Einfluss von Armut auf Familien in prekären Lebenssituationen

Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit


Diplomarbeit, 2009

102 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemaufriss
1.2 Zentrale Fragestellungen
1.3 Methodische Vorgehensweise

2 Das Armutsverständnis der Moderne
2.1 Begriffsfindung von Armut
2.2 Absolute und relative Armut
2.2.1 Theoretische Konzepte relativer Armut
2.3 Armutsdefinitionen
2.4 Möglichkeiten der Entstehung von Armut
2.5 Armut und soziale Ausgrenzung
2.6 Prekäre Lebenslagen
2.7 Zusammenfassung

3 Einflüsse und Wirkungen von (sozial)prekären Situationen auf das Familienleben
3.1 Bedeutung von Familie heute - im Wandel der Familienstrukturen
3.2 Einkommen und Mindestsicherung von Familienhaushalten
3.2.1 Mindestsicherung des Lebensunterhaltes.
3.2.2 Durchschnittliche Einkommensverhältnisse im Jahr 2007
3.2.3 Gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklungen
3.3 Zentrale Faktoren prekärer Lebenslagen
3.3.1 Familiensituation und Erwerbsstatus
3.3.2 Bildung
3.3.3 Soziale Netzwerke
3.3.4 Gesundheit
3.4 Sozialprekäre Lebenssituationen und ihre Wirkung auf
Eltern und Kinder im Familienalltag
3.5 Zusammenfassung

4 Sozialarbeit und der Umgang mit der Armut
4.1 Beseitigung von Armut als Handlungsauftrag - Anforderungen an die Soziale Arbeit
4.2 Gegenwärtige Rahmenbedingungen der Interventionsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit
4.3 Wege aus der Armut durch sozialarbeiterische Interventionen
4.4 Zusammenfassung

5 Schlussfolgerungen

6 Zusammenfassung in Thesenform

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Familien mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt nach Familientypen

Abbildung 2: Typologie von Familienformen

Abbildung 3: Statistisches Bundesamt - Mikrozensus

Abbildung 4: Anzahl der Kinder und Ausprägung der Armutsgefährdung nach Familientypen 2006

Abbildung 5: Anzahl und Quoten von armutsgefährdeten Kindern in Deutsch- land, nach Familientypen 2006

Abbildung 6: Armutsrisikoquote von Kindern nach Erwerbsbeteiligung der Eltern

Abbildung 7: Arbeitslos – aber richtig!

1 Einleitung

Armut ist offensichtlich eine zeitlose Tatsache, welche seit jeher zur Menschengeschichte gehört und auch fortwährend gehören wird. „Denn Arme habt ihr allezeit bei euch (…)“, so heißt es schon in den biblischen Schriften (Mt 26,11). Betrachtet man diesbezüglich die Geschichte und Gegenwart der Menschheit, so stellt man fest, dass Armut in ihr keine Konstante darstellt, sondern in sehr unterschiedlichen Erscheinungsfor­men auftritt und wahrgenommen wird.

1.1 Problemaufriss

Dass Armut in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftritt und wahrge­nommen wird, wurde mir im letzten Jahr meines Studiums während einer fünfwöchigen Exkursion nach Südafrika und dem zweiten Praxissemester in der „Allgemeinen Sozialberatung“ der Caritas Regionalstelle in Erfurt bewusst. Durch einige Besuche von sozialen Einrichtungen in Südafrika, wurde das Ausmaß an Armut, welche in diesem Land herrscht, in vielerlei Hinsicht verdeutlicht und erfahrbar. Es fehlte den Menschen, vor allem den Kindern, an für uns in Deutschland jedem Menschen zugänglichen, grundlegenden Dingen. Dies zeigte sich zum Beispiel in einer Einrichtung für Mütter und deren Kinder, in welche wir Buntstifte für die Kinder mit­brachten und feststellen mussten, dass es hier kein Papier zum Malen und Schreiben gab. Die prekäre Situation der Armut in Südafrika ist in ihrem Ausmaß keinesfalls mit der Armut in Deutschland zu vergleichen. Den-noch gibt es auch hier im Land Menschen, die in einer anderen Form der Armut und sozialen Ausgrenzung leben.

Wie ich während der Beratungstätigkeit in meinem zweiten Praxissemes­ter feststellen konnte, fehlte es den aufsuchenden Familien zwar nicht grundlegend an existenziellen Dingen wie Wohnung, Kleidung, Nahrung usw., aber es kam häufig vor, dass Elternteile unter anderem verzweifelt klagten: Sie wüssten nicht mehr was sie tun sollten, dass Geld reiche für ihre Familie nicht aus, um sich über den ganzen Monat zu finanzieren, obwohl sie sparsam wären. Häufig kamen auch Klagen über erlebte sozi­ale Ausgrenzung hinzu. Hier schilderten Betroffene, sie könnten nicht mit ihren Kindern ins Kino, Theater, Schwimmbad, Eis essen gehen usw., was andere Eltern aber ihren Kindern ermöglichen könnten.

Häufig bleibt bei Schilderungen von Armut und ihren Auswirkungen auf das Familienleben in der sozialarbeiterischen Beratungstätigkeit das Gefühl von Betroffenheit sowie Hilf- und Machtlosigkeit zurück. Diese Arbeit soll sich aus diesem Grund mit dem Phänomen der heutigen Armut in Deutschland, als auch mit dem Erleben von Armut und der damit oft resultierenden sozialen Ausgrenzung in betroffenen Familien mit Kindern sowie deren Auswirkungen auf das Familienleben auseinandersetzen. Darüber hinaus ist es mir ein Bedürfnis, in dieser Arbeit die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit aufzuzeigen, wie sie schwierigen Situationen der Armut und sozialen Ausgrenzung entgegentreten kann, um infolgedessen neue Perspektiven für betroffene Familien zu ermöglichen.

Armut in Deutschland ist mittlerweile für die Sozialwissenschaften aber auch für die Politik zu einem brisanten Thema geworden. Rückblickend auf die letzten 30 Jahre der deutschen Gesellschaft lässt sich feststellen, dass Armut im langfristigen Trend zunimmt und sich dabei verfestigt. Das Vorhandensein von Armut und sozialer Ausgrenzung ist nicht kompatibel mit dem Selbstbild Deutschlands, welches sich als Wohlstandsgesell­schaft versteht . Vorgefunden werden soziale Sicherungssysteme, Bildung für alle und Grundsicherungen.[1] Doch im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Wahrnehmung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Deutsch­land deutlich in den Medien wie auch in den Diskussionen und Maßnah­men der Politik widergespiegelt. Jedoch herrschen unterschiedliche Meinungen darüber, was unter Armut in einer Wohlstandsgesellschaft zu verstehen ist, welche Ursachen es für Armut gibt und wie ihr zu begegnen ist.

