Metamorphosen der Revolution

Revolutionskonzepte im Drama Heiner Müllers der siebziger Jahre


Magisterarbeit, 2002

135 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

Teil I: Ästhetik und Ästhetisierung der Revolution
1. Die Uneinholbarkeit der Utopie – Eigendynamik der Revolution
2. Die Blindheit der Erfahrung – Geschichte und Utopie
3. Die Lücke im Ablauf
4. »Das Rauschen mächtiger Flügelschläge «
5. Der Widerstand des Materials – Körper und Geschichte
6. Erinnerung an die Zukunft – Körper und Gedächtnis
7. Laboratorium der sozialen Phantasie
8. Die Geburt der Revolution aus dem Einverständnis mit dem Tod

Teil II: Metamorphosen der Revolution
1. Das Modell der permanenten Revolution – Mauser
1.1. Verabschiedung vom Lehrstück
1.2. Die Front als Bewußtsein
1.3. Permanente Revolution vs. vitalistische ›Lebensrevolution‹
1.4. Negation als Produktion
1.5. Die Geburt des Kollektivs aus der Einsamkeit
2. Revolution als Arbeit an sich selbst - Zement
2.1. »Revolutionärer Alltag«
2.2. Die neue Familie
2.3. Maske Mythos
3. Versteinerung einer Hoffnung – Die Hamletmaschine
3.1. Ende der Repräsentanz
3.2. Geschichte im Namen des Vaters
3.3. Der Einbruch des Körpers in die Geschichte
3.4. Geschichte als Stillstand
3.5. Jenseits der Geschichte
4. Utopie des Verrats – Der Auftrag
4.1. Revolution als Kolonisation
4.2. Geschichte und Gedächtnis
4.3. Das Theater der weißen Revolution
4.4. Die Utopie des Verrats
4.5. Geschichte jenseits des Menschen
5. Revolution als Kammerspiel - Quartett
5.1. Spiel im geschichtslosen Raum
5.2. Der Körper als Provinz des Geistes
5.3. Geschlechterkrieg als Satyrspiel
5.4. Theatertod

Schluss

Literaturnachweise

Einleitung

Bilder bedeuten alles im Anfang. Sind haltbar. Geräumig.

Aber die Träume gerinnen, werden Gestalt und Enttäuschung.

Schon den Himmel hält kein Bild mehr. Die Wolke, vom Flugzeug

Aus: ein Dampf der die Sicht nimmt. Der Kranich nur noch ein Vogel.

Der Kommunismus sogar, das Endbild, das immer erfrischte

Weil mit Blut gewaschen wieder und wieder, der Alltag

Zahlt ihn aus mit kleiner Münze, unglänzend, von Schweiß blind

Trümmer die großen Gedichte, wie Leiber, lange geliebt und

Nicht mehr gebraucht jetzt, am Weg der vielbrauchenden endlichen Gattung

Zwischen den Zeilen Gejammer

auf Knochen der Steinträger glücklich

Denn das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken.

Heiner Müllers frühes Gedicht Bilder[1] macht eine Problematik deutlich, die für sein gesamtes Schaffen konstitutiv werden sollte: die Nichtdarstellbarkeit einer Utopie von der Veränderbarkeit der Gesellschaft jenseits der vorgeschichtlichen Deformationen. Dennoch ist es gerade Aufgabe der Kunst, diese Utopie am Leben zu erhalten, ohne sie damit zugleich in eine starre Form zu zwingen.

Schreibt Müller zu Beginn der fünfziger Jahre der Kunst noch eine positive Funktion für die Gestaltung der Wirklichkeit zu, scheint er im Laufe der sechziger Jahre zunehmend von einer solchen Position abzurücken. Ohnehin ist der Begriff ›Realismus‹ auf Müllers Dramatik nur bedingt anwendbar. Das Modell der Produktionsstücke weist schon auf die Monologstruktur der Wolokolamsker Chaussee voraus. Zeitgeschichte ist seit der Umsiedlerin ebenso Material der Stücke wie der antike Mythos des prähistorischen Abendlandes.

Die zunehmende Ausblendung von Themen sozialistischer Aufbauarbeit auf deutschem Boden, die in der Frühphase Müllers Schreibpraxis einen breiten Raum einnahmen (Lohndrücker, Korrektur, Umsiedlerin, Klettwitzer Bericht, Bau), ist verbunden mit der Hinwendung zu deren historischen Bedingungen:

[…] man kann ein DDR-Bild nicht geben, ohne die DDR im Kontext der deutschen Geschichte zu sehen, die zum größten Teil auch eine deutsche Misere ist. Nur in diesem Kontext der deutschen Misere kriegt man ein richtiges DDR-Bild im Drama.[2]

Müllers Stoffe sind daher nicht in erster Linie Abbildungen von gesellschaftlicher Realität. Sie sind vor allem literarische Referenzen (»Mich interessiert Verarbeitung von Realität und nicht die Realität selbst.«[3] ). Geschichte und Politik interessieren Müller in erster Linie als Material. Das gleiche gilt für den Umgang mit fremden und eigenen Texte. Es geht Müller nicht um die Fakten, sondern um die Struktur sozialer Vorgänge, deren Skelett.

Dies gilt auch für seine lebenslange Beschäftigung mit Geschichte und Revolution. Vor dieser Folie werden Müllers Stücke lesbar als Übertragung der politischen Theorie auf das Versuchsfeld des menschlichen Körpers. Revolution findet nicht primär als gesellschaftlich-politische Bewegung statt, sondern als Bewegung in und von Körpern. Das Schlachtfeld ist der Mensch selbst.

So verändert die Revolution ununterbrochen nicht nur das Verhältnis der Menschen untereinander, sondern auch das Verhältnis des Einzelnen zu sich selbst. Der Mensch definiert sich nicht über feststehende moralische Begriffe, sondern über seine Rolle/Funktion für das Ganze einer in Bewegung befindlichen Formation. Müllers Interesse gilt dem Kampf zwischen Altem und Neuem im Innern des einzelnen Menschen. Erst dort entsteht ein Konflikt, wo der Riß durch die Personen hindurch geht und sie zerreißt.

Der (›neue‹) Mensch, als Produkt der Revolution, läßt sich nur ex negativo aus dem bewußten Kampf des Revolutionärs gegen die eigene Substanz beschreiben, wie ihn der Text Herakles 2 paradigmatisch beschreibt. Jenseits der Schlacht wartet das »weiße Schweigen«[4], das Nichts. Die größte Gefahr für die Revolution besteht gerade darin, daß der Einzelne, der gezwungen ist, seine subjektiven Lebensimpulse zu negieren, auch die Utopie aufgibt. Dann nämlich wird der ›reine Tisch‹ zum ›leeren‹[5]. Ähnlich wie in Brechts Lehrstücken ist der Beitrag des Individuums zu einer zukünftigen Gesellschaft sein Untergang: »Tauche wieder unter in die Tiefe, Sieger./ […] Auf dem Grunde/ Erwartet dich die Lehre.«[6], heißt es im Fatzerchor Fatzer, Komm. Oder ähnlich bei Müller:

Beim Aufbau des Sozialismus ist manche alte Eigenschaft nützlich, wird gebraucht, aber nur, um Verhältnisse zu schaffen, in denen sie absterben muß. Ein Sieg ist ein Sieg. Aber was siegt im Sieger? Eine Qualität vielleicht, die ihn in der Perspektive, in der neuen Situation, die sein Sieg schafft, scheitern läßt.[7]

Nur was aufgegeben/überwunden wird, kann eine Funktion für die Utopie bekommen. Die Hinterfragung der sozialen Strukturen, des Burgfriedens Mann – Frau, der natürlichen Reproduktion und des individuellen Glücksanspruches stellt Fortschritt, Politik, schließlich die ›Gattung‹ selbst entschieden in Frage. Und doch muß mit der Aufgabe immer ein Gewinn verbunden bleiben, der die Existenz eines anderen Seins zumindest denkbar erscheinen läßt.

Verweigert die Revolution als ›Projektion in die Utopie‹ die Einlösung des Lustprinzips als subjektiven Lebensanspruch, negiert umgekehrt die Forderung nach sofortiger Erfüllung der Utopie die Zukunft. Die Unterwerfung der Körper unter Ideen steht dem Anspruch einer Befreiung der Körper aus dem Kontinuum der (unmenschlichen = allzumenschlichen) Vorgeschichte entgegen. Aber nur die Utopie vermag das »Fenster zur Zukunft«[8] offenzuhalten, durch das der Einzelne die Früchte seiner Arbeit sehen kann, die er selbst vielleicht nicht mehr genießen wird. Dies ist der unauflösbare Grundwiderspruch der Revolutionsproblematik, in deren Zentrum bei Heiner Müller immer der Mensch steht: nicht wie er sein sollte, sondern wie er ist.

Im Verweis auf die menschliche Selbstverantwortung, selbst in Zwangslagen, ist Müller von erbarmungsloser Konsequenz. Was geschieht, sind Suppen, die wir selbst – historisch – uns eingebrockt haben. Es gibt keinen himmlischen Koch und kein Schicksal. Alle Gewalt, auch die anonymste, blind herrschende, im Untergrunde des Bewußtseins sich durchsetzende, ist menschliche Gewalt, alle Qual tut der Mensch dem Menschen an – nicht der idealen Abstraktion, sondern dem realen, körperlichen, bedürftigen, geschlechtlichen, tätigen Menschen. Müller reißt sich von einer Tradition los, in der Gott wohl gestorben, das Gottesbedürfnis aber bewahrt ist – ganz abgesehen von vorhandenen religiösen Traditionen und deren sozialer Reproduktion.[9]

Müllers Bestehen auf dem marxistischen Imperativ einer notwendigen Veränderung der Verhältnisse erzeugt kein Revolutionspathos. Revolution ist für Müller im Gegenteil Sisyphusarbeit: Ideologiezertrümmerung zwecks Utopieerhalt. Utopie schlägt bei Müller niemals um in Metaphysik, sie bleibt notwendig ›blind‹. Daraus ergibt sich das ›Bilderverbot‹. Denn das nicht Erkannte ist nicht darstellbar. Müllers Kritik am ›klassischen Brecht‹ hat hier ebenso ihre Wurzeln wie seine Rationalismus- und Zivilisationskritik.

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Revolutionsthematik im Werk Heiner Müllers auf ihre Grundmuster zurückzuführen. Es soll gezeigt werden, daß die scheinbar sehr unterschiedlichen Fokussierungen und Figurationen nur Masken ein und desselben geschichtsphilosophischen Modells sind, das sich von Müllers frühen Schriften bis in die letzten Arbeiten hinein nachweisen läßt.

Im ersten Teil der Arbeit werden die zentralen Motive und Begriffe der müllerschen Geschichtskonstruktionen ebenso untersucht, wie deren Anwendbarkeit auf Theatertheorie und -praxis. Im zweiten Teil wird anhand von fünf exemplarisch ausgewählten Dramen die Entwicklung der Revolutionsthematik im Zeitraum von 1970 bis 1980 erörtert. Da der Revolutionsbegriff in dieser relativ kurzen Zeitspanne bedeutende inhaltliche Veränderungen erfährt, eignet sich diese Schaffensphase im Werk Müllers besonders gut für das Vorhaben, die kontinuierlichen Linien unter den gravierenden Differenzen kenntlich zu machen. Eine Gliederung Müllers Schaffen in unterschiedliche ›Werkperioden‹[10] (›Produktions-Müller‹, ›Antiken-Müller‹, Lehrstücke, Geschichtsdramen, Übersetzungen, Spätwerk etc.), scheint vor dieser Folie höchst zweifelhaft und für dieses Vorhaben wenig produktiv. Es erweist sich im Gegenteil, daß die frühesten Texte Müllers verglichen mit den späteren eine Unzahl von Übereinstimmungen aufweisen. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, Müllers Werk unter eine einzige Prämisse zu subsumieren. Denn vor allen Dingen ist Müllers Schreiben Arbeit an der Differenz.

Teil I: Ästhetik und Ästhetisierung der Revolution

1. Die Uneinholbarkeit der Utopie – Eigendynamik der Revolution

Heiner Müllers Leninlied[11], erschienen im März 1970 im Neuen Deutschland, also zum Zeitpunkt der Entstehung des Mauser, ist nur auf den ersten Blick ein Lobgesang auf die Staatsparteien des ›sozialistischen Bruderblocks‹. Der Kehrreim, der jede neue Strophe eröffnet, »Immer vor uns seine Stimme/ Lenins lebendiges Wort/ Seine Arbeit, wir führen/ Hier und heute sie fort …«[12], verweist mit der heilsgeschichtlichen Metapher des ›lebendigen Wortes‹ gerade nicht auf die starre Fixierung der ›Schriften der Klassiker‹ und ihre vereinheitlichte Exegese durch die Ideologen der ›Kommunistischen Partei‹, sondern im Gegenteil auf ihre Lebendigkeit, die sich aus ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit ergibt, welche rückwirkend wiederum den ›Text‹ der Schriften selbst verändert[13]. Es handelt sich um das Aufbrechen der Fixierung, die Fortschreibung der Schriften in der Realität auf ein Ziel hin, das sich im revolutionären Prozeß ständig verändert und demzufolge jeweils neu benannt werden muß. »Der Schritt pflanzt den Weg.«[14] Das Wesen der Utopie besteht in seiner Uneinholbarkeit durch die Realität.

