Erinnerungsfragmente an die Befreiungskämpfe in Leipzig und Umgebung


Examensarbeit, 2008

71 Seiten, Note: 2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG

II. DIE GESCHICHTE DER BEFREIUNGSKRIEGE
1. DER URSPRUNG DER BEFREIUNGSKRIEGE
2. DER VERLAUF DER BEFREIUNGSKRIEGE
2.1. Die Konvention von Tauroggen
2.2. Der Frühjahrsfeldzug 1813: die Schlachten bei Großgörschen
und Bautzen
2.3. Der Herbstfeldzug 1813: die Schlachten bei Großbeeren, Dresden, Dennewitz und Leipzig
2.4. Die Rheinüberquerung 1814
2.5. Die endgültige Niederlage Napoleons: die Schlacht bei Waterloo
11
1. DIE FOLGEN DER NAPOLEONISCHEN NIEDERLAGE
2. DIE BEDEUTUNG DER VÖLKERSCHLACHT 1813

III. ERSTE DENKMALE IN DER ZEIT DES DEUTSCHEN BUNDES
1. EINZELDENKMALE
1.1. Das Schwarzenbergdenkmal 1838
1.2. Das Poniatowskidenkmal 1814
1.3. Das Fricciusdenkmal 1863
1.4. Das Kugeldenkmal Milchinsel 1845
2. DER VEREIN ZUR FEIER DES 19. OKTOBERS 1813
2.1. Das Denkmal am Monarchenhügel 1847
2.2. Das Kugeldenkmal von Möckern 1850
2.3. Das Denkmal am Galgenberg 1852
2.4. Das Denkmal am Wachtberg 1854
2.5. Das Denkmal am Kolmberg 1856
2.6. Der Napoleonstein 1857
2.7. Das Denkmal zur Sprengung der Elsterbrücke 1863
3. DIE APELSTEINE
3.1. Der Apelstein Nr. 38 König Karl Johann von Schweden
3.2. Der Apelstein Nr. 40 Captain Bogue
3.3. Der Apelstein Nr. 37 Dombrowski
3.4. Der Apelstein Nr. 22 Gyulai
4. ÜBERRESTE

IV. DIE DENKMALKULTUR IN DER KAISERZEIT
1. DIE ERINNERUNG AN KARL THEODOR KÖRNER
2. DAS VÖLKERSCHLACHTDENKMAL 1913
3. DIE ÖSTERREICHERDENKMALE 1913
4. DIE RUSSISCHE KIRCHE 1913
5. DIE JAHRHUNDERTSTEINE 1913

V. DIE DENKMALKULTUR IM DEUTSCHEN REICH 1934-1945

VI. DIE DENKMALKULTUR NACH 1945
1. DAS RUSSISCH-PREUßISCHE DENKMAL 1988
2. DIE LEIPZIGER STRAßENNAMEN

VII. RESÜMEE: VOM KULT ZUR KULISSE?

VIII. ANHANG

A. LITERATUR

B. BILDNACHWEIS

C. ZEITTAFEL

D. PERSONENVERZEICHNIS

E. DENKMALE DEM EREIGNISABLAUF ZUGEORDNET

F. GEOGRAPHISCHE KARTE ZUM VERLAUF DER VÖLKERSCHLACHT BEI LEIPZIG 1813

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1 Schwarzenberdenkmal

Abb. 2 Poniatowskidenkmal

Abb. 3 Fricciusdenkmal

Abb. 4 Kugeldenkmal an der Milchinsel

Abb. 5 Denkmal am Monarchenhügel

Abb. 6 Kugeldenkmal Möckern

Abb. 7 Galgenbergdenkmal

Abb. 8 Wachtbergdenkmal

Abb. 9 Napoleonstein

Abb. 10 Denkmal Elsterbrückensprengung

Abb. 11 Apelsteine Nr. 1, 5, 9, 13, 15

Abb. 12 Apelsteine Nr. 17, 18, 19, 20, 21, 22

Abb. 13 Apelsteine Nr. 23, 24, 25, 32, 33, 34

Abb. 14 Apelsteine Nr. 35, 36, 37, 42, 45, 46

Abb. 15 Kugeln in der Russenstr. 5, 8, 51

Abb. 16 Thomaskirche, Apostelhaus in der Apostelstr 20

Abb. 17 Findling in den Schönen

Abb. 18 Tafel am Körnerhaus in Großzschocher

Abb. 19 Körnerstein im Stadtzentrum

Abb. 20 Völkerschlachtdenkmal

Abb. 21 Zeichnung von Front und perspektivischer Schnitt des Völkerschlachtdenkmals