1.2 Zentrale Fragestellungen

Da Armut in sehr unterschiedlichen komplexen Erscheinungsformen auf­zutreten scheint sowie auch von den Betroffenen selbst überaus unterschiedlich wahrgenommen wird, soll am Anfang dieser Arbeit die Frage untersucht werden: „Was verstehen wir in unserer heutigen Gesell­schaft unter prekären Lebenssituationen der Armut?“.

Im Anschluss soll dann die Frage erschlossen werden: „Welche Auswir­kungen auf das Familienleben haben (sozial)prekäre Lebenslagen unter dem Aspekt geringer finanzieller Ressourcen?“. Hierdurch sollen die Einflüsse und Wirkungen von (sozial)prekären Situationen auf das Famili­enleben erschlossen werden, um eine fundiertere Aussage über die Bedeutung von prekären Lebenssituationen der Armut im Bezug auf die Familie zu ermöglichen.

Der letzte Abschnitt dieser Arbeit bezieht sich auf die Möglichkeiten sozi­alarbeiterischer Interventionen in Familien, welche sich in (sozial)prekären Situationen der Armut und sozialen Ausgrenzung befinden. Es soll deshalb hier der Frage nachgegangen werden: „Welche Interventions­möglichkeiten hat die Soziale Arbeit zur Verbesserung von (sozial)pre-kären Lebenssituationen der Armut in Familien?“.

1.3 Methodische Vorgehensweise

Um sich der ersten Fragestellung anzunähern, wird im ersten Abschnitt dieser Arbeit „das Armutsverständnis der Moderne“ untersucht werden. Am Anfang dieses Kapitels wird daher die Begriffsbestimmung der Armut im Vordergrund stehen. Es werden hierzu verschiedene Armutsformen, Armutsansätze, Armutsdefinitionen, theoretische Armutskonzepte und Er­klärungskonzepte der Armut aufgeführt, um den Begriff Armut in seinen unterschiedlichen Merkmalen, Auslegungen, Ursachen und resultierenden (Aus)Wirkungen zu erfassen. Im Anschluss sollen die Begriffe „Soziale Ausgrenzung“ und „Prekäre Lebenslagen“ erläutert werden, da diese in unserer heutigen Gesellschaft mit dem Begriff Armut meist einhergehen. Die Klärung beider Begriffe sowie des heutigen Armutsverständnisses in unserer Gesellschaft ist daher unerlässlich, um ein fundierteres Verständ­nis von schwierigen Lebenssituationen der Armut in unserer heutigen Gesellschaft zu ermöglichen.

In der zweiten Fragestellung sollen die Einflüsse und Wirkungen von (sozial)prekären Lebenslagen in Familien erschlossen werden. Demzu­folge wird sich in diesem Abschnitt der Arbeit, mit den Lebenslagen von Familien in Deutschland in den unterschiedlichsten Punkten auseinan­dergesetzt. Im ersten Punkt soll die Bedeutung von Familie und welche Familienstrukturen vorherrschen dargelegt werden, da die Familienstruktur auch häufig die finanzielle Ausstattung von Familien bestimmt. Die finan­zielle Ausstattung einer Familie ist wiederum ausschlaggebend für den Lebensstandard und bestimmt daneben die Möglichkeiten der Lebens­gestaltung einer Familie. Im Anschluss soll daher im zweiten Punkt auf das Einkommen und die Mindestsicherung von Familienhaushalten zur Sicherung des Lebensunterhaltes und überdies auf die durchschnittlichen Einkommensverhältnisse aus dem Jahr 2007 sowie der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklungen eingegangen werden. Anknüpfend daran soll sich im dritten Punkt mit weiteren zentralen Faktoren (sozial)prekärer Lebenslagen auseinandergesetzt werden, hierzu gehören: „Familiensitua­tion und Erwerbsstatus, Bildung, soziale Netzwerke sowie Gesundheit.“ Weiterführend dargestellt werden sollen dann im letzten Punkt des zwei­ten Abschnitts dieser Arbeit (sozial)prekäre Lebenssituationen und ihrer Wirkung auf Eltern und Kinder im Familienalltag, um die Bedeutung von prekären Lebenssituationen der Armut im Bezug auf die Familie ge­samtheitlich erschließen zu können.

Um anschließend einen Einstieg in die Interventionsmöglichkeiten der So­zialen Arbeit zur Verbesserung von (sozial)prekären Lebenssituationen der Armut in Familien zu bekommen, soll vorab kurz ein geschichtlicher Einblick über die Soziale Arbeit und deren Umgang mit der Armut angeris­sen werden. Um aufzuzeigen, ob die Soziale Arbeit überhaupt in der Lage ist, bei Ar­mut und sozialer Ausgrenzung in Familien zu intervenieren, soll darauf folgend ihr Handlungsauftrag, ihre Anforderungen und ihre gegen­wärtigen Rahmenbedingungen in diesem Arbeits- und Problemfeld er­schlossen werden. Zum Abschluss dieses Teils sollen dann mögliche Wege aus der Armut bzw. zur Verbesserung von (sozial)prekären Le­benssituationen für Familien durch sozialarbeiterische Interventionen aufgezeigt werden, um die dritte Fragestellung hinreichend beantworten zu können.

Jeweils unter den einzelnen Kapiteln soll eine kurze Zusammenfassung den wesentlichen Inhalt dieser Arbeit wiedergeben. Abschließend erfolgen die Schlussfolgerungen, welche das Ergebnis der vorliegenden Arbeit aus meiner Sicht, einer angehenden Diplom Sozialarbeiterin/Sozialpädagoin, resümieren sollen.

2 Das Armutsverständnis der Moderne

Armut ist ein Begriff, zu dem fast jeder Mensch einen Bezug oder sich zumindest eine Vorstellung oder Meinung gebildet hat. Doch summiert wird man aus dem resultierenden Ergebnis der Darstellung der Bezüge, Vorstellungen und Meinungen kein einheitliches Armutsverständnis erhalten. Selbst in der Fachliteratur spiegelt sich die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung und der Theoriebildung von Armut wieder. Trotz allem soll im folgenden Kapitel eine Annäherung an den Armutsbegriff dargelegt werden, um eine Antwort auf die Frage: „Was verstehen wir in unserer heutigen Gesellschaft unter prekären Lebenssituationen der Armut?“ zu erhalten.

