A room with a view

James Ivorys Literaturverfilmung von Edward Morgan Forsters gleichnamigen Roman


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

43 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Literaturverfilmung
2.1 Geschichte und Begriff
2.2 Besonderheiten und Problematiken

3 Der Roman „A room with a view"
3.1 Entstehung und Eingliederung in Forsters Werk
3.2 Aufbau des Romans

4 Der Film „A room with a view"
4.1 Entstehung und Eingliederung in Ivorys Werk
4.2 Aufbau des Films in Bezug zum Roman

5 Die Handlung im Roman und im Film

6 Die Figuren im Roman und im Film
6.1 Lucy Honeychurch und der zentrale Konflikt des Romans
6.2 George Emerson und sein Vater, Mr. Emerson
6.3 Cecil Vyse und seine Mutter, Mrs. Vyse
6.4 Mrs. Honeychurch und Freddy Honeychurch
6.5 Die Schwestern Alan
6.6 Miss Eleanor Lavish und Reverend Eager
6.7 Reverend Beebe
6.8 Charlotte Bartlett

7 Die Erzähltechnik
7.1 Die Erzähltechnik des Romans
7.2 Die Erzähltechnik im Film

8 Symbolik und Motive in Roman und Film
8.1 Der Kuss
8.2 Das Zimmer mit Aussicht
8.3 Licht und Dunkel
8.4 Jahreszeiten
8.5 Musik
8.6 Wasser
8.7 Italien
8.8 Geister und Götter
8.9 Mittelalter
8.10 literarische Anspielungen und Zitate
8.11 Kleidung und Frisuren im Film
8.12 Das Motiv der Treppe imFilm

9 Sequenzanalyse und -interpretation: Sequenz Nr. 6 (4. Kapitel)

10 Schluss

12 Literaturverzeichnis

13 Anhang

Sequenzprotokoll Film

Sequenzprotokoll Sequenz Nr. 6

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit James Ivorys Film ,,A room with a view" aus dem Jahr 1985, und dessen literarischer Vorlage, dem gleichnamigen Roman von Edward Morgan Forster, erschienen im Jahr 1908. Der Film soll in seiner Eigenschaft als Literaturverfilmung untersucht werden und in struktureller und inhaltlicher Hinsicht dem Roman gegenüber gestellt werden.

Zunächst einmal soll herausgestellt werden, was unter dem Begriff der „Literaturverfilmung" zu verstehen ist und welche Schwierigkeiten bei der Verfilmung von Literatur ins Gewicht fallen können. Danach werde ich zunächst auf die Entstehung des Romans eingehen und ihn in Forsters Werk einordnen, woraufhin ich den Aufbau des Romans darlegen werde. Im darauf folgenden Abschnitt werde ich die Entstehung des Films erläutern und diesen in das Werk des Regisseurs James Ivory einordnen. Daraufhin wird erläutert, wie der Film in Bezug zum Roman aufgebaut ist. In den nächsten Abschnitten werde ich die Handlung des Romans sowie des Films vorstellen, und die einzelnen Figuren untersuchen. Dabei wird zu untersuchen sein, inwiefern die Figuren im Film anders dargestellt werden als im Roman und welche Konsequenzen dies für die Verfilmung hat. Des weiteren werde ich die Erzähltechnik des Romans untersuchen und herausfinden, wie der Film mit dieser Erzähltechnik umgeht und welche eigenen, filmspezifischen Mittel, er dabei anwendet. Im darauf folgenden Abschnitt werde ich Symbolik und Motive, die im Roman und im Film auftauchen, vorstellen. Dabei stellt sich die Frage, welche Motive der Film vom Roman übernimmt, auf welche Art und Weise das geschieht, und ob er neue Motive hinzufügt oder akzentuiert. Im letzten Abschnitt werde ich eine Beispielsequenz aus dem Film in Hinblick auf deren Romanvorlage analysieren und interpretieren.