Im Gedicht wird die Revolution zwar auf die Partei bezogen, doch erscheint die Partei hier nicht als Organ der Zementierung der Lehre, sondern als Formation des Kampfes: »Es wächst in jeder Klassenschlacht/ Die Einheit der Partei.«[15] Vor der Folie eines Stückes wie Mauser erschließt sich die Bedeutung des Gedichts als Loblied auf den Fortschritt (das Fort-Schreiten[16] ), der der Verkrustung der Lehre im ›real existierenden Sozialismus‹ diametral entgegengesetzt ist: »Die Welt war alt, die Zeit war lang:/ Seit Lenin gehn sie unsern Gang/ Im Schritt der Revolution.«[17] Das lyrische Subjekt des Gedichtes ist, wie so oft in Müllers Texten, ein schreitendes Kollektiv.[18] »Das Bleibende ist das Flüchtige. Was auf der Flucht ist bleibt.«[19]

Die Kraft, die dieses Kollektiv vorwärtstreibt ist ihm dabei immanent. In einem frühen Gedicht Müllers aus den fünfziger Jahren heißt es:

Immer vor ihnen aber war die Stimme

die sprach zu ihnen: Es genügt nicht! Bleibt

nicht stehn! Wer stehn bleibt fällt! Geht weiter! So

im Immerweitergehn folgend der Stimme

wurde das Schwierige einfach

wurde das Unerreichbare erreicht.

Und überm Immerweitergehn erkannten

sie: die da sprach war ihre eigne Stimme.[20]

Das revolutionäre Kollektiv ist sich selbst immer schon einen Schritt voraus. Trotz des an den Brecht der späten zwanziger Jahre angelehnten optimistischen Grundtons liefert Müller hier offensichtlich keine Zustandsbeschreibung der politischen Verhältnisse in der DDR, sondern entwirft vielmehr ein Bild uneinholbarer Utopie, das Trotzkis Konzept einer ›permanenten Revolution‹[21] näher steht als der Doktrin sozialistischer Staatsparteien.

Der volle Sieg der Revolution bedeutet den Sieg des Proletariats. Dieser Sieg wiederum aber bedeutet das ununterbrochene Fortschreiten der Revolution. […] Das Proletariat verwirklicht die grundlegenden Aufgaben der Demokratie, und die Logik seines unmittelbaren Kampfes um die Sicherung der politischen Herrschaft läßt im gegebenen Augenblick rein sozialistische Probleme entstehen. Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm wird die revolutionäre Kontinuität hergestellt. Das ist nicht ein ›Schlag‹, das ist nicht ein Tag und nicht ein Monat, das ist eine ganze historische Epoche. Es wäre sinnlos, ihre Dauer im voraus bestimmen zu wollen.[22]

»Der Zweck von unserm Staat ist, daß er aufhört«[23], verlautbart auch der Parteifunktionär Flint in Müllers Stück Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande.

In ihrer Schrift über die ›Kriegsmaschine‹[24] beschreiben Deleuzes/Guattari ein Modell, das Müllers utopischem Geschichtskonzept sehr nahe kommt. Demnach gilt das Bemühen des Staates dem Erhalten, Befestigen, Zementieren. Dagegen ist Krieg (Revolution als Krieg zwischen Klassen/ sozialen Gruppen), so Deleuze/Guattari, »der Modus eines Gesellschaftszustandes, der sich gegen den Staat richtet und ihn verhindern soll«[25], indem er die Zersplitterung und Segmentarität der Gruppen aufrecht erhält.[26]

Infolge dieser Unterscheidung stellen Deleuze/Guattari zwei Wissen(schaft)stypen fest. Die Wissenschaft des Staatsapparates bedient sich des Prinzips der ›Reproduktion‹, das die Beständigkeit eines festen Blickpunktes voraussetzt, der außerhalb des Reproduzierten liegt. Das wissenschaftliche Verfahren der sogenannten ›Kriegsmaschine‹ hingegen ist das ›Folgen‹:

[…] wenn man damit aufhört, dem Fließen eines laminaren Stroms in eine festgelegte Richtung zuzusehen und von einem wirbelnden Strom mitgerissen wird; wenn man sich auf die kontinuierliche Variation von Variablen einläßt, anstatt daraus Konstanten abzuleiten.[27]

Das mit dem ›Folgen‹ in Beziehung stehende Denksystem ist ein »Denken des Außen – ein Gegendenken«[28]. Dieser an Nietzsche geschulte Typus des Denkens hängt mit einer absoluten Einsamkeit[29] zusammen, die »eine extrem bevölkerte Einsamkeit [ist], wie die Wüste selber, eine Einsamkeit, die schon mit einem künftigen Volk verknüpft ist, […] die nur durch dieses Volk existiert, obwohl es noch nicht da ist.«[30]

[Es ist] ein Denken, das sich mit äusseren Kräften herumschlägt, statt in eine innere Form gebettet zu sein, das mit Schaltstellen funktioniert, statt ein Bild herzustellen, ein Ereignis-Denken statt eines Gegenstand-Denkens, ein Problem-Denken statt eines Substanz- oder Theorem-Denkens. Ein Denken, das sich ein Volk herbeiwünscht, statt sich für einen Minister zu halten.[31]

Im Gegensatz zum ›klassischen‹ Bild des Denkens[32], das mit zwei Universalien operiert – »mit dem Ganzen als Grundlage des Seins oder als Horizont, der es umgibt, und mit dem Subjekt als Prinzip, das das Sein in ein Sein für uns verwandelt«[33] – gründet sich diese Form des Denkens weder auf eine allumfassende Totalität, noch auf das universale, denkende Subjekt, sondern im Gegenteil auf ein ›grenzenloses Umfeld‹ – das ein glatter Raum ist, ›Steppe, Wüste oder Meer‹[34] – und auf eine einzelne ›Rasse‹[35].

Die Revolution darf, um nicht aufzuhören und in ›Staat‹[36] umzuschlagen, nicht stehen bleiben. Sie darf keine Grenzen[37] kennen wie der Staat, keine fixen Punkte. »Wer den Fluß eindämmt, sieht, wird er alt genug/ Noch wie der Damm zerfällt oder/ Der Fluß ausbleibt«[38], heißt es im Gegensatz zum späten Flußbegradiger Brecht[39] im Fatzer, einem ›Material‹, mit dem sich Müller in den siebziger Jahren intensiv auseinandersetzt[40].

Punkte sind in der Revolution Verbindungsstellen und existieren nur als solche. »Ein Weg liegt immer zwischen zwei Punkten, aber das Dazwischen hat volle Konsistenz übernommen und besitzt sowohl Selbstständigkeit wie eine eigene Richtung. Das Leben […] ist ein Intermezzo.«[41] Der Mensch wird, ganz im Sinne Nietzsches, zur Brücke in die Zukunft[42]: »Mein Lebenslauf ist Brückenbau. Ich bin/ Der Ponton zwischen Eiszeit und Kommune.«[43] Der Weg ist den Zielen übergeordnet, weil die Ziele notwendig unbekannt sind. Das Telos der Revolution ist ihre Fortsetzung. Vorläufig heißt es: »… das Gras noch/ Müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt.«[44]

Die Revolution muß marschieren. Der Sieg der Revolution ist ihre Niederlage. Er widerspräche der Revolution an sich. Denn die Revolution ist kein Mittel – sie ist der Zweck. Daher steht die Revolution immer auch im Krieg mit sich selbst. Die Wunden des Feindes vernarben auf ihrem Gesicht.[45] Der Revolutionär steht »auf beiden Seiten der Front«[46], er ist »Speichel und Spucknapf«[47].

In welche Richtung marschiert wird, ist damit allerdings noch nicht gesagt, entscheidend für den Dramatiker Müller ist vielmehr das erst einmal a-moralische Bewegungsprinzip.[48] Immerhin läßt Müller bis zu seinem Tod keinen Zweifel daran, daß er ›Chancengleichheit‹ für die ›Minimalforderung‹ des Kommunismus hält.[49] Es gelte also »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«[50]

Revolution wird bei Müller zu einem Gesellschaftsmodell, das Widersprüche und Gegensätze nicht nivelliert, sublimiert, aufhebt und/ oder integriert, sondern aufrechterhält (»Nicht verbergend den Rest/ Der nicht aufging.«[51] ). Die Integrationsfähigkeit und Stasis des Staatsapparates, der alles verschlingt, ist der Dynamik als Wesen der Revolution, die ihre Gegensätze als solche bestehen läßt und aus dem Widerspruch ihre Kraft erst bezieht, diametral entgegengesetzt. Die Frage, ob in diesem Falle der Kapitalismus nicht der Form nach die ideale Revolution wäre, ist entschieden zu verneinen. Benjamin sieht im Kapitalismus – als permanente Revolution der Produktionsmittel[52] – dasselbe Bewegungsprinzip wirksam, das der (kommunistischen) Revolution zugrunde liegt.[53] Nur der Rahmen ist ein anderer. Auch Hobbes sieht ja im Staat nur ein notwendiges Übel[54], das die Freiheit des Kapitals eher beschneidet denn fördert, um die Eigentumsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Während der Kapitalismus aber die ewige Re-Produktion des immer schon Dagewesenen darstellt, ist der Kommunismus die Produktion des nie ganz zu Erreichenden.

2. Die Blindheit der Erfahrung – Geschichte und Utopie

Wie für Benjamin ist Geschichte auch für Müller »Gegenstand einer Konstruktion«.[55] Im Gegensatz zu Benjamin zielt diese jedoch nicht auf das nur für den einen Moment Zutreffende, das brandaktuell und für den gegenwärtigen historischen Augenblick Gültige, sondern geht mehr auf das Allgemeine und Modellhafte aus. Die Grundmuster menschlichen Verhaltens bleiben unabhängig ihrer historischen Situation bestehen. So trifft die ›Große sozialistische Oktoberrevolution‹ auf mythische Gestalten (Zement), französische Salonkultur auf einen endzeitlichen Atombunker (Quartett), Ophelia wird zu Elektra (Die Hamletmaschine). Müller treibt damit jedoch nicht ziellos auf dem ›postmodernen‹ Meer der Enthistorisierung[56] umher, zieht vielmehr Verbindungslinien eines kollektiven Unbewußten, das Mythos und Vergangenheit im Traum der Gegenwart aktualisiert. Um in einer Zeit objektiver Beschleunigung des Geschichtsprozesses nicht auf die Darstellung historischer Ereignisse verzichten zu müssen, bedient sich Müller der Techniken des ›synthetischen Fragments‹[57], der Collage, des ›Anachronismus‹[58] und des Zeitraffers, die es ermöglichen, zeitlich weit Auseinanderliegendes miteinander in Beziehung zu setzen. So ist es möglich, ganze Epochen und Geschichtsperioden in einem Augenblick zusammenzudrängen, voneinander unabhängige Zeitabschnitte miteinander zu konfrontieren und so, durch »Epochenkollision«[59], unerwartete Zusammenhänge zwischen entfernten Geschichtsperioden aufzudecken, beziehungsweise »tiefgreifende Differenzen schlaglichtartig zur Anschauung zu bringen«[60]. Die von Benjamin für den materialistischen Historiker geforderte Heraussprengung von Versatzstücken aus dem geschichtlichen Prozeß[61] schlägt sich dabei ebenso in Müllers Dramaturgie nieder, wie die Implosion der Geschichte in die Traumstruktur.

Der Versuch, einen dem ›Geschichtsprozeß‹ impliziten Fortschritt humaner Verhaltensformen im Sinne Hegels und Marx’ zu gestalten, wird schon in den frühen Stücken Müllers von der Erkenntnis zunichte gemacht, daß das ›Material Mensch‹ sich als widerständig erweist. Die Szenen der Schlacht etwa zeigen ›Geschichte‹ als einzigen Gewaltzusammenhang[62].

[…] Die Kontinuität schafft die Zerstörung. Die Keller [der Geschichte] sind noch nicht ausgeräumt und schon werden Häuser darauf gebaut. Man hat sich nie Zeit genommen, die Keller auszuräumen, weil immer neue Häuser über denselben Kellern stehen.[63]

Vor allem die durch ideologische Rücksichten verursachten Fehlkonstruktionen sind Schuld daran, daß Vergangenheit und Gegenwart immer wieder ineinanderfließen, Zukunft als Überwindung der Jetztzeit nicht gedacht werden kann. Die Vereinnahmung des ›bürgerlichen Humanismus‹ als ›Leitkultur‹ der DDR[64] zeigt schon früh die Folgen der Liquidation einer revolutionären Avantgarde in der Sowjetunion, bzw. die Trennung der Intelligenz von der Masse durch Privilegien in der DDR und anderen Ostblockstaaten[65].

