text und Übersetzung

Musenanruf, Zeilen 92 bis 1003

92 Quare, quae cantus meditanti mittere caecos
magna mihi cupido tribuistis praemia, divae
Pierides, quarum castos altaria postis
95 munere saepe meo inficiunt foribusque hyacinthi

deponunt flores aut suave rubens narcissus

aut crocus alterna coniugens lilia caltha

sparsaque liminibus floret rosa, nunc age, divae,

praecipue nostro nunc aspirate labori

100 atque novum aeterno praetexite honore volumen.

Anmerkungen zum Text:

Der hier abgedruckte Text entspricht der Oxfordausgabe. Dort ist in Zeile 92 cocos in Cruces gedruckt. Ich habe mich entschlossen bei meiner Textbearbeitung die Konjunktur caecos zu nehmen. Die Begründung führe ich meinem ausführlichen Kommentar an. Auch ist die Stelle mit caecos im Thesaurus Linguae Latinae belegt.4

Die zweite Stelle in Zeile 94, die durch Cruces gekennzeichnet ist, lasse ich in ihrem Wortlaut altaria stehen. Auch hier gibt es wieder eine Belegstelle im Thesaurus Linguae Latinae.5

Übersetzung:

Daher, göttliche Pieriden, die ihr mir Begierigem,

der dunkle Gesänge im Sinn hat, große Belohungen zugeteilt habt,

deren heilige Pfosten der Altar oft mit meinem Geschenk schwärzt

und an den Türen legen die Hyazinthen die Blumen nieder
entweder angenehm rötliche Narzisse oder Safranstaude abwec]hselnd
verbunden mit Lilie und gelber Ringelblume

und an der Türschwelle ausgebreitet blüht die Rose,
nun handelt, Göttliche, nun begünstigt besonders unsere Mühe

und auch schmückt mit ewiger Ehre das neue Schriftwerk.

Kommentare zu den einzelnen Sinneinheiten

Z. 92 quare

Dies ist eine konklusive Konjunktion.6 Sie drückt die Folge aus und ist in diesem Satzgefüge auf den Relativsatz, in welchem der Dichter über sein Vorhaben spricht, zu beziehen. Er will die Musen anrufen und hat schon früher von ihnen Unterstützung erlangt. Quare leitet nun die Folge mit kausalem Sinn ein. Weil er schon in früheren Zeiten Inspiration bekommen hat, wünscht er sie nun erneut zu erlangen. Der kausale Sinn wird von Menge mit den Übersetzungen und daher, und deshalb widergegeben. Im Leumann-Hoffmann-Szantyr steht, dass quare als konklusiver Partikel mit kausalem Sinn auch in Verbindung mit igitur oder ideo7 stehen kann. Zum besseren Verständnis ist die Entwicklung von quare zu betrachten. Eine Wortverschmelzung aus qua und re.8 Das re steht dabei im abl. instr., ganz speziell im abl. causae.9

Lyne gibt in seinem Kommentar zwei Stellen an, in denen das quare in ähnlicher Bedeutung verwendet worden ist. Quare, Pierii laticis decus, ite, sorores / Naides, (Culex 18) quare ... / ... mi cupido. (Catull 107.3f.)10

Z. 92-93 quae cantus meditanti mittere caecos magna mihi cupido tribuistis praemia

Dieser Relativsatz liefert die Erklärung für die folgende Anrufung der Musen. Der Dichter hat schon in der Vergangenheit Hilfe durch die Musen erhalten. Quae magna praemia tribuistis. Das quae bezieht sich dabei auf divae Pierides (Z. 93-94). Der Dichter ist selbst ein Begieriger, der eine Erwartungshaltung hat. Cupido ist dabei attributivisch zu mihi gebraucht.