2 Die Literaturverfilmung

2.1 Geschichte und Begriff

Bereits die Anfänge des Films sind gekennzeichnet durch die Verwendung von Stoffen aus der Literatur und dem Theater, womit eine enge Verknüpfung zu diesen Medien bestand[1]. Zur Vorlage ihrer kurzen Streifen nahmen beispielsweise die ersten Filmemacher wie Méliès, Lumière, Ferdinand Zecca und Clément Maurice literarische Stoffe[2]. Im Jahr 1896 entstand zum Beispiel ein kurzer Film von Louis Lumière nach Motiven aus Goethes „Faust", im Jahr 1897 tat George Méliès es ihm nach[3]. In Frankreich wollte man dann bei der Gründung der Gesellschaft „Film d'Art" im Jahr 1907 sowie der „Société Cinématographique des Auteurs et Gens des Lettres" (S.C.A.G.L.) im Jahr 1908 gute Filme dadurch erreichen, dass man bekannte Autoren dafür engagierte, literarische Vorlagen für Filme zu liefern[4]. Die Geschichte des Films ist folglich seit ihren Anfängen nicht von der Literatur zu trennen. Dabei galt das Medium der Literatur lange Zeit als höherwertig und als das komplexere und anspruchsvollere Medium, und so begreift bis heute das traditionelle Wissenschaftsverständnis auch die Literaturverfilmung nur als Degradierung des literarischen Originals[5].

Es gibt keine durchgängige Definition des Begriffs der Literaturverfilmung, da er einerseits als Genrebezeichnung, in Abgrenzung beispielsweise zur Komödie oder zum Krimi, verwendet wird, andererseits, in einer wesentlich weiter gefassten Definition, jeden Film, der nach der Vorlage eines zuvor schriftsprachlich fixierten Textes entsteht, bezeichnet[6]. Möglichkeiten zur Eingrenzung ergeben sich hier wiederum bei der Festlegung auf einen literarischen Text als Vorlage, in Abgrenzung beispielsweise zum beim Filmemachen gängigen Drehbuch. In dieser Arbeit geht es um eine Romanverfilmung, und der Begriff der Literaturverfilmung wird in der Arbeit als die filmische Umsetzung einer solchen literarischen Vorlage definiert.

Bei der Beurteilung von Literaturverfilmungen stand lange die Frage nach der „Werktreue" im Vordergrund, womit impliziert wurde, dass die Literatur das kulturell höherwertige Medium sei.[7] Heute geht man hauptsächlich davon aus, dass es sich um strukturspezifische Gattungen oder Medien handelt, die künstlerisch gleichwertig sind. In diesem Sinn findet bei der Literaturverfilmung ein Transformationsprozess vom Zeichensystem „literarischer Text" zum

Zeichensystem „Film" statt, und dieser führt zu einer neuen Verbindung von Literatur und Film[8].

Für die Untersuchung bedeutet dies, dass auf die strukturspezifischen Differenzen eingegangen wird, und das einzelne Werk im Vordergrund steht, während der Vergleich mit der Vorlage im anderen Medium auch dazu dient, diese spezifischen Differenzen und jeweiligen Möglichkeiten zu erkennen.

2.2 Besonderheiten und Problematiken

Eine Problematik der Literaturverfilmung ergibt sich aus der Tatsache, dass die zeitliche Spanne eines Romans in einem kommerziellen Film nicht realisiert werden kann. Nicht alle Handlungsdetails des Romans können im Film übernommen werden[9]. Außerdem kann die sprachliche Ironie, die in Romanen oft als Stilmittel verwendet wird, nicht direkt übertragen werden, auch wenn der Regisseur sich ihr annähern kann[10]. In Romanen werden oft die Gedanken und seelischen Zustände der Figuren eingehend erläutert, der Film kann Gedanken nur mittels Dialog mitteilen, oder per Mimik andeuten. Andererseits stehen dem Film ganz andere Mittel zur Verfügung, eine Geschichte zu erzählen. Er kann im Roman Beschriebenes in Bildern zeigen, und kann dabei auch mit oftmals wenigen Bildern eine Figur oder Situation charakterisieren, welches im Roman viel Text erfordern würde[11]. Der Film kann sogar ins Bild übertragen, was sprachlich nicht vermittelt werden kann[12].

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Roman und Film besteht in der Rolle des Autors bzw. Regisseurs. Da im Film wesentlich mehr dem Zufall überlassen ist, kann der Zuschauer auch etwas freier entscheiden, worauf er seine Aufmerksamkeit richten will, im Roman hingegen hat der Autor wesentlich mehr Kontrolle über die Eindrücke des Lesers[13].

