Mobbing. Eine Herausforderung für Führungskräfte


Magisterarbeit, 2009

115 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise

2 Grundlagen von Mobbing
2.1 Geschichte und Wortherkunft
2.2 Begriffsdefinition
2.2.1 Definition nach Leymann
2.2.2 Kritik an Leymanns Definition
2.3 Arten der Angriffe
2.3.1 Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen
2.3.2 Angriffe auf die sozialen Beziehungen
2.3.3 Angriffe auf das soziale Ansehen
2.3.4 Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
2.3.5 Angriffe auf die Gesundheit
2.4 Kritische Betrachtungen des Konzeptes
2.5 Mehrdimensionales Mobbing- Modell von Zuschlag
2.6 Das Phasenkonzept von Leymann
2.6.1 1. Phase: Die täglichen Konflikte
2.6.2 2. Phase: Der Übergang zum Psychoterror
2.6.3 3. Phase: Rechts- und Machtübergriffe
2.6.4 4. Phase: Ärztliche und psychologische Fehldiagnosen
2.6.5 5. Phase: Ausschluss aus dem Arbeitsleben
2.7 Entwicklung und heutiger Stand der Forschung
2.7.1 Verbreitung
2.7.2 Häufigkeit und Dauer
2.7.3 Soziodemographische Faktoren

3 Ursachen von Mobbing
3.1 Fehlerhaftes Führungsverhalten
3.1.1 Definition von Führung
3.1.2 Führungsfunktion und Führungsverhalten
3.1.3 Formen der Führungsstile
3.2 Die Organisation der Arbeit
3.3 Die Aufgabengestaltung der Arbeit
3.4 Die sozial exponierte Stellung der Mobbing-Opfer
3.5 Die Akzeptanz von Mobbing innerhalb eines Teams
3.6 Kommunikationsstörungen

4 Auswirkungen von Mobbing
4.1 Folgen für die Mobbing-Opfer
4.1.1 Gesundheitliche Folgen
4.1.2 Auswirkungen auf das private Leben
4.1.3 Auswirkungen auf die Leistungs- und Arbeitsmotivation
4.2 Folgen für das Unternehmen
4.2.1 Auswirkungen auf das Arbeitsklima
4.2.2 Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit
4.3 Folgen für die Gesellschaft

5 Strategien zur Bekämpfung von Mobbing
5.1 Präventionsmöglichkeiten des Vorgesetzten
5.1.1 Führungskräftetraining
5.1.2 Regelmäßige Mitarbeitergespräche
5.1.3 Gezielte Personalauswahl und Personalschulung
5.1.4 Mitarbeiter erfolgreich integrieren
5.1.5 Einführung eines Patenschaft-Systems für neue Mitarbeiter
5.1.6 Förderung der Personalentwicklung
5.1.7 Arbeitszufriedenheit schaffen
5.1.8 Aufklärung
5.1.9 Mitarbeiter-Coaching
5.1.9.1 Der Entwicklungsprozess von Coaching
5.1.9.2 Coaching-Formen
5.1.9.3 Das - Fünf - Phasenmodell eines Coaching-Prozesses
5.2 Präventionsmaßnahmen von Seiten des Unternehmens
5.2.1 Arbeitsgestaltung und Arbeitsplatzbedingungen
5.2.2 Unternehmensphilosophie und -Ethik
5.2.3 Offene Kommunikationsstruktur
5.3 Maßnahmen zur Intervention
5.3.1 Handlungsmöglichkeiten der Führungskraft
5.3.2 Handlungsmöglichkeiten des Opfers
5.3.3 Handlungsmöglichkeiten der Kollegen

6 Zusammenfassung und Ausblick

7 Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Einseitige Betrachtung der Täter-Opfer-Beziehung

Abbildung 2: Dynamischer Ablauf der Täter-Opfer-Beziehung

Abbildung 3: Mehrdimensionales Mobbing-Modell

Abbildung 4: Mehrdimensionales Mobbing-Prozeß-Modell

Abbildung 5: Das Phasenmodell nach Leymann

Abbildung 6: Aktuelle, jährliche und gesamte Mobbing-Quote

Abbildung 7: Häufigkeit der Mobbing-Handlungen

Abbildung 8: Dauer des Mobbing-Prozesses (nur abgeschlossene Fälle)

Abbildung 9: Mängel im Führungsverhalten

Abbildung 10: Chefs mit Schwächen

Abbildung 11: Arbeitsklima-Index – Beeinflussung des Wohlbefindens durch Arbeitsaspekte in %

Abbildung 11: Auswirkungen von Mobbing auf den Betrieb

Abbildung 12: Aspekte der Konfliktlösung für Vorgesetzte

Abbildung 13: Die wichtigsten Coaching-Anlässe/-Ziele

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen

Tabelle 2: Angriffe auf die sozialen Beziehungen

Tabelle 3: Angriffe auf das soziale Ansehen

Tabelle 4: Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation

Tabelle 5: Angriffe auf die Gesundheit

Tabelle 6: Fragwürdige Items im LIPT

Tabelle 7: Dichotomie „Gemobbte“/ „Nicht-Gemobbte“ auf der Grundlage der Definition von LEYMANN (1993)

Tabelle 8: Mobbinghäufigkeit differenziert nach Geschlecht in % (n=466)

Tabelle 9: Aufklärung gegen Mobbing

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

In einer Zeit, in der Unternehmenserfolge nicht mehr allein über technologische Entwicklungen, sondern vielmehr durch die Qualität der Mitarbeiter erzielt werden, treten die Entwicklung und die psychosoziale Befindlichkeit des einzelnen Mitarbeiters in den Vordergrund. Für die meisten Menschen trägt die Arbeit einen großen Stellenwert im Leben. Einflussfaktoren, wie hohes Gehalt, gute Position, sowie Selbstbestimmung und sozialer Frieden tragen erheblich zu der Zufriedenheit und der Erfüllung im Leben bei. Doch jede Person, die einen Beruf ausgeübt bzw. Erfahrungen im Arbeitsleben gesammelt hat weiß, dass kleine Streitigkeiten mit Kollegen oder Differenzen mit Vorgesetzten nicht selten vorkommen. Demnach kann sich die Arbeit nicht nur in positiver, sondern auch in negativer Form auf den Menschen auswirken. Die Reaktionen der Mitarbeiter auf derartige Situationen sind jedoch sehr unterschiedlich. Der eine frisst sämtlichen Kummer und Groll in sich hinein oder hat die Angelegenheit bereits am nächsten Tag vergessen. Der andere lässt seinen Gefühlen freien Lauf, in dem er seine Wut herauslässt und seine Mitmenschen darunter leiden müssen. Überall dort, wo Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen, Meinungen und Interessen aufeinander stoßen, entstehen Konflikte. Nicht jede kleine Streitigkeit oder Auseinandersetzung hat Mobbing zur Folge. Gerade im deutschsprachigen Raum wird mit der Verwendung dieses Begriffs häufig leichtfertig umgegangen. Es ist bereits zu einer Art Modewort herangewachsen, das seinen Gebrauch oftmals in falschem Kontext findet. Tatsache ist, dass das Phänomen Mobbing nicht als eine gänzlich neue Erscheinungsform in der Arbeitswelt auftritt, sondern nur eine andere Umschreibung für eskalierte Konfliktsituationen am Arbeitsplatz darstellt. Jeder, unabhängig vom Geschlecht oder Bildungsstand, kann zur Zielscheibe werden.