2.1 Begriffsfindung von Armut

Bei der Begriffsfindung von Armut kann vorweggenommen werden, dass es keine einheitliche Definition davon gibt, wo genau Armut in einer Wohlstandsgesellschaft (welcher die Bundesrepublik Deutschland ange­hört) anfängt und wo sie aufhört. Diese Aussage kann ebenfalls aus un­zähliger Fachliteratur entnommen werden. Dass es keine einheitliche Armutsdefinition gibt, liegt wie von Ernst-Ulrich Huster, Jürgen Boeckh und Hildegard Mogge-Grotjahn geschildert mitunter daran, dass die „Ge­schichte und Gegenwart der Armut, ihre Wahrnehmung und Deutung sowie der eingeschlagenen Wege, sie zu bekämpfen, Zeitströmungen und Konjunkturen unterliegt. Diese spiegeln sich, mitunter widersprüchlich, in theologischen und sozialethischen Schriften, in der Belletristik wie in ande­ren Ausdrucksformen der Kunst, in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in den Sozialwissenschaften als auch in den Humanwissenschaften und selbstverständlich in der politischen Analyse staatlichen Handelns von der Kommune bis hin zu supranationalen Institutionen wider.“[2]

Bevor nachgehend auf die verschiedenen Armutsdefinitionen eingegan­gen wird, werden zum besseren Verständnis die Begriffe der absoluten und relativen Armut erläutert, da diese inhaltlich in zahlreichen Armutsde­finitionen ohne Erklärung aufgegriffen werden, aber in ihrer Aussage grundlegende Auswirkung auf die Begriffsbestimmung von Armut haben.

2.2 Absolute und relative Armut

Absolute Armut bezeichnet einen Mangelzustand, der es nicht erlaubt, die physische Existenz dauerhaft zu sichern. Die Armutsgrenze ist identisch mit dem Unterschreiten der zur physischen Existenz notwendigen Güter. Gemeint sind hiermit insbesondere ein Mangel an Mitteln zur Ernährung, für Kleidung, Unterkunft und der Gesundheitsfürsorge.[3]

Unter relativer Armut werden Personen und Haushalte verstanden, deren Einkommen unterhalb einer Einkommensgrenze liegt, die in Relation zu einem durchschnittlich verfügbaren Einkommen aller Haushalte eines jeweiligen Landes bestimmt wird. Konkretisiert wird die Armutsgrenze durch eine Abstufung des Abstandes zum Durchschnittseinkommen. Im Regelfall mit 50% oder 60% des haushaltsgewichteten Durchschnitts-einkommens (Mittelwert) eines Landes.[4]

Absolute und relative Armut stellen grundlegende Ansätze der Armuts-messung dar. Es ist umstritten, welcher der beiden Begriffe als Maßstab zur Begriffsdefinition angewendet wird, d.h. ob Armut als absoluter oder relativer Begriff anzusehen ist. In der Armutsforschung wird von vielen Autoren u.a. Werner Hübinger, Ernst-Ulrich Huster und Beate Werth in Frage gestellt, ob eine exakte Trennung zwischen absoluter und relativer Armut überhaupt möglich ist. Es wird diesbezüglich mehrfach kritisch angemerkt, dass es fraglich sei, physische Existenz sichernden Bedarf (wie Nahrung und Kleidung) von einem übrigen Bedarf ungeachtet der geographischen, sozialen und kulturellen Umstände einer Gesellschaft abzukoppeln und zu bewerten. Ein Mensch, der seine physische Existenz nicht sichern kann, wird gleichermaßen auch von „normalen“ ökonomi­schen, kulturellen, sozialen sowie Bildungs- und Arbeitsbedingungen Lebenszusammenhängen einer jeweiligen Gesellschaft ausgeschlossen.[5] Hieraus wird deutlich, dass Armut im mehrfachen Sinne relativ zu werten ist. Armut kann somit nur in Relation zu den Bedürfnissen und den Mög­lichkeiten eines Menschen in seiner jeweils zugehörigen Gesellschaft betrachtet werden. Darüber hinaus gilt die absolute Armut in Deutschland als weitgehend überwunden. Die Armutsforschung in Deutschland setzt sich aus diesem Grund derzeit überwiegend mit dem Konzept der relati­ven Armutsgrenze auseinander.[6]

Da in Deutschland die Begriffsbestimmung der Armut in den meisten Fällen auf der relativen Armutsgrenze beruht, werden nachgehend zwei theoretische Konzepte relativer Armutsmessung vorgestellt.

2.2.1 Theoretische Konzepte relativer Armut

Legt man in der Armutsuntersuchung das Konzept der relativen Armut zugrunde, so bestehen zwei grundlegende Alternativen zur Präzisierung: der Ressourcenansatz oder der sogenannte Lebenslagenansatz der Armut. Beide Ansätze stellen den Rahmen zur Festlegung von relativer Armutsmessung dar.

Der Ressourcenansatz

Der Ressourcenansatz zählt gegenwärtig zu dem am zahlreichsten ver­wendeten Ansatz der Armutsmessung. Die Messgröße stellen hier die fi­nanziellen Ressourcen dar, welche im Wesentlichen aus der Teilnahme am Erwerbsleben, als Lohn, Einkommen oder Gewinnen resultieren. Es wird davon ausgegangen, dass erst durch die finanziellen Ressourcen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleistet wird. Das Einkommen dient demzufolge als stellvertretende Größe zur Messung von Armut.[7] In diese Armutsmessung zählen alle verfügbaren monetären Ressourcen, wie z.B. Vermögen, Arbeitsentgelte, öffentliche oder private Transferein­kommen (u.a. Arbeitslosen- oder Wohngeld, Erziehungs- oder Kindergeld, Unterhaltsleistungen, Renten) sowie Erträge aus Vermögensbesitz.[8]

Der Lebenslagenansatz

Laut Werner Hübinger beschreibt Gerhard Schäuble den Begriff Lebens­lage wie folgt: „Lebenslage ist der durch die gesellschaftlichen (ökonomischen, sozialen und kulturellen) Strukturen abgesteckte individu­elle Spielraum zur Entfaltung und Befriedigung von existentiellen Bedürfnissen. Die Lebenslage umreißt also die sozialen Chancen eines Individuums in der Gesellschaft.“[9]