Abb. 22 Österreicherdenkmal in Lössnig

Abb. 23 Österreicherdenkmal in Schleussig

Abb. 24 Russische Kirche

Abb. 25 Tafeln am Haupteingang

Abb. 26 Standarten von Kosaken

Abb. 27 Findlinge in Probstheida und Stahmeln

Abb. 28 Poniatowskidenkmal um 1905 in der Gottschedstraße

Abb. 29 Körnertafel an der Oper

Abb. 30 Russisch-Preußisches Denkmal

Abb. 31 Gedenkstein für die Baschkiren

Abb. 32 Apelstein Nr. 21, 37

Abb. 33 Apelstein Nr. 49, 50

I. EINLEITUNG

Bei der Wanderung durch die Jahrhunderte der deutschen Geschichte kommt man an vielen Scheidewegen vorbei, an denen der Weg zu unse-rer Gegenwart auch ein anderer hätte sein können. Zu diesen denkwürdi-gen Ereignissen gehören die Befreiungskriege, in der zahlreiche Staaten gegen die napoleonische Hegemonie auf dem europäischen Kontinent kämpften.

Ihre Erinnerungswürdigkeit fand in Sammlungen von Überresten, Zeitzeu-genberichten, im Bau von Denkmalen, Bildern und in Feierlichkeiten ihren Ausdruck. Bis heute lassen sich Überreste auf den historischen Schlacht-feldern in und um Leipzig finden.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich einen Blick auf die Geschichte der Befreiungskriege werfen. Die Untersuchung des Gedenkens im öffentli-chen Raum durch Sachzeugen soll dabei im Mittelpunkt stehen.

Die zahlreichen Denkmale dazu in ganz Deutschland würden den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen. Deshalb erscheint es mir sinnvoll, mich auf die Stadt Leipzig und ihre Umgebung zu beschränken. Die Bedeutung der Völkerschlacht bei Leipzig in den Befreiungskriegen gegen die napoleoni-sche Fremdherrschaft in Deutschland lässt vermuten, dass in Leipzig eine Erinnerungskultur der Befreiungskriege vorhanden ist, die sich nicht auf Leipzigs Wahrzeichen, das Völkerschlachtdenkmal, beschränkt. Die Be-weggründe für die Setzung der einzelnen Denkmale sind nicht immer ge-nau rekonstruierbar, sollen jedoch nach Möglichkeit dargestellt werden und können dadurch zur Ausräumung des weit verbreiteten Missverständ-nis, „es habe jemals ein einheitliches Geschichtsverständnis von differen-zierten Großgruppen gegeben“, beitragen.1

Ein Blick auf die Topographie Leipzigs zeigt über einhundert Denkmale. Die Definition von dem Begriff Denkmal gestaltet sich jedoch schwierig und kann sehr weit aufgefasst werden. Als plastisches Erinnerungszei-chen im öffentlichen Raum verstanden, ergeben sich eine Vielzahl an Klassifikationsmöglichkeiten, zum Beispiel Feldmarkierungen, Gedenk-steine, Erinnerungstafeln und eingemauerte Kugeln als bauliche Unter-scheidung, Mahn-, Grab- und Ehrenmal als Zweckdifferenzierung.2 Auch Straßennamen können durch diese weite Begriffsauffassung als Denkma-le verstanden werden. Ob nun Überrest- oder Traditionsquelle, hängt von dem Betrachtungswinkel ab. Die Deutungshoheit des Vergangenen liegt im jeweils zeitgenössischen Akt des gesellschaftlichen Gedenkens, mit dem das Denkmal als Gedenkort häufig verbunden ist. Die Untersuchung des kulturellen Gedächtnisses der jeweiligen Epoche öffnet dagegen den Blick für die Veränderung der Interpretationen.3 Die Vielfalt der zeitgenös-sischen Geschichtsbilder können aufgrund der schwierigen Quellenlage nicht aufgezeigt werden. Dadurch ergibt sich eine Beschränkung auf die historiographischen Angebote und Sozialisationsinstanzen.4

