Der demographische Wandel und seine Folgen - ausgewählte Beispiele in einer Betrachtung anhand des rheinland-pfälzischen Landkreises Vulkaneifel (Daun)


Hausarbeit, 2005

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bevölkerungswissenschaft und Demographie

3. Die demographische Entwicklung in Deutschland
3.1 Der Erste Demographische Übergang
3.2 Der Zweite Demographische Übergang
3.3 Ein Versuch einer Bestandsaufnahme im frühen 21. Jahrhundert
3.3.1 Der langfristige Bevölkerungsrückgang
3.3.2 ...und die demographische Alterung

4. Demographischer Wandel und Kommunalpolitik
4.1 Die Bevölkerungsentwicklung in Rheinland-Pfalz in den Jahren 1950 bis
4.2 Bevölkerungswissenschaftliche Kernaussagen zum Landkreis Daun
4.3 Folgen und Herausforderungen der demographischen Entwicklung auf kommunaler Ebene – ausgewählte Beispiele im Landkreis Daun
4.3.1 Abnehmender Kindergartenplatzbedarf in Daun – Alarmsignal oder Chance?
4.3.2 Zur Schülerzahlenentwicklung im Landkreis Daun bis
4.3.3 Demographische Alterung auf Landkreisebene Die Entwicklung der Pflegebedürftigkeit

5. Ausblick

Literaturverzeichnis

1 . Einleitung

Ein Rückblick auf Berlin, 02. März 2005: Jan Dittrich, Vorsitzender der Jungen Liberalen in Deutschland tritt vor die Mikrofone und Kameras, um sich zum wenige Tage zuvor veröffentlichten Armutsbericht der Bundesregierung zu äußern. Den Text der zu verlesenden Pressemitteilung hatte der 28-Jährige eigenhändig vorbereitet. „Alte, gebt den Löffel ab“, so der Titel des Statements, in dem der Jungliberale feststellt, dass „die Alten auf Kosten der Jungen leben“ und daraus die Forderung ableitet, „dass die Alten von ihrem Tafelsilber etwas abgeben [sollen] – einen Löffel oder besser gleich ein paar davon“.1 Der Auftritt bringt Dittrich einen heftigen Gegenwind ein, für die Partei ist der Student nicht länger tragbar. Öffentlich distanzieren sich nicht nur der FDP-Parteivorsitzende Westerwelle, sondern neben anderen Interessenvertretern auch Sprecher aller übrigen politischen Parteien.

Die Empörung und Diskussion über Dittrichs Äußerungen und die damit verbundene Personalfrage hat sich mittlerweile gelegt. Von wesentlich höherer Halbwertszeit ist der Kern dessen, was Jan Dittrich zu seinen Aussagen bewegt: die sich verändernden Bedingungen zur Erhaltung einer Generationengerechtigkeit. Genau dieser Sachverhalt war unter anderem Bestandteil des Themenkomplexes, mit dem sich die Enquetekommission „Demographischer Wandel“ über einen bisher unübertroffen langen Zeitraum von drei Legislaturperioden auseinandergesetzt hatte und im April 2002 den abschließenden Bericht an den Bundestagspräsidenten übergab.2 In dem 300 Seiten starken Papier ist zu lesen: „In den letzten Jahren wird in der Öffentlichkeit eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Folgen des demographischen Wandels für das Generationenverhältnis geführt.3

Wesentlich kritischer sieht Herwig Birg, einer der bedeutendsten Experten auf dem Gebiet der Bevölkerungswissenschaft und bis 2004 Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) der Universität Bielefeld, die Verfehlungen und Versäumnisse in Politik und Gesellschaft in der Vergangenheit. „Über kaum ein anderes Thema gehen die Meinungen so extrem auseinander. Ist es möglicherweise pure Klugheit, wenn nicht sogar Weisheit, dass die Politik das Thema Demographie jahrzehntelang unter ihrem dröhnenden Schweigen begrub, als wollte sie damit verhindern, dass es sich wie eine ansteckende Krankheit ausbreitet? Die politische Quarantäne der Demographie endete mit Anbruch des neuen Jahrtausends. Um 2001 explodierte plötzlich das öffentliche Interesse an demographischen Fragen. Es ist das Jahr, in dem das Bundesverfassungsgericht den Stab über die Pflegeversicherung und über die anderen Zweige des irreführenderweise als sozial bezeichneten, in Wahrheit familienfeindlichen sozialen Sicherungssystems brach.“4 Noch deutlicher führt Birg an späterer Stelle des gleichen Artikels aus: „Aber es ist dreißig Jahre nach zwölf, heute kann selbst ein Anstieg der Geburtenrate auf die ideale Zahl von zwei Kindern je Frau die Alterung für Jahrzehnte nicht mehr abwenden. [...] Was Deutschland erwartet, haben Wissenschaftler in unzähligen Artikeln, Büchern und Kongressen seit Jahrzehnten einer desinteressierten Öffentlichkeit mitzuteilen versucht. Die vielzitierte Bringschuld der Wissenschaft wurde von der Politik nicht angenommen, auch die Medien brachten das vorhandene Wissen nicht unter die Leute.“5