Bei dem Lebenslagenansatz müssen folglich für alle Individuen einer Gesellschaft für jede Beträchtlichkeit einer Lebenslage Mindeststandards bestimmt werden. Diese müssten dann für alle, die in prekäre Lebenssitu­ationen geraten, zugänglich gemacht und dürften in ihrem Umfang nicht unterschritten werden. Dies würde beispielsweise ein zugängliches Min­destmaß für alle Individuen einer Gesellschaft an Nahrung, Bekleidung, allgemeiner und beruflicher Bildung sowie Betreuung für Kinder bedeuten. Darüber hinaus müsste unter anderem eine Mindestversorgung mit Wohn­raum, Wohnungsausstattung, ärztlichen und pflegerischen Leistungen im Krankheitsfall und ein Mindestmaß der Beteiligung nachbarschaftlicher, gesellschaftlicher, kultureller und politischer Aktivitäten gewährleistet werden. Das Unterschreiten eines oder mehrerer dieser Mindeststandards würde die Bedingung als „arm“ eingestuft zu werden und darüber hinaus möglicherweise einen Indikator für die Notwendigkeit sozialpolitischer Gegenmaßnahmen darstellen.[10]

In den letzten Jahren wurde verstärkt auf das Lebenslagenkonzept zurückgegriffen. Aber die Festlegung einer Armutsgrenze, die allein auf dem Lebenslagenansatz beruht, ist bislang noch nicht verwirklicht worden. Hierzu müssten in noch zu bestimmenden zentralen Lebensbereichen Mindeststandards zugrunde gelegt werden und dem wirtschaftlichen Wachstum, welches den Lebensstandard in einer Gesellschaft erhöhen kann, in regelmäßigen Abständen angepasst werden. Armut mehrdimen-sional als Häufung von Unterversorgung und Benachteiligung zu differenzieren und Mindeststandards festzulegen, scheint weder theoretisch noch empirisch möglich zu sein.[11] Aus der Sicht von Werner Hübinger „(…) scheint die Kombination von Ressourcen und Lebensla­genansatzes (vielversprechender, denn VW) das Schlüsselmerkmal von Armut ist und bleibt das Unterschreiten einer Einkommensgrenze. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Armut werden aber erst sichtbar, wenn wichtige Lebensbereiche derjenigen, die eine Einkom­mensgrenze unterschreiten, beachtet werden.“[12]

2.3 Armutsdefinitionen

Nachgehend werden verschiedene Armutsdefinitionen dargestellt, welche zwar nicht zur Allgemeingültigkeit erklärt worden sind, aber dennoch in vielen Bereichen der Armutsforschung zitiert oder in ähnlicher Form angeführt werden.

Die erste Definition von Armut ist von den Eu-Mitgliedsstaaten festgelegt worden. Sie stellt die am häufigsten verwandte Definition in Fachliteratur, Artikeln und Veröffentlichungen dar. Laut einem Bericht aus Brüssel, der in der Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch veröffentlicht wurde, haben die EU-Mitgliedsstaaten 1984 eine Definition festgelegt, nach der jene Einzelpersonen, Familien und Personengruppen als verarmt anzuse­hen sind, die über zu geringe Mittel (materielle, soziale und kulturelle) verfügen, sodass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in welchem sie leben, als Minimum annehmbar ist.[13]

Im Umfang erweitert ist eine Definition zu Armut im Politiklexikon von Klaus Schubert und Martina Klein zu finden: „Armut ist eine Situation wirt­schaftlichen Mangels. Zu unterscheiden sind: 1) Objektive Armut - d.h. einzelne Personen, Gruppen oder (Teile von) Bevölkerungen sind nicht in der Lage, ihr Existenzminimum aus eigener Kraft zu bestreiten.

2) Subjektive Armut – (diese VW) liegt vor, wenn ein Mangel an Mitteln, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen, empfunden wird.

3) Absolute Armut - bedroht die physische Existenz von Menschen unmit­telbar (bspw. durch Verhungern oder Erfrieren) oder mittelbar (bspw. auf­grund mangelnder gesundheitlicher Widerstandskraft).

4) Relative Armut - d.h. das Unterschreiten des soziokulturellen Existenz­minimums (oft gleichgesetzt mit der Bedrohung der Menschenwürde).

Hauptursache zunehmender Armut in Deutschland, insbesondere in Form der Alters-, Frauen-, Kinder-Armut, ist die hohe Arbeitslosigkeit.“[14]

Die Universität Salzburg hat im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema Armut die Frage, „Was ist Armut?“ mit folgender Definition als Ergebnis ihrer Arbeit[15] beantwortet: „Armut ist die relative strukturelle Ausgrenzung von Menschen bzw. Menschengruppen, die sich in einer ungerechten Verteilung des Zugangs zu materiellen und immateriellen Gütern manifestiert, und als solche ein Mangel an Entscheidungsfreiheit, um diejenigen Fähigkeiten auszubilden und Möglichkeiten zu nutzen, die nötig sind, um für sich und die in seiner/ihrer Verantwortung stehenden Personen eine Grundsicherung zu gewährleisten, unfreiwillige strukturelle und zumindest latent leidvoll erfahrene Exklusion zu vermeiden und im Vergleich zu dem soziokulturellen Umfeld eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.“[16]

Auch der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung[17] hat sich mit der Begrifflichkeit und Bestimmung von Armut auseinandergesetzt und seine Festlegungen später in die erstellten Folgeberichte der Bundesregierung übertragen. Aus diesen Berichten der Jahrgänge 2001, 2004 und 2008 geht hervor, „Armut ist ein gesellschaftliches Phänomen mit vielen Gesichtern. Es entzieht sich deshalb einer eindeutigen Messung.“[18] Armut ist durch diese Aussage folglich an Beurteilungs-maßstäbe gebunden, die auf bestimmten Konventionen beruhen wie z.B. durch die gesetzliche Festlegung der Sozialhilfegesetze.[19] Darüber hinaus ist aber auch die subjektive Empfindung von Armut, der betroffenen Personen selbst, als Indikator des (empfundenen) Armutsausmaßes anzusehen.[20] Die Armuts- und Reichtumsberichte greifen in ihrer Bestimmung und Festlegung (bei der Messung monetärer vereinbarter Mittel auf den relativen Armutsrisikobegriff) der Armut auf die zwischen den EU-Mitgliedsstaaten vereinbarte Definition der „Armutsrisikoquote“ zurück. Diese „bezeichnet den Anteil der Personen in Haushalten, deren bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60% des Mittelwertes (Median) aller Personen beträgt.“[21]