Da der öffentliche Raum im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen soll, möchte ich den Kreis der Denkmale weiter einschränken, indem ich auf die Darstellung der Grabmäler und Friedhöfe verzichte, die im Stadtbild durch hohe Mauern von der alltäglichen Begegnung von Mensch und Denkmal ausgeschlossen sind. Durch seine uneingeschränkte Verfügbar-keit kann das Denkmal als ein an die „Vergangenheit gebundener Ge-genstand in seiner Raumwirkung besser aufgegriffen werden als jeder museale Sachzeuge.“5

Im Folgenden werde ich zunächst die Geschichte der Befreiungskriege erläutern, die als Referenz zur Bewertung des Geschichtsbewusstseins nachfolgender Generationen herangezogen werden soll. Im Anschluss werden die einzelnen „Denkmalsschichten“ im Denkmalsgeflecht von Leipzig chronologisch vorgestellt auf ihre Formen und Funktionen unter-sucht. Es wird sich zeigen, ob sich die Veränderungen und Traditionen im kulturellen Gedächtnis anhand seines Umgangs mit Erinnerungsfragmen-ten und Denkmalen offenlegen lassen.

Der Einblick in die einzelnen Schichten soll die Umrisse der Traditionsli-nien erkennbar werden lassen, auf denen unsere heutige Denkmalskultur fußt und Tendenzen sichtbar machen, die eine Prognose auf den weiteren Entwicklungsweg unseres Geschichtsbewußtseins hinsichtlich des Ge-denkens an die Befreiungskriege erlauben.

II. DIE GESCHICHTE DER BEFREIUNGSKRIEGE

1. Der Ursprung der Befreiungskriege

Mit dem Ereignis der Französischen Revolution formierten sich die kon-servativen Kräfte 1792 zunächst unter der Führung Österreichs und Preu-ßens zu einer Koalition, um die Monarchie in Frankreich wiederherzustel-len. In diesem Krieg begann der militärische Aufstieg Napoleon Bonapar-tes, der mit der Machtergreifung 1799 an der Spitze Frankreichs stand. Die von Frankreich eroberten linksrheinischen Territorien wurden 1801 im Frieden von Lunéville Frankreich zugesprochen. Die betroffenen Reichs-fürsten des Heiligen Römischen Reiches erhielten im Reichsdeputations-hauptschluss von 1803 rechts des Rheins durch Säkularisierung und Me-diatisierung Kompensation. Die stärkere Anbindung der in die Abhängig-keit von Frankreich geratenen Territorien erfolgte durch die Gründung des Rheinbundes 1806, der die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches zur Folge hatte.

Durch die territoriale Neugliederung unter Einsetzung seiner Verwandten und Vertrauensleuten hatte Napoleon Bonaparte seinen Einflussbereich weit in den Kontinent Europa ausgedehnt. Eine Konsolidierung der Macht-verhältnisse war auf Dauer nicht zu erreichen, da sich in Spanien erster Widerstand gegen die französische Herrschaft regte. Durch den spani-schen Unabhängigkeitskrieg ermutigt, wagte Österreich erneut den Kampf, musste jedoch im Frieden von Schönbrunn am 14. Oktober 1809 erhebliche Zugeständnisse an Napoleon machen. Für den Feldzug gegen den Zaren Alexander I. hob Napoleon in allen Landen erneut Truppen aus. Nach anfänglichen Erfolgen musste er die restlichen Truppenteile zurück-ziehen, von denen nur ein Bruchteil zurückkehrte.

Neben erstem Aufkeimen von Nationalismus war in der Bevölkerung eine antinapoleonische Stimmung gewachsen. Waren zunächst viele Bürger von den Ideen der französischen Revolution begeistert, hatten die zahlrei-chen Feldzüge des französischen Kaisers durch die Truppenaushebungen die Landstriche entleert, durch Gefechte verwüstet und die Landeskassen seiner Bundesgenossen gepresst. Der in einigen deutschen Gebieten ein-geführte Code Civil importierte die Ideen der Französischen Revolution von Gleichheit und Freiheit, wog bei vielen Bürgern angesichts der Ver-pflichtung der napoleonischen Satellitenstaaten zu Hilfsleistungen für die Kriegsmaschinerie die Nachteile der französischen Fremdherrschaft im-mer weniger auf.6

Die Kriegsmüdigkeit nahm immer mehr zu. Für einen gemeinsamen Auf-stand bedurfte es in den Augen von gelehrten Bürgern wie Fichte mit sei-nen „Reden an die deutsche Nation“ eines stärkeren Nationalgefühls, um die notwendige Geschlossenheit für einen konzertierten Aufstand zu errei-chen. Namentlich in der Turnbewegung Friedrich Ludwig Jahns wurde das „Deutschtum“ gepflegt und konnte die nationalistischen Ideen verbreiten. Unterstützt wurden sie von preußischen Reformkreisen und dem engli-schen Außenministerium.7 Auch Theodor Körner wurde zum Märtyrer stili-siert und erreichte mit seinen Gedichten außerordentliche Popularität, v. a. mit „Lützows wilde Jagd“.