3 Der Roman „A room with a view"

3.1 Entstehung und Eingliederung in Forsters Werk

Edward Morgan Forster, der Autor des Romans „A room with a view", machte in den Jahren 1901/1902 erste Entwürfe zu diesem Roman, nachdem er eine Italienreise unternommen hatte. Veröffentlicht wurde dieser jedoch erst im Jahr 1908, nachdem bereits zwei andere Romane von ihm veröffentlicht worden waren: Im Jahr 1905 erschien „Where Angels Fear to Tread", und im Jahr 1907 „The Longest Journey".[14] Auch diese beiden Romane haben einen Schauplatz in Italien.[15] „It is not my preferred novel- The Longest Journey is that- but it may fairly be called the nicest", sagte Forster über „A room with a view". Tatsächlich handelt es sich um Forsters einzigen Roman, der ein gutes Ende bereit hält, obwohl das Liebespaar sich den gesellschaftlichen Konventionen und damit ihrem Umfeld teilweise entgegenstellen musste.[16]

3.2 Aufbau des Romans

Der Roman gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil spielt in Florenz, Italien und besteht aus 7 Kapiteln, der zweite Teil besteht aus 13 Kapiteln, von denen die ersten 12 in der Grafschaft Surrey in England spielen, das letzte und 13. Kapitel wiederum in Florenz, Italien.

4 Der Film „A room with a view"

4.1 Entstehung und Eingliederung in Ivory's Werk

Der Film „A room with a view" entstand im Jahr 1985, und wurde in einem Zeitraum von zehn Wochen gedreht.[17] Er gewann zahlreiche Preise, darunter drei Academy Awards, für das beste Szenenbild, das beste Kostümdesign und das beste adaptierte Drehbuch.[18] Der Regisseur James Ivory arbeitete seit dem Jahr 1961 mit dem Produzenten Ismail Merchant und der Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala in der gemeinsamen Produktionsfirma Merchant Ivory zusammen.[19] Aus dieser Zusammenarbeit waren bis zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Spielfilme entstanden, darunter auch einige Literaturadaptationen. Im Jahr 1978 verfilmte Ivory „The Europeans" nach einem Roman von Henry James, „The Bostonians", auch nach einem Roman von James, entstand 1983/84.[20] Ivory fungierte jedoch immer wieder nicht nur als Regisseur, sondern auch als Autor, Co-Autor, und hatte großen Einfluß auf Jhabvalas Drehbücher.[21] Kameramann in ,,A room with a view" war Tony Pierce- Roberts.[22] Lucy Honeychurch wurde gespielt von Helena Bonham-Carter, ihre Cousine Charlotte Bartlett von Maggie Smith. Außerdem wirkten Julian Sands als George Emerson, Denholm Elliott als Mr. Emerson und Simon Callow als Reverend Beebe. Patrick Godfrey spielte Reverend Eager, Judi Dench Miss Eleanor Lavish. Die Schwestern Alan wurden gespielt von Fabia Drake und Joan Henley. Daniel Day Lewis spielte Cecil Vyse und Mrs. Vyse wurde gespielt von Maria Britneva. Rosemary Leach und Rupert Graves spielten Mrs. Honeychurch und ihren Sohn, Freddy Honechurch.

4.2 Aufbau des Films in Bezug zum Roman

Der Aufbau des Films entspricht größtenteils dem Aufbau des Romans. Das erste Drittel des Films entspricht weitestgehend dem ersten Drittel des Romans, also den ersten sieben Kapiteln, die sich in Italien ereignen. Darauf folgen die Sequenzen, die sich in England abspielen, und der letzte Abschnitt des Films ereignet sich wie das letzte Kapitel des Romans wieder in Florenz, Italien. Dieses letzte Kapitel wie auch die letzten Sequenzen des Films verweisen inhaltlich auf den Beginn des Films bzw. auf das erste Kapitel des Romans.

Der Film enthält 11 eingeblendete Szenentitel, die größtenteils dem Roman entnommen sind, es sind 12 Titel, wenn man das Türschild „Pensione Bertolini" zu Beginn als solchen miteinbezieht (Das 1. Kapitel des Romans lautet „The Bertolini"). Wörtlich übernommen wurden die Titel „In Santa Croce with no Baedeker" (2. Kapitel), „The Reverend Beebe, the Reverend Eager, Mr. Emerson, Mr. George Emerson, Miss Eleanor Lavish, Miss Charlotte Bartlett, and Miss Lucy Honeychurch, drive out in carriages to see a view: Italiens drive them" (6. Kapitel), „How Miss Bartlett's boiler was so tiresome" (13. Kapitel), „Lying to George" (16. Kapitel), „Lying to Cecil" (17. Kapitel), „Lying to Mr. Beebe, Mrs. Honeychurch, Freddy, and the servants" (18. Kapitel) und „Lying to Mr. Emerson" (19. Kapitel). Andere Titel erfuhren nur geringfügige Änderungen, so wurde aus „In Mrs. Vyse's well-appointed flat" (11. Kapitel): „London: In Mrs. Vyse's well-appointed home". Es entstanden die zusätzlichen Titel „Home" und „Officially engaged", die den Kapiteln „Medieval" (8. Kapitel) und „Lucy as a work of art" (9. Kapitel) des Romans entsprechen. Damit wurde die Mittelaltersymbolik, die, wie in Abschnitt 8.9 zu sehen sein wird, im Film nicht übernommen wurde, auch als Titel außen vor gelassen, und die Filmtitel geben Hinweise auf die Handlung. Als weiterer Titel wurde „Under a Loggia" hinzugefügt, welches ein direkter Verweis auf Miss Lavish's