1.1 Problemstellung

Mobbing entsteht meist aus Konflikten heraus und kann sich nur weiterentwickeln, wenn die Unternehmensleitung nichts dagegen unternimmt. Wenn die beteiligten Streitparteien den Konflikt nicht rechtzeitig in den Griff bekommen oder an einer Lösung nicht interessiert sind, kann die Situation schnell eskalieren und ausarten. Die Hauptverantwortung bei der Bekämpfung dieses Phänomens fällt auf die Unternehmensleitung und hier insbesondere auf die zuständige Führungskraft. Mobbing stellt für die Führungskraft aus diesem Grund eine sehr große Herausforderung dar, da er neben der Erledigung seiner eigentlichen Führungsaufgaben jederzeit für das Wohlergehen und die Zufriedenheit seiner

Angestellten sorgen und den Blick für das Entstehen etwaiger Reibereien bewahren muss. Die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Aufgabe nicht immer nachgekommen wird, da der Entstehung von Auseinandersetzungen häufig gerade die fehlende Führungskompetenz des Vorgesetzten zugrunde liegt. Weitere Ursachen reichen von arbeitsorganisatorischen Bedingungen bis hin zu sozialen Strukturen. Die folgenreichen Konsequenzen, die Mobbing vor allem für das Opfer mit sich bringen, sind den Beteiligten meist nicht bekannt. Mobbing-Attacken, die über längere Zeit hinweg anhalten und regelmäßig auftreten, können immense Auswirkungen sowohl auf die Lebensqualität aber auch auf viele Lebensbereiche des Opfers nehmen. Das Privatleben bleibt dabei ebenfalls selten verschont. Neben starken psychischen und physischen Beeinträchtigungen kommt es zur Zerstörung sozialer Beziehungen, einer Schädigung der gesellschaftlichen Stellung oder letztendlich sogar zur endgültigen Arbeitsunfähigkeit, Suchtverhalten oder zum Suizid.

Die Konsequenzen von Mobbing sind nicht nur für das Opfer gravierend, denn auch für die Unternehmen und die Gesellschaft ist mit dieser Art feindseliger Übergriffe am Arbeitsplatz ein erheblicher finanzieller Aufwand verbunden. Für die Organisation äußert sich das vor allem in Form von häufigen Krankfehlzeiten, hoher Personalfluktuation, abnehmender Arbeitsproduktivität sowie schlechtem Betriebsklima. Langfristige Krankheiten, die sich bis zur Arbeitsunfähigkeit und Frührente entwickeln können, sowie die durch die zunehmende Fluktuation bedingte Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Aufwendungen werden zum größten Teil von den zuständigen sozialen Institutionen getragen und verursachen erhebliche finanzielle Ausgaben, für die letzten Endes die Steuerzahler aufkommen.

Aus den eben genannten Gründen werden primär die Unternehmen derartigen Entwicklungen am Arbeitsplatz gegenüber nicht tatenlos zusehen wollen. Die momentane Wirtschaftslage ist mehr als angespannt und düster, die Beschäftigten haben Angst ihre Arbeitsplätze zu verlieren, sodass sich die allgemeine Unsicherheit und die eigene Existenzangst auch im Unternehmen bemerkbar machen. Infolgedessen kann das angenehme Betriebsklima, der soziale Zusammenhalt der Mitarbeiter und das ethische und moralische Niveau stark gefährdet werden. Nur unter der Bedingung, dass Unternehmen, Führungskräfte und andere Interessensvertreter alles in ihrer Macht stehende zur Mobbing-Prävention unternehmen, können Mobbing-Strukturen beseitigt, ein gutes Arbeitsklima und die Leistungsmotivation der Arbeitnehmer bewahrt sowie der Unternehmenserfolg langfristig gesichert werden.

1.2 Zielsetzung

In Hinblick auf die bereits im vorhergehenden Abschnitt dargelegten Probleme und Folgen des Mobbings besteht das grundlegende Ziel der Arbeit zunächst darin, einen Überblick über das Phänomen „Mobbing am Arbeitsplatz“ zu geben. Die Darstellung zieht dabei insbesondere einige in der Literatur geläufige Begriffsbestimmungen, die Entstehung und Entwicklung, die unterschiedlichen Verlaufsformen sowie den derzeitigen Forschungstand in die Betrachtung mit ein. Anschließend werden vor allem potentielle betriebliche Ursachen für Konfliktsituationen erörtert sowie Auswirkungen auf den Betroffenen selbst, dessen privates Umfeld, das Unternehmen und letztendlich die Gesellschaft aufgezeigt. Im letzten Kapitel der Arbeit wird herausgearbeitet, auf welche Art und Weise die Führungskraft und das Unternehmen anhand von geeigneten Präventions- und Interventionsmaßnahmen Konflikte erfolgreich bewältigen und effizient in bereits bestehende Mobbing-Prozesse einschreiten können. Ein zusammenfassendes Fazit soll die wichtigsten Komponenten und Ergebnisse der Arbeit rückblickend präsentieren und abschließend einen Ausblick auf eine mögliche zukünftige Entwicklung gewähren.

1.3 Vorgehensweise

Die Einleitung der vorliegenden Arbeit dient zunächst der Hinführung zum Thema, der Formulierung der Problemstellung sowie einer konkreten Zielsetzung. Dabei wird insbesondere auf die richtige Verwendung des Begriffs Mobbing, mögliche Ursachen, Folgen und den notwendigen Bedarf an Handlungsstrategien hingewiesen. In der Zielsetzung wird aufgezeigt, dass für das Verständnis der Arbeit grundlegende Kenntnisse unerlässlich sind und daher zu Beginn vermittelt werden sollten. Zudem erfolgen in Kapitel 1.3 eine Erklärung zur Strukturierung und einige kurze Anmerkungen hinsichtlich der einzelnen Bestandteile der Arbeit.

In Kapitel 2 folgt eine ausführliche Darstellung des Phänomens Mobbing. Im ersten Teil werden dabei insbesondere die Entstehung und Wortherkunft betrachtet sowie nachfolgend einige prägende Definitionen verschiedener Autoren herausgegriffen und diskutiert. Des Weiteren werden die verschiedenen Handlungsarten und kritische Betrachtungen anderer Autoren aufgezeigt. Außerdem wird ein Einblick in die Entwicklung und den Stand der Mobbing-Forschung gewährt und versucht anhand konkreter Zahlen, das Ausmaß, die Häufigkeit, die Dauer sowie den Zusammenhang zwischen einigen soziodemographischen Faktoren und Mobbing zu verdeutlichen.

Der nächste Themenblock der Arbeit beschreibt mögliche Ursachen von Mobbing. Das Augenmerk richtet sich hierbei insbesondere auf die Führungskraft und weitere betriebliche Größen als mobbing-begünstigende Einflussfaktoren.