Das Kriegsglück Napoleons ließ die Großmächte zunächst einen erneuten Kampf scheuen. Seine Kriegstaktik, die schwerfälligen gegnerischen Truppen durch eigene Wendigkeit unter Ausnutzung der geografischen Vorteile zu überwinden, ließ Napoleon viele Schlachten gewinnen. Erst mit dem gescheiterten Russlandfeldzug schien der Feldherr besiegbar. Durch die antinapoleonische Stimmung, die zuvor durch das Aufkeimen von Nationalbewusstsein gefördert wurde, konnte erneut eine Koalition entstehen, die in der Völkerschlacht bei Leipzig die entscheidende Kriegswende herbeiführen sollte.

2. Der Verlauf der Befreiungskriege

Die schwere Niederlage im Russlandfeldzug, den Napoleon begann, um die Kontinentalsperre gegen England durchzusetzen, ließ bei seinen Geg-nern die Hoffnung auf eine Revision der europäischen Landkarte steigen. Mit der Konvention von Tauroggen geschah der erste Annäherungsver-such der eigentlich feindlichen Truppen in aussichtsloser Lage und ohne Genehmigung des preußischen Königs. Die ersten größeren Feldzüge gestalteten sich im Frühjahr 1813 für die Koalition nicht erfolgreich, was sich im Herbst desselben Jahres noch ändern sollte, um im darauffolgen-den Jahr den französischen Kaiser zurück über den Rhein zu verfolgen. Als Napoleon von seiner Verbannung zurückkehrte, rüsteten sich seine Gegner erneut zum Kampf, der in der Schlacht bei Waterloo 1815 münde-te, die Napoleon Bonaparte vernichtend verlor und erneut in die Verban-nung zwang.

2.1. Die Konvention von Tauroggen

Das preußische Hilfskorps unter dem Befehl General Yorcks wurde auf dem Rückzug aus Russland von den französischen Verbänden abge-schnitten. In dieser aussichtslosen Lage verhandelte Yorck eigenmächtig mit dem russischen General Diebitzsch über einen Waffenstillstand, der in der Konvention von Tauroggen vom 30. Dezember 1812 das preußische Hilfskorps neutralisierte. „Und so zog sich diese Unterhandlung eine ge-raume Zeit hin und her, bis es denn endlich demselben gelang, sich inso-fern mit dem General von Yorck zu einigen, dass dieser heute, einen Sei-tenmarsch rechts mit der Armee machend, dieselbe nach Tauroggen füh-ren und daselbst bis zum Eingang der Befehle des Königs neutral verblei-ben sollte.(...)Schriftlich wurde die Konvention erst späterhin, am 30., in der Mühle zu Poscherun abgeschlossen.“8

Diese Konvention wurde von Friedrich Wilhelm III. nach Kenntnisnahme zunächst verworfen, doch erklärte er Frankreich nur wenige Wochen spä-ter den Krieg. „Praktisch in letzter Minute setzte sich Friedrich Wilhelm III. an die Spitze dieser Bewegung und erklärte als Bündnispartner Russlands Frankreich am 16. März 1813 den Krieg.“9 Zuvor werden in Kalisch zwi-schen beiden Partnern Vereinbarungen getroffen, die Russlands Anspruch auf Polen und den Preußens auf Sachsen bekräftigen. Der folgende Ein-marsch in Sachsen ist daher nicht nur als Befreiung von napoleonischer Vormundschaft aus patriotischen Motiven zu begreifen, sondern ist auch unter dem Vorzeichen des 27. und 28. Februars 1813 zu sehen. Das Ge-baren der preußischen Armee während des Siebenjährigen Krieges mag mit dazu beigetragen haben, die „Befreier“ mit Argwohn zu empfangen.10 Den Aufrufen zu Freikorps, von denen das Lützower Freikorps später bei-nahe mythischen Status gewann, folgten zahlreiche Freiwillige, die über die preußischen Landesgrenzen hinweg herbeikamen. Aus der Bevölke-rung kamen für die Ausrüstung der Freiwilligen zahlreiche Spenden, die u.a. auch Schmuck aus Edelmetall beinhalteten, der durch Eisen ersetzt wurde, dessen Tragen nach außen die patriotische Gesinnung unterstrei-chen sollte.11