Um den Alptraum der Geschichte loszuwerden, muß man zuerst die Existenz der Geschichte anerkennen. Man muß die Geschichte kennen. Sie könnte sonst auf die altmodische Weise wiedererstehen, als ein Alptraum, Hamlets Geist. Man muß sie erst analysieren, dann kann man sie denunzieren, sie loswerden.[66]

Die Versäumnisse einer Aufarbeitung der Geschichte führen zur Wiederholung der alten Fehler. »Was nicht getan wird ganz bis zum wirklichen Ende/ Kehrt ins nichts am Zügel der Zeit im Krebsgang.«[67] Der ›katastrophische Kreislauf‹[68], als welcher ›Geschichte‹ in der Folge bei Müller erscheint, wird nach dieser Auffassung zur ›Vor-Geschichte‹, die nur Invarianten einer immergleichen barbarischen Vorzeit darstellt. Dieses Geschichtsverständnis entspringt einer Perspektive von Weltentwicklung, die aus einem Vorher und dem Jetzt besteht. Zukunft spielt in diesem Geschichtsbild nicht die Rolle eines utopischen ›Morgen‹, das im Kontinuum der Zeit auf das Heute folgt. Als ewige Wiederholung der Vorgeschichte bleibt es dem ›katastrophischen Kreislauf‹ verhaftet. Während der Westen ein dantesches ›Inferno‹ sei, das das ›Paradies‹ simuliere[69], seien die kathartischen Kräfte des Purgatoriums ›Ostblock‹ zusehends am schwinden. Solange es nicht gelingt, die »Kreisbahn«[70] der Geschichte wieder zu einer »Spirale«[71] aufzubiegen, die den Menschen als »strahlende Mitte«[72] der Welt negiert[73], bleibt das wirkliche ›Paradies‹ – bis auf weiteres – aus oder der Simulation der Medien überlassen. Die Technisierung der Lebenswelt läuft auf den Abbau zwischenmenschlicher Kontakte hinaus: »Der Mörder ist der letzte Mensch, der noch Kontakt sucht, während der Rest der Menschheit auf Rolltreppen aneinander vorbeifährt. In solch einer Welt wird der Mord, der Konflikt zum Statthalter der Humanität.«[74]

Das utopische Potential wäre demzufolge jenseits von ›Geschichte‹ zu suchen[75], auf ihren Trümmern. Eigentliche ›Universalgeschichte‹, so Müller, beginne nämlich erst dann, wenn alle Menschen in die Geschichte überhaupt eingetreten wären[76], die bisher die Geschichte des Abendlandes war, oder mit Benjamin: »Die Geschichte der zivilisierten Menschheit würde [auf dem Ziffernblatt einer Uhr dargestellt] ein Fünftel der letzten Sekunde der letzten Stunde füllen.«[77] ›Geschichte‹ beginnt nun im Kontrast zu dieser ›Vorgeschichte‹ erst mit der – ›Universalgeschichte‹ überhaupt erst ermöglichenden – sozialistischen Revolution. In ihr ist die Aufhebung ›eiszeitlicher‹ Verhaltensmuster immerhin möglich geworden. Als ›Epochenkollision‹ oder ›Übergangsgesellschaft‹ stellt der Ostblock das ›Purgatorium‹ dar, in dem der Mensch, der durch die Umwerfung der alten Besitzverhältnisse durchaus nicht automatisch geläutert wurde, einen historischen Lern- und Selbstaufklärungsprozeß durchmacht. Auf historischen Baustellen (Der Bau, Mauser, Zement, Traktor) scheint die Reinigung von den Verkrustungen der ›Vorgeschichte‹ noch möglich, in späteren Texten Müllers nähert sich die Revolution dem ›Inferno‹ bereits wieder erschreckend an[78]. Wie Napoleon die französische Revolution liquidierte, so Stalin die kommunistische.[79] Revolution wird damit zur Fortführung der immergleichen ›Vorgeschichte‹, Fortschritt, im Sinne der ›Dialektik der Aufklärung‹[80], zur Anpassung des Neuen an das Alte.[81] Revolution als Konserve.

Je genauer der mythische Revolutionär Herakles 2, lesbar als Metapher für die kommunistische Revolution, seine Situation erkennt, je besser er jede neue Herausforderung als bereits bekannt erfolgreich zu bekämpfen weiß, desto existentieller wird der Kampf, der zur Überwindung des Kampfes führen muß. Daß die Zwangsjacke die Schule der Freiheit ist[82], mag auch der an den Schiffsmast gefesselte Odysseus[83] schon mit Genugtuung empfunden haben. »Odysseus erkennt die archaische Übermacht des Liedes an, indem er, technisch aufgeklärt, sich fesseln läßt. Er neigt sich dem Liede der Lust und vereitelt sie wie den Tod.«[84] Über die grausame Erfahrung der Zerreißung legt sich der ›apollinische Schleier der Maja‹[85] und verwandelt sie in wirkungslosen Kunstgenuß. Die archaische Macht des Sirenengesangs wird neutralisiert und zur Sehnsucht des bürgerlichen Menschen verwandelt, der ungehindert an der Versuchung vorüberfährt. Um die Sublimierung der Erfahrung in gefällige Kunst, die Überführung des Lebens in starre Begriffe der Herrschaft zu überwinden, muß sich Odysseus erneut auf den Weg machen. Diesmal in umgekehrter Richtung. Allerdings besiegelt diese Fahrt zugleich seinen Untergang.[86]

Die Blindheit der Erfahrung ist der Ausweis ihrer Authentizität. Nur der zunehmende Druck authentischer Erfahrung entwickelt die Fähigkeit, der Geschichte ins Weiße im Auge zu sehn, die das Ende der Politik und der Beginn einer Geschichte des Menschen sein kann.[87]

Die Aufklärung, die sich gegen die Utopie als Telos des Handelns wendet, macht in ihrer Fixierung auf den Begriff jede Form von Herrschaft zur Signatur einer Entzweiung, ähnlich der, die sich ursprünglich zwischen Begriff und Sache einstellt. Der virtuelle ›Schleier der Maja‹, gewinnt volle Konsistenz als Realität, eine Realität, die den Menschen aus dem ›Fluß des Lebens‹ reißt – eine traumatische Erfahrung, auf die der Mensch mit der Trockenlegung des Flusses antwortet.

[…] Solange eine Kraft blind ist, ist sie eine Kraft. Sobald sie ein Programm, eine Perspektive hat, kann sie integriert werden und gehört dazu[88]

›Leben‹[89] wird von Müller, ähnlich der marschierenden Revolution, als ununterbrochene Bewegung, als ständiges Werden[90] begriffen. ›Denken‹ hingegen sei lebensfeindlich. »Es gibt eine Differenz zwischen Denken und Sein, zwischen Denken und Leben.«[91] Das Leben in seiner Ereignishaftigkeit könne durch starre Begriffe nicht unverfälscht beschrieben werden.[92] An die Stelle der Erkenntnis müsse daher die Erfahrung treten.[93]

Denn, so Müller, »Erfahrungen sind blind. Man kann eine Erfahrung nur machen, wenn man sie nicht auf den Begriff bringt.«[94] Das selektive/ exklusive – und damit lebensfeindliche – Verfahren des abendländischen Denkens wird zur Erbsünde europäischer ›Geschichte‹, die ›Fortschritt‹ allein in technischer Hinsicht zuläßt. Als »Realität der Selektion«[95] wird vor dieser Folie ›Auschwitz‹ zum Paradigma der Aufklärung.[96] Der Zwang zu wählen, spricht von der ›verlorenen Einheit‹, vom Verlust des Lebens- und Naturzusammenhangs. Nur die ›blinde Erfahrung‹, die von Intuition[97] geleitete Kraft, die sich der ›toten‹ Ordnung und ›lebensfeindlichen‹ Systematisierung zu entziehen vermag, ist in der Lage, die starren Fixierungen an der Oberfläche des Lebens aufzubrechen. Als Paradigma einer solchen nicht subjektzentrierten, begrifflich prä-gesteuerten Wahrnehmung gilt Müller die »blinde Praxis«[98] der Kunst. Sie führt ins ›Furchtzentrum‹ der Utopie, indem sie die Vermittlungsinstanzen zerstört, die als Hüter des cartesianischen Grals vor dem ›principium individuationis‹ aufgestellt sind.

Um Utopie – jenseits von Geschichte – als Raum der ›blinden Praxis‹ Phantasie weiterhin besetzt halten zu können, rekrutiert Müller den mythischen ›Mörder‹[99] gegen die »koffertragenden Zombies«[100]. Subversion als Revolution. Das Grauen als »das erste Wetterleuchten der Vernunft«[101] verweist auf die andere Seite der Vernunft. »die erste Erscheinung des Neuen [ist] der Schrecken«[102]. In der Szene Ich bin der Hunger aus Zement kehrt das Andere als kriminelle Energie wieder. Dem subversiven Verhalten der Jugendlichen, die einen betrunkenen ›Bourgeois‹ überfallen und ausrauben, wohnt somit durchaus ein utopisches Potential inne.

Von der Dunkelseite der Aufklärung ist der Ostblock ebenso betroffen wie ›Europa‹. Der ideologische Gegensatz zwischen den Machtblöcken der kapitalistischen ›Ersten Welt‹ und der ›Zweiten‹, sozialistischen, verliert vor dieser Perspektive an Bedeutung. Ein Paradigmenwechsel deutet sich an. »Die Trennung zwischen Ideologien ist nicht sehr wichtig. Wichtig ist die Differenz der Interessen und Bedürfnisse. […] Vielleicht gibt es eine Differenz innerhalb der Ideologien. Ideologien sind nur Masken.«[103] Die wirklichen Interessengegensätze bestehen, so Müller, nicht mehr innerhalb von Europa, sondern zwischen Europa und der ›Dritten Welt‹[104].

3. Die Lücke im Ablauf

In einer Selbstbefragung, die Müller dem Scheitern des Glücksgottes[105] voranstellt, heisst es:

Stehende Figuren (Götter Denkmäler Typen) sind als Katalysatoren brauchbar, wenn Erfahrung die Geschichte überholt hat. Versteinerungen, an denen Weisheit sich ablagern kann, die bei Abruf durch den Fortschritt als Sprengstoff zur Verfügung steht.[106]

… und nur dann. Um die Patina auf den Denkmälern durch den Fortschritt zum Leben zu erwecken, der die Gegenwart zu sprengen in der Lage ist, muß, so Müller, aber erst einmal die Vergangenheit ›befreit‹ (im Sinne von freigelegt) werden: »Das Tote ist nicht tot in der Geschichte. […] Der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist.«[107] Oder an anderer Stelle: »Was man braucht, ist Zukunft und nicht die Ewigkeit des Augenblicks.[108] Zukunft entsteht allein aus dem Dialog mit den Toten.«[109]

Gerade die kommunistische Revolution müßte gehalten sein, ihre Toten vollständig zu ›befreien‹, zumal sie ihre Legitimation ausdrücklich auf den Anspruch gründet, mit der Selbstbefreiung der unterdrückten Klassen zugleich die Befreiung von der Vergangenheit insgesamt erkämpfen und damit ein menschheitlich allgemeines Glücksverlangen einlösen zu wollen. Die von Müller festgestellte Unfähigkeit der ›bürgerlichen Gesellschaft‹[110], dem Tod ins Auge zu sehen, korrespondiert die Unfähigkeit, »der Geschichte ins Weiße im Auge zu sehn«[111]: »Wer nicht sterben kann, kann auch nicht leben.«[112] Die Nichtakzeptanz (=Disziplinierung/ Verwaltung) des Todes als Voraussetzung der Errungenschaften der modernen westlichen Welt[113], läßt die Aufklärung als Todesverdrängung erscheinen, deren Zweck die Perfektionierung des Todestriebes darstellt. Aufschlußreich darüber ist auch eine Replik aus einem Gespräch mit Uwe Wittstock aus dem Jahr 1986, in der Müller im Rekurs auf Nietzsche[114] die vitale Funktion des Tragischen beschreibt, indem er darauf hinweist, daß der Tod eines Menschen in der Antike keine Verzweiflung ausgelöst, sondern den Über-Lebenden Kraft (nicht Trost!) gespendet hätte.[115] In dieser Hinsicht wäre Florian Vaßen durchaus zuzustimmen, wenn er meint, »Heiner Müllers Texte vom Tod, von der Zerstörung des menschlichen Lebens sind keine Nekrologe auf etwas endgültig Totes, vielmehr lebendige Totentänze. Ophelias ›Es lebe der Tod‹ als Antwort auf das tote Leben.«[116]

Wird in den Stücken der fünfziger und sechziger Jahre die Revolution im ›klassischen-marxistischen‹ Sinn noch als ›Lokomotive der Weltgeschichte‹[117] begriffen, belegen die Stücke der siebziger Jahre in zunehmendem Maß Müllers Zweifel an diesem dialektischen Konzept historischen Fortschritts. Mitte der siebziger Jahre noch begreift Müller Revolution als Bewegung in zwei Richtungen. »Wenn sich etwas nach vorn umwälzt, wälzt sich auch gleich etwas wieder zurück, das ist eine ständige Bewegung in zwei Richtungen.«[118] So konserviert der Frontkampf in Zement die bürgerliche Moral, der Bewußtseinsakrobat ›A‹ in Mauser regrediert für einen Augenblick zur Bestie. Der Verdacht, eine ›leere Zeit‹ als erfahrene oder erwartete Katastrophe zu durchlaufen, verstärkt den Wunsch, sich »die Uhr aus [der] Brust«[119] zu reißen oder den »Körper in ein Geschoß zu verwandeln, das die Decke des Fahrstuhls durchschlagend die Zeit überholt«[120]: Metaphern die sich auf Benjamins auf die Turmuhren schießenden Revolutionäre zurückführen lassen.[121] Der empirischen/ mechanistischen Wahrnehmung der Zeit, wird die ›historische Zeit‹ gegenübergestellt, die nicht von den Gesetzen physikalischer Kausalität bestimmt wird.[122] Revolution wird zur Notbremse einer aus den Fugen geratenen Zeit.[123] Der Sturz vom Boot in den ›Malstrom‹[124] verlangsamt die Bewegung, die in ihrer totalen Beschleunigung zum »Nullpunkt«[125] führt.