Eine Darstellung unterschiedlicher Auswirkungen feindseliger Attacken am Arbeitsplatz erfolgt in Kapitel 4. Dabei werden schwerwiegende Folgen für den Betroffenen selbst, dessen soziales und privates Umfeld sowie wirtschaftliche und finanzielle Konsequenzen für die gesamte Organisation und letztendlich auch für die Gesellschaft beschrieben.

Zum Abschluss beschäftigt sich Kapitel 5 mit präventiven und interventiven Maßnahmen von Seiten des Vorgesetzten, des Unternehmens sowie den Opfern selbst. Dabei soll insbesondere gezeigt werden, welche Handlungsmöglichkeiten die Führungskraft hat, um Mobbing im Vorfeld zu vermeiden bzw. welche Vorkehrungen sich bei einem bereits bestehenden Mobbing-Prozess als sinnvoll erweisen.

2 Grundlagen von Mobbing

Damit das Modewort Mobbing, wie so oft, nicht in falschem Kontext verwendet wird, ist es wichtig, eine Abgrenzung zu verwandten Begriffen festzulegen. Im folgenden Abschnitt sollen deshalb auf die Entstehung und die Problemeingrenzung mit Hilfe verschiedener Definitionen eingegangen, die unterschiedlichen Phasen des Mobbing-Verlaufs nach Leymann beschrieben sowie kritische Sichtweisen anderer Experten aufgeführt werden.

2.1 Geschichte und Wortherkunft

Der Begriff leitet sich von dem englischen Substantiv „mob“ ab, dass mit „der Pöbel“ oder „das Gesindel“[1] übersetzt werden kann. Das Wort “to mob“[2] wird dabei als „angreifen“, „anpöbeln“ oder „über jemanden herfallen“ definiert. Mobbing kann daher als Verlaufsform von „to mob“ betrachtet werden und findet seine Verwendung überwiegend bei Menschen, die Untergebene, Kolleginnen/Kollegen oder Vorgesetzte am Arbeitsplatz schikanieren.[3]

Der österreichische Ethnologe Konrad Lorenz verwendete den Begriff Mobbing 1958 erstmals in einem wissenschaftlichen Kontext, als er das Angriffsverhalten von Tieren in einer Gruppe gegenüber einem einzelnen Tier beobachtete. Anschließend wurde der Begriff Ende der 60er Jahre von dem Mediziner Peter-Paul Heinemann, angeregt durch die Lektüre Lorenz’, übernommen. Heinemann richtete sein Augenmerk, weg von der Haltung der Tiere, auf das Gruppenverhalten von Kindern auf einem Schulhof. Dabei schilderte Heinemann, dass diese ähnliche Verhaltensweisen wie bei den beobachteten Tieren aufzeigten, um einzelne Kinder aus der Gruppe auszuschließen.[4]

Im Anschluss an die Arbeiten von Heinemann, wurde die Erforschung von Mobbing im Schulbereich in den skandinavischen als auch europäischen Staaten stärker vorangetrieben. Anfang der 80er Jahre widmete sich der Arbeitspsychologe Heinz Leymann in einem neuen Zusammenhang auf die Thematik. In seiner Forschung ging es darum, das Phänomen im Arbeitsleben aufzugreifen, bei dem Einzelpersonen oder eine Gruppe einen unterlegenen Kollegen gezielt über einen längeren Zeitraum attackieren, um ihn aus dem Unternehmen und vom Arbeitsplatz heraus zu drängen.[5]

2.2 Begriffsdefinition

Es ist aufgrund der Vielfältigkeit schwierig, eine eindeutige und allgemeingültige Definition für den Begriff Mobbing zukommen zu lassen. Es gibt zu viele unfaire Attacken am Arbeitsplatz, dass es nicht immer eindeutig ist, ob es sich tatsächlich um Mobbing oder lediglich bloßen Unverschämtheiten und dummen Witzen handelt. Auch die zahlreichen Definitionen, die zum Thema zu finden sind, weisen Abweichungen auf. Trotzdem ist es wichtig eine Begriffsbestimmung festzulegen, „[...]denn sonst wäre Mobbing nur ein neues Modewort ohne eigenen Inhalt.“[6]

2.2.1 Definition nach Leymann

Die gängigste und in der Literatur am häufigsten vorkommende Definition stammt von dem schwedischen Arbeitspsychologen Heinz Leymann. Diese lautet wie folgt:

„Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.“[7]

Leymann macht mit seiner allgemeinen Definition auf die entscheidenden Eigenschaften des Phänomens aufmerksam. Die Gesichtspunkte wie „ Konfrontation, Belästigung, Nichtachtung der Persönlichkeit und Häufigkeit der Angriffe über einen längeren Zeitraum hinweg“[8] lassen Situationen eskalieren und Konflikte ausufern und als Schlussfolgerung Mobbing entstehen. Damit jedoch wirklich die Rede von Mobbing sein kann, gibt es gewisse Kriterien die erfüllt sein müssen. „Eine Unverschämtheit, einmal gesagt, ist und bleibt eine Unverschämtheit. Wiederholt sie sich aber jeden Tag über mehrere Wochen, dann sprechen wir von Mobbing.“[9]

2.2.2 Kritik an Leymanns Definition

Die Leymann’sche Definition wird von einigen anderen Autoren kritisch betrachtet. Sie stellen die Definition zwar nicht vollständig in Frage, sehen aber einige Formulierungen als problematisch und verbesserungswürdig an. Einer dieser Autoren ist Bernd Zuschlag, der in seinem Buch „Mobbing - Schikane am Arbeitsplatz“ Einwände an Leymanns Definition bekundet. Er bemängelt zum einen die Formulierung „negative kommunikative Handlungen“, wobei er sich die Frage stellt, ob auch negative nicht kommunikative Handlungen existieren und was für Handlungen das sein könnten. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Einschränkung durch das Kriterium „negative kommunikative Handlungen“ in Leymanns Definition überflüssig ist, da seiner Auffassung nach jede Handlung einen kommunikativen Aspekt enthält. Zum anderen bemängelt Zuschlag auch die Formulierung, „dass[10] Mobbing jeweils nur gegen eine Person gerichtet sei.“[11] Er berichtet, dass es Erfahrungen zufolge durchaus Handlungen gibt, die sich gegen mehrere Personen bzw. Gruppen richten.[12] Demnach hält er diesen Teil der Definition von Leymann für falsch.