Anhand einiger Vorbemerkungen zu den Begriffen „Bevölkerungswissenschaft“ und „Demographie“ und einiger Überlegungen zu der Denkrichtung Dittrichs wird zu Anfang dieser Arbeit versucht, ein bevölkerungswissenschaftliches Problembewusstsein zu wecken. Auch ohne einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Bevölkerungs-wissenschaft als sozialwissenschaftliche Disziplin wird zu erkennen sein, wie vielschichtig die Auswirkungen, wie langwierig die demographischen Prozesse – oder mit den saloppen Worten Birgs gesprochen – wie lang die Bremswege in der Demographie sind.6 Die langjährige Nichtbeachtung der Bevölkerungsentwicklung trug offenbar nicht unerheblich dazu bei, dass die Äußerung des FDP-Politikers neben allgemeinem Unmut auch Verwirrung brachte und die Öffentlichkeit beunruhigte. Wäre dieses Statement 25 Jahre früher veröffentlicht worden, hätte die Politik möglicherweise frühzeitiger auf die Warnungen der Experten reagiert. Nicht zuletzt der Vorstoß Dittrichs hat mich dazu animiert, auf die bereits eingetretenen und der Bundesrepublik noch bevorstehenden Veränderungen der Bevölkerungsstruktur einzugehen.

Nachdem im zweiten Kapitel dieser Seminararbeit ein kompakter Abriss über die beiden demographischen Übergänge in Deutschland und eine Bestandsaufnahme der bundesdeutschen Gegenwart vollzogen wird, geht das dritte Kapitel auf die unmittelbaren Folgen und Herausforderungen der demographischen Entwicklung für die Kommunalpolitik ein. Ziel und Schwerpunkt dieser Arbeit soll eine Darstellung der konkret bemerkbaren oder mittelfristig zu erwartenden Auswirkungen für das Leben, Planen und Gestalten in der Kommune sein. Als Betrachtungsobjekt dient der rheinland-pfälzische Landkreis Daun, der Heimatkreis des Verfassers der vorliegenden Arbeit.

2. Bevölkerungswissenschaft und Demographie

Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission liefert eine Fülle von Analysen, Daten sowie Handlungsempfehlungen und Literaturhinweise im Umgang mit dem Thema „Demo-graphischer Wandel“. Als Ergebnis sind besonders die Positionen zu diskutieren, die zu extremen Schlussfolgerungen kommen wie der Ansicht, „(...) dass auf Dauer den Jüngeren weder politische noch wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten blieben, da die Älteren auf Kosten der Jüngeren leben und sie um ihre Chancen bringen würden. [...] Diese Polarisierung dramatisiert die durchaus bestehenden Probleme und Konflikte in den Generationen-verhältnissen in unzulässiger Weise. Denn sie skizziert ein Bild der Auseinandersetzung zwischen den Generationen, das mit der Komplexität der Realität wenig gemein hat.“7 Dieser Kritik muss sich auch der Kommentar Dittrichs stellen, welcher zwar der Vielfältigkeit des demographischen Problems nicht gerecht wird, aber dennoch vor allem bei Jüngeren Anklang finden kann. Die Äußerungen des Jungliberalen sind nur ein Beispiel für den enormen Grad an Polarisierung, den das globale Phänomen der Bevölkerungsentwicklung als Verursacher gesellschaftspolitischer Probleme erreichen kann. Solche Polarisierungen sind vor dem Hintergrund der sozialwissenschaftlichen Methoden, die für bevölkerungswissenschaftliche Forschung unablässlich sind, immer als unzureichend und einseitig in ihrer Aussagekraft einzustufen und daher problematisch.