Um Geschichte als Reservoire des Utopischen überhaupt wieder möglich zu machen, ist zuvörderst ihre Negation zu betreiben. Die »Lücke im Ablauf […] der vielleicht erlösende Fehler«[126] wird zum auf verschiedenste Weise immer wieder von Müller artikulierten Ausweg aus dem Kontinuum leerlaufender Zeit. »Der Ablauf ist zwangsläufig nur, wenn das System nicht in Frage gestellt wird […] Nur der Clown stellt den Zirkus in Frage.«[127] Nicht also von einer historischen Gesetzmäßigkeit könne der entscheidende Bruch des geschichtlichen Kontinuums erwartet werden, sondern vielmehr nur durch die bewußte Durchbrechung des linearen Zeitflusses, der, wie im Bild des Glücklosen Engels, Stillstand bedeutet. Die Herausnahme des Konfliktes aus der geschichtlichen Verkrustung ermöglicht seine Dynamisierung in der Explosion[128], die die Erstarrung (und damit die Geschichte) zerstört. »Auf den Trümmern Europas«[129] beginnt die (eigentliche) Geschichte des (›neuen‹) Menschen. Die Gefahr besteht allein darin, daß der entscheidende ›Fehler‹ »während des Blinzelns passiert, der Sehschlitz in die Zeit sich auftut zwischen Blick und Blick«[130], und damit den Sprung aus der ›Vorgeschichte‹ in die ›Geschichte‹ verhindert. Müller versucht mit Hilfe der Kunst die synthetische Herstellung von Fehlern – »das Insekt im Bernstein«[131]. Die Kunst vergegenwärtigt den Augenblick des Absprungs in die Zeit. Sie vermag die »Lücke im System, den immer neu bedrohten und neu zu erobernden Freiraum zwischen Tier und Maschine, in dem die Utopie einer menschlichen Gemeinschaft aufscheint«[132] offen zu halten, um so einen »Freiraum […] für das Denken eines andern Ablaufs«[133] zu schaffen. Dabei bleibt die Utopie »Anspielung auf ein Denkbares […], das nicht dargestellt werden kann«[134]. Das Bilderverbot[135], die konsequente Verweigerung einer positiven Darstellung des möglichen ›Neuen‹, schafft den Freiraum für dieses ›Denken eines andern Ablaufs‹. Hier bieten sich Müller ab Ende der siebziger Jahre zur »Störung des Geschäftsablaufs«[136] die revolutionären Möglichkeiten der ›Dritten Welt‹ an – weniger unter realpolitischem Aspekt als vielmehr symbolisch, in Form einer der Natur verbundenen Revolte der Körper gegen den aufgeklärten Rationalismus Europas. Die ›Klassengegensätze‹ werden, im Sinne Foucaults oder auch Deleuzes/ Guattaris, zu ›Rassenkämpfen‹. Geschult an Lautréamont, Artaud und den Surrealisten nutzt Müller vermehrt das subversive Potential von Tod und Sexualität als schwer zu disziplinierende Körperlichkeit, um die Dunkelseite der Aufklärung bloßzulegen. Der ›instrumentellen Vernunft‹ tritt der ›zerrissene Dionysos‹[137] entgegen.

4. »Das Rauschen mächtiger Flügelschläge …«

In Walter Benjamins geschichtsphilosophischer Deutung von Paul Klees Bild Angelus Novus ist der Engel ein Getriebener. Sein Gleitflug bedeutet jedoch Stillstand infolge des Zwanges äußerer Bewegung. Vom Sturm des Fortschritts in die Zukunft getrieben, wird ihm die Möglichkeit eigener Praxis – »die Toten wecken«[138], »das Zerschlagene zusammenfügen«[139] – verwehrt. Unfähig die Flügel zu schließen und/oder den Blick abzuwenden, ist er zu ewiger ›Zeugenschaft‹[140] verurteilt. Eine »Lücke im Ablauf«[141] existiert nicht.

Während Benjamin die Zeit der Geschichte als Leerlauf beschreibt, benutzt Müller das Bild des Stillstands. Sein Engel ist ›glücklos‹.

DER GLÜCKLOSE ENGEL. Hinter ihm schwemmt Vergangenheit an, schüttet Geröll auf Flügel und Schultern, mit Lärm wie von begrabnen Trommeln, während vor ihm sich die Zukunft staut, seine Augen eindrückt, die Augäpfel sprengt wie ein Stern, das Wort umdreht zum tönenden Knebel, ihn würgt mit seinem Atem. Eine Zeit lang sieht man noch sein Flügelschlagen, hört in das Rauschen die Steinschläge vor über hinter ihm niedergehn, lauter je heftiger die vergebliche Bewegung, vereinzelt, wenn sie langsamer wird. Dann schließt sich über ihm der Augenblick: auf dem schnell verschütteten Stehplatz kommt der glücklose Engel zur Ruhe, wartend auf Geschichte in der Versteinerung von Flug Blick Atem. Bis das erneute Rauschen mächtiger Flügelschläge sich in Wellen durch den Stein fortpflanzt und seinen Flug anzeigt.[142]

In Müllers vermutlich 1958 entstandenem Gedicht Der glücklose Engel wird der Engel der Geschichte von der Vergangenheit verschüttet, von der Zukunft erstickt und erstarrt im steinernen Grab der Geschichte. Im Rücken den Kot der Vergangenheit, geblendet und gewürgt von der Utopie, die einst Zukunft verhieß, und eingeschlossen im ›Augenblick‹ (die mögliche ›Lücke im Ablauf‹), ist die ›Geschichte‹ für den Engel in einen zeitlosen, mythischen Raum zusammengedrängt. Im Gegensatz zum Engel Benjamins schwebt dieser nicht über dem Geschichts›prozeß‹, sondern steht mitten in ihm. Seine Praxis – ›sein Flügelschlagen‹ – bestimmt den Rhythmus, in dem die ›Steinschläge‹ auf ihn niedergehen. Wie in Herakles 2 wird jeder Versuch des Eingreifens zum möglichen Schlag gegen die Eigensubstanz.[143] Die Erstarrung ist daher ebenso total wie freiwillig. Sie ist der ›Schutzwall‹ zur Bewahrung subjektiver Geschichtswahrnehmung durch das seiner selbst gewisse Individuum.

Wenn »die Lehre so tief vergraben und außerdem vermint ist, muß man gelegentlich den Kopf in den Sand (Schlamm Stein) stecken, um weiterzusehn. Die Maulwürfe oder der konstruktive Defaitismus.«[144] Als ›konstruktiver Defaitismus‹ eines ›Maulwurfs‹ ist daher auch jener Flug lesbar, ›das erneute Rauschen mächtiger Flügelschläge‹, das sich ›in Wellen durch den Stein fortpflanzt‹. Der Stein ist dem spät wiedergeborenen Engel zum neuen Lebensraum geworden. Indem sich der Engel aus dem Kokon der Verschüttung/ Erstarrung befreit und seine Bewegungen auf den Stein überträgt, gewinnt die Versteinerung als (Lebens)Raum eine neue Qualität.

Der Glücklose Engel beschreibt die Umwertung einer versteinerten (musealen/ erstarrten) Geschichte in die Dynamik der Utopie weitab jeglicher Idealisierung/ Ideologisierung von Zukunft, die lediglich vermochte ihm die Augäpfel zu sprengen. Die Utopie liegt in der Subversion des Bestehenden, dessen Negation Momente des Utopischen anhaften. Indem der Engel die fruchtlosen ›Bewegungen der Geschichte‹ auf sich selbst fokussiert und das zeitlich verstreute Konfliktpotential in einem dramatischen Raum der ›Erstarrung‹ um sich herum anordnet, forciert er die Explosion der ›Geschichte‹, deren Trümmer wieder Utopie freizusetzen vermögen. »[…] Erst das Zerschlagen der Denkmale setzt das in ihnen erstickte Leben frei.«[145] Der ›Stillstand der Geschichte‹ wird hier, ganz benjaminisch, zur Voraussetzung der ›Sprengung des Kontinuums‹.[146]

Ähnliche Bilder kehren in Heiner Müllers Werk der siebziger Jahre immer wieder, scheinen aber immer weniger optimistisch auszufallen. In Mauser besteht noch die Hoffnung, daß der Menschen aus dem »Kot seiner Geschichte«[147] gegraben werden könne. In der Hamletmaschine fällt dem geflickten Subjekt der Geschichte, »im Rücken die Ruinen von Europa«[148], nichts ein, als das »BLABLA«[149] der Brandung zu respondieren. Immerhin deutet die Erstarrung der Ophelia der Tiefsee[150] auf eine Bewegung voraus, die vielleicht jenseits der terrestrischen Geschichte einmal zum Tragen kommen wird. Durch den extremen Gegensatz von Stillstand der Aktion und dynamischer Zukunftsprojektion, wird das ›wilde Harren‹[151] der gewaltsam stillgestellten Racheenergie Ophelias zum utopischen Sprengsatz.

Als ›Racheengel‹ verweist sie bereits auf einen anderen ›Typus‹ des Engels, der, parallel zur Verschiebung Müllers Interesse von der Revolution der ›Zweiten‹ auf die der ›Dritten Welt‹, bereits in Leben Gundlings (als ›Wüstengott‹ Zebahl[152] ) zu Wort kommt und in Der Auftrag (als »Engel der Verzweiflung«[153] ) wiederkehrt. In Landschaft mit Argonauten fegt er im Tiefflug »die Leichen vom Plateau«[154].

5. Der Widerstand des Materials – Körper und Geschichte

Die kommunistische Revolutionstheorie stellt Disziplin und bedingungslose Unterordnung über die Selbstverwirklichung des Individuums. Der individuelle Leib wird zur Funktion eines kollektiven Körpers und scheint als Glied desselben beliebig austauschbar. Die Negation des Individuums durch das revolutionäre Kollektiv – Voraussetzung der Produktion des ›Neuen Menschen‹ – beruht jedoch gerade auf der Aufhebung des ›Stellvertreterprinzips‹. In einem Arbeitsnotat zur Bearbeitung/ Inszenierung des Macbeth an der Volksbühne 1982 heißt es:

Gegenstand der Bearbeitung/ Inszenierung ist die Auswechselbarkeit des Menschen. Diese stürzt den Einzelnen in die Verzweiflung. Die Verzweiflung des Einzelnen ist die Hoffnung für die Kollektive. Kommunismus bedeutet die Möglichkeit der wirklichen Vereinzelung, die das Ende der Auswechselbarkeit ist. Entlassung des Menschen aus der Not seiner Vorgeschichte in das Universum seiner Einsamkeit.[155]

Und im Horatier: »Und der Vater des Horatiers sagte:/ Dieser ist mein letztes. Tötet mich für ihn./ Und das Volk antwortete mit einer Stimme:/ Kein Mann ist ein andrer Mann«[156]. Das Einverständnis mit dem am eigenen Körper erfahrenen Schmerz wird zu einer Grundbedingung der Herausbildung einer kollektiven Moral. »[…] Aber der erste Schritt zur Aufhebung des Individuums in diesem Kollektiv ist seine Zerreißung. Tod oder Kaiserschnitt die Alternative des NEUEN MENSCHEN.«[157] Im Gegensatz zum hierarchisch aufgebauten Staat ist das Kollektiv organisch strukturiert.[158] Jedes Glied ist von existentieller Bedeutung für das Ganze und nicht, wie im Staat, beliebig austauschbar. Erst vor dieser Folie bekommt Brechts Metapher vom ›Abschneiden des eigenen Fußes‹[159] ihren vollen Sinn.

Müller, der den Menschen in Mauser, im Anschluß an Brechts Massnahme, als ›Fehler‹, resp. Lernobjekt betrachtet[160], sieht in diesem nunmehr »vielleicht erlösende[n] Fehler«[161] die Utopie aufblitzen. »Die Schwerkraft der Massen ist das Korrektiv der Politik, und nicht, wie im Westen, ihre Bedingung. […] In unserem System wird der Mensch immer störanfällig bleiben. Und diese Störung ist das Wesentliche.«[162]

Ein zentrales Problem in Müllers Gesamtwerk ist daher die Kollision von Ideen und individuellen körperlichen Bedürfnissen. In seinen frühen Stücken, bis hin zu Mauser und Zement, verhandelt Müller diese Dialektik zwischen dem Einverständnis mit der Notwendigkeit (»Zeit der Geschichte«[163] ) und dem kreatürlichen Anspruch auf Selbstverwirklichung des Individuums (»Zeit des Subjekts«[164] ) und versucht sie im Kollektiv kurzzuschließen. Für Müller wurzelt dieser Widerspruch in der historischen Situation der sozialistischen Staaten und betrifft »das Zeitmaß der Entwicklung«[165] von der sozialistischen ›Übergangsphase‹ zum Kommunismus. Der Konflikt, der sich aus dieser »Differenz zwischen der Zeit des Subjekts und der Zeit der Geschichte«[166] ergibt, ist für Müller bereits seit den fünfziger Jahren bestimmend: »es dauert länger als man lebt«[167]. Dieser Widerspruch wird im Marxismus zugunsten des gesetzmäßigen historischen Prozesses aufgelöst, der die Niederlagen, Rückschläge und Katastrophen der Geschichte nur als Bruchstücke an der Kette gesellschaftlichen Fortschritts aufreiht. Der individuelle Glücksanspruch tritt zugunsten des historischen Prozesses zurück. Die ›Befreiung der Toten‹ wird dem »Ideal der befreiten Enkel«[168] geopfert. Revolution wird zum Medium einer Ideologie, die Zukunft erstickt. Die Negation des Individuums durch den revolutionären Prozeß wird jedoch in dem Augenblick problematisch, da die Einlösung der Utopie in ein historisches Jenseits verlegt wird, weil damit die generelle Gefahr verbunden ist, »daß die Utopie Religion wird«[169]. Figuren wie Fondrak aus der Umsiedlerin (»Vorm Kommunismus seht ihr mich nicht wieder.«[170] ) oder Donat in Der Bau (»Was hier anfängt hört nicht auf/ Mit uns, aber was lebt muß wachsen und/ Haust in der Schwebe zwischen Alt und Neu.«[171] ) legen von diesem Grundkonflikt kommunistischer Teleologie ebenso Zeugnis ab, wie Dascha in Zement (»Etwas hat aufgehört/ Was anfängt ist noch blind.«[172] ) oder das Gedicht Die Fahne (»Von ihnen, die den Weg angetreten, sehn/ Das Ziel nur wenige. Die es erreichen/ Sind viele, aber andere.«[173] ). Noch in einem seiner letzten Texte schreibt Müller:

Der Maler malt das Vergessen. Das Bild vergißt

seinen Gegenstand. Der Maler ist Charon. Mit

jedem Pinselstrich/Ruderschlag verliert sein

Passagier an Substanz. Die Fahrt ist das Ziel,

das Sterben der Tod. Am andern Ufer wird

Niemand aussteigen.[174]

Die Verweigerung der positiven Darstellung eines idealen Ziels richtet den Fokus auf den jeweils aktuellen Aktionsraum, in dem der zerrissene Körper zur ›Chiffre des Utopischen‹[175] wird. »[…] Utopie[176] verlangt vom einzelnen immer Opfer und Verzicht, entwertet die Gegenwart zugunsten einer Fiktion von Zukunft.«[177] Doch die Disziplinierung der Körper scheitert. Die Körper korrigieren die Ideen. »Solange es Ideen gibt, gibt es Wunden. Ideen bringen den Körpern Wunden bei.«[178] Die Wunden, Male authentisch erfahrenen Schmerzes, bringen den Menschen in seiner konkreten Körperlichkeit wieder in das Spiel der Ideen. »Die Narben schrein nach Wunden«[179], und künden damit vom Widerstand des Körpers gegen seine Funktionalisierung durch einen imaginären Fortschritt. Die Last der Toten im Nacken[180] sind der notwendige Ballast auf dem Weg aus der ›Vorgeschichte‹ in die ›Geschichte des Menschen‹.