Friedrich August I. von Sachsen befand sich durch den Einmarsch in der Bredouille und versuchte zwischen den Fronten zu lavieren. In Wien er-reichte er einen Geheimvertrag, der den Bestand von Sachsen garantierte und das 1807 von Napoleon konstituierte Großherzogtum Warschau in Aussicht stellte, das bis zur Besetzung durch russische Truppen mit dem sächsischen Königshaus verbunden war. Durch den Einflussverlust im polnischen Gebiet war damit Sachsen der östlichste Brückenkopf Napole­ons, dessen überlebende Soldaten über Sachsen aus dem verlorenen Russlandfeldzug zurückkehrten.

2.2. Der Frühjahrsfeldzug 1813: die Schlachten bei Großgörschen und Bautzen

Den Angriff auf Ney bei Großgörschen am 2. Mai 1813 konnte der zu Hilfe eilende Napoleon erfolgreich abwehren und das Rheinbundmitglied König-reich Sachsen zur Räson rufen. Einer weiteren gewonnenen Schlacht bei Bautzen folgte ein Waffenstillstand, der Napoleon Zeit verschaffte, sich auf die kommenden Auseinandersetzungen mit neuen Truppenaushebungen, Aufmunitionierung und Beschaffung von Vorräten vorzubereiten. Die Zu-führung von frischen Truppen verstärkte die Reste der Grande Armée un-ter Beauharnais, die unter schweren Verlusten die Siege von Großgör-schen und Bautzen errang.

Durch den Vertrag von Pläswitz gewannen jedoch auch seine Gegner Zeit zur Aufrüstung. Die diplomatischen Bemühungen, Frankreich an Russland anzunähern und den Waffenstillstand zu verlängern, waren vergebens. Durch den Anschluss Österreichs an die Allianz sah sich Napoleon nun der größten Koalition zwischen Preußen, Russland, Schweden, England, und Österreich gegenüber, die je gegen ihn aufgestellt wurde.12

2.3. Der Herbstfeldzug 1813: die Schlachten bei Groß-beeren, Dresden, Dennewitz und Leipzig

Die Verbündeten stellten drei große Armeen auf mit dem Ziel, Napoleons Truppen einzukreisen und durch Ausweichen bei Angriffen den Gegner zu ermatten. Die von Bernadotte befehligte Nordarmee bewegte sich Rich-tung Elbe, der ein Teil der französischen Armee unter Oudinot entgegen zog, um Berlin zurückzugewinnen. Gleichzeitig kämpfte Napoleon in Dresden gegen die von Schwarzenberg geführte Hauptarmee und rückte die schlesische Armee unter Blücher, Macdonald ausweichend, vor und überwand die Katzbach. Insgesamt standen etwa 500 000 verbündete ge-gen 440 000 napoleonische Truppen. Durch die zahlenmäßige Unterle- genheit zielte Napoleon auf die Zerschlagung der drei Armeen ab, bevor sie sich vereinigen und diesen Vorteil gegen ihn ausspielen würden.13 Der im September entsandte Ney scheiterte bei Dennewitz wie zuvor Oudinot bei Großbeeren an der Rückeroberung Berlins. Auch unter Napoleons Kommando konnte Dresden zwar gehalten werden, doch geriet das fran-zösische Korps, das die Verfolgung aufgenommen hatte, in Gefangen-schaft.

Neben Sachsen waren auch andere Staaten bemüht ihre Herrschaft zu sichern. Einerseits Souverän von Napoleons Gnaden, andererseits wach-sende antinapoleonische Stimmung in der eigenen Bevölkerung machten die Entscheidung schwierig, an wessen Seite die eigenen Vorteile über-wiegen würden. Darüber hinaus war Napoleon mit einer schweren Nieder-lage aus Russland zurückgekehrt und hatte sich bis Dresden nicht gegen die Koalition erfolgreich durchsetzen können. In dieser Situation scherte Bayern aus dem Rheinbund aus und trat an die Seite Österreichs, das im Gegenzug für die Bereitstellung von Truppen den Fortbestand Bayerns garantieren wollte.14

Obwohl Schwarzenberg der Oberbefehl über das Koalitionsheer übertra-gen worden war, stritten die Verbündeten über das weitere Vorgehen, die Blücher Anfang Oktober mit dem Vormarsch der Schlesischen Armee in Richtung Nordarmee vor vollendete Tatsachen stellte. Der bevorstehen-den Vereinigung der beiden Heere eilte Napoleon entgegen, doch Blücher wich ihm aus. Der Vormarsch Schwarzenbergs mit der Hauptarmee auf Leipzig gegen die Stellung Murats veranlasste Napoleon dazu, seine Truppen von Düben nach dort zu verlegen. Durch das zu erwartende Nachsetzen der beiden Armeen zeichnete sich eine große Schlacht ab, die zur entscheidenden Kriegswende werden sollte.