Bevölkerungswissenschaft als der weiter gefasste Begriff untersucht gesellschaftliche Probleme hinsichtlich der wechselseitigen Beziehungen zwischen der Bevölkerung auf der einen und weiteren gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Technik, soziale Sicherungssysteme oder Umwelt auf der anderen Seite. Zu unterscheiden ist die Bevölkerungswissenschaft vom Begriff „Demographie“, der häufig synonym verwendet wird. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet Demographie soviel wie „Volk beschreiben“ und konzentriert sich dabei stärker auf Bevölkerungszahlen, -strukturen und deren Veränderungen durch demographische Verhaltensmuster wie beispielsweise Kinderhaben, heiraten, umziehen oder sterben.8 Während die Demographie vorwiegend deskriptiv und in erster Linie statistisch arbeitet, liefert die Bevölkerungswissenschaft die Analyse der Fakten, der wechselseitigen Beziehungen, Hypothesen und Prognosen.

3. Die demographische Entwicklung in Deutschland

„Die Bevölkerung jedes Landes, jeder Region und jeder Gemeinde ist ständigen Veränderungen unterworfen. Diese geschehen durch Geburten und Sterbefälle sowie durch Zu- und Abwanderungen gegenüber anderen Gebieten des gleichen Landes (Binnen-wanderungen) bzw. gegenüber dem Ausland (Außenwanderungen). Von diesen vier Ursachen der Veränderung ist die erste – die Geburtenzahl – die weitaus wichtigste, denn von ihr hängen die übrigen drei auf eine elementare Weise ab: Jede Geburt führt irgendwann zu einem Sterbefall und in der Regel zu mehreren Wohnortwechseln im Lebenslauf, die in der Bevölkerungsstatistik als Zu- und Abwanderungen in Erscheinung treten.“9 Herwig Birg unterstreicht mit obigem Statement die Bedeutung der Geburtenzahlen für die Bevölkerungsgröße eines Landes.

Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich gegenwärtig in einer Phase des so genannten demographischen Wandels, welcher von den Sozialwissenschaftlern Bernhard Frevel und Bertholt Dietz folgendermaßen skizziert wird: „Seit der Mitte der 1960er Jahre ist die Geburtenquote in Deutschland rückläufig. Derzeit werden von 100 Frauen im Schnitt nur 140 Kinder geboren. Berücksichtigt man die Zahl der Sterbefälle, wäre allein zum Bestandserhalt der Gesellschaft eine Zahl von 210 notwendig. Etwa seit 1975 liegt die Zahl der Lebendgeburten kontinuierlich unter der der Gestorbenen. Somit sinkt der Jugendanteil in der deutschen Bevölkerung.“10

Trotz aller Bemühungen seitens der Bevölkerungswissenschaft, auf die enormen Fehlentwicklungen seit Mitte der 1960er Jahre in der Öffentlichkeit hinzuweisen, dauerte es bis zum Jahrtausendwechsel, ehe Politik und Gesellschaft ein Problembewusstsein für die tiefgreifenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur entwickelten.11 Für die Politik auf Bundes-, Länder- oder Gemeindeebene wird sich insbesondere der Geburtenrückgang auf unterschiedlichste Weise bemerkbar machen.

Den Ausgangspunkt des demographischen Wandels lediglich auf die 1960er Jahre zu datieren, greift nach Auffassung des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung (BiB) jedoch zu kurz. Von entscheidender Bedeutung für die Bevölkerungsentwicklung Deutschlands bis heute sind – so stellt das BiB fest – im wesentlichen zwei sich bedingende demographische Übergangsprozesse, die sich über die zurückliegenden 150 Jahre erstreckten und noch weit in das 21. Jahrhundert andauern werden. In Fachkreisen spricht man vom „Ersten Demographischen Übergang“, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Ursprung nahm und sich in ungefähr einhundert Jahren vollzog sowie dem „Zweiten Demographischen Übergang“ in der Zeit von 1965 bis 1975.12 Seit dem zweiten Übergangsprozess hat sich das Geburtenniveau in Westdeutschland auf 1,4 Kinder je Frau stabilisiert.