Dabei ist die Erfüllung des individuellen Glücksanspruchs nicht das eigentliche Problem. Es geht vielmehr um den gesellschaftlichen Rahmen, der diesen Glücksanspruch universalisiert. »Jeder Entsagende gibt mehr von seinem Leben als ihm zurückgegeben wird, mehr als das Leben, das er verteidigt.«[181] Was Horkheimer/ Adorno im Anschluß an Freud[182] als Prinzip der Zivilisation ausmachen, gilt jedoch nur vor der Folie subjektfixierten europäischen Denkens. Artaud entwirft ein Gegenmodell:

Eine Verwirklichung der Oberhoheit des Todes ist nicht dasselbe wie ein Verzicht auf gegenwärtiges Leben. Sie bedeutet, daß man dem gegenwärtigen Leben seinen Platz anweist; man läßt es gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen ineinandergreifen; man spürt, wie tragfähig diese Ebenen sind, die die lebendige Welt zu einer großen, im Gleichgewicht befindlichen Kraft machen; sie bedeutet letztlich die Wiederherstellung einer umfassenden Harmonie.[183]

Artaud will die konkrete Körperlichkeit wieder in die materialistische Theorie eingeführt wissen. Er behauptet, der analytische Begriff der Welt sei eine Lüge der europäischen Kultur, resp. »des weißen Geistes«.[184] Gegen den bürgerlichen Kulturbegriff, der das Problem der Materie vom Problem des Lebens trennt, stellt Artaud einen einheitlichen Begriff von Kultur, in dem »denken, schlafen, träumen, essen, all das ein und dasselbe ist«[185].

All das ist Leben. Aber ich sage, daß derselbe Sammlergeist, der Bilder und Bücher anhäuft und in den Museen Steine hortet, auch der Geist ist, der Bücher hamstert, der die Produktion der Welt erstickt und der zugunsten einiger weniger Individuen einen ganzen Komplex materieller Reichtümer beiseiteschafft, in deren Genuß alle kommen müssen.[186]

Auch für Müller ist Revolution ohne die Leiblichkeit nicht denkbar. »Ohne Genuß ist der Mensch nicht lebensfähig.«[187] Im Gegensatz zu Freud, der die Libido als Mittel zur Überwindung des Triebes definiert und sie so zu einer Funktion des Todestriebes macht[188], behauptet Müller Genuß als Zweck. »Solange es Genußmittel gibt und der Genuß nicht Zweck ist, gibt es keinen Genuß. Genuß muß Zweck, nicht Mittel sein.«[189] Die deutlich an Brechts ›Egoisten‹ Fatzer[190] angelehnte Figur des Hedonisten Fondrak aus Müllers Die Umsiedlerin trägt daher durchaus nicht den Charakter eines Negativbeispiels. Indem Fondrak in der sozialistischen Produktion dieselben Funktionsmechanismen zu erkennen glaubt, die für die kapitalistische Arbeit bestimmend sind, verweigert er die Unterwerfung des Körpers unter die abstrakte Idee eines nur papiernen Fortschritts.[191]

6. Erinnerung an die Zukunft – Körper und Gedächtnis

In einem Gespräch mit Alexander Weigel[192] beschreibt Müller seine Inszenierung von Mauser, Quartett und Wolokolamsker Chaussee V/ Der Findling 1991 am Deutschen Theater Berlin als »eine Reise aus der Vergangenheit rückwärts in die Gegenwart, denn die Vergangenheit liegt vor uns und die Zukunft, die in der Gegenwart eingeschlossen war, hinter uns«[193]. Das an Benjamins neunte geschichtsphilosophische These[194] angelehnte Bild von der Zukunft (im Sinne von geschichtlichem Fortschritt) im Rücken intendiert, soll diese Zukunft freigesetzt werden, Erinnerung. Dieser Vorgang des Erinnerns ist für Müller kein Erinnern von Fakten, denn »das können Maschinen […] letztendlich besser«[195]. Es geht vielmehr um »das Erinnern von Emotionen, von Affekten, die im Zusammenhang mit Ereignissen stehen. Um ein emotionales Gedächtnis«[196]. Damit verweist Müller wiederum auf den benjaminschen Begriff einer ›historischen‹ Wahrheit gegenüber der ›empirischen‹.[197] »Die historische [Wahrheit] ist manchmal gar nicht identisch mit der empirischen, weil die Ereignisse, wenn sie manifest werden, wenn sie geschehen, oft schon vorbei sind. Sie sind vorher passiert, die eigentliche Bewegung hat längst stattgefunden.«[198] Erinnerungsarbeit wird so zur wichtigen Voraussetzung des Utopieerhalts. Die Erinnerung dient der Wiedergewinnung eines unerledigten utopischen Anspruchs, der erneut im Gedächtnis verankert werden soll. Die Kunst kann als »geronnene Erfahrung«[199] eine solche Mnemotechnik sein, indem sie, wie Aaron in Shakespeares’ Titus Andronicus, die Leichen der Geschichte immer wieder ausgräbt, um sie den Angehörigen vor die Tür zu stellen.[200] »Erinnerungsarbeit oder Trauerarbeit geht aus von Schocks«[201], mit denen man lernen muß umzugehen. »Und da geht es dann immer auch um die Befreiung von Toten«[202], die ansonsten in der westlichen Welt, »außer für die Stadtplanung«[203], keine Rolle mehr spielen. »Keine Revolution ohne Gedächtnis. […] Die Toten schreiben mit auf dem Papier der Zukunft.«[204]

»Das Tote ist nicht tot in der Geschichte. Eine Funktion von Drama ist Totenbeschwörung – Der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist.«[205] Zu den Toten zählen ebenso diejenigen, die keine eigene Sprache haben, die Vergessenen, Ausgegrenzten, Unterdrückten in jeglicher Hinsicht. Kunst kann, als minoritärer Gegendiskurs[206], diese Sprachlosigkeit aufnehmen, denn »die Bewegung kommt aus den Provinzen.«[207]

Literatur ist auf jeden Fall so etwas wie Gedächtnis – und zwar auch Erinnerung an die Zukunft, also Erinnerung an etwas, das noch nicht existiert oder existiert hat. Literatur ist nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Erinnerung an Zukunft. […] In den westlichen Industrieländern […] herrscht die totale Besetzung mit Gegenwart.[208]

Beschwört Müller zum einen immer wieder den Verlust des Gedächtnisses als Voraussetzung der restlosen Verwertung des Menschen als Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozeß[209], betont er zugleich das utopische Potential einer Erinnerung, die im Vergangenen ›Unabgegoltenes‹, ›Unterlassenes‹, ›Unbesorgtes‹ im blochschen Sinne aufspürt, um es als »zu Besorgendes«[210] im Zeitbewußtsein zu verankern.

Müllers Dramen bestehen zum Großteil aus Zitaten und literarischen Referenzen. Sie sind deshalb keine Friedhöfe, Museen oder Müllhalden der Literatur, sondern im Gegenteil eminent politisch.[211] Kunst braucht keine politischen Inhalte, um politisch zu sein. Die Form ist politisch[212]: ›the medium is the message‹ (McLuhan). Müllers Verweis auf die Form ist die Kritik der Sprache immanent. Diese Kritik bezieht sich in erster Linie auf eine Sprache, die nur semantisch ist, bloßes Medium der Informationsvergabe, und somit ihre Qualität als Quelle sinnlicher Erfahrung einbüßt. Wie vielen Sprachkritikern aus dem theoretischen Umfeld der ›Postmoderne‹ geht es Müller darum, die Sprache aus ihren diskursiven Bindungen zu befreien. Die Sprache strukturiert die Gesellschaft. Sprachkritik ist Gesellschaftskritik. »Jedes Wort ist ein Vorurtheil«[213], sagt Nietzsche. In Le Différend beschreibt Lyotard im Anschluß an Foucault und Barthes Gesellschaft und Kultur mit Hilfe eines sprachphilosophischen Ansatzes als Kombination verschiedener miteinander in Verbindung stehender Diskurse. Diese Sichtweise zielt auf die Möglichkeit, Machtstrukturen in ihrer über einzelne politische Institutionen hinausreichenden Verbreitung adäquat zu erfassen und gegen Machtdiskurse mit Hilfe gezielter subversiver Gegendiskurse vorzugehen, »Inseln der Unordnung«[214] zu produzieren. Das Unmöglichmachen von Sprache stellt die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage. Aufgabe der Kunst sei es, die Räume jenseits dieser diskursiven Sprache zu besetzen: »… die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches zur Welt bringen«[215], heißt es schon bei Kleist.

Die Wandbilder der Minderheiten und die proletarische Kunst der Subway, anonym und mit gestohlener Farbe, besetzen ein Feld jenseits des Marktes. Vorgriff aus dem Elend der Unterprivilegierten in das Reich der Freiheit, das jenseits der Privilegien liegt.[216]

Müllers Arbeit mit der ›gestohlenen Farbe‹ der Versatzstücke abendländischer Literatur kann auch als Versuch der eigenen Marginalisierung gelesen werden, als Kampf des Autors Müller gegen die eigenen Privilegien. »Ich bin ein Neger.«[217] Die Herstellung eines ›universalen Diskurses‹ als Alternative zum ›Schweigen der Entropie‹ setzt die Arbeit am ›Verschwinden des Autors‹ voraus.[218] Die Aufgabe des Besitzverhältnisses von ›Autor‹ und ›Werk‹ bedeutet somit letztlich nicht die Flucht aus der Verantwortung. Sie zielt im Gegenteil auf die Begründung einer neuen Moral jenseits der »Personalisierung von Zwangslagen, die auf dem Irrtum der Individualität beruht«[219].

Solange Freiheit auf Gewalt gegründet ist, die Ausübung von Kunst auf Privilegien, werden die Kunstwerke die Tendenz haben, Gefängnisse zu werden, die Meisterwerke Komplicen der Macht. Die großen Texte des Jahrhunderts arbeiten an der Liquidation ihrer Autonomie, Produkt ihrer Unzucht mit dem Privateigentum, an der Enteignung, zuletzt am Verschwinden des Autors.[220]

Müller favorisiert ein, von Deleuze und Guattari in die Metapher ›Rhizom‹ gefaßtes[221], dezentriertes Kunstkonzept, in dem »das monadische Individuum als deutlich umrissener fiktiver Charakter ›verschwindet‹ und in de[m] sich Zeitebenen übergangslos verschränken«[222]. Die bewußte Fragmentarisierung, soll verhindern, daß ›die Produktion im Produkt verschwindet‹[223]. Sie schafft zudem die »Nahtstellen, wo Publikum/ Theater/ Autor sich treffen«[224]. Eine solche Kunst, die nicht (mehr) Eigentum des ›Machers‹ ist, wird unkontrollierbar, gewinnt Eigendynamik. »[…] die Metapher ist klüger als der Autor. […] Die Angst vor der Metapher ist die Angst vor der Eigenbewegung des Materials. Die Angst vor der Tragödie ist die Angst vor der Permanenz der Revolution.«[225] Das konsequente Spiel des Ästhetischen verweist auf die unausgeschrittenen Möglichkeiten in der Realität und umreißt, so Adorno in seiner Ästhetischen Theorie, den einzigen Bereich, in dem sich Revolution permanent vollzieht. »Kunst legitimiert sich durch Neuheit = parasitär, wenn mit Kategorien gegebener Ästhetik beschreibbar.«[226]

Was Müller über Becketts Rückzug aus der Sprache sagt, gilt auch für seine Texte:

Es geht nicht um Information, sondern um die Mitteilung einer Befindlichkeit. Über seine Art zu formulieren kann der Autor mitteilen, was mit ihm ist. […] Außerhalb syntaktischer Ordnungen wird etwas mitgeteilt, was nicht mitteilbar ist. Daran muß der Leser arbeiten, um es auf sich zu beziehen, denn er weiß nicht, was ihm da mitgeteilt wird. Dann weiß er aber auch nicht mehr, wer er ist. Wer aber nicht mehr weiß, wer, was und wo er ist, der muß sich bewegen. Das ist das revolutionäre Moment an dieser Art Texte, sie schaffen Veränderung.[227]

Das revolutionäre Moment der Kunst bestünde demnach darin, die »Wirklichkeit unmöglich zu machen«[228], indem sie die Struktur personaler Identität zerstört. Die Explosion des Bewußtseins sprengt die Versteinerung des seiner selbst gewissen Individuums und schafft durch diese Zerstörung Bewegung. Müller knüpft hier an Schillers Konzept des ›ästhetischen Scheins‹ an. Im 15. Brief seiner Schrift Über die Ästhetische Erziehung des Menschen[229] heißt es, »[…] Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt«[230]. Zugleich behauptet Müller das schillersche ›Naive‹ gegenüber dem ›sentimentalischen‹ Ideal[231]. »Aus Naivität kommt die Kraft, Phantasie als Realität, als Bestandteil von Realität zu behaupten.«[232] Die Behauptung der vollen Konsistenz des Spiels als Realität stellt zugleich die ausschließliche Legitimation des Daseins der empirischen Wirklichkeit in Frage und schafft somit einen »Freiraum […] für das Denken eines andern Ablaufs«[233]. »Wenn alle spielen, ist das die totale Außerkraftsetzung von Macht.«[234] Und mit Novalis: »Das Poetische ist das absolut Reelle.«[235]

Müller arbeitet kontinuierlich an der Zertrümmerung abendländischer Wertvorstellungen, die in bedeutendem Maße an der Stagnation geschichtlicher Prozesse beteiligt sind und die authentische Erfahrung marginalisieren. Das Theater soll den Widerstand des Materials gegen die Kunst organisieren, um zu verhindern, daß der ›Terror‹ einsetzt, den die Theoretisierung der Praxis mit sich bringt.[236] Der Funktionalisierung der Praxis durch die Theorie muß das Theater entgegenarbeiten, indem es zum subversiven Ort der Realisierung einer Utopie wird.