Die französischen Truppen bei Wachau im Süden Leipzigs befehligte Na­poleon, während er im Norden Marmont abstellte, der die anrückenden Truppen Blüchers aufhalten sollte. Das Reitergefecht am 14. Oktober of-fenbarte Schwarzenberg die Absicht Napoleons, sich in Leipzig zu stellen und nicht wie zunächst angenommen nach Westen zurückzuziehen. Am 16. Oktober begannen die Schlachten bei Wachau und Möckern, an deren Ende keiner der beiden Gegner den Kampf für sich entscheiden konnte. Am nächsten Tag zog Napoleon seine Stellungen enger in und um Leipzig und sicherte sich einen Rückzugsweg über Lindenau. Am 18. Oktober wurde sein linker Flügel bis an die Stadttore gedrängt und verlor die wür-tembergischen und sächsischen Truppen, die in das Lager der Verbünde-ten wechselten. Noch in der Nacht befahl er den Rückzug, der am folgen-den Morgen von weiteren Angriffen bedrängt wurde. Im Laufe des 19. Ok-tobers nahmen die Verbündeten die Stadt Leipzig ein und entschieden damit diese Schlacht für sich. Sie verfolgten den nach Westen fliehenden Napoleon, so dass gegen Ende des Jahres alle rechtsrheinischen Territo-rien von der französischen Vorherrschaft bis auf wenige Ausnahmen be-freit waren. Damit waren die Ziele von Teplitz erreicht: die Auflösung des Rheinbundes und die Restauration der norddeutschen Länder und die Unabhängigkeit der süddeutschen Staaten.15

2.4. Die Rheinüberquerung 1814

Unter der diplomatischen Führung Metternichs wurde Napoleon ein Frie-den angeboten, der den Rhein als natürliche Grenze Frankreichs vorsah. Seine Vorstellung eines europäischen Gleichgewichts wird hier deutlich, da er Frankreich als Gegengewicht zu Russland erhalten wollte. Die fran-zösische Ablehnung des Friedensangebots zwang jedoch zur Fortführung des Krieges, in dessen Folge Paris eingenommen wurde. Die Kapitulation der Hauptstadt führte zur Abdankung und Verbannung des Kaisers, der zuvor die Friedensverhandlung mehrmals unterlief, wenn sich ihm ein mili-tärischer Erfolg in Aussicht stellte. Der Pariser Frieden sah nun die Res-tauration der Bourbonenherrschaft innerhalb der vorrevolutionären Gren-zen vor. Die weitere Neuordnung Europas sollte auf dem Wiener Kon-gress verhandelt werden.

2.5. Die endgültige Niederlage Napoleons: die Schlacht bei Waterloo

Auf dem Wiener Kongress waren die Interessenkonflikte der Großmächte offen zu Tage getreten, die sich an der territorialen Neugestaltung Euro-pas entzündeten. Insbesondere die polnische und sächsische Frage war zu Beginn des Jahres 1815 in den Vordergrund gerückt, denen mittels Tei-lungen jedoch Abhilfe geschaffen werden konnte. Nach seiner Verban-nung auf die Insel Elba kehrte Napoleon für einhundert Tage an die Spitze Frankreichs zurück. Der Putsch des Napoleon zurück an die Macht vollzog sich in raschem Tempo. Der Gefahr einer erneuten Hegemonie gewahr, sprachen die in Wien versammelten gegen ihn die Acht aus und erneuer-ten ihr Bündnis am 25. März.16