Die Problematik verdeutlicht er anhand der Beispiele der Ausländer, Frauen, Behinderte und Lehrlinge. Schließlich legt er aufgrund seiner kritischen Bemerkungen an Leymanns Definition ergänzend und mit einigen Korrekturen eine eigene Begriffsbestimmung fest:

„Der Begriff „Mobbing“ beschreibt schikanöses Handeln einer oder mehrerer Personen, das gegen eine Einzelperson oder eine Personengruppe gerichtet ist. Die schikanösen Handlungen werden meist über einen längeren Zeitraum hin wiederholt. Sie implizieren grundsätzlich die Täter-Absicht, das (die) Opfer bzw. sein (ihr) Ansehen zu schädigen und gegebenenfalls aus seiner (ihrer) Position zu vertreiben. Aber auch ohne Schikane-Absicht des Täters können dessen ‚normale’ Handlungen von sensiblen Personen missverstanden und als Mobbing empfunden werden.“[13]

Auch der Psychologe Oswald Neuberger beschäftigte sich in seinem Werk „Mobbing: Übel mitspielen in Organisationen“ mit den verschiedenen Begriffserklärungen von Mobbing. Dabei stellt er zunächst die wesentlichen Gedanken anderer skandinavischen als auch deutschen Definitionen zusammengefasst vor und untersucht Leymanns noch etwas genauer. Um seine kritische Betrachtungsweise von Leymanns Definition zu belegen, greift Neuberger auf drei unterschiedliche von Leymann erstellte Definitionen zurück. Diese unterteilt er in drei Abschnitte: den abstrakten, den allgemein-operationalen und operationalen Abschnitt. Neuberger kritisiert ähnlich wie Zuschlag die eingeschränkte Sichtweise von Leymann und führt Alternativen auf die Leymann in seinen Definitionen unbeachtet lässt.

Leymann beschränkt sich in seiner Definition auf eine Person, die Zielscheibe von Mobbing-Attacken ist, wobei Neuberger alternativ von einer Gruppe oder Abteilung ausgeht, die gemobbt werden kann. Zugleich beschreibt Leymann die Häufigkeit und Dauer als wichtig und vernachlässigt nach Neuberger die Intensität der Feindseligkeit, obwohl diese manchmal maßgebende Auswirkungen zur Folge haben können. Während kleinere Pöbeleien mit der Zeit zu überwinden sind, können enorme Demütigungen den Charakter grundlegend negativ verändern.

Weiterhin ist auch die Rede von einer systematischen Handlung, nach Neuberger könnte es sich aber möglicherweise auch um schwerwiegende Ausrutscher oder unkontrollierte und impulsive Ausbrüche handeln.[14] Im Vergleich zu Leymann wählt Neuberger eine kurze und prägnante Definition die wie folgt lautet: „Jemand spielt einem übel mit und man spielt wohl oder übel mit.“[15]

Der gravierende Unterschied zu Leymanns Definition ist im zweiten Halbsatz zu finden. Neuberger betont in seiner Begriffsbestimmung „man spielt wohl oder übel mit“ insbesondere die aktive Teilnahme vom Täter sowie Opfer an der Mobbing-Handlung. Leymann hingegen schreibt dem Opfer die Rolle des passiven Empfängers und dem Täter die Rolle des Initiators zu.

Das Phänomen Mobbing ist in ihrer Thematik sehr komplex. Um einen Einblick auf die Vielfältigkeit der Ausführungen zu gewähren, werden im Folgenden exemplarisch weitere Definitionen aufgeführt.

Einer der ersten Arbeiten, der seine Aufmerksamkeit auf Mobbing im Arbeitsverhältnis richtete, stammt von Brodsky. Er berichtet 1976 erstmals über seine Erfahrungen in seiner Arbeit „The Harrassed Worker“. Neuberger führt die Originaldefinition in seinem Werk auf und liefert im Anschluss daran eine Übersetzung, die wie folgt lautet:

„Beeinträchtigendes Verhalten beinhaltet wiederholte und fortdauernde Versuche einer Person, eine andere Person zu quälen, zu zermürben, zu frustrieren oder sie zu einer Gegenreaktion zu provozieren. Es ist eine Behandlung, die eine andere Person fortdauernd provoziert, unter Druck setzt, ihr Angst einjagt, sie einschüchtert oder ihr auf eine andere Weise Unannehmlichkeiten bereitet... Das Problem beginnt, wenn die Beeinträchtigung exzessiv ist oder wenn die Toleranz des beeinträchtigten für eine solche Behandlung niedrig ist und er sie als negative Einschüchterung erlebt.“[16]

Brodskys Definition vernachlässigt den Bezug auf das Arbeitsleben und hält seine Erläuterung eher allgemein. Zudem ist der Zweck von Mobbing nicht eindeutig zu erkennen, die hauptsächlich darauf abzielt, die ungewollte Person vom Arbeitsplatz zu vertreiben. Die „Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing e.V.“ hingegen, dessen Mitgründer u.a. Leymann ist, interpretiert das Phänomen basierend auf Leymanns allgemeiner Definition folgendermaßen:

„Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist (1) und von einer oder einigen Personen systematisch, oft (2) und während längerer Zeit (3) mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis (4) direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet.“[17]

Die Definition von der „Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing e.V.“, geht explizit auf die Problematik der fehlerhaften Kommunikation ein, die u.a. als Ursache für das Entstehen von Mobbing verantwortlich ist. Die Kommunikationsförderung ist Aufgabengebiet der Führungskraft und zielt darauf ab ein harmonisches Miteinander zu schaffen. Doch wie auch die Begriffsbestimmung illustriert, sind Führungskräfte selbst oft an Attacken beteiligt. Leymann untersuchte hierzu in einer seiner Forschungsarbeiten die Mobbing-Aktionen und kam zum folgenden Resultat:

1. Mobbing auf derselben Ebene 44%
2. Mobbing von oben nach unten 37%
3. Diese beiden Arten (1 und 2) in Kombination 10%
4. Mobbing von unten nach oben 9%[18]

Demnach sind Mobbing-Fälle durch den Vorgesetzten, fast gleich so hoch wie durch Gleichgestellte. Auch Einarsen und Raknes beschäftigten sich mit dem Thema Mobbing und formulierten hierzu eine sehr umfassende Begriffserläuterung, die Niedl in seiner Arbeit „Mobbing/Bullying am Arbeitsplatz“ in übersetzter Form liefert. Ihrer Ansicht nach ist Mobbing, wenn

„eine Person oder mehrere Personen häufiger über eine Zeit lang negativen Handlungen (Schikane, Isolation, Kränkungen etc.) von einer anderen oder mehreren anderen Personen ausgesetzt ist/sind. Weiters muss ein Ungleichgewicht im Stärkeverhältnis vorhanden sein, sodass das Mobbingopfer es schwer hat, sich zu verteidigen. Man spricht nicht von Mobbing, wenn etwa zwei gleich starke Personen einen Konflikt austragen, oder wenn es sich um kleine Konfliktepisoden handelt.“[19]

Zwar weist die Definition von der „Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing e.V.“ auf die unterlegene Position des Opfers hin, dennoch heben Einarsen und Raknes als einzige das Stärkeverhältnis der Parteien vor und unterstreichen, dass Mobbing nur besteht, wenn einer psychisch schwächer ist als der Andere. Konflikte zwischen psychisch gleich Starken sind nicht als Mobbing zu kennzeichnen.