Evident wird dieses Problem in der »Rebellion des Körpers gegen Ideen«[237]. Ist der Körper eigentliches Ziel der Disziplinierung durch die ›praktische Vernunft‹ und somit bevorzugtes Objekt ihrer ›Einschreibungen‹[238], besitzt er als ›Leib‹ zugleich ein subversives Potential. »Das Fleisch hat seinen eignen Geist.«[239] Dieser Erfahrung korrespondiert in den Theatertexten Müllers die Aufwertung visueller Elemente gegenüber dem gesprochenen Wort.[240] Aus der Verselbständigung der non-verbalen Körper-Sprache vom zumeist auf ein Minimum reduzierten Sprechtext erklärt sich auch Müllers Affinität zur nicht-mimetischen Arbeitsweise Robert Wilsons.[241] Eine grundlegende Differenz zwischen Wilson und Müller liegt jedoch im Stellenwert, der der Kunst gegenüber der Gesellschaft eingeräumt wird. Während Wilson mit seinem Theater keinerlei politische Ambitionen verfolgt, können »Müllers Konzepte und dessen Texte als Paradigma einer noch einzig möglichen kritischen Kunst«[242] gelten.

7. Laboratorium der sozialen Phantasie

Müllers erklärtes Interesse, beim Schreiben Dinge zu zerstören[243], zu fragmentarisieren oder zu skelettieren äußert sich in seinen Texten in der sukzessiven Auflösung dramatischer Folien, in der kontinuierlichen Destruktion theatralischer Idealkonstruktionen sowie der zunehmenden Verweigerung inhaltlicher Sinngebung.

Ich glaube an Konflikt. Sonst glaube ich an nichts. Das versuche ich in meiner Arbeit zu tun: daß Bewußtsein für Konflikte zu stärken, für Konfrontationen und Widersprüche. Antworten und Lösungen interessieren mich nicht. Ich kann keine anbieten. Mich interessieren Probleme und Konflikte.[244]

Wie sein selbsternannter ›Lehrmeister‹ Brecht, den er nicht müde wird zu modifizieren, kritisieren und destruieren[245], gewinnt auch Müller die Begriffe für sein Theater aus der Negation eines bestehenden. Wo Brecht seinen Säulenheiligen Aristoteles ohrfeigt, schreibt Müller gegen den »Kannibalismus der Einfühlung«[246], den »Terror des Begriffs«[247], den »Tod der Erfahrung«[248] und die »Personalisierung von Zwangslagen«[249] an.

Statt Integration des Zuschauers in den Produktionsprozeß, intendiert Müller Desintegration, Konfrontation. Der Rezeptionsvorgang müsse zum Produktionsvorgang werden. Der Zuschauer wird gezwungen, mit den Trümmern weiterzujonglieren, die ihm von der Bühne zufallen. Es gehe darum, in das »Furchtzentrum«[250] eines Vorgangs einzudringen. In diesem Sinne wird die aristotelische/ lessingsche Formel der Katharsis interpretiert: »DIE ERSTE GESTALT DER HOFFNUNG IST DIE FURCHT DIE ERSTE ERSCHEINUNG DES NEUEN DER SCHRECKEN.«[251] Indem Müller Furcht und Schrecken im Sinne Brechts[252] auf das Neue hin fokussiert, gibt er der Katharsis eine geschichtsphilosophische Perspektive. Damit wird die Zerstörung des Alten als Voraussetzung der Produktion des Neuen erkannt. Die Zerreißung des Dionysos geht seiner Erneuerung voraus. Der Bruch ist die Reife.[253] Nur wenn das ›Furchtzentrum‹ in seiner ganzen Konflikthaftigkeit als solches gefunden und anerkannt wird, kann es in ein »Kraftzentrum«[254] umgewandelt werden. Ähnlich wie für Brecht, ist Lernen für Müller ein Lernen durch Schrecken. Wirklich neue Erfahrungen und anhaltende Wirkungen lassen sich jedoch nur erreichen durch »den Griff unter die Schwelle des Bewußtseins, wo die Wünsche und Ängste hausen«.[255] Anstoß zu kollektiven Lernprozessen kann also nicht die rationale Verarbeitung nach dem »Gesetz der Selektion«[256] sein, vielmehr müsse der Reizschutz des Bewußtseins durch Schock unterlaufen werden. »Es hat noch nie eine grössere Gruppe von Menschen etwas gelernt ohne Erschrecken, ohne Schock.«[257]

Die kognitive Distanz, die zum Erkennen notwendig ist, soll im Theater, das »von den Schrecken/ Freuden der Verwandlung in der Einheit von Geburt und Tod«[258] handelt, durch die unmittelbare körperliche Erfahrung abgelöst werden, die zur Überwindung der Angst vor der Selbstaufgabe führen soll. Die ›Totenbeschwörung‹ ist zugleich Initiationsritus.

Das Wesentliche am Theater ist die Verwandlung. Das Sterben. Und die Angst vor dieser Verwandlung ist allgemein, auf die kann man sich verlassen, auf die kann man bauen. […] Und das Spezifische am Theater ist eben nicht die Präsenz des lebenden Schauspielers oder des lebenden Zuschauers, sondern die Präsenz des potentiell Sterbenden.[259]

Die Zerreißung des individuellen rationalistischen Panzers wird zur Bedingung der Aufnahme in das Kollektiv: »Erfahrungen sind nur kollektiv tradierbar.«[260] Im Anschluß an Artaud, soll das Theater zum Ort kollektiver Reinigung von Abszessen werden.[261] Denn »wie die Pest ist das Theater eine Krise, die mit dem Tod oder der Heilung endet.«[262] Die Furcht vor der Zerreißung ist die Schwelle, die zum Eintritt in die ›authentische Erfahrung‹ überschritten werden muß. Die Angst, daß beim Ausräumen der Keller[263] die Häuser einstürzen, muß dadurch überwunden werden, daß der Leichengestank unerträglich wird.

[…] Der erste Schritt zur Aufhebung des Individuums in diesem Kollektiv ist seine Zerreißung. Tod oder Kaiserschnitt die Alternative des NEUEN MENSCHEN. Das Theater simuliert den Schritt, Lusthaus oder Schreckenskammer der Verwandlung.[264]

Die Erfahrung, die diese theatralische ›Simulation‹ zu vermitteln imstande ist, ist die des notwendigen Scheiterns jeder prästabilierten Theorie an einer niemals restlos erkenn- und berechenbaren Wirklichkeit. Das Theater ist als ›Laboratorium der sozialen Phantasie‹[265] ein Organ der Entdeckung dessen, was der Mensch überhaupt ist (Delphi: ›Erkenne dich selbst!‹) und wird damit zum Ort der Entdeckung der eigentlichen Möglichkeiten menschlichen Daseins. Für Wolfgang Heise ist Phantasie nicht lediglich spekulativ, sondern »ein spielendes Erfassen gerade des real Möglichen, das dadurch in Wirklichkeit gesetzt wird.«[266]

[...]


[1] W 1 14

[2] GI 1 32

[3] GI 1 64

[4] W 4 428

[5] Genau dieses Problem sieht Müller in der Liquidierung Fatzers in Brechts gleichnamigem Stück (vgl. auch GI1 52 und M 33).

[6] BFA 10, 511f

[7] H.M. 1953 in einer Rezension über eine Erzählung des ungarischen Autors István Nagy. Zitiert nach Hauschild 2001, 124.

[8] W 4 459

[9] Heise, Wolfgang: Beispiel einer Lessing-Rezeption: Heiner Müller. In: Storch 1988, 89

[10] Eine solche Gliederung ist für viele Interpreten Usus. Insbesondere Andreas Keller versucht eine derartige Periodisierung zu tradieren (vgl. Keller 1992). Diese Praxis hat nichts gemein mit Müllers Aufforderung an seine künftigen Herausgeber, bei der Edition seiner Werke dem Prinzip »brutaler Chronologie« (W 1 334) zu folgen.

[11] Zum Anlaß dieses Textes, der Heiner Müller, laut eigener Auskunft, beim späteren Lesen naiv erscheint, vgl. auch KOS 103f und Hauschild 237f.

[12] W 1 196

[13] vgl. hierzu Mao Tse-tung, für den der Marxismus erst vor der Folie seiner praktischen Anwendbarkeit einen Sinn bekommt: »Der Marxismus wird sich bestimmt vorwärts entwickeln. Er wird sich gemäß der Entwicklung der Praxis entfalten; er kann nicht stagnieren. Wenn er stagniert und immer der gleiche bleibt, dann hat er kein Leben mehr.« (Mao 1967, 26. Hervorhebung d.V.)

[14] M 50

[15] W 1 196

[16] »[…] wirklicher Fortschritt ist nicht Fortgeschrittensein, sondern Fortschreiten; was sich nicht wandelt dauert nicht.« (GI 3 137)

[17] W 1 196

[18] vgl. etwa die Figur des Herakles in dem Text Herakles 2 oder Die Hydra aus Zement

[19] M 23

[20] W 1 13. Vgl. K. Marx: »Proletarische Revolutionen […] schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht.« (MEW 8, 118f)

[21] Trotzkis Schrift Die permanente Revolution, die mehr Verteidigung als Manifest ist, erscheint 1929, im Jahr seiner Ausweisung aus der Sowjetunion.

[22] Trotzki 1972, 61, 87. (Hervorhebung d.V.)

[23] W 3 277

[24] Deleuze, Gilles/Guattari, Felix: 1227 – Abhandlung über Nomadologie: Die Kriegsmaschine. In: Dies.: Tausend Plateaus. Berlin 1992. S. 481-585

[25] Deleuze/Guattari 1992, 490

[26] In seiner Schrift über Staat und Revolution formuliert Lenin in Auseinandersetzung mit Marx die Frage nach der Staatsmacht als Grundfrage der Revolution. Klarer als Marx in seinem Aufsatz Der Bürgerkrieg in Frankreich, fordert Lenin als Ziel der Revolution nicht die Vervollkommnung des Staatsapparates, sondern seine Zerschlagung. An die Stelle des Staatsapparates müsse der »wahrhaft demokratische Apparat […] der organisierten und bewaffneten Mehrheit des Volkes« (Lenin 1975, 453) treten. Dabei räumt er, wiederum im Rekurs auf Marx, jedoch ein, daß der Staat das Mittel zu seiner eigenen Überwindung darstelle: »solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen.« (MEW 17, 339; hier zitiert nach Lenin 1975, 527)

[27] Deleuze/Guattari 1992, 512

[28] Deleuze/Guattari 1992, 518

[29] Müller spricht vom Kommunismus als totale Vereinzelung – im Gegensatz zum ›Kollektiv der Konsumenten‹: »Der Kommunismus vereinzelt, der Kapitalismus uniformiert.« (JN 25)

[30] Deleuze/Guattari 1992, 518

[31] Deleuze/Guattari 1992, 520

[32] Gemeint ist hier das rationalistische Denken der Aufklärung, das Horkheimer/Adorno in ihrer DIALEKTIK DER Aufklärung als »Organ der Herrschaft« bezeichnen. (vgl. Horkheimer/Adorno 1969, 137)

[33] Deleuze/Guattari 1992, 521 (Hervorhebung im Original)

[34] vgl. hierzu die utopisch codierten Landschaften in Müllers Texten (Tiefsee (Hamletmaschine), Steppe/Savanne (Bildbeschreibung, Anatomie Titus) etc.)

[35] Rasse wird bei Deleuze/ Guattari nicht biologisch definiert, sondern sozial: als unterdrückte Minorität, die, wie im ›Kafka‹-Buch erläutert, durchaus die quantitativ stärkste Gruppe innerhalb eines sozialen Gefüges darstellen kann.

[36] In einem Gespräch mit Martin Opitz über Ästhetik in Geschichtsphilosophie und Politik von 1991 verweist Müller auf eine Vorlesung Michel Foucaults: »Foucault spricht […] über die zwei abendländischen Diskurse, die sich wechselseitig ablösen und bekämpfen. Das eine ist der römisch-staatliche Diskurs und das andere der jüdisch-christlich-revolutionäre Diskurs mit dem chiliastischen Aspekt. Die letzten zwei großen Ausprägungen des jüdisch-christlich-revolutionären Diskurses sind für ihn der Nationalsozialismus und der Bolschewismus. Sie sind zwar verschieden, kommen aber aus derselben Quelle. Beide sind dann umgeschlagen. Sie haben den römisch-staatlichen Diskurs integriert, und damit wurden sie gefährlich.« (Jetzt sind eher die infernalischen Aspekte bei Benjamin wichtig. Gespräch mit Heiner Müller (vom 22. 11. 1991). In: Opitz, Michael/ Wizisla, Erdmut (Hg.): Aber ein Sturm weht vom Paradiese her. Texte zu Walter Benjamin. Leipzig 1992. S 348-362, hier 359)

[37] »Revolution ist Grenzüberschreitung.« (GI 1 134)

[38] BFA 10, 495

[39] Brecht benutzt im Kleinen Organon für das Theater wiederholt das Bild vom Flußbauer und Bewässerer, das ebenso im Kaukasischen Kreidekreis sowie in diversen Gedichten des späten Brecht wieder auftaucht.