Um eine Vorstellung von den vielfältigen Zusammenhängen zu bekommen, die allesamt zunächst auf die Geburten- und Sterbezahlen oder die Bevölkerungswanderungen und somit letztendlich die Bevöl-kerungsgröße Einfluss nehmen, ist ein Blick auf die Geburten- und Sterbeziffern von gro­sser Hilfe. Aus Gründen der statistischen Ver-gleichbarkeit beziehen sich die Graphen der nebenstehenden Über-sicht auf jeweils 1000 Menschen der Bevöl-kerung. Auf diese Art und Weise kann die Un- konstante „Bevölkerungszahl“ bei der schematischen Darstellung ausgeklammert und falschen Schlussfolgerungen zum Fortpflanzungsverhalten oder dem Niveau der Sterblichkeit in der Bevölkerung vorgebeugt werden.

3.1 Der Erste Demographische Übergang

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der bedeutende Ausgangspunkt des Ersten Demographischen Übergangs. In diesem Zeitraum fielen sowohl die Geburten- als auch die Sterbehäufigkeiten von einem hohen auf ein niedriges Niveau herab. Bis in die 1850er Jahre hinein wuchs die Bevölkerung Deutschlands, da die Zahl der Geburten die der Sterbefälle überwog. Die Folgen waren eine boomende Volkswirtschaft, verbesserte Methoden der landwirtschaftlichen Produktion und auch neue wissenschaftliche Erkenntnisgewinne in der Medizin. Es ist auf jene Verbesserungen in Ernährung, Pflege und Behandlung zurückzuführen, dass die Menschen älter werden konnten und die Sterblichkeitsrate, insbesondere die enorm hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit, zurückging.13 Im Fachjargon wird eine durch sinkende Sterblichkeit eintretende Erhöhung des Anteils junger Menschen an der Gesamtbevölkerung auch „mortalitätsgeleitete Verjüngung“ genannt. In der Grafik ist der Rückgang der Sterbefälle durch den roten Graphen dargestellt; das tendenzielle Absinken ab den 1870er Jahren ist unübersehbar. Fortschritte in der Medizin bedeuteten jedoch nicht nur ein Absinken der (Kinder- und Säuglings-)Sterblichkeit, sondern auch einen Anstieg der Lebenserwartung bei allen Altersgruppen der Bevölkerung.

Mit der Verjüngung der Gesellschaft ging folglich eine Alterung einher, die durch einen Rückgang der Geburtenhäufigkeit kurz nach der Jahrhundertwende zusätzlich verstärkt wurde. Die Kohorten aus den starken Geburtsjahrgängen 1865 bis 1879 brachten noch so viele Kinder auf die Welt, dass die jeweils nachfolgende Generation zahlenmäßig größer ausfiel als die Elterngeneration. Seit dem Jahrgang 1880 gab es in Deutschland keinen Geburtenjahrgang mehr, der sich bestandsmäßig auf diese Weise ersetzte.14

Herwig Birg stellt einen Zusammenhang zwischen dem steilen Absturz der Geburtenziffern um 1900 und den Bismarckschen Sozialreformen (1878-1889) her. Durch die schrittweise Einführung von Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung waren eigene Kinder für die soziale Absicherung und Versorgung in der Familie nicht mehr so bedeutsam wie in der vorindustriellen Zeit.15 Der Erste Geburtenrückgang erstreckte sich über das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hinweg und ist durch die blaue Linie in der Grafik 1 nachgezeichnet.