Markus Kurth, Mitglied des Deutschen Bundestags, begründet diese Festlegung wie folgt: „In wohlhabenden Industrienationen ist die Verwen­dung eines relativen Armutsbegriffs sinnvoll, da das durchschnittliche Wohlstandsniveau wesentlich über dem physischen Existenzminimum liegt. Mit einem relativen Armutsbegriff wird Armut als eine auf den mittle­ren Lebensstandard bezogene Benachteiligung aufgefasst. Die Höhe des Einkommens wird als zentraler Indikator für den Lebensstandard oder die Lebensqualität gesehen. Auch wenn der Bericht Armut als eine mehrdi­mensionale, also nicht nur finanzielle Benachteiligung darstellt, lässt sich von den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln indirekt auf das Maß an gesellschaftlicher Teilhabe schließen.“[22]

Gerd Iben beschreibt Armut als „Kumulation von Unterversorgungsberei­chen materieller, sozialer und psychischer Art.“[23] Diese Definition stellt eine vereinfachte Form der Armutsbeschreibung dar, die viele Faktoren, welche Armut bedingt, einschließt. Bei der Definition von Gerd Iben sowie auch in den vorangegangenen Definitionen werden aber individuelle Auf­fassungen und Einstellungen bei der Bildung von Armutsdefinitionen nicht berücksichtigt. Diesbezüglich sollen zwei nachgehende Sichtweisen zum Begriff Armut von Wolf Wagner und Ronald Lutz vorgestellt werden, wel­che eine andere oder auch umfassendere Sichtweise auf das Armutsver­ständnis liefern können.

Wolf Wagner vertritt den Standpunkt, dass mit dem Begriff Armut meist stark voneinander abweichende moralische, politische oder wirtschaftliche Interessen verbunden werden. Diese unterschiedlichen Auffassungen führen zu sehr gegensätzlichen Bewertungen, Definitionen und Maßnah­men. Aus diesem Grund muss nach Wolf Wagner jede bewusste und durch alle denkbaren methodischen Vorkehrungen, Parteilichkeit vermie­den werden, um einen wissenschaftlichen Armutsbegriff, der seinen (wissenschaftlichen) Namen verdient, zu erhalten. Ein weiterer interes­santer Betrachtungspunkt in Wolf Wagners Ausführungen ist die Betrachtung des relativen Armutsbegriffs. Wenn dieser als relativ zu betrachten ist, dann könnte man ebenso die Armutsdefinition dem subjek­tiven Gefühl der Gesellschaft anpassen und nach dieser gesellschaftlichen subjektiven Stimmigkeit anwenden.[24]

Diese Aussage bekräftigt in ähnlicher Form auch Ronald Lutz. Nach ihm ist Armut als ein moralischer, wertender und damit vielleicht sogar als ein überforderter Begriff zu verstehen, welcher betroffene Personen zu einer bestimmten gesellschaftlichen Kategorie zusammenfasst. Ein Problem hierbei ist, dass die zusammengefasste Personengruppe bei weitem nicht alle die gleichen Merkmale oder Zugehörigkeiten aufweisen müssen. Der Begriff hat somit das Problem, dass er gesellschaftlich wie auch politisch für verschiedenste Aussagen, Zuschreibungen, Feststellungen etc. her­halten muss und erscheint damit überaus dehnbar. Sicher scheint nach Ronald Lutz aber, dass ein Leben deutlich unterhalb des gegebenen Wohlfahrtsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland ein eingeschränk-tes und auf diese Weise auch ausgegrenztes Leben ist bzw. werden kann.[25]

Parteilich, wertend und dehnbar in seiner Auslegung ist der Armutsbegriff zweifellos durch die vorherrschende Gesellschaft, ihrer Geschichte und daraus resultierende gegenwärtigen Einstellungen und Wahrnehmung. Armut, ihre Wahrnehmung, Wertung und Folgen entstehen in vielseitiger und komplexer Form. Doch welche Ursachen sind finanzieller, sozialer und kultureller Armut zuzuschreiben? Diese Frage bleibt nicht aus, wenn man ein genaueres Bild vom Verständnis unserer heutigen Gesellschaft von prekären Lebenssituationen der Armut erhalten möchte.

Für die Ursachen der Armut findet sich in der Fachliteratur eine Vielzahl von Ansätzen, Theorien und Konzepten zur Entstehung von Armut. Es soll nachgehend auf einzelne Erklärungskonzepte für die Ursachen von Armut eingegangen werden, die für diese Arbeit denkbar relevant sein könnten.

2.4 Möglichkeiten der Entstehung von Armut

Armut wurde im früheren Verständnis der Gesellschaft als eine Ursache betrachtet, die in der Familie regelrecht von Generation zu Generation so­zial weiter vererbt wurde. Folglich ergab sich hieraus eine Langzeitarmut, aus der sich nur sehr geringe Ausstiegsperspektiven ergaben. Mitte der siebziger Jahre hat sich dieses Bild der sogenannten „Alten Armut“ lang­sam gewandelt. Das heutige Verständnis der sogenannten „Neuen Armut“ ist immer weniger ein Problem betroffener sozialer Milieus, sondern ein Problem, das alle treffen kann. Die „Neue Armut“ stellt somit ein Problem für die von Armut betroffenen Individuen dar, in der die Dauer der Armut nicht mehr zwingend „Langzeitarmut“ bedeutet und folglich auch viele Wege aus ihr führen können.[26] Bis heute gibt es dennoch, wie auch schon bei der Bestimmung des Armutsbegriffs, kein einheitliches Modell für die Erklärung der Ursachen von Armut. Auch die Fachliteratur gibt wieder eine Vielzahl an Konzepten, Ansätzen und Theorien her, welche die Ursachen und Möglichkeiten der Entstehung von Armut aufführen. Dies ist häufig so umfangreich und unterschiedlich in seinen Ansätzen und Fokussierungen beschrieben, sodass keine Aussicht besteht, alle Eventualitäten der Ursa­chen von Armut zu berücksichtigen. Aus diesem Grund werden nachge­hend nur einige der Möglichkeiten, welche Ursachen für das Auftreten von Armut sein können, aufgeführt.