[40] 1978 inszeniert Müller Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer zusammen mit Kleists Prinz Friedrich von Homburg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

[41] Deleuze/ Guattari 1992, 523

[42] »Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben. Was gross ist am Menschen, das ist, daß er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, daß er ein Übergang und ein Untergang ist. […] Ich liebe alle Die, welche wie schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, daß der Blitz kommt, und gehen als Verkündiger zu Grunde […] Dieser Blitz aber heisst Übermensch. –« (Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. In: KSA 4, 16ff)

[43] W 3 393

[44] W 4 245

[45] vgl. W 4 249

[46] W 4 550

[47] W 4 551

[48] »[…] ob die Inhalte nun böse sind oder gutartig, das ist ziemlich gleichgültig. […] Im Moment halte ich es für allein wichtig, daß überhaupt etwas entsteht, in diesen Ordnungsstaaten. Auch wenn man gelegentlich Angst davor bekommt, wie sich das einfärbt.« (M 28)

[49] vgl. GI 1 160

[50] Marx: Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW 1 385 (vgl. dazu Die Hamletmaschine, W 4 553)

[51] W 4 85

[52] vgl. Marx/Engels: »Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren.« (MEW 4, 465)

[53] »Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer sie sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. Nur findet er in einer Arena statt, in der die herrschende Klasse kommandiert. Derselbe Sprung unter dem freiem Himmel der Geschichte ist der dialektische als den Marx die Revolution begriffen hat.« (Benjamin 1992, 150. Hervorhebung d.V.)

[54] vgl. Thomas Hobbes: Leviathan or the matter, form and authority of government (1651).

[55] Benjamin 1992, 150

[56] Müllers Verhältnis zur Postmoderne ist wohl am treffendsten in seiner Büchner-Preisrede beschrieben: »[…] die schamlose Lüge vom Posthistoire vor der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte«, in der wir uns, wie Müller anschließend feststellt, noch immer befinden. »Nicht eh Geschichte passiert ist, lohnt der gemeinsame Untergang im Frost der Entropie, oder politisch verkürzt, im Atomblitz, der das Ende der Utopien und der Beginn einer Wirklichkeit jenseits des Menschen sein wird.« (M 115)

[57] vgl. M 37

[58] vgl. GI 1 36

[59] M 39

[60] Keller 1992, 70

[61] vgl. Benjamin 1992, 150

[62] »Die Geschichtszeit als erster und wichtigster Parameter historischer Differenz wird belanglos und stürzt vertikal und horizontal in einen Punkt zusammen, der die gleichförmigen Qualitäten der Vorgeschichte, einen status quo unmenschlicher Stereotypien, enthält. […] es bleiben nur noch zwanghaft aus den im Kern immer gleichen Besitz- und Gewaltverhältnissen hervorgehende Variationen über einige Grundmuster barbarischen Verhaltens zu konstatieren.« (Iversen, Fritz/Servos, Norbert: Sprengsätze. Geschichte und Diskontinuität in den Stücken Heiner Müllers und der Theorie Walter Benjamins. In: Girshausen 1978, 129)

[63] GI 2 32

[64] Die Vereinnahmung der humanistischen Tradition steht im Widerspruch zur Marxschen Forderung der Vergangenheitsbewältigung: »Die soziale Revolution […] kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat. (Marx: MEW 8, 117)«

[65] vgl. Die Hamletmaschine: »In der Einsamkeit der Flughäfen/ Atme ich auf Ich bin/ Ein Privilegierter Mein Ekel/ Ist ein Privileg/ Beschirmt mit Mauer/ Stacheldraht Gefängnis« (W 4 552)

[66] GI 1 78

[67] W 4 83

[68] In der Negativen Dialektik definiert Adorno den hegelschen ›Weltgeist‹, ganz im Sinne Benjamins, als »permanente Katastrophe« (Adorno 1970, 314)

[69] vgl. Jetzt sind eher die infernalischen Aspekte bei Benjamin wichtig. Gespräch mit Heiner Müller. A.a.O. 352

[70] M 70

[71] ebd.

[72] W 1 243. Müllers konsequente Arbeit an der Dekomposition des ›Ich‹ als Subjekt der Geschichte, am Verschwinden der Sprecherinstanz als Statthalter einer instrumentellen und historischen Vernunft und somit am abendländischen Subjektbegriff überhaupt – Thema mehrerer dramatischer Arbeiten der achtziger Jahre, wie Bildbeschreibung oder Medeamaterial – ist Gegenstand zahlreicher literaturwissenschaftlicher Untersuchungen und kann hier nicht breiter ausgeführt werden. Vgl. auch Müllers Äußerungen zu dieser Problemstellung in GI 2 148 und JN 45.

[73] vgl. dazu Paul Virilios Nachruf auf H.M.: »Den großen Tragikern gleich prophezeitest du, der Mensch sei nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern ihr Ziel, ihre Vollendung. Und dies zu einem Zeitpunkt, da alles Übel der Welt ohne Zweifel der Überzeugung entspringt, der Mensch sei unübertrefflich.« (Virilio, Paul: à Heiner Müller – 16 janvier 1996. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Heiner Müller. ²München 1997 (TEXT+KRITIK 73), 3-4, hier 4)

[74] JN 37

[75] vgl. GI 1 84

[76] vgl. Jetzt sind eher die infernalischen Aspekte bei Benjamin wichtig. Gespräch mit Heiner Müller. A.a.O. 352f

[77] Benjamin 1992, 153

[78] »In einem Gelände in dem die Lehre so tief vergraben und außerdem vermint ist, muß man gelegentlich den Kopf in den Sand (Schlamm Stein) stecken, um weiterzusehn. Die Maulwürfe oder der konstruktive Defaitismus.« (M 40)

[79] »Napoleon/Stalin, der Liquidator der Revolution.« (KOS 297)

[80] Titel der 1947 erschienenen ›philosophischen Fragmente‹, als die Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ihre sozialphilosophischen, sozialpsychologischen und wissenschaftstheoretischen Untersuchungen veröffentlichten, die 1942-1944 aus Gesprächen im amerikanischen Exil hervorgingen.

[81] vgl. Horkheimer/Adorno: »Die Subsumtion des Tatsächlichen, sei es unter die sagenhafte Vorgeschichte, sei es unter den mathematischen Formalismus, die symbolische Beziehung des Gegenwärtigen auf den mythischen Vorgang im Ritus oder auf die abstrakte Kategorie in der Wissenschaft läßt das Neue als Vorbestimmtes erscheinen, das somit in Wahrheit das Alte ist.« (Horkheimer/Adorno 1969, 42)

[82] vgl. W 4 526

[83] Horkheimer/Adorno benutzen dieses Bild für die Darstellung des Verhältnisses des Menschen zur Natur, das ein Herrschaftsverhältnis ist. Damit beschreibt es die Überführung von Erfahrung in Erkenntnis. (vgl. auch Homer. Odyssee XII, V 177-198)

[84] Horkheimer/Adorno 1969, 75

[85] vgl. Schopenhauer: »[…] den Blick des rohen Individuums trübt […] der Schleier der Maja: ihm zeigt sich, statt des Dinges an sich, nur die Erscheinung, in Zeit und Raum, dem principio individuationis, und in den übrigen Gestaltungen des Satzes vom Grunde: und in dieser Form seiner beschränkten Erkenntnis sieht er nicht das Wesen der Dinge, welches Eines ist, sondern dessen Erscheinungen, als gesondert, getrennt, unzählbar, sehr verschieden, ja entgegengesetzt.« (Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung I. In: Schopenhauer 1988, 456) Vgl. dazu auch Nietzsches Geburt der Tragödie.

[86] »Dante hat den point of no return auf die Feuerwand seines Inferno projiziert, das Scheitern des Odysseus in der Brandung von Atlantis: Vom neuen Land her eines Wirbels Wehn/ […] Bis über uns das Meer zusammenschlug« (M 64). – In einem Gespräch mit Gisela Kayser, Michael Schwelling und Eberhard Sens 1986 wird eine Passage aus Dante Alighieris ›Göttlicher Komödie‹, zitiert, die davon berichtet, wie Odysseus mit seinen Gefährten im Alter zu einer erneuten Fahrt aufbricht; diesmal gen Westen und ohne Wiederkehr. (vgl GI 2 33f; Dante: Inferno, 26. Gesang) – vgl. auch Müllers frühes Gedicht Ulyss (W 1 44)

[87] M 93

[88] M 29

[89] »[…] Leben ist, daß sich etwas ereignet, daß etwas passiert [= vorüberzieht]. Und wenn nichts mehr passiert, dann ist es vorbei. Das ist der Punkt, wo die Systeme lebensfeindlich werden, wo auch das Denken, das begriffliche Denken lebensfeindlich wird.« (M 29)

[90] Müller stellt sich hiermit in eine lebensphilosophischen Denktradition, wie sie etwa durch Henri Bergson (»L’évolution créatrice«, 1907) vertreten wird.

[91] KOS 315

[92] In der Dialektik der Aufklärung kommen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu ähnlichen Schlüssen.

[93] Es sei an dieser Stelle betont, daß sich Müllers Konzept ganz wesentlich von der vitalistischen Tradition (Oswald Spengler, Max Scheler, Wilhelm Dilthey, Ernst Niekisch, Ferdinand Tönnies etc.) abhebt, in die ihn Richard Herzinger stellt (vgl. Herzinger 1992, 31ff). Müllers Kritik zielt immer auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Trotz der Radikalität Müllers Rationalitäts- und Zivilisationskritik wird, so Raddatz ganz richtig, das »Interesse an Emanzipation im umfassenden Sinne« (Raddatz 1991, 2) von Müller nie aufgegeben.

[94] GI 3 161

[95] WT 61

[96] Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Horkheimer/Adorno in ihrer Schrift Dialektik der Aufklärung.

[97] Intellekt, so Bergson, sei auf die Materie, Intuition auf das Leben gestimmt, das unendlich fortgesetzte Schöpfung ist. Das Denken zerlegt das Werden in starre Einzelbilder nach dem Prinzip des Kinematographen, während sich die Intuition – zweckfrei – in den Fluß des Lebens hinein begibt. (vgl Bergson 1967, 195)

[98] M 28

[99] In Germania 3 Gespenster am Toten Mann kehrt er als Rosa Riese wieder.

[100] GI 1 121

[101] Jünger-SW 7, 21

[102] W 4 259

[103] GI 1 73

[104] Wie im Verlaufe dieser Arbeit noch genauer ausgeführt werden wird, faßt Müller die Begriffe ›Abendland‹, ›Europa‹, ›Erste Welt‹, ›Dritte Welt‹ etc. nicht geographisch, sondern zeichnet mit deren Hilfe eine soziale Topographie.

[105] Ein Brechtfragment (Die Reisen des Glücksgotts, 1941), das Heiner Müller im Auftrag Paul Dessaus zu bearbeiten versprach. Als das Projekt scheitert, benutzt Müller das Material als Steinbruch und zur poetologischen Posititionsbestimmung. Mehrere Texte aus dem Fragment, die zwischen 1950 und 1975 entstanden sind, erscheinen später in separater Form.

[106] W 3 165

[107] GI 2 S. 64

[108] Für Benjamin hat die ›Stillstellung‹, die ›erstarrte Unruhe‹, einen positiven Sinn, indem sie erlaubt, das Kontinuum des historischen Prozesses – verstanden als Folge von Steinschlägen – zu unterbrechen und somit die Gegenwart nicht einfach zum Glied einer Kette der Zeit zu machen. Benjamin bezeichnet die Stillstellung als das eigentlich revolutionäre Moment. Müller sieht in der Geschichte gar nicht erst Bewegung. Der Stillstand, der Augenblick, der sich über seinem Glücklosen Engel schließt, ist die Stagnationszeit der ›Vorgeschichte‹, aus der es auszubrechen gilt. Es wäre an dieser Stelle sehr aufschlußreich, sich die Parallelen und Differenzen zu Benjamin ins Gedächtnis zu rufen. Da ein solches Unterfangen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sei hier nur auf die Arbeiten von Iversen/Servos und Maier-Schaeffer hingewiesen (s.a. Literaturverzeichnis am Ende dieser Arbeit.)

[109] JN 31

[110] Das gilt für den Westen ebenso wie für einen Großteil der Bevölkerung der sozialistischen Staaten.

[111] M 93

[112] GI 3 224

[113] vgl. LN 40

[114] »Wenn wir bei einem kräftigen Versuch, die Sonne in's Auge zu fassen, uns geblendet abwenden, so haben wir dunkle farbige Flecken gleichsam als Heilmittel vor den Augen: umgekehrt sind jene Lichtbilderscheinungen des sophokleischen Helden, kurz das Apollinische der Maske, nothwendige Erzeugungen eines Bildes in's Innere und Schreckliche der Natur, gleichsam leuchtende Flecken zur Heilung des von grausiger Nacht versehrten Blickes.« (Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. KSA 1, 65)

[115] vgl. GI 1 181

[116] Vaßen 1982, 50 (Hervorhebung im Original)

[117] vgl. MEW 7, 85

[118] Heiner Müller. In: Revolutionsdarstellungen - Darstellung der Revolution in der Dramatik. Podiumsgespräch mit Volker Braun, Rainer Kerndl, Karl Mickel, Heiner Müller. Leitung: Joachim Fiebach. In: Material zum Theater. Beiträge zur Theorie und Praxis des sozialistischen Theaters. H 100/ 1978. S 54-59, hier 55

[119] W 4 548

[120] W 5 30

[121] Benjamin 1992, 151

[122] vgl. Benjamin: »Der Tag, mit dem ein Kalender einsetzt, fungiert als ein historischer Zeitraffer. Und es ist im Grunde genommen derselbe Tag, der in Gestalt der Feiertage, die Tage des Eingedenkens sind, immer wiederkehrt. Die Kalender funktionieren also nicht wie Uhren.« (Benjamin 1992, 151)

[123] Seit Ende der achtziger Jahre verweist Müller immer wieder auf Benjamins Marxkritik: »Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.« (Benjamin: Gesammelte Schriften. Bd. I, 3. Ffm. 1980, 1232). Vgl. dazu auch GI 3 135, 145, 154, 193f; LN 48f

[124] vgl. Poe, Edgar Alan: Ein Sturz in den Malstrom. In: Der Untergang des Hauses Usher. Erzählungen. Zürich ²1999. S 292-315

[125] GI 3 154

[126] W 2 118. Im Anschluß an Baudrillard formuliert Müller im Interview: »Die einzige Hoffnung sind die Fehler, die Zufälle – das, was nicht funktioniert. […] Die Entwicklung geht doch in Richtung einer Ersetzung der Wirklichkeit durch ihr Abbild. Das heißt in der Verlängerung: Die Ersetzung des Menschen durch den Computer. Unsere einzige Hoffnung ist der Fehler, der Zufall, die Katastrophe.« (GI 2 158)

[127] M 61

[128] Mitte der achtziger Jahre dreht Müller dieses Bild um. Nun dem benjaminschen Prinzip der Stillstellung identisch, heißt es: »Der Stillstand ist die Explosion, die Explosion ist der Stillstand. Das Auge des Taifuns hat keine Lider.« (Brief an Erich Wonder)

[129] M 20

[130] ebd.