Roman ist, der eine große Rolle in diesem Abschnitt, sowohl im Roman als auch im Film, spielt. Inhaltlich entspricht dieser Abschnitt dem Kapitel „The disaster within", und auch hier wurde ein eher abstrakter Titel verworfen, um dem Filmzuschauer einen konkreten Zwischentitel zu geben.

Was die Adaption der einzelnen Kapitel betrifft, so wurde einzig das 5. Kapitel des Romans, „Possibilities of a Pleasant Outgoing", nicht adaptiert. Hingegen wurden fünf Sequenzen hinzugefügt, die nicht im Roman Vorkommen. Zum einen sind dies zwei Sequenzen, die Miss Lavish und Miss Bartlett bei einem Spaziergang durch Florenz zeigen, zum anderen sind es drei aufeinanderfolgende Sequenzen am Ende des Films. Die erste davon zeigt Charlotte Bartlett im Bett sitzend einen Brief von Lucy lesend, die zweite zeigt Lucy und George beim Abendessen mit den anderen Gästen in der Pension, und die dritte zeigt Charlotte, wie sie das Licht löscht.

5 Die Handlung im Roman und im Film

Die junge Engländerin Lucy Honeychurch reist um 1900 mit ihrer älteren, alleinstehenden und konventionell denkenden Cousine Charlotte Bartlett nach Florenz. In der Pension Bertolini, die ausschließlich von englischen Gästen besucht wird, begegnet sie George Emerson, einem jungen Mann, der mit seinem freidenkenden Vater in Florenz ist. Diese beiden Männer haben eine Außenseiterposition in der Pension, da sie sich den gesellschaftlichen Konventionen dieser von viktorianischen Vorstellungen geprägten Umgebung nicht anpassen. In der Pension befinden sich des weiteren folgende Gäste: Miss Eleanor Lavish, eine Schriftstellerin, Reverend Beebe und Reverend Eager, sowie die Miss Alans, zwei ältere Damen.

Auf einem Ausflug küsst George Lucy in einem Veilchenfeld, und diese entwickelt zwar Gefühle für ihn, gesteht sich diese jedoch nicht ein und redet sich mit Hilfe ihrer den Konventionen verhafteten Cousine ein, dass George damit ein sehr schlechtes Benehmen an den Tag legt. Lucy benimmt sich, wie es von ihr erwartet wird, bekommt jedoch in Italien immer wieder und immer mehr Zweifel an der Richtigkeit, d.h. Unverrückbarkeit, des Verhaltens der Menschen in ihrer Umgebung.

Lucy kehrt zurück in ihr Elternhaus in der Graftschaft Surrey in England, zu ihrer Mutter Mrs. Honeychurch und ihrem Bruder Freddy. Dort verlobt sie sich mit Cecil Vyse, einem bürgerlichen jungen Mann, der seine Zeit mit Büchern verbringt und gegenüber sein Umgebung ein arrogantes Verhalten an den Tag legt. Bei seinem ersten, ungeschickten Kuss mit Lucy rutscht ihm sein Pince-Nez von der Nase.

Zusammen besuchen Lucy und Cecil Cecils Mutter, Mrs. Vyse, in London.