Zu Anfang dieser Ausführungen sollen Richard Hauser und Udo Neumann stehen, welche die Ursachen für die Armutserklärung in vier Bereiche zusammenfassen:

- Funktionsdefizite am Arbeitsmarkt (Mängel der Lohnstruktur, des Angebots an Arbeitsplätzen und der Weiterbildungsangebote),
- schwächen des sozialen Sicherungssystems (Mängel bei der Absicherung sozialer Risiken und bestimmter Bevölkerungsgruppen sowie ungenügende monetäre Leistungen),
- Verfügbarkeitsdefizite der staatlichen und sozialen Infrastruk­tur (Mängel des Angebots von Gütern und Diensten, welche die struktu­relle Vorraussetzungen für soziale Integration und Versor­gung darstellen, wie z.B. Kinderbetreuung, Bildungsangebote, und Gesundheitsversorgung),
- das individuelle Verhalten (demographische und generative Umwäl­zungen, individuelle Anpassungsleistungen wie z.B. die Be­reitschaft zur Qualifizierung, Integration ins Erwerbsarbeitssystem und Akzeptanz der rechtlichen Ordnung).[27]

In jedem dieser vier Bereiche können Funktionsdefizite und Ursachen­komponenten herausgearbeitet werden (z.B. ein schlechter Schulab­schluss kann zu einem gering bezahlten Arbeitsplatz führen, wodurch am Monatsende kein Geld mehr für Lebensmittel, öffentliche Verkehrsmittel, Arztbesuche und Freizeitgestaltung vorhanden ist). Hierbei ist aber zu be­achten, dass die entstehenden Defizite der Betroffenen nicht zu individua­lisieren und als alleinige Ursachenerklärung von Armut anzusehen sind. Die Armutsentstehung ist nur im Zusammenspiel von systembedingten Faktoren (Arbeitsmarkt, sozialem Sicherungssystem und soziale Infra­struktur) und den individuellen Faktoren zu begreifen.[28] Werner Hübinger begründet dies wie folgt: „es sind die „risikobelasteten“ Individuen, die in einer sozialen und gesellschaftlichen Umgebung leben, die Armut hervor­bringt (durch Arbeitslosigkeit) und sie nicht ausreichend bekämpft (mit Mitteln der Sozialpolitik).“[29] Hervorgehoben wird überdies, dass die genannten Ursachenkomplexe nicht zwingend Auslöser von Armut sind, sondern spiegelbildlich auch aus einer Armutslage resultieren können. Die Ursachen enthalten eine Vielzahl von verschiedenen Elementen, die überproportional auftreten und wirken können, d.h. neben Arbeitslosigkeit kommt es z.B. zu familiären Problemen oder zur Isolation von der Außenwelt.[30]

Um diese Verwebungen von Ursachen aus denen Personen in Armut geraten sowie der daraus resultierenden unterschiedlichen Formen des Ausmaßes an Armut zu verdeutlichen, eignet sich das Buch: „Leben in Armut: Analysen der Verhaltensweisen armer Haushalte“ von Hans-Jürgen Andreß. Er erkannte und beschrieb in diesem Buch Armutsrisiken, die sich durch demographische und arbeitsmarktbezogene Begebenheiten einstellen und unter Umständen dauerhaft bestehen bleiben. Lebensläufe, die von Veränderungen und nicht kalkulierbaren Ereignissen betroffen sind wie beispielsweise Verlust des Arbeitsplatzes, Verrentung, Geburt eines Kindes, Ausfall eines Ernährers, Trennung oder Scheidung eines Paares, aber auch Krankheit steigern das Armutsrisiko betroffener Haus­halte. Die in die Lebensverhältnisse eingreifenden Veränderungen werden von den Betroffenen nicht nur als objektive Realitäten, sondern auch subjektiv als Bedrohung ihrer bisherigen Lebensexistenz wahrgenommen. Derartige Existenzängste können Armutsverläufe aufgrund resultierender Antriebslosigkeit, Ohnmachtsgefühle und Resignation usw. stark beein­flussen.[31] In diesem Zusammenhang werden folgend drei mögliche Arten des Armutsverlaufes beschrieben:

- Die Verfestigungsthese bezeichnet den dauerhaften Verbleib in Armut und geht davon aus, dass die individuellen, institutionellen und/oder die gesellschaftlichen Folgen von Armut gleichzeitig die Ursachen sind die zu einer Verfestigung von Armut führen. Gesprochen wird dabei z.B. von kontraproduktiven Verhaltens-weisen und Einstellungen, sozialer Kontrolle und Ausgrenzung, Stigmatisierung oder generationsbedingter Weitergabe von Armut an die hineingeborenen Kinder.
- Einen anderen Erklärungsversuch kennzeichnet die Lebenszyklus­these . Hier besteht die Vorstellung, dass Haushalte nur in bestimmten Phasen ihres Lebens von Armut betroffen sind. Es existieren demnach Abweichungen im Lebenslauf, die das Armuts­risiko steigern wie z.B. die Geburt des ersten und jedes weiteren Kindes, Scheidung, Verwitwung sowie die Verlängerung der Aus­bildungszeit.
- Kernaussage der Individualisierungsthese ist, dass sich Armutsur­sachen und Armutsverläufe immer mehr vervielfältigen verändern sowie individualisieren, was zu einer wachsenden Heterogenität der Armutspopulationen führt. Armut war einst ein Kollektivproblem, wird aber nach dieser These mehr und mehr zum Problem des Individuums.[32]

Aus der Fachliteratur können vielzählige Armutstheorien entnommen wer­den, welche in die bisher geschilderten Erklärungsmodelle, der Ursachen von Armut, sinngemäß zugeordnet werden können. Dies soll nachstehend anhand dreier Beispiele von Armutstheorien verdeutlicht werden.

Ökonomische Theorien können auf die Defizite in der Infrastruktur, welche im Erklärungsmodell von Werner Hübinger wieder zu finden sind, bezogen werden. Ökonomische Theorien gehen prinzipiell davon aus, dass Armut durch geringes Wirtschaftswachstum entsteht.[33] Armutsbekämpfung kann nach diesen Theorien wie von Renate Böhm, Robert Buggler und Josef Mautner beschrieben, nur durch „(…) Wirtschaftswachstum, mehr Handel und dem damit verbundenen Abbau von Handelshemmnissen, der Stär­kung der Außenwirtschaft, also des Exports, und der Produktion und Erstellung von Dienstleistungen im Land erfolgen.“[34] Bei genauerer Be-trachtung dieser Theorie ist die gerechte Verteilung von wirtschaftlichen Vermögenswerten in Frage zu stellen. Denn selbst wenn ein Land eine optimale wirtschaftliche Auslastung erfährt, wird es immer eine ungleiche Verteilungspolitik geben, da u.a. Einkommen immer von den Ausgangspo­sitionen (z.B. Schulbildung, Berufsausbildung, Talente) eines Menschen abhängig sein werden und dies auch bei optimaler Wirtschaftsauslastung zu finanziellen Ungleichgewicht führen kann.