[131] M 62

[132] M 64

[133] M 68

[134] Jean-François Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In: Welsch 1988, 203

[135] »[…] ein Bild ist auch immer eine Verdrängung von anderen Bildern, ein Zudecken der anderen. […] Das hat auch etwas mit Selektion zu tun.« (GI 2 92)

[136] GI 1 53

[137] Nietzsche interpretiert den Mythos vom Dionysos ›Zagreus‹ als kulturelles Trauma der Menschheit. Im ›dionysischen Leiden‹ der Zerreißung spiegelt sich demzufolge das ›principium individuationis‹ als ›Quell und Urgrund alles Leidens wieder‹. (vgl. KSA 1, 72)

[138] Benjamin 1992, 146

[139] ebd.

[140] vgl. Hörnigk, Frank: »Texte, die auf Geschichte warten …«. Zum Geschichtsbegriff bei Heiner Müller. In: M 125

[141] W 2 118

[142] W 1 53

[143] vgl. W 4 427

[144] M 40

[145] Heise, Wolfgang: Beispiel einer Lessing-Rezeption: Heiner Müller. In: Storch 1988, 87

[146] In einem Interview mit Michael Opitz 1991 bezeichnet Müller den Schluß seines Gedichtes allerdings selbst als »ein bißchen flach optimistisch« (Jetzt sind eher die infernalischen Aspekte bei Benjamin wichtig. Gespräch mit Heiner Müller. A.a.O. 350).

[147] W 4 253

[148] W 4 545

[149] ebd.

[150] vgl. W 4 553

[151] ebd.

[152] Wie im letzten Bild der Hamletmaschine die Figur der ›Ophelia‹, so ist ›Zebahl‹, als ›Gefangener‹ des psychatrischen Diskurses, einerseits handlungsunfähig, auf der anderen Seite verbalisiert er die ›totale Mobilmachung‹ (E. Jünger) der Landschaften gegen den Menschen. vgl. W 4 529

[153] »[…] Mein Flug ist der Aufstand, mein Himmel der Abgrund von Morgen.« (W 5 17)

[154] W 5 83

[155] zitiert nach Hauschild 2001, 287

[156] W 4 81

[157] M 63

[158] vgl. Jünger: »Einer organischen Konstruktion gehört man nicht durch individuellen Willensentschluß, […] sondern durch eine tatsächliche Verflechtung an, die der spezielle Arbeitscharakter bestimmt.« (Jünger-SW 8, 123f); »Der Angriff gegen das Individuum erstreckt sich auch auf die Masse als die gesellschaftliche Form, in der das Individuum sich begreift. Ebenso wie […] der Arbeiter an die Stelle des bürgerlichen Individuums tritt, wird die Masse durch die organische Konstruktion [des Kollektivs] ersetzt.« (Jünger-SW 8, 315)

[159] vgl. BFA 3, 124

[160] »A: Ich habe einen Fehler begangen./ Chor: Du bist der Fehler.« (W 2 245)

[161] W 2 118

[162] LN 19f

[163] GI 1 168

[164] ebd.

[165] ebd.

[166] ebd.

[167] ebd.; vgl. dazu Trotzki: Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm wird die revolutionäre Kontinuität hergestellt. Das ist nicht ein ›Schlag‹, das ist nicht ein Tag und nicht ein Monat, das ist eine ganze historische Epoche. Es wäre sinnlos, ihre Dauer im voraus bestimmen zu wollen. (Trotzki 1972, 87. Hervorhebung d.V.)

[168] Benjamin 1992, 149

[169] GI 1 83

[170] W 3 276

[171] W 3 384

[172] W 4 399

[173] W 1 86

[174] W 1 309 (Hervorhebung d.V.)

[175] vgl. Raddatz 1991, 143, 146

[176] Utopie hier eher im Sinne von Ideologie.

[177] JN 69f

[178] GI 1 97. Müller spricht an dieser Stelle von der ›Idee der Geschichte‹, also von einer weltanschaulichen Konzeption, in der Ideen der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele unterworfen sind. (vgl. GI 1 96f)

[179] W 4 462

[180] vgl. W 4 255, 488; W 5 37

[181] Horkheimer/Adorno 1969, 71

[182] vgl FSA 9, 42f

[183] Artaud 1992, 227

[184] Artaud 1992, 323

[185] Artaud 1992, 324

[186] ebd.

[187] GI 2 120

[188] vgl. FSA 3 270

[189] GI 2 125

[190] Fatzer: Allen Menschen zugleich gehört die Luft und die Straße/ Frei zu gehen im Strom der Verkehrenden/ Menschliche Stimmen zu hören, Gesichter zu sehen/ Muß mir erlaubt sein./ Ist doch mein Leben kurz und bald aus und unter den Gehenden/ Werde ich nicht mehr gesehn. Selbst im Kampf muß ich atmen/ Essen und trinken wie sonst. Vielleicht dauert er ewig/ Nämlich länger wie ich und dann hab ich erschlagen/ Überhaupt nicht gelebt. Auch die Brust wird verkümmert/ In den Verstecken und wozu noch verbergen/ Einen verkommenen Mann. Das alles beweist, daß ich gehen kann/ Wie’s mir beliebt und wohin ich will. (BFA 10, 489)

[191] Fondrak: »Arbeit ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Mensch ist zum Leben geborn, […] die Welt muß verbraucht werden. Du machst den Gaul, schweißtriefend für die bessere Menschheit. Was bist du am Ende? Erde, die jeder bescheißen kann.« (W 3 252f)

[192] GI 3 123-128

[193] GI 3 123

[194] vgl. Benjamin 1992, 146

[195] VE 5

[196] ebd.

[197] vgl Benjamin 1992, 151

[198] VE 5

[199] M 51

[200] »Oft have I digged up dead men from their graves/ And set them upright at their dear friend’s door,/ Even when their sorrow almost was forgot,/ And on their skins, as on the bark of trees,/ Have with my knife carved in Roman letters/ ›Let not your sorrow die, thoug I am dead‹.« (W. Shakespeare: Titus Andronicus. 5, 1. V 135-140). Den letzen Vers übersetzt Müller: »Lasst euren schmerz nicht sterben meinen Tod.« (vgl. W 5 171)

[201] VE 5

[202] ebd.

[203] M 39

[204] M 51

[205] GI 2 64

[206] Deleuze/ Guattari zeigen in ihrem KAFKA-Buch Strategien einer solchen Literatur auf.

[207] KOS 295

[208] GI 2 148

[209] »In Europa gibt es ein zunehmendes Bedürfnis, das eigene Gedächtnis auszulöschen. Das ist der Kern dieser ganzen postmodernen Ballnacht […].« (GI 2 109)

[210] Bloch 1970, 282

[211] »Es geht darum, Filme politisch zu machen und nicht darum, politische Filme zu machen«, zitiert Müller Godard. (GI 1 114)

[212] »In gewisser Weise ist ja Kunst eine blinde Praxis. Ich sehe da eine Möglichkeit: das Theater für ganz kleine Gruppen […] zu benutzen, um Phantasieräume zu produzieren, Freiräume für Phantasie – gegen den Imperialismus der Besetzung von Phantasie mit vorfabrizierten Klischees und Standards der Medien. Ich meine, das ist eine primäre politische Aufgabe, auch wenn die Inhalte überhaupt nichts mit politischen Gegebenheiten zu tun haben.« (M 28)

[213] KSA 2, 577

[214] M 28

[215] Heinrich von Kleist: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. In: Ders.: Werke in einem Band. München/ Wien 1966, 813

[216] M 23 (Hervorhebung im Original)

[217] N 28

[218] vgl. M 24

[219] M 68

[220] M 23

[221] vgl. Deleuze/Guattari 1976

[222] Fiebach 1990, 206

[223] vgl. M 38; GI 1 50; GI 2 67

[224] Silberman 1980, 58

[225] M 31

[226] M 37

[227] JN 31

[228] GI 2 24. In diesem Sinne ist wirkliche Kunst für Müller prinzipiell revolutionär: »Die Arbeit des Künstlers ist ein Privileg, weil sie Fest ist. Die Verstaatlichung des Festes oder seine Besetzung mit Ordnungsstrukturen widerspricht seinem Charakter, dem der Grenzüberschreitung.« (JN 15)

[229] Der volle Titel der von Friedrich von Schiller 1793 verfaßten und 1795 in der Zeitschrift ›Die Horen‹ erschienen ästhetisch-philosophischen Schrift lautet Über die Ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen.

[230] Schiller-SW 5, 618

[231] Vgl. Friedrich von Schillers 1795/96 in drei Folgen in den Horen veröffentlichte Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung, in der er seine Erörterungen zur ästhetischen Erziehung des Menschen, anknüpfend an seine Aufsätze Anmuth und Würde sowie Die Ästhetische Erziehung des Menschen, aufnimmt und weiterführt.

[232] JN 25

[233] M 68

[234] GI 2 36

[235] GI 2 37. Bei Novalis heißt es: »Die Poesie ist das echt absolut Reelle.« (Novalis 1961, 317)

[236] vgl. M 63

[237] GI 1 96

[238] vgl. Kafkas Modell der Strafkolonie, auf das Müller wiederholt zurückgreift – s.a. W 2 132ff

[239] W 5 53

[240] vgl. Florian Vaßen: »In der Negierung der Sprach-Dominanz [liegt] die Möglichkeit der Erweiterung zu einem vitalen ›Körper-Theater‹, zu nicht primär sprach-logisch strukturierten Traum- und Phantasieproduktionen.« (Vaßen 1982, 56)

[241] Wilson's aesthetic principle seems to be that of the artist whose compositional sense has to do with relationship, scale, colour and texture rather than ›meaning‹. He is concerned with the simultaneous presence of elements which must nonetheless be perceived individually. [...] Looking for a means to describe shifts in intensity or rhythm [...], he turns not to dramatic models of development (Aristotalian or other) but to the dynamics of collage. It is an aesthetic precise in execution but not in origin. The interactions on stage are calculated: that is, they are not arbitrary. However, the logic they obey is intuitive, associational, and the effect they generate is designed to be available to a similar response. [...] The combination, though suggestive in its image clusters of certain themes, [...] is intended to generate new realities rather than reflect existing ones. It is plainly not mimetic in intent. Bigsby 1985, 168f

[242] Fiebach 1990, 243

[243] »Mein Hauptimpuls bei der Arbeit ist die Zerstörung. Also anderen Leuten das Spielzeug kaputtmachen. Ich glaube an die Notwendigkeit von negativen Impulsen.« (GI 1 124)

[244] GI 1 86

[245] In Fatzer ± Keuner heißt es polemisch: »Brecht gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, ist Verrat.« (M 36)

[246] M 67

[247] ebd.

[248] ebd.

[249] M 68

[250] GI 2 56

[251] W 4 259. vgl. Jünger: Das Grauen […] ist das erste Wetterleuchten der Vernunft. (Jünger-SW 7, 21)

[252] In Brechts Fatzermaterial heißt es: »Denn immer Furcht zeigt an was kommt.« (BFA 10, 465)

[253] »Vielleicht ist der Bruch die Reife: Was nicht gebrochen wird, kann nicht geerntet werden.« (Müller in einer Anmerkung zu Wolokolamsker Chaussee III/ Das Duell. W 5 221)

[254] GI 2 56

[255] M 57

[256] ebd.

[257] M 32

[258] M 39. Vgl. hierzu auch Müllers Bemerkung in einem Gespräch mit Sylvére Lotringer von 1982: »Die Formel für Theater ist einfach Geburt und Tod. Der Effekt von Theater, seine Wirkung ist die Furcht vor Veränderung, denn die letzte Veränderung ist der Tod. Man kann auf zwei Weisen mit dieser Angst umgehen: In der Komödie, indem man die Angst vor dem Tod lächerlich macht; oder in der Tragödie, indem man ihn feiert.« (GI 1 102)

[259] LV 95

[260] W 4 260

[261] vgl. Artaud 1996, 34

[262] ebd.

[263] vgl. GI 2 32

[264] M 63

[265] Das Theater als ›Laboratorium sozialer Phantasie‹ ist eine Begriffsprägung Wolfgang Heises, die Müller wiederholt aufgreift und für sein ›Theater‹ reklamiert. (vgl. M 39)

[266] Wolfgang Heise. In: Hecht, Werner (Hg.): Brecht-Dialog 1968. Politik auf dem Theater. Berlin 1968, 211

Ende der Leseprobe aus 135 Seiten

Details

Titel
Metamorphosen der Revolution
Untertitel
Revolutionskonzepte im Drama Heiner Müllers der siebziger Jahre
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
135
Katalognummer
V132285
ISBN (eBook)
9783640389407
ISBN (Buch)
9783656761679
Dateigröße
1169 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Metamorphosen, Revolution, Revolutionskonzepte, Drama, Heiner, Müllers, Jahre
Arbeit zitieren
Dr. Levin Röder (Autor:in), 2002, Metamorphosen der Revolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132285

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