Auffällig ist der gravierende Einbruch der Lebendgeburten bei gleichzeitigem Ausbrechen der Sterbeziffern um das Jahr 1914. An dieser Stelle wird eindeutig sichtbar, wie stark historische Ereignisse wie in diesem Fall der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) Spuren bei der Bevölkerungsentwicklung hinterlassen können. In der Diagrammdarstellung der deutschen Altersstruktur von 1939 ist der massive Einschnitt in Form einer Unregelmäßigkeit, einer Lücke bei den 23- bis 25-Jährigen, nachvollziehbar. Mit Ende des Ersten Weltkriegs nimmt die Kurve für die Gestorbenenzahl ihren ursprünglichen Kurs wieder auf während sich durch einen sogenannten „Timing-Effekt“ die Zahl der Lebendgeburten sogar kurzfristig erhöht: Durch Krieg und Existenzangst verhinderte Schwangerschaften werden in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nachgeholt. Dennoch nähert sich die Geburtenhäufigkeit in den „Goldenen 20ern“ dem Niveau der Sterbehäufigkeit an, wenngleich sich beide Kurven auch auf einen niedrigeren Level herab transformiert haben. Die vom BiB aufgestellte These, „dass auf kurzzeitige Geburtentiefs wieder kurzzeitige Anstiege folgen“, findet im neuerlichen Anstieg der Geburten nach der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre Bestätigung.16 Eine genauere Betrachtung der Geburtenzahlen während und nach der Weimarer Republik und im Dritten Reich sprengt leider den Umfang dieser Arbeit, wäre aber in dem Gesamtzusammenhang des Transitionsprozesses von großem Interesse. Allem voran die Frage nach den erkennbaren Geburtenzunahmen ab 1933 sowie die starken Einbrüche bei gleichzeitigem Ausbrechen der Gestorbenenziffern in den Jahren des Zweiten Weltkriegs sind besonders markante Punkte, die einer weiteren Erläuterung bedürften. Die schematische Darstellung der Lebendgeburten und Sterbefälle in den Jahren 1938 bis 1945 ähnelt dem Verlauf der Geburten- und Sterbeentwicklung während des Ersten Weltkriegs, unterscheidet sich jedoch in den absoluten Zahlen der Bevölkerung. Angedeutet ist dieser Unterschied in der Lage der Graphen auf der Ordinate der obigen Abbildung.

Eingangs wurde auf einen Alterungsprozess hingewiesen, dessen Einsetzen auf eine steigende Lebenserwartung zurückzuführen ist und der durch den Geburtenabsturz um 1900 beschleunigt wurde. Fortgesetzt und weiterbeschleunigt wurde der Alterungsprozess der Bevölkerung durch ein Angleichen der Geburtenziffer an die nun niedrigen Sterbeziffern kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Durch ein Ausbleiben der Lebendgeburten reproduziert sich die Elterngeneration nicht, infolgedessen rücken die Elterngenerationen in ein höheres Alter auf, die nachfolgenden Jahrgänge der Jüngeren werden zahlenmäßig kleiner. Man spricht bei diesem Vorgang von einem „fertilitätsgeleiteten Altern der Bevölkerung“.17

3.2 Der Zweite Demographische Übergang

Es mag auf die Übersetzung aus dem Englischen zurückzuführen sein, dass sich in Fachkreisen der Begriff „Zweiter Demographischer Übergang“ gefestigt hat. Die internationale Bevölkerungswissenschaft bezeichnet mit dem Begriff „Europe’s Second Demographic Transition“ einen in allen europäischen Ländern mehr oder weniger stark ausgeprägten Geburtenrückgang. Der neutrale, um nicht zu sagen verharmlosende Begriff des Zweiten Demographischen Übergangs bezeichnet tatsächlich also nicht nur eine „transition“, den Vorgang oder die Periode der Veränderung von einem Zustand zu einem anderen, sondern eine in der Tat enorme Abnahme der Geburtenziffern.18

Die Grafik auf Seite 6 verdeutlicht, dass die Geburtenzahlen bei recht konstanter Gestorbenenziffer auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit leichten Trendbewegungen abnimmt. „Die demographischen Veränderungen jener Zeit waren verknüpft mit der Ablehnung sozialer Institutionen und sozialer Kontrolle, der Betonung individueller Autonomie und der Ausbreitung von Werten, die auf Selbstverwirklichung gerichtet waren“, so stellt das BiB fest.19 Auffällig und als „leichte Trendbewegung“ nicht hinreichend erklärbar ist hingegen der erdrutschartige Rückgang der Geburten in der Dekade ab 1965. Auf dem Niveau, das nach diesem „Zweiten Demographischen Rückgang“ erreicht wurde, hat sich das demographische Verhalten, also Kinderhaben und Sterben, bis heute relativ konstant eingependelt.