Cecil bringt George Emerson und dessen Vater dazu, in Surrey ein Haus zu mieten, nichtsahnend, dass Lucy und die Emersons sich kennen. Doch auch bei diesem unerwarteten Wiedersehen mit George Emerson ist Lucy sich über ihre Gefühle nicht im Klaren, und versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Als dieser ihr jedoch eine treffende und negative Charakterisierung von Cecil Vyse, den sie heiraten will, gibt, erkennt sie, dass er recht hat, und löst noch am selben Abend die Verlobung mit Cecil. Als das geschehen ist, plant sie, mit den Alan-Schwestern nach Griechenland zu verreisen. Erst im letzten Moment wird sie von Mr. Emerson, Georges Vater, darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Grunde nur vor ihrer Liebe zu George fliehen will. Er bringt sie dazu, sich ihre Gefühle einzugestehen, indem er sie direkt mit ihnen konfrontiert. Der Roman, so wie auch der Film, enden mit dem Hochzeitsaufenthalt von Lucy Honeychurch und George Emerson in der Pension Bertolini.

6 Die Figuren im Roman und im Film

6.1 Lucy Honeychurch und der zentrale Konflikt des Romans

Thema des Romans ist die charakterliche Entwicklung der Protagonistin Lucy Honeychurch. Zu Beginn des Romans ist sie eine junge, unerfahrene, sich vor ihren Gefühlen verschließende, weitgehend an die Erwartungen ihrer konventionellen Umgebung angepasste und sich diesen unterordnende Frau. Im Laufe der Handlung entwickelt sie sich jedoch zu einer selbstbewussteren Frau, die sich ihren Gefühlen stellt und ihrem Instinkt vertraut. Damit ist der zentrale Konflikt des Romans zwischen Intellekt und Instinkt benannt, der nicht nur Lucys innerliche Zerrissenheit zwischen diesen Polen umschreibt, sondern auch an anderen Stellen zum Ausdruck kommt. So tut sich zu Beginn des Romans eine Spaltung zwischen den Emersons, Vater und Sohn, und den übrigen britischen Hotelgästen auf, die die Emersons auf die Seite des Instinkts stellt, und die übrigen Gäste auf die Seite des Intellekts, da diese den gesellschaftlichen Konventionen Folge leisten. Auch werden die Italiener von Forster grundsätzlich als instinktive Naturmenschen dargestellt, während die Engländer als borniert und durch Intellekt und Konventionen eingeschränkt beschrieben werden. Besonders prägnant ist dabei die Liebesszene zwischen dem Kutscher und seiner Freundin, die von den Engländern argwöhnisch beobachtet und schließlich unterbunden wird.[23]

Lucy Honeychurch wird im Roman passiver dargestellt als im Film. Zwar ermuntert sie Cecil auch im Roman auf überraschende Art und Weise, sie zu küssen („Of course you may, Cecil. You might before. I can't run at you, you know"[24] ), doch ergänzt der Film den Roman um einen weiteren Kuss zwischen Lucy und Cecil, der von Lucy initiiert wird (Sequenz Nr. 13). Das führt dazu, dass sie wesentlich selbstbewusster als im Roman erscheint. In Abschnitt 8.1 wird die Symbolik, die mit dem Kuss einhergeht, näher erläutert.

Nach dem Ausflug, auf dem George Lucy küsst, erwartet Lucy in der Pension seine Rückkehr. Im Film läuft sie ihm freudig entgegen, als er endlich eintrifft (Sequenz Nr. 8), dies ist im Roman nicht der Fall. Damit wirkt Lucy im Film von Anfang an instinktbetonter und spontaner als im Roman.

Der Unterschied in der Charakerisierung bewirkt zum einen, dass ein modernes Filmpublikum die Figur besser nachvollziehen kann, die zaghafte Rebellion der Romanheldin wäre zu schwach für ein modernes Publikum. Zum anderen führt dies jedoch auch dazu, dass die Protagonistin eine weniger eindringliche Entwicklung durchmachen muss als im Roman, da sie von Anfang an emanzipierter dargestellt ist.[25]

6.2 George Emerson und sein Vater, Mr. Emerson

Die Emersons sind die Charaktere des Romans, die im Film am stärksten verändert wurden. Zum einen verzichtet der Film auf die gesellschaftskritischen Äußerungen Mr. Emersons.[26] Das ist darauf zurückzuführen, dass der Film vor allem den komödiantischen Aspekt in den Vordergrund stellt, aber auch auf die Modernität der Verfilmung. Durch kameradschaftliche Gesten gegenüber dem Kutscher auf dem Ausflug wird jedoch sein Ideal der Klassenüberwindung angedeutet. Mr. Emerson ist im Film wie im Roman eine unkonventionell denkende Figur, doch überwiegen im Roman seine philosophischen Äußerungen dazu, während er im Film komödiantischer dargestellt wird. Das betont die Instinktbetontheit der Figur.