Die marxistische Klassentheorie bzw. Schichtungstheorie ist auf die beiden vorangegangenen Erklärungsmodelle zurückzuführen. Diese Theo­rie führt die Entstehung von Armut auf einen Mangel am Arbeitsmarkt zurück. Die Grundannahme dieser Theorie ist, dass moderne „Industrie­gesellschaften“ Arbeitergesellschaften darstellen. Die Position oder auch Stellung eines Individuums wird in der Klassentheorie primär über seine jeweilige Stellung im gesellschaftlichen Arbeits- und Produktionsprozess bestimmt.[35] Die Erwerbstätigkeit nimmt hier ebenfalls, wie in den Erklä­rungsansätzen von Werner Hübinger und Hans Jürgen Andreß, einen zentralen Platz zur Sicherung des Lebensunterhaltes ein. Die Sicherung des Lebensunterhaltes wird auch in den Ausführungen dieser Theorie mit einer starken Beeinflussung der Lebensumstände und Chancen eines Individuums innerhalb einer Gesellschaft verbunden. Dennoch kann die Klassen- und Schichtungstheorie in ihrer aktuellen Gültigkeit in Frage ge­stellt werden. Die Bestimmung einer Klassen- oder Milieuzugehörigkeit ist heutzutage doch vielmehr abhängig von Komponenten des individuellen ökonomischen, kulturellen, sozialen und demographischen Kapitals eines Individuums, als rein von der Stellung im gesellschaftlichen Arbeits- und Produktionsprozess auszumachen.[36]

Laut Ronald Lutz, beschrieb Oscar Lewis, dass entstehen von Armut in der Theorie: Die „Kultur der Armut“. Diese besagt: „Die Armut (…) ist eine bemerkenswert, stabile und beständige Lebensform, die sich in den Fami­lien von Generation auf Generation (weiter VW) vererbt.“[37] Auch diese Theorie lässt sich in den vorangegangenen Erklärungskonzepten der Armut wieder finden. Doch steht die Vererbung von Armut im Widerspruch zum heutigen Verständnis der „Neuen Armut“, in der individuelle Verläufe sowie Chancen in und aus der Armut bestehen.[38]

Aus den vorangegangenen Zusammenfassungen von Werner Hübinger, Hans-Jürgen Andreß und den drei geschilderten Beispiel Theorien der Ursachen für das Auftreten von Armut werden ersichtlich, dass es keine einheitlichen Erklärungsmodelle geben kann. Dies verdeutlicht ebenfalls Werner Hübinger: „Eine Ursache erklärt keine Armut. Als Ursache können die unmittelbar zur Armutssituation führenden Ereignisse bezeichnet werden“[39], welche wiederum auch vom Arbeitsmarkt, sozialen Sicherungs-system und von sozialer Infrastruktur sowie dem individuellen Verhalten, dem sozialen Umfeld und der Gefühlslage bestimmt werden.

Im Anschluss sollen die Begriffe „Soziale Ausgrenzung“ und „Prekäre Lebenslagen“ thematisiert werden, da diese in der heutigen Zeit fast immer mit dem Begriff der Armut einhergehen und daher unerlässlich für die Klärung des gegenwärtigen Armutsverständnisses sind.

2.5 Armut und soziale Ausgrenzung

Armut und soziale Ausgrenzung stehen meist in einem Kontext. Von ihren Bedeutungen ausgehend sind sie aber zwei verschiedenartige Begriffe. Armut stellt den älteren Begriff dar. Er hat in allen philosophischen und religiösen Traditionen, Theorien sowie deren Geschichte einen wesentli­chen Stellenwert und ist in heutige Gesellschaftsanalysen, politische Handlungsweisen und in öffentliche Diskurse eingegangen. Der Begriff „Soziale Ausgrenzung“ ist erst in den letzten Jahren im Rahmen der Armutspolitik der Europäischen Union zum Standard geworden[40] und bezieht sich auf ähnliche Sachverhalte wie die Begriffe „underclass“ (US-amerikanischer Ursprung) und „exklusion“ (französischer Ursprung). Ge­meint ist ein extremer und dauerhafter Zustand der Diskriminierung, Unterversorgung oder Isolation, deren unterschiedliche Formen und Prozesse zu einem weitgehenden Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben führen bzw. führen können (z.B. Integration, soziale Benachteili­gung).[41] Soziale Ausgrenzung lenkt somit den Blick auf unterschiedliche Formen der Ausgrenzung, die neben der Ausgrenzung am Arbeitsmarkt auch die Ausgrenzung in ökonomischer, kultureller, sozialer, räumlicher und institutioneller Form berücksichtigt. Soziale Ausgrenzung bezieht sich hierdurch auf neu akzentuierte soziale Probleme, die neben der Dimen­sion der materiellen Not auch die sozialen Probleme der Betroffenen umfasst.[42]

[...]


[1] Vgl. Ernst-Ulrich, Huster / Jürgen, Boeckh / Hildegard, Mogge-Grotjahn: Armut und soziale Ausgrenzung. Ein multidisziplinäres Forschungsfeld. In: Ernst-Ulrich, Huster / Jürgen, Boeckh / Hildegard, Mogge-Grotjahn (Hrsg.): Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. Wiesbaden 2008, S.18.

[2] Ebd., S. 14.

[3] Vgl. Richard, Hauser / Udo, Neumann: Armut in der Bundesrepublik Deutschland. Die sozialwissenschaftliche Thematisierung nach dem zweiten Weltkrieg. In: Stephan, Leibfried / Wolfgang, Voges (Hrsg.): Armut im modernen Wohlfahrtsstaat. Opladen 1992, S. 245f.

[4] Vgl. Beate, Werth: Alte und Neue Armut in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1991, S. 15.

[5] Vgl. Werner, Hübinger: Prekärer Wohlstand. Neue Befunde zu Armut und sozialer Ungleichheit. Freiburg im Breisgau 1996, S. 56.

[6] Vgl. Udo, Neumann: Struktur und Dynamik von Armut. Eine empirische Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland. Freiburg im Breisgau 1999, S. 24f.