Niedl hat basierend auf bereits vorhandenen Definitionsansätzen eine eigene Auslegung des Begriffs. Seine Formulierung lautet:

Unter Mobbing am Arbeitsplatz werden Handlungen einer Gruppe oder eines Individuums verstanden, denen von einer Person, die diese Handlungen als gegen sie gerichtet wahrnimmt, ein feindseliger, demütigender oder einschüchternder Charakter zugeschrieben wird. Die Handlungen müssen häufig auftreten und über einen längeren Zeitraum andauern. Die betroffene Person muss sich zudem aufgrund wahrgenommener sozialer, ökonomischer, physischer oder psychischer Charakteristika außerstande sehen, sich zu wehren oder dieser Situation zu entkommen.“[20]

Eine letzte Definition, die in dieser Arbeit genannt werden soll, aber dennoch nicht das Ende der verschiedenen Definitionsreihe bildet, stammt von dem Arbeits- und Organisationspsychologen Henry Walter, der eine praxisrelevante Begriffsbestimmung verfasst hat.

„Mobbing bezeichnet Konflikte,

- bei denen alle nur verlieren.
- bei denen auf die Dauer einzelne Personen deutlich unterliegen. Und zwar nicht nur in Bezug auf diesen einen Konflikt, sondern mit ihrer ganzen Persönlichkeit.
- die nichts mehr mit der Suche nach einer Lösung, einem Kompromiss zu tun haben, sondern die nur um ihrer selbst willen geführt werden.
- die aus unsichtbaren, irrationalen Interessen geführt werden.
- bei denen Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die alle Parteien grundsätzlich verurteilen und für die beide Seiten keine Verantwortung übernehmen.
- bei denen die Parteien sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich machen.
- bei denen ein sichtbarer Streitgrund, der rational zu lösen wäre, nicht oder nicht mehr erkennbar ist.
- bei denen alle Beteiligten eine rationale Auseinandersetzung ablehnen und auf der in ihren Augen berechtigten emotionalen Position bestehen.
- die sich durch beiderseitige Hilflosigkeit auszeichnen.“[21]

Die unterschiedlichen Begriffsbestimmungen verdeutlichen, dass das Phänomen Mobbing aus verschiedenen Sichtweisen erfolgen kann. Daher ist es nicht möglich eine einheitliche Basis sowie konkrete Sichtweise zu bestimmen. Die vorliegende Arbeit bedient sich als Grundlage der Definition des Arbeitspsychologen Heinz Leymann, wie sie in Punkt 2.2.1 vorgestellt wurde.

2.3 Arten der Angriffe

In den achtziger Jahren führte Heinz Leymann mit seinen Mitarbeitern eine Studie basierend auf ca. 300 Interviews durch, um den Ablauf des Mobbing-Prozesses zu durchleuchten. Das Ziel der Untersuchung war es, die Reaktionen der von Mobbing betroffenen Mitarbeiter auf bestimmte Handlungen festzumachen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass diese Handlungen zu den Handlungen gezählt werden können, die sich häufig zwischen Mitmenschen ereignen, ohne bleibende Schäden bei den Betroffenen zu hinterlassen. In den Unternehmen passierten diese Handlungen allerdings häufiger und über längere Zeiträume mit dem daraus resultierenden Unterschied, dass „Allerweltshandlungen, denen man ‚mobbende’ Effekte gar nicht zutrauen sollte, einen Menschen zerbrechen. Sie machen ihn mürbe, erzeugen dauernde Angst, nackte Existenzangst.“[22] Auch Gespräche mit Betriebsräten, Personalchefs oder Psychologen bestätigten die Ergebnisse der Studie. Aus Leymanns Untersuchungen ergaben sich dabei 45 Mobbing-Handlungen, deren Absicht auf das Manipulieren von wichtigen Funktionen und Zuständen im Arbeitsleben ausgerichtet war. Diese Handlungen wurden fünf Kategorien zugeordnet, denen jeweils die verschiedenen Auswirkungen der Handlungen auf die Opfer zugrunde lagen. Die Handlungstypologien sind folgende:

1. Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen
2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen
3. Angriffe auf das soziale Ansehen
4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
5. Angriffe auf die Gesundheit

Die Grenzen zwischen den Kategorien verlaufen fließend, da einige Mobbing-Handlungen mehreren Kategorien zugeordnet werden können.

Zudem sah Leymann Mobbing als gegeben, „wenn eine oder mehrere von 45 genau beschriebenen Handlungen über ein halbes Jahr oder länger mindestens einmal pro Woche vorkommen.“[23] Im Folgenden werden die oben aufgeführten Handlungstypen näher erläutert.

2.3.1 Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen

Wenn am Arbeitsplatz bereits eine Konfliktsituation eingetreten ist, in der die Täter- und Opferrollen eindeutig verteilt sind, können dem Opfer jegliche Möglichkeiten der Kommunikation im Unternehmen verwehrt werden. Sie sind in der Regel in der schwächeren Position, denn die Gegenspieler nehmen sich das Recht vor, das Gesagte auf ihre Weise zu deuten und diese Sicht anzuordnen. Die soziale Ungleichheit kann sich in Form von mangelndem Informationsaustausch äußern. Der Stärkere gibt die Auswahl von Informationen an, dass die Gefahr birgt, Missverständnisse mit sich zu bringen, da nur noch ein Agieren von Hörensagen möglich ist. Der Betroffene ist nicht mehr auf dem neusten Stand der Lage, weil er von wichtigen Informationen abgeschnitten wird, während die Akteure in der stärkeren Position nur die Informationen vorziehen, die ihnen für weitere Attacken nützlich sein können. Versuche des Opfers, das Problem zu lösen, sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt.[24]

Leymann sieht dabei drei Möglichkeiten, wie sich das Opfer in dieser Situation verhalten kann: Unterwerfen, kündigen oder kämpfen. Die letztere Alternative bietet nach Leymanns Untersuchungen die geringste Aussicht auf Erfolg. Die Rollen sind in einem Unternehmen hierarchisch ungleich verteilt, sodass ohne Unterstützung des Managements, wenn diese sogar die Mobbing-Situation nicht selbst verursacht hat, wenig Hoffnung auf Besserung besteht. Die Führungskräfte üben die Kontrolle über die Geschehnisse aus und können mit falschen Ansätzen Mobbing-Situationen ausarten lassen. Leymann erfuhr in seiner Studie von Vorgesetzten, dass sie ihre Mitarbeiter in der Opferrolle völlig von den anderen Kollegen isolieren, „um den Konflikt zu begrenzen.“[25] Solche falschen Maßnahmen haben den negativen Effekt, die Möglichkeit einer ehrlichen Aussprache einzuschränken und somit die Streitigkeiten beizulegen.[26]

Eine weitere Taktik dem Opfer zu schaden, ist es, die feindselige Kommunikation zu intensivieren. Beleidigungen entweder in Form von nächtlichem Telefonterror im Privatbereich des Opfers oder kleinen Notizen am Arbeitstisch ist eine Form. Die wortlose Kommunikation, obwohl beide Parteien im selben Raum sind, ist eine andere Form. Hierbei wird dem Opfer das Gefühl gegeben, dass er es nicht Wert ist, angesprochen zu werden. „Wortlose Kommunikation kann eine äußerst subtile Art von Psychoterror darstellen. Ein Achselzucken, eine bestimmte Kopfhaltung, Gesten, all das kann benutzt werden, um Geringschätzung und Verachtung auszudrücken.“[27]