George und seinen Vater zeichnet im Roman wie im Film eine enge Verbundenheit aus. Der Vater sorgt sich Lucy gegenüber um seinen Sohn (2. Kapitel) und verhilft ihm auch zu seinem Glück mit Lucy (19. Kapitel).

George Emerson erscheint wie sein Vater im Film kraftvoller und lebendiger als im Roman. Auch seine Figur ist, wie die Lucys, selbstbewusster gezeichnet als im Roman. Während im Roman seine Melancholie betont wird, prägen ihn im Film vor allem die lebenshungrigen und komödiantischen Szenen. Ein Beispiel für eine komische Szene ist der Moment, in dem er in sein ursprüngliches, nun von Lucy bewohntes, Pensionszimmer zurückkehrt, um ein Gemälde umzudrehen, auf dessen Rückseite er ein Fragezeichen gezeichnet hatte (Sequenz Nr. 2).

Georges Naturverbundenheit wird im Film besonders hervorgehoben, zum Beispiel, als er fröhlich und das Unwetter genießend durch den Gewitterschauer läuft (Sequenz Nr. 7). Diese Szene unterstreicht auch seinen ungestümen Lebenswillen.[27]

6.3 Cecil Vyse und seine Mutter, Mrs. Vyse

Cecil Vyse ist geprägt durch seine feudale Denkweise, und auch in der Beziehung zwischen Mann und Frau sieht er keine Gleichberechtigung, wie in folgendem Erzählerkommentar zum Ausdruck kommt: „For the only relationship which Cecil conceived was feudal: that of protector and protected. He had no glimpse of the comradeship after which the girl's soul yearned."[28] Cecil bewundert Lucy für ihr Klavierspiel und ihre Natürlichkeit:

'But her music!' he exclaimed. 'The style of her! How she kept to Schumann when, like an idiot, I wanted Beethoven. Schumann was right for this evening. Schumann was the thing. Do you know, mother, I shall have our children educated just like Lucy. Bring them up among honest country folk for freshness, send them to Italy for subtletyf...][29]

Er ist, obwohl er seine Umgebung missachtet (im 16. Kapitel verweigert er Freddy das Tennisspielen), auch sehr unsicher, so dass er Mrs. Honeychurch und Freddy um Erlaubnis für einen erneuten Heiratsantrag bittet.

Sympathie bringt Cecil vor allem seine Reaktion auf Lucys Verlobungsauflösung ein:

„He repeated: 'The sort that can know no one intimately.' It is true. I fell to pieces the very first day we were engaged. I behaved like a cad to Beebe and to your brother. You are even greater than I thought."[30].

Auch im Film wird die Hilflosigkeit hinter dem arroganten äußeren Erscheinungsbild deutlich. Theatralische Posen tragen zur Unnatürlichkeit des Charakters bei. Aus dem folgenden Erzählerkommentar wurde eine Aussprache Cecils gemacht: „She was like a woman of Leonardo da Vinci's, whom we love not so much for herself as for the things that she will not tell us."[31] Im Film sagt Cecil zu Lucy: „Don't move. Stay where you are. Genevra de Benci. Did you know you were a Leonardo? Smiling at things beyond our ken?" (Sequenz Nr. 14). Auf diese Art wird die Romanfigur Cecil, die im Roman vor allem mit Erzählerkommentaren charakterisiert wird, zu einem lebendigen Charakter im Film. Nichtsdestotrotz handelt es sich vor allem um einen komischen Charakter, dessen Attitüden selten ernst genommen werden können. Auch im Film zeigt Cecil seine menschlichste Seite bei der Verlobungsauflösung.

Cecils Mutter, Mrs. Vyse, erweist sich als ebenso kühle Persönlichkeit wie Cecil: „Even with Cecil she was mechanical, and behaved as if he was not one son, but, so to speak, a filial crowd."[32]

6.4 Mrs. Honeychurch und Freddy Honeychurch

Lucys Mutter ist eine warmherzige, doch an Konventionen gebundene Frau. Sie wünscht sich einen guten Ehemann für ihre Tochter, kann jedoch kaum verbergen, dass sie keine Sympathie für Cecil Vyse entwickeln kann, und sucht regelrecht nach guten Eigenschaften in ihm, die sie selbst nicht überzeugen:

„Well, I like him," said Mrs. Honeychurch. „I know his mother; he's good, he's clever, he's rich, he's well connected- Oh, you needn't kick the piano! He's well connected- I'll say again if you like: he's well connected." She paused, as if rehearsing her eulogy, but her face remained dissatisfied. She added: „And he has beautiful manners."[33]