Während die Verbündeten ihre Kriegsvorbereitungen trafen, bemühte sich Napoleon um einen schnellen Vormarsch, um wie zuvor die Bündelung der gegnerischen Kräfte gegen sein zahlenmäßig unterlegenes Heer zu verhindern. Zunächst marschierte er nach Belgien gegen Wellington, der ein Heer aus englischen, holländischen und kleineren deutschen Kontin-genten befehligte. Der bald darauf eintreffende Blücher wurde zunächst von Napoleon am 16. Juni bei Ligny geschlagen, zog sich jedoch nicht wie erwartet hinter den Rhein zurück, sondern ließ seine Truppen unter Gnei-senau Wellington in der Nähe von Brüssel zu Hilfe eilen, der am 18. Juni von der französischen Armee bei Waterloo angegriffen worden war. Durch die Auflösung seines Heeres war Napoleon erneut zur Abdankung ge-zwungen und stellte sich englischer Gefangenschaft auf St. Helena, wo er bis zu seinem Tode blieb. Der geflüchtete König wurde nach dem zweiten Pariser Frieden erneut eingesetzt und die Verhandlungen im Wiener Kon-gress fortgeführt.

3. Die Folgen der napoleonischen Niederlage

Die französische Hegemonie in Europa war mit der Niederlage Napoleons zusammengebrochen. Die Satellitenstaaten, die zwar unter dem Schutz des Kaisers standen, als Vasall aber auch den Hunger nach Verpflegung, Rekruten und Ausrüstung der Grande Armee befriedigen mussten, stan-den durch die Niederlage in Russland und den sich formierenden Wider-stand gegen die napoleonische Fremdherrschaft zunehmend unter Druck. Bayern trat als erster Bündnispartner aus dem Rheinbund aus und suchte Österreichs Patronage. Auch Sachsen geriet in Bedrängnis entweder als Gehilfe oder Verräter Napoleons verurteilt zu werden, so dass Friedrich August I. auch am Wiener Hof die Lage diplomatisch sondieren ließ. Durch die militärische Präsenz Napoleons in Sachsen scheute der König jedoch den direkten Affront. Erst mitten in der Schlacht bei Leipzig wech-selten die sächsischen Soldaten die Front, wodurch Verhandlungen über die Existenzgarantie gegenüber Preußen im Vorfeld nicht möglich waren. Der König geriet in preußische Gefangenschaft und konnte nach dem Wiener Kongress als Landesherr in ein Drittel seines Landes zurückkeh-ren.

Die durch Mediatisierung und Säkularisierung gewonnen Territorien verblieben jedoch in ihrer Hand. Durch die Verweigerung Napoleons, die angebotenen Friedensbestimmungen vom ersten Pariser Frieden anzu-nehmen führten nach seiner zweiten Machtübernahme dazu, dass der zweite Pariser Frieden deutlich schärfere Sanktionen gegen Frankreich auferlegte. Waren zunächst das Elsass, Landau, Saarlande bei Frankreich belassen, um das wieder eingesetzte Königtum zu stützen, wurden sie nun neben den Reparationen eingefordert.17

Die einzelnen deutschen Länder wurden im Deutschen Bund zusammen-gefasst, eine weitere Vereinheitlichung der Maße, Gewichte und Rechte wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Die nationale Einheit, die sich weite Teile der Bevölkerung wünschten, wurde durch den im Bund bereits ange-legten Dualismus von Preußen und Österreich überlagert.18

4. Die Bedeutung der Völkerschlacht 1813

Mit dem Sieg der Verbündeten und dem eiligen Rückzug der französi-schen Truppen aus Leipzig hatte Napoleon den vereinigten Heeren militä-risch nichts mehr entgegenzusetzen. Die ihn verfolgenden Truppen stell-ten ihn erst in Frankreich, so dass die Schlacht bei Leipzig die letzte auf deutschem Boden gewesen war. Damit waren faktisch alle deutschen Länder befreit. Ein Sieg Napoleons bei Leipzig hätte seinen Machtbereich in Mitteleuropa zumindest kurzfristig konsolidiert und ihm die Gelegenheit gegeben, neue Truppen zur Verstärkung heranzuführen.

Insgesamt kämpften rund 500000 Soldaten vor und in Leipzig, von denen etwa 100000 auf dem Schlachtfeld starben und 30000 verwundet wurden. Diese Zahlen belegen die ungeheure Masse an Soldaten, die in dieser Größenordnung bis dahin ihres gleichen suchte.19 Die Völkerschlacht bei Leipzig verdient nicht nur hinsichtlich der Masse diesen Namen, sondern auch wegen der zahlreichen Nationen, die daran beteiligt gewesen sind. Auf napoleonischer Seite kämpften Franzosen, Württemberger, Sachsen und Polen, von denen Fürst Poniatowski durch seinen Tod bekannt wurde. Die Verbündeten bestanden aus Preußen, Österreichern, Schweden und Russen, die mit Abstand den größten Teil der Armee stellten, und den Freikorps, in denen jeder willkommen war.