Des Weiteren bezeichnet Leymann „Nicht-Handlungen“[28] als eine ähnlich wirkungsvolle Art der Kommunikation. Hilfeleistungen werden unterlassen oder es werden Versprechen gegeben in der Absicht, diese nicht einzuhalten. Diese Art der Kommunikation kann auch als „irreführende Kommunikation“ ausgedrückt werden. Leymann sieht als Lösungsansatz die „Metakommunikation, also das Gespräch über die Kommunikation“[29] als ein wichtiges Mittel, um die Verständigungsqualität zwischen beiden Parteien wiederherzustellen. Meist ist der Täter an einer Schlichtung des Konfliktes nicht interessiert und verweigert eine Metakommunikation. Letztendlich hat der Betroffene keine Chance sich von Beschuldigungen freizusprechen, da ein klärendes Gespräch nicht zu realisieren ist.[30] Der Katalog über die 45 Handlungen hat in der Rubrik der „Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen“ folgende Elemente zusammengefasst:

- Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten ein, sich zu äußern.
- Man wird ständig unterbrochen.
- Kollegen schränken die Möglichkeiten ein, sich zu äußern.
- Anschreien oder lautes Schimpfen.
- Ständige Kritik an der Arbeit.
- Ständige Kritik am Privatleben.
- Telefonterror.
- Mündliche Drohungen.
- Schriftliche Drohungen.
- Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten.
- Kontaktverweigerung durch Andeutungen, ohne dass man etwas

direkt ausspricht.

Tabelle 1: Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen

(Quelle: Leymann (1993): 33)

2.3.2 Angriffe auf die sozialen Beziehungen

Ein oft auftretendes Problem bei Mobbing-Opfern, ist der Zerfall des sozialen Netzes und eine daraus resultierende Isolation. Der Grund dafür ist, dass die Kommunikation zerstört ist. Viele Täter führen die Zerstörung des sozialen Netzes absichtlich bei, um das Opfer zusätzlich zu terrorisieren. In solchen Fällen sind soziale Hilfestellungen, auch „social support“ genannt, durch Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen unabdingbar. Erst durch diese Unterstützung, weiß man aus der Psychologie, kann ein Mensch viel Lebensstress aushalten.

Eine bevorzugte Vorgehensweise der Täter ist die Isolierung des Opfers. Dieser Handlung sind keine Grenzen gesetzt und erfolgt meist in unterschiedlicher Art und Weise. So passiert es oft, dass jeglicher Kontakt der Kollegen, in schriftlicher oder mündlicher Form gemieden, Gesprächsversuche zur Schlichtung blockiert oder im Falle von Bossing (Mobbing durch die Führungskraft) die Möglichkeit zur Verrichtung von sinnvollen Arbeitsaufgaben entzogen wird. Auffällig ist die Beobachtung, dass derartige Intrigen in kleineren Betrieben mit beispielsweise zehn Mitarbeitern, nicht durchführbar sind. Die Ursache dafür ist, dass kein Firmeninhaber einem Angestellten Lohn bezahlen will, der für sein Geld keine Gegenleistung bringt und der Betrieb infolgedessen einen wirtschaftlichen Schaden annimmt. In großen Betrieben hingegen, wie Behörden, Massenmedien oder Krankenhäusern, wird diese Art von Mobbing oft beobachtet.[31] Leymann fasst in der Kategorie „Angriffe auf die sozialen Beziehungen“ nachstehende Elemente zusammen:

- Man spricht nicht mehr mit dem Betroffenen.
- Man lässt sich nicht ansprechen.
- Versetzung in einen Raum weitab von den Kollegen.
- Den Arbeitskollegen/innen wird verboten, den/die Betroffenen anzusprechen.
- Man wird "wie Luft" behandelt.

Tabelle 2: Angriffe auf die sozialen Beziehungen

(Quelle: Leymann (1993): 33)

2.3.3 Angriffe auf das soziale Ansehen

Das Selbstwertgefühl eines Menschen prägt sich durch sein soziales Ansehen in der Familie, unter Kollegen und Freunden. Es ist ein Ausdruck der sozialen Beziehungen und baut sich durch Respekt, Achtung und Anerkennung durch seine Umwelt auf. In positiver Sicht kann es das Selbstvertrauen stärken, bei nicht Nicht-Wertschätzung regelrecht vernichten. Mobbing-Aktivitäten, wie jemanden zu erniedrigen, zu verspotten oder sich lustig über ihn zu machen sind Auslöser für das Untergraben des Selbstwertgefühls eines Betroffenen.

Zuschlag spricht in seiner Arbeit von „persönlicher Diffamierung“[32]. Eine Diffamierung, d.h. Verleumdung, Verbreitung übler Nachrede, hat im Vergleich zu gewöhnlichem Klatsch und Tratsch, die Absicht den Ruf eines Menschen zu schädigen. Der Täter möchte mit seiner Tat, den Betroffenen von seiner Arbeitsumwelt isolieren. „Gelingt diese Isolierung auch nur im Ansatz bei einer Einzelperson, kann dadurch eine Eigendynamik derart entstehen, dass auch andere Mitglieder der Arbeits- oder Bezugsgruppe den Eindruck gewinnen, mit dieser Person dürfe man nicht mehr sprechen bzw. Umgang pflegen, weil man dann selbst ‚in die gleiche Schublade’ gesteckt werde und ebenfalls Gefahr liefe, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.“[33]

Oft ist es zu beobachten, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter vorsätzlich erniedrigen oder lächerlich machen, um Leistungen anzuspornen. Die langjährige betriebs-psychologische Forschung hingegen zeigt, dass ohne die Begeisterung und Spaß an der Arbeit, keine guten Leistungen erbracht werden können. Der Höhepunkt der Folter ist dann erreicht, wenn Kollegen oder der Vorgesetzte sich nicht scheuen, Verleumdungen im Beisein des Betroffenen offen aussprechen, ohne dass dieser sich zur Wehr setzen kann.[34] Die Handlungen, die Leymann in seiner Kategorie „Angriffe auf das soziale Ansehen“ zusammenfasst, sind in nachfolgender Liste aufgeführt:

- Hinter dem Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen.
- Man verbreitet Gerüchte.
- Man macht jemanden lächerlich.
- Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein.
- Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen.
- Man macht sich über eine Behinderung lustig.
- Man imitiert den Gang, die Stimme, oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen.
- Man greift die politische oder religiöse Einstellung an.
- Man macht sich über das Privatleben lustig.
- Man macht sich über die Nationalität lustig.
- Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen.
- Man beurteilt den Arbeitseinsatz in falscher und kränkender Weise.
- Man stellt die Entscheidungen des/der Betroffenen in Frage.
- Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende Ausdrücke nach.
- Sexuelle Annäherungen oder verbale sexuelle Angebote.