Nichtsdestotrotz hat sie kein Verständnis für Lucy, als diese sich entscheidet, George Emerson zu heiraten. Im Roman heißt es: „the Honeychurches had not forgiven them; they were disgusted at her past hypocrisy; she had alienated Windy Corner, perhaps for ever."[34]. Die Mutter hat die Einwilligung zur Hochzeit verweigert. Die Entfremdung von ihrem Elternhaus wird im Film so nicht dargestellt. Vielmehr liest Lucy am Ende aus einem freundlichen Brief ihres Bruders vor, und das Ende der Geschichte wird durchweg positiv geschildert. Dadurch wird auch Mrs. Honeychurch zu einem moderneren Charakter.

Freddy Honeychurch wird im Roman wie im Film als natürlicher und lebensfroher Charakter beschrieben. Bei seiner ersten Begegnung mit George Emerson fordert er ihn zum Baden im See auf, und die Männer haben viel Spaß am Sacred Lake. Auch spielt Freddy Tennis im Garten, und seine Missbilligung gegenüber Cecil deutet auf einen gesunden Menschenverstand hin, da er dessen Arroganz durchschaut:

„Not content with 'permission,' which I did give- that is to say, I said, 'I don't mind'- well, not content with that, he wanted to know whether I wasn't off my head with joy. He practically put it like this: Wasn't it a splendid for Lucy and for Windy Corner generally if he married her?" [...] „I had to say it. I had to say no."[35]

Außerdem orientiert er sich vielmehr an Kameradschaft denn an den Konventionen seiner Mutter, da er bei deren Ausspruch darüber, dass Cecil „well connected"[36] sei, absichtlich gegen das Klavier tritt. Damit macht er deutlich, wie wenig Wert er auf gute gesellschaftliche Beziehungen legt.

Die Tatsache, dass Freddy und Mrs. Honeychurch am Ende nicht böse auf Lucy sind, ist die wichtigste Änderung, die im Film an den beiden Figuren vorgenommen wurde.[37]

6.5 Die Schwestern Alan

Die beiden Schwestern, Miss Catharine und Miss Teresa, sind reisefreudige alte Damen. Nach Aussagen des Erzählers betrachten sie das Reisen als eine Art Feldzug, was ihnen einen schrulligen Charakter verleiht: ,,[...]for they regarded travel as a species of welfare, only to be undertaken by those who have been fully armed at the Haymarket stores."[38] Sie stehen unter den Pensionsgästen auf der Seite der von Konventionen und Moralvorstellungen geprägten viktorianischen Gesellschaft. Im Film werden die beiden Figuren erweitert und bekommen dadurch mehr Gewicht. Stärker als im Roman wird ihre Unterschiedlichkeit herausgearbeitet, so dass sie letztlich als Paar eine Variation des zentralen Themas, des Konflikts zwischen Instinkt und Intellekt, präsentieren.[39] So erkennt Catharine, die ihrem Instinkt vertraut, dass Lucy nicht wie eine glückliche Verlobte wirke, als die Verlobungsauflösung noch nicht öffentlich ist: „Well, I can't say exactly how- only that she lacked something. And if you want to know what, Teresa, she lacked radiance." (Sequenz Nr. 23)

6.6 Miss Eleanor Lavish und Reverend Eager

Diese beiden Romanfiguren geben sich als „Italien-Kenner" aus. Miss Lavish, die Schriftstellerin, reist durch Italien, um Inspiration zu finden, und Mr. Eager ist der Vikar der englischen Gemeinde in Florenz. Beide sind dennoch weit davon entfernt, Italien zu kennen: Miss Lavish sucht Orte und Situationen nur, um diese verwerten zu können, und Mr. Eager ist einzig mit der ortsansässigen englischen Gemeinde vertraut. Beide Figuren spielen im Film noch mehr als im Roman eine komische Rolle, sind jedoch auch als einzige vor allem negativ charakterisiert.[40]

6.7 Reverend Beebe

Reverend Beebe spielt im Roman wie im Film eine größere Rolle als sein Kollege Mr. Eager. Er verfügt über eine große Beobachtungsgabe, die ihn zu folgender Bemerkung über Lucy veranlasst:

„Does it seem reasonable that she should play so wonderfully, and live so quietly? I suspect that one day she will be wonderful in both. The water-tight compartments in her will break down, and music and life will mingle."[41]

[...]