Die nomadischen Steppenvölker des Russischen Reiches, namentlich die Baschkiren, hinterließen bei den Leipziger Bürgern einen bleibenden Ein-druck, unter anderem, da diese noch mit Pfeil und Bogen statt mit Muske-ten schossen. „Der Verfasser sah einen mit einer ungeheuren Schüssel daherkommen, die mit Wasser gefüllt zu sein schien. (...) Jeder tat eine Menge tüchtige Züge daraus, und das Gefäß war bald geleert. Jetzt erst sah er, dass es klarer Branntwein war. Wenn man eine Zeitlang seine Aufmerksamkeit zu sehr auf diese Gruppen richtete, so glaubte man sich, Europa entrückt, mitten unter asiatischen Nomadenvölkern.“20

Die Versorgung der Truppen, die Pflege der Verwundeten und die Ber-gung der Toten stellten die Einwohner Leipzigs, anno 1834 46294, vor logistische Probleme.21 „Verwundete, die nicht aufstehen können, müssen Kot und Urin unter sich gehen lassen und faulen in ihrem eigenen Unrat an. (...) Das scheußlichste dieser Art gab das Gewandhaus. Der Perron war mit einer Reihe solcher überströmender Bütten besetzt, deren träger Inhalt sich langsam über die Treppen herabwälzte. Es war mir unmöglich, durch die Dünste dieser Kaskade zu dringen, die der Avernus nicht giftiger aushauchen kann.“22

Gerade die Folgen der Völkerschlacht bei Leipzig hinterließen einen so starken Eindruck, dass bereits ein Jahr später zum Jahresgedenken ein Denkmal errichtet wurde, um an dieses Ereignis zu erinnern.23 Zahlreiche Funde von Musketen- und Kanonenkugeln und andere Gegenstände, die auf den Schlachtfeldern zurückblieben wurden nach und nach zusam-mengetragen und ausgestellt.

[...]


1 BORRIES, 1988, S. 9.

2 VGL. DEFINITION VON DENKMAL IM LEXIKON DES GESCHICHTSUNTERRICHTS, S. 41.

3 VGL. ESCHEBACH, 2005, S. 10F.

4 VGL. BORRIES, 1988, S. 7.

5 SCHNEIDER IN: PANDEL, 2005, S. 514.

6 BORN, 1979, S. 52F.

7 RODEKAMP, 1999, S. 69.

8 GRAF HENCKEL VON DONNERSMARCK IN: BÖRNER, 1988, S. 37; KONVENTION VON TAUROGGEN, 1812.

9 POSER, 1998, S. 5.

10 BORN, 1979, S. 80.

11 POSER, 1998, S. 87, 94.

12 BORN, 1979, S. 83.

13 BORN, 1979, S. 83F; RODEKAMP, S. 100.; POSER, 1998, S. 6.

14 BORN, 1979, S. 84.

15 BORN, 1979, S. 84F.; POSER, 1998, S. 8FF.

16 BORN, 1979, S. 94.

17 BORN, 1979, S. 87, 95.

18 RODEKAMP, S. 155.

19 RODEKAMP, S. 152F.; POSER, 1998, S. 10.

20 HUSSELL, KOSAKEN UND BASCHKIREN. IN: BÖRNER, 1988, S. 52.

21 ZWAHR IN: Sächsische Heimatblätter,1973, Heft 4, S. 157.

22 REIL , LAZARETTWESEN ANNO 1813, IN: BÖRNER, 1988, S. 316.

23 POSER, 1998, S. 11.

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Erinnerungsfragmente an die Befreiungskämpfe in Leipzig und Umgebung
Hochschule
Universität Leipzig
Note
2
Autor
Jahr
2008
Seiten
71
Katalognummer
V132697
ISBN (eBook)
9783640389476
ISBN (Buch)
9783640389780
Dateigröße
6299 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erinnerungsfragmente, Befreiungskämpfe, Umgebung, Denkmale, Napoleon, Völkerschlacht, 1813, Leipzig, Apelsteine
Arbeit zitieren
Susanne Riemer (Autor:in), 2008, Erinnerungsfragmente an die Befreiungskämpfe in Leipzig und Umgebung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132697

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