Er will ein neues Werk schaffen und hofft auf die Hilfe der Göttlichen. meditanti steht mit einem Infinitiv, in diesem Fall mittere, und heißt etwa im Sinn haben, vorhaben.11 Der Gebrauch von meditari mit Infinitiv verdeutlicht eine Absicht, die noch umgesetzt werden soll. Dieser Wortgebrauch ist durch Terenz eingeführt worden.12 Das Partizip Präsens Aktiv in seiner Funktion als Participium Conjunctum ist hier als Relativsatz zu übersetzen. Besondere Beachtung verlangt hier das Wort cocos. Es handelt sich um eine unsichere Stelle, die mit C ruces gekennzeichnet ist. Man muss für cocos alle verschiedenen Varianten der Konjekturen beachten: cocos stammt aus dem Manuskript AR, caecos aus dem Manuskript s, doctos wird von Bergk empfohlen oder seros von Cazzaniga.13 Alle diese Adjektive sind durch den Akkusativ mit cantus verknüpft und beschreiben die Art und Weise der Gesänge. Lyne betrachtet in seinem Kommentar erst einmal den gesamten inhaltlichen Zusammenhang innerhalb der Zeilen. Cantus beschreibt hier das neue Werk, den neuen dichterischen Gesang, den der Dichter zu schaffen plant. In metrischer Hinsicht sind alle Varianten möglich, da die Konjekturen alle die gleiche Silbenzahl vorweisen. Lyne entscheidet sich für caecos, da er alle Gesänge des Dichters als caecus sieht und so den Sinn überträgt, dass die Musen dem Dichter früher bei den canti caeci geholfen haben und nun es erneut tun sollen.14 Hier stimme ich mit Lyne überein. Schlägt man die Stelle im Thesaurus Linguae Latinae nach, ist dort der Gebrauch von caecus im Zusammenhang mit cantus aufgeführt. Es wird sogar besonders diese Ciris-Stelle zitiert.15 Die Bedeutung II B ist mit de eis rebus quae cognisci male possunt, vel quarum causae non cognoscuntur, fere i.q. incognitus, incertus16 angegeben und auch bei anderen Dichtern vergleichbar gebraucht. Zum Beispiel Vergil (Aeneis 10, 98) schreibt caeca volutant murmura, also sich mit dunklem Gemurmel beschäftigen. In beiden Fällen bezieht sich das Dunkle, Heimliche oder Verborgene der Wortbedeutung auf das Aussprechen von Worten. So scheint der Bezug zu Gesängen oder gemurmelten Beschwörungen bei Ritualen wie einer Götteranrufung sehr logisch. Ebenfalls entsteht die Assoziation bei rituellen Anrufungen, dass es sich um etwas Geheimnisvolles und im Verborgenen Geschehene handelt.

[...]


1 Ovidus Naso, Publius, Metamorphosen, hrsg. und übers. von Erich Rösch, Sammlung Tusculum, München 1992, S. 282.

2 Tusculum-Übersetzung (S.283): „Als ihr Vater sie sah – er schwebte da schon in den Lüften, war so eben geworden zum braungeflügelten Seeaar – will er die Hängende dort mit dem hakigen Schnabel zerfleischen – Angstvoll ließ sie das Heck los, doch es schien die Lüfte leicht sie zu tragen, so dass sie das Wasser nicht mehr berührte, Flaum ist´s gewesen! Gehüllt in Flaum, zum Vogel geworden, heißt sie nun „Schere“ darum, weil ab sie geschnitten das Haupthaar.“

3 Ciris, Appendix Vergiliana, hrsg. von: W. V. Clausen, F. R. D. Goodyear, E. J. Kenney, J. A. Richmond, Oxford 1966, S. 105.

4 Burger, s.v. caecus, II B, im Thesaurus Linguae Lantinae, Vol. III (1907), Sp. 46.

5 Plenkers, s.v. altaria, I, im: ThLL, Vol. I (1900), Sp. 1726.

6 Menge, Hermann, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, Darmstadt 2000, §441,8.

7 Leumann-Hoffmann-Szantyr, Lateinische Grammatik, Lateinische Syntax und Stilistik Bd. II, München 1965, S. 525.

8 Leumann-Hoffmann-Szantyr, Lateinische Grammatik, Lateinische Laut- und Formenlehre, Bd. I, München 1977, S. 279.

9 LHS, Bd. II, S. 133.

10 Lyne, R.O.A.M., Ciris, A poem attributed to Vergil, Cambridge 1978, S. 141.

11 Menge, §474,b.

12 LHS, Bd. II, S. 346.

13 Ciris, Appendix Vergiliana, 1966, S. 105.

14 Lyne, 1978, S. 141-142.

15 Burger, s.v. caecus, II B, im Thesaurus Linguae Lantinae, Vol. III (1907), Sp. 46.

16 Sinngemäße Übersetzung: von den Sachen, die man nicht gut kennt, oder deren Ursache man nicht kennt, also fast unbekannt, unsicher.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Ciris: Der Musenanruf Zeile 92-100, Appendix Vergiliana
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Klassische Philologie)
Veranstaltung
Proseminar Appendix Vergiliana, Ciris
Note
2.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V132879
ISBN (eBook)
9783640408061
ISBN (Buch)
9783640408283
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ciris, Musenanruf, Zeile, Appendix, Vergiliana
Arbeit zitieren
Konrad Maas (Autor:in), 2004, Die Ciris: Der Musenanruf Zeile 92-100, Appendix Vergiliana, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132879

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