[7] Vgl. Ernst-Ulrich, Huster: Armut in Europa. Band 58, Opladen 1996, S. 23.

[8] Vgl. Hübinger, a.a.O., S. 60.

[9] Ebd., S. 64.

[10] Vgl. Anton, Rauscher (Hrsg.): Armut im Wohlfahrtsstaat. Bachem in Köln 1987, S. 16.

[11] Vgl. Hübinger, a.a.O., S. 68.

[12] Ebd., S. 68.

[13] Vgl. Europäische Union: Mitteilungen. Bericht aus Brüssel. Armut und soziale Ausgrenzung in der Europäischen Union. In: ZFSG/SGB. Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch 11/1998, S. 677f.

[14] Klaus, Schubert / Martina, Klein: Das Politiklexikon. 3. Auflage, Bonn 2003, S. 25.

[15] Mit der Anmerkung, dieser Definitionsvorschlag ist ein Anfang, stellt aber keinen Endpunkt dar. Auch wenn diese Definition als Ergebnis einer gemeinsamen Suche und somit als vorläufiges Resultat eines Diskussionsprozesses präsentiert wird.

[16] Renate, Böhm / Robert, Buggler / Josef, Mautner: Working Papers. Arbeit am Begriff Armut. Salzburg 2003, S. 6. Online im Internet/URL: http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/479475.PDF. Last updated: o.J., Zugriffsdatum: 06.11.2008.

[17] Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung am 27. Januar 2000 damit beauf-tragt, einen Armuts- und Reichtumsbericht zu erstellen. Der erste Bericht der Bundesregierung hatte das Ziel, ein differenziertes Bild über die soziale Lage in Deutschland zu geben. Die Berichterstattung sollte dazu beitragen, materielle Armut und Unterversorgung sowie Strukturen der Reichtumsverteilung zu analysieren und Hinweise für die Entwicklung geeigneter politischer Instrumente zur Vermeidung und Beseitigung von Armut, zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verminderung von Polarisierungen zwischen Arm und Reich zu geben. Darüber hinaus sollte durch den Bericht dazu beigetragen werden, die Diskussion über „Armut" und „Reichtum“ zu versachlichen und zu enttabuisieren. (Vgl. BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung) (Hrsg.): Lebenslagen in Deutschland. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Köln 2001, S. XIV).

[18] BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (Hrsg.): Lebenslagen in Deutschland. Dritter Armuts- und Reichtumsbericht. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Köln 2008, S. 12.

[19] Vgl. Teresa, Kulawik: Familien in Armut. Zur gesellschaftlichen Ausgrenzung von Frauen und Kindern. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Wie geht´s der Familie? Ein Handbuch zur Situation der Familien heute. München 1988, S. 251.

[20] Vgl. Hans-Jürgen, Andreß: Leben in Armut. Analysen der Verhaltensweisen armer Haushalte mit Umfragedaten. Opladen 1999, S. 78.

[21] Markus, Kurth: 2. Armuts- und Reichtumsbericht. Darstellung der Kabinettsfassung vom 3. März 2005, S. 4. Online im Internet/URL: http://www.gruene-linke.de/wp-content/uploads/2008/08/05-03-04_ergebnisse_armutsbericht_markus-kurth.pdf. Last updated: o.J., Zugriffsdatum: 11.01.2009.

[22] Ebd., S. 4.

[23] Gerd, Iben: Zur Definition von Armut. Bestimmungsgrößen von Armut - "Kultur der Armut". In: Blätter der Wohlfahrtspflege 11-12/1989, S. 277.

[24] Vgl. Wolf, Wagner: Armut, eine Positionsbestimmung. In: Ronald, Lutz / Matthias, Zeng (Hrsg.): Armutsforschung und Sozialberichterstattung in den neuen Bundesländern. Opladen 1998, S. 30 - 37.

[25] Vgl. Ronald, Lutz: Kinder, Kinder…! Bewältigung familiärer Armut. In: Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit , Sozialpädagogik und Sozialpolitik 1/2004, S. 41.

[26] Vgl. Ronald, Lutz: Kultur der Armut oder Armut der Kultur? Die „Vergessenen der Wende“. In: Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit , Sozialpädagogik und Sozialpolitik, 4/1995, S. 392f.

[27] Vgl. Hauser / Neumann, a.a.O., S. 249.

[28] Vgl. Hübinger, a.a.O., S. 77.

[29] Ebd., S. 77.

[30] Vgl. ebd., S. 77f.

[31] Vgl. Andreß, Leben in Armut, a.a.O., S. 186f.

[32] Vgl. ebd., S. 187f.

[33] Vgl. Böhm / Buggler / Mautner, a.a.O., S. 33.

[34] Ebd., S. 33.

[35] Vgl. Ga´bor M., Hahn: Sozialstruktur und Armut in der nach-fordistischen Gesellschaft. In: Jens S., Dangschat (Hrsg.): Modernisierte Stadt – gespaltene Gesellschaft. Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung. Opladen 1999, S. 184.

[36] Vgl. ebd., S. 184 – 190.

[37] Lutz, Kultur der Armut oder Armut der Kultur? - Die „Vergessenen der Wende“, a.a.O., S. 394.

[38] Vgl. hierzu auch S. 12f.

[39] Hübinger, a.a.O., S. 77.

[40] Vgl. Huster / Boeckh / Mogge-Grotjahn, a.a.O., S. 13f.

[41] Vgl. Michael, Wagner: Soziale Ausgrenzung. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit. 6. Auflage, Baden-Baden 2007, S. 842.

[42] Vgl. Hans-Jürgen, Andreß: Armut in Deutschland: Prozesse sozialer Ausgrenzung und die Entstehung einer neuen „Underclass“? In: Felix, Büchel / Martin, Diewald / Peter, Krause / Antje, Mertens / Heike, Solga (Hrsg.): Zwischen drinnen und draußen. Arbeitsmarktchancen und soziale Ausgrenzungen in Deutschland. Opladen 2000, S. 35f.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Einfluss von Armut auf Familien in prekären Lebenssituationen
Untertitel
Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit
Hochschule
Fachhochschule Erfurt
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
102
Katalognummer
V132380
ISBN (eBook)
9783640381326
ISBN (Buch)
9783640380961
Dateigröße
1831 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Armut, Familien, sozialarbeiterische Interventionen bei Armut
Arbeit zitieren
Veronika Wehner (Autor:in), 2009, Einfluss von Armut auf Familien in prekären Lebenssituationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132380

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