[1] Literaturverfilmungen. Hrsg. von Franz-Josef Albersmeier und Volker Roloff. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989. S. 16

[2] Ebd., S. 24

[3] Ebd., S. 16

[4] Ebd., S. 24

[5] Ebd., S. 15

[6] Literaturverfilmungen. Interpretationen. Hrsg. von Anne Bohnenkamp. Stuttgart: Reclam 2005. S. 12-14

[7] Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Hrsg. Von Ansgar Nünning. Stuttgart; Weimar: Metzler 1998. S. 319

[8] Literaturverfilmungen. Hrsg. von Albersmeier, Roloff. S. 12

[9] Monaco, James: Film verstehen: Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien; mit einer Einführung in Multimedia. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2005. S. 45

[10] Ebd., S. 47

[11] Strautz, Evelyn: Probleme der Literaturverfilmung: dargestellt am Beispiel von James Ivorys A room with a view. Alfeld/Leine: Coppi-Verlag 1996. S. 11

[12] Monaco, J.: Film verstehen. S. 45

[13] Ebd., S. 45/46

[14] Strautz, E.: Probleme der Literaturverfilmung. S. 13

[15] Gladziejewski, Claudia: Dramaturgie der Romanverfilmung. Systematik der praktischen Analyse und Versuch zur Theorie am Beispiel von vier Klassikern der Weltliteratur und ihren Filmadaptionen. Alfeld/Leine: Coppi-Verlag 1998. S. 135

[16] Strautz, E.: Probleme der Literaturverfilmung. S. 13

[17] Long, Robert Emmet: The films of Merchant Ivory. New York: Abrams 1991. S. 139

[18] Ebd., S. 145

[19] Ebd., S. 30

[20] Ebd., S. 198/199

[21] Long, R. E.: The films of Merchant Ivory. S. 32

[22] Ebd., S. 178

[23] Gladziejewski, C.: Dramaturgie der Romanverfilmung. S. 143

[24] Forster, Edward Morgan: A room with a view. London: Edward Arnold (Publishers) Ltd. 1962. S. 132 (9. Kapitel)

[25] Gladziejewski, C.: Dramaturgie derRomanverfilmung. S. 146/147

[26] Ebd., S. 148

[27] Gladziejewski, C.: Dramaturgie derRomanverfilmung. S. 148-150

[28] Forster, E. M.: A room with a view. S. 189 (15. Kapitel)

[29] Ebd., S. 150 (11. Kapitel)

[30] Ebd., S. 212 (17. Kapitel)

[31] Ebd., S. 109 (8. Kapitel)

[32] Forster, E. M.: A room with a view. S. 149 (11. Kapitel)

[33] Ebd., S. 104 (8. Kapitel)

[34] Ebd., S. 253 (20. Kapitel)

[35] Ebd., S. 103/104 (8. Kapitel)

[36] Ebd., S. 104 (8. Kapitel)

[37] Gladziejewski, C.: Dramaturgie der Romanverfilmung. S. 154

[38] Forster, E. M.: A room with a view. S. 233 (19. Kapitel)

[39] Gladziejewski, C.: Dramaturgie der Romanverfilmung. S. 155

[40] Ebd., S. 157/158

[41] Forster, E. M.: A room with a view. S. 113 (8. Kapitel)

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
A room with a view
Untertitel
James Ivorys Literaturverfilmung von Edward Morgan Forsters gleichnamigen Roman
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Literaturverfilmung
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
43
Katalognummer
V132235
ISBN (eBook)
9783640381210
Dateigröße
618 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
room with a view, zimmer mit aussicht, james ivory, ivory, forster, edward morgan forster, literaturverfilmung, filmwissenschaften, literaturwissenschaften, filmwissenschaft, literaturwissenschaft, kulturwissenschaften, kulturwissenschaft, literaturverfilmungen, sequenzprotokoll, sequenzanalyse, roman, film, erzähltechnik, symbolik, motive, helena bonham carter, begriff, merchant ivory, merchant ivory productions, the bostonians, the europeans, judi dench, rupert graves, daniel day lewis, daniel day-lewis, maggie smith, romanverfilmung, dramaturgie, romanverfilmungen, romanadaptation, adaption, adaptation, filmadaption, klassiker, weltliteratur, verfilmung, film und literatur, film und roman
Arbeit zitieren
Anne Friederike Huneke (Autor:in), 2008, A room with a view, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132235

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