Der Siegener Soziologe Rainer Geißler20 benennt die o.g. drei Ursachenfelder etwas konkreter: Erstens durchlebt die Familie als soziale Institution einen Funktions- und Strukturwandel, da der Sozial- und Wohlfahrtsstaat Fürsorgeleistungen übernommen hat und die Kinder als „ökonomische Stützen“ weniger bedeutsam geworden sind, als es zuvor der Fall war.21 Zweitens gehen die Frauen in den 1960er- und 1970er-Jahren zunehmend einer Erwerbstätigkeit nach, um individuelle Autonomie zu erreichen. Wirtschaftliche Unabhängigkeit „[...] kollidiert mit ihren [der Frauen] Erziehungsaufgaben.“, so schreibt Geißler in seinem Aufsatz „Struktur und Entwicklung der Bevölkerung“.

[...]


1 Vgl. u.a. Middel, Andreas: >>Chef der Jungen Liberalen muß „den Löffel abgeben“<< http://www.welt.de/data/2005/03/05/605282.html?prx=1 (05. März 2005).

2 Vgl. Gollnick, Ines: Stichwort Enquetekommission. In: Das Parlament, Nr. 19-20, 52. Jahrgang, 10./17.05. 2002, S. 5.

3 Dokumentation: „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik.“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/2003, 12.05.2003, S. 45.

4 Birg, Herwig: >>Grundkurs Demographie: Zehnte Lektion. Der lange Bremsweg.<< In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 53, 04.03.2005, S. 37.

5 Ebd., S. 37.

6 Ebd., S. 37.

7 Dokumentation (Anm. 3), S. 45.

8 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Bevölkerung, Fakten – Trends – Ursachen – Erwartungen. Die wichtigsten Fragen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S. 7.

9 Birg, H.: Historische Entwicklung der Weltbevölkerung. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung, Ausgabe Nr. 282 „Bevölkerungsentwicklung“, Bonn 2004, S. 4.

10 Frevel, Bernhard/Dietz, Bertholt: Sozialpolitik kompakt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S. 145.

11 Vgl. Volkert, Heinz Peter: >>Die ganze Familie ist jetzt gefordert.<< In: Rhein-Zeitung, Nr. 63, 60. Jahrgang, 16.03.2005, S. 2.

12 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Anm. 8), S. 9ff.

13 Vgl. Birg, H. (Anm. 9), S. 9.

14 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Anm. 8), S. 19.

15 Vgl. Birg, H.: (Anm. 9), S. 9. Vgl. auch Lovens, Sebastian: >>Der lange und meist erfolgreiche Weg von Fürst Bismarck zu Walter Riester.<< In: Das Parlament, Nr. 8, 52. Jahrgang, 22. Februar 2002.

16 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Anm. 8), S. 12-13, S. 20.

17 Ebd., S. 13.

18 Vgl. Oxford University Press: Oxford Advanced Learner’s Dictionary. 6. Auflage, Oxford 2000, S. 1382.

19 Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Anm. 8), S. 13.

20 Eine verkürzte akademische Biographie und persönliche Daten zu Prof. Dr. phil. Rainer Geißler sind unter http://www.fb1.uni-siegen.de/soziologie/mitarbeiter/geissler/kontakt.html abrufbar.

21 Geißler, R.: Struktur und Entwicklung der Bevölkerung. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung, Ausgabe Nr. 269 „Sozialer Wandel in Deutschland“, Bonn 2000, S. 4.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Der demographische Wandel und seine Folgen - ausgewählte Beispiele in einer Betrachtung anhand des rheinland-pfälzischen Landkreises Vulkaneifel (Daun)
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Fachbereich 1, Institut für Soziologie (Politikwissenschaft))
Veranstaltung
Bevölkerungsentwicklung und Kommunalpolitik - eine Herausforderung für unsere Städte und Gemeinden.
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
38
Katalognummer
V132326
ISBN (eBook)
9783640415090
ISBN (Buch)
9783640410712
Dateigröße
4116 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Bevölkerungsentwicklung, Demographie, Landkreis, Vulkaneifel, Daun, Kommunalpolitik
Arbeit zitieren
Tobias Reiche (Autor:in), 2005, Der demographische Wandel und seine Folgen - ausgewählte Beispiele in einer Betrachtung anhand des rheinland-pfälzischen Landkreises Vulkaneifel (Daun), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132326

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