Tabelle 3: Angriffe auf das soziale Ansehen[35]

(Quelle: Leymann (1993): 33)

2.3.4 Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation

Insbesondere Angriffe auf die Qualität der Berufssituation eines Menschen können für dessen Leben beträchtliche Auswirkungen haben. Zu der heutigen Zeit ist die Berufssituation, für Menschen in Industrieländern, wo die allgemeine Bedeutung der Familie stark gesunken ist, zentral für das gesamte Leben. Die Zeiten, wobei sich das Ansehen über den Stand der Familie in der Gesellschaft definierte, sind längst vorbei. „Man ist Teil der Gesellschaft über sein Berufsleben, denn hier verdient man seinen Lebensunterhalt, der der Schlüssel zu vielen Türen in der Gesellschaft ist.[36] Entscheidend sind Mobbing-Attacken am Arbeitsplatz, denn Mobbing-Fälle in der Freizeit, wie z.B. im Fußballverein oder einer anderen Arbeit, dem man als Hobby nachgeht, hat kaum Einfluss auf das Berufsleben. Wird in den genannten Bereichen gemobbt, besteht die Möglichkeit den Verein zu wechseln oder einem anderen Hobby nachzugehen. Gegenteilig ist, wenn Menschen im Berufsleben gemobbt werden, denn das kann sich von Eheproblemen bis zu Suizidgedanken hinziehen. Der Wechsel des Berufs ist auch etwas komplizierter. Der wichtigste Grund aber, ist der Stellenwert des Berufslebens, letztendlich dominiert dieser über mehrere Lebensbereiche. Demnach lassen sich laut Leymann, folgende Handlungen der Rubrik „Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation“ zuweisen:

- Man weist dem Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu.
- Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er sich nicht einmal selbst Aufgaben ausdenken kann.
- Man gibt ihm sinnlose Arbeitsaufgaben.
- Man gibt ihm Aufgaben weit untereigentlichem Können.
- Man gibt ihm ständig neue Aufgaben.
- Man gibt ihm "kränkende" Arbeitsaufgaben.
- Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation übersteigen, um ihn zu diskreditieren.

Tabelle 4: Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation (Quelle: Leymann (1993): 33)

2.3.5 Angriffe auf die Gesundheit

Die Gesundheit eines Menschen ist sein wichtigstes Kapital. Dafür wird einiges an Opfer gebracht. Mobbing-Täter nutzen mit Angriffen auf die Gesundheit dieses aus und verbreiten damit Furcht bei den Betroffenen. Die Täter gehen aber darüber hinaus und bewirken mit ihren Attacken gravierende gesundheitliche Schäden. Neben psychischen Schäden, erleiden die Opfer auch körperliche Beeinträchtigungen. Besonders Menschen, die bereits an Krankheiten leiden, wie Alkohol- oder Drogensüchtige, Behinderte, Herzkranke oder gebrechliche ältere Menschen sind für Personen, die mobben, perfekte Opfer. Sie erwarten bei ihren Attacken keine große Gegenwehr und werden umso mehr ermutigt, ihre Taten zu vollziehen. Behinderte Arbeitnehmer sind zwar durch das Schwerbehindertengesetz formal vor Mobbing-Attacken sowie durch verschärfterem Kündigungsschutz geschützt, können dennoch Schikanen nicht komplett ausweichen, sodass sie von selbst die Arbeit aufgeben.[37] Neben den körperlichen Angriffen erwähnt Zuschlag sexuelle Belästigung, als eine Art und Weise der Gesundheit seines Opfers Schaden hinzuzufügen. Was darunter zu verstehen ist zählt Zuschlag folgende Punkte exemplarisch auf: Pornografische Bilder am Arbeitsplatz, Versprechen beruflicher Vorteile bei sexuellem Entgegenkommen oder erzwingen sexueller Handlungen, diese Punkte stellen nur einen kurzen Auszug aus seiner Liste dar.[38]

Die psychischen Belastungen gehören heutzutage zum Arbeitsleben dazu. Eine Überlastung kann der Betroffene selbst verursachen, in dem er mehr Arbeit auf sich nimmt als er schafft, um seine Karriere anzukurbeln. Ebenso kann der Druck vom Unternehmen ausgehen, der bei Betroffenen psychischen Druck verursacht. Die Rede von Mobbing ist erst, wenn die Überlastung absichtlich mit dem Ziel der Schikane ausgeht, das Opfer mit unerträglichem Druck krank macht, sodass er freiwillig aufgibt und kündigt. Zuschlag beschreibt anhand von Beispielen, mit welcher Methodik äußere Faktoren agieren:

- Mitarbeitern werden Aufgaben zugeteilt und Ziele gesetzt, die unmöglich zu der gegebenen Zeit zu erledigen sind und diese deshalb einen großen Teil ihrer Freizeit oder Jahresurlaub opfern müssen. Der psychische Druck, wird mit Drohungen, wie Arbeitsverlust bei Versagen verschärft.
- Mitarbeitern werden Aufgaben zugeteilt, die ihre berufliche Qualifikation übersteigen oder dringend benötigte Arbeitsmaterialien, wie Maschinen oder Geräte, werden nicht zur Verfügung gestellt.
- Betroffene werden in ihrer Abteilung sozial isoliert, erhalten die üblichen Informationen nicht und werden bei jeder Gelegenheit beleidigt oder angepöbelt.[39]

Folglich lassen sich in der Kategorie „Angriffe auf die Gesundheit“ diese Handlungen zusammenfassen:

- Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten.
- Androhung körperlicher Gewalt.
- Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel um jemandem einen "Denkzettel" zu verpassen.
- Körperliche Misshandlung.
- Man verursacht Kosten für den/die Betroffene, um ihm/ihr zu schaden.
- Man richtet physischen Schaden im Heim oder am Arbeitsplatz des/der Betroffenen an.
- Sexuelle Handgreiflichkeiten.

Tabelle 5: Angriffe auf die Gesundheit

(Quelle: Leymann (1993): 33)

2.4 Kritische Betrachtungen des Konzeptes

Zu dem von Leymann konzipierten Katalog sind von Seiten verschiedener Autoren viele Kritikpunkte angebracht worden. Einer der LIPT- Kritiker (Leymann Inventory for Psychological Terrorization) ist Neuberger. Zunächst werden auf Äußerungen über inhaltliche Aspekte des Fragebogens eingegangen. In seinen Ausführungen kritisiert er hauptsächlich die Unvollständigkeit des LIPT-Inhalts, in dem er feststellt, dass einige wichtige Handlungen unberücksichtigt geblieben sind. Neuberger erklärt die Problematik der fehlenden Punkte anhand eines Fallbeispiels und fügt weitere Handlungen, die entweder gar nicht oder nur unzureichend in Leymanns Liste vorkommen hinzu, um seine Kritik zu belegen[40]. Hierzu gehören:

„ - exzessives und demonstratives Wartenlassen,
- nicht grüßen, Grüße nicht erwidern,
- jemanden (eigene, erfundene) Fehler in die Schuhe schieben,
- völlig unberechenbare, aus heiterem Himmel wechselnde Launen,
- Verschwörungen anzetteln,
- Hilfeangebote oder Solidarität anderer Organisationsmitglieder dadurch entmutigen, dass Ansätze dazu rigoros unterbunden werden,
- in aller Öffentlichkeit (nicht: ‚hinter dem Rücken’, s. Item Nr. 17) jemand ‚zusammenstauchen’, abkanzeln und/oder herabsetzen,
- ohne jede Begründung und völlig unerwartet die bisherigen Aufgaben oder Kompetenzen bescheiden,
- ständige Kündigungsdrohung,
- kleinliche Kontrollen, ununterbrochene Überwachung,
- mit Aktennotizen, Briefen, Beschwerden etc. überziehen
- Anwesenheitszeiten pedantisch kontrollieren und dokumentieren (lassen)
- Dossiers anlegen über alle MitarbeiterInnen...“[41]

Neuberger berichtet auch von den Erfahrungen der Autoren Knorz und Zapf, die in ihren Studien die Kenntnisse gewonnen haben, dass viele Befragte von Handlungen berichteten, die Leymanns Katalog nicht enthielt, beispielsweise „der Ausschluss von Betriebsfeiern“ oder „Vorschläge die von Betroffenen gemacht werden, werden grundsätzlich abgelehnt“. Somit kamen auch Knorz und Zapf zu dem Ergebnis, dass die Liste erhebliche Lücken aufweist.[42]

Neben den inhaltlichen Aspekten bemängelt Neuberger auch die Struktur der Mobbing-Handlungen. Er kritisiert die Unterteilung der Handlungen in fünf Kategorien und unterstellt, dass denen keinerlei Systematisierung zugrunde liegen. Alternativ und ergänzend zu Leymanns Konzept nennt Neuberger zwei Möglichkeiten um die verschiedenen Mobbing-Handlungen einzuordnen: einerseits die theoretische, konzeptionelle oder logisch fundierte Klassifizierung und andererseits die statistische Analyse empirischer Antwortverteilungen.[43] Im Folgenden wird nur kurz auf die beiden Möglichkeiten eingegangen, da sich der weitere Verlauf der Arbeit auf Leymanns Kategorisierung der Mobbing-Handlungen konzentriert.

Die Absicht Neubergers ist es nicht, ein komplett neues Schema zu entwickeln, sondern andere Sichtweisen zu eröffnen und mit Alternativen zu erweitern. Als Ansatzpunkt für die theoretisch, konzeptionelle Einteilung nennt Neuberger beispielsweise die Gliederungssystematik von Bassman. Sie teilt Mobbing-Handlungen in einer anderen Form in Gruppen ein, auf die jedoch nicht näher eingegangen wird und verdeutlicht, dass andere Kategorisierungen ebenfalls plausibel erscheinen. Die Bedürfnispyramide von Maslow ist ein weiteres Einteilungsraster, die zwischen fünf Grundbedürfnissen unterscheidet:

- basalen Existenzbedürfnissen (z.B. Gesundheit, Nahrung)
- Sicherheitsbedürfnissen (z.B. Existenzsicherung, Schutz)
- Sozialen Bedürfnissen (z.B. Zugehörigkeit, Kontakt)
- Ich-Bedürfnissen (z.B. Ansehen, Respekt)
- Selbstverwirklichungsbedürfnissen (z.B. Wachstum, Entfaltung)[44]

Die LIPT-Kategorien 1-3 können teilweise den „sozialen Bedürfnissen“ und „Ich-Bedürfnissen“, Gesundheit den „basalen Bedürfnissen“ zugeordnet werden, den Wachstums- und Sicherheitsbedürfnissen hingegen entsprechen die Kategorien allenfalls indirekt. Auch das Kategoriensystem von Marx, dass sich aus der Differenzierung von Formen der Entfremdung ableiten lässt, macht auf gezielte Akzentsetzungen und Defizite des LIPT aufmerksam. Das LIPT schenkt neben den detailliert aufgelisteten sozialen Beziehungen, Beeinträchtigungen anderer Lebensbedürfnisse wenig Beachtung. Als weitere Möglichkeit sind alternativ die 16 Herzbergschen Motivatoren (z.B. Leistungserfolg, Anerkennung, Verantwortungs-übertragung, usw.) und Hygiene-Faktoren (z.B. Geld, Führungspolitik, Arbeitsplatz-sicherheit, usw.) zu nennen, die neben den kommunikativ-sozialen Bereich auch andere Ebenen, in die Betrachtung einbeziehen.[45] Neuberger möchte damit zum Ausdruck bringen, dass alternative Nutzung von erprobten Methoden in ähnlichen Forschungsgebieten, zur Begründung der Systematik, sinnvoll erscheint. Denn er vermutet weiterhin, dass die Strukturierung von Leymanns Liste nicht empirisch fundiert ist. Neuberger geht davon aus, dass für die Erstellung des LIPT kein Reduktionsverfahren, wie die Faktorenanalyse, die sich für derartige Auswertungen besonders gut eignet, herangezogen wurde.

Um das zu verdeutlichen, zieht er Niedls gewonnene Ergebnisse heran. Dieser kann, anhand der durchgeführten Faktorenanalyse des LIPT, die Gliederung in fünf Kategorien nicht bestätigen, da er in seiner Analyse auf vollkommen andere Dimensionen stößt. Zu erwähnen ist hierbei allerdings, dass die Analyse von Niedl durch die ungleiche Relation zwischen Befragten und Items und der Stichprobenabhängigkeit der Faktorenanalyse keine 100%ige Korrektheit in der Durchführung bietet. Trotz alledem sollte nach Neuberger keine Festlegung der einzelnen Items, wie bei Leymann, ohne empirische Fundierung erfolgen.[46]

Des Weiteren geht Neuberger auf die Fragestellung ein, ob Mobbing ein Ja-Nein Sachverhalt ist. Er versucht im Wesentlichen herauszuarbeiten, ob von Mobbing nur gesprochen werden kann, wenn bestimmte Gegebenheiten erfüllt sind oder aber Mobbing auch dann gegeben ist, wenn die Situation nicht exakt alle Punkte erfüllt. Dabei verweist er auf Leymanns dichotomisierende Definition von Mobbing, der seine Kriterien an folgende drei Punkten festmacht: „Qualität von Täterhandlungen (mindestens eine aus vorgegebenen 45), Dauer (mindestens 1/2 Jahr), Häufigkeit (mindestens einmal pro Woche)“[47]. Leymann lässt dagegen in seiner Betrachtung einen wichtigen Aspekt außer Acht, den Neuberger aufgreift. Er spricht von einem Kontinuum, „dass sich zwischen den Polen ‚kein Mobbing’ und ’extremes Mobbing’ aufspannt“[48]. Darüber hinaus legt er dar, dass sich anhand der beiden Extrempole „Grade der Mobbingintensität definieren, die sich aus Kombination von Inhalten, Schweregraden, Häufigkeiten und Dauerangaben zusammen setzen könnten.“[49] Damit einhergehend verweist Neuberger darauf, dass Mobbing nicht nur eine Schwarz-Weiß-Angelegenheit ist, sondern dass es gewiss auch Fälle gibt, die sich im grauen Bereich befinden.

Ferner führt Neuberger kritische Bemerkungen hinsichtlich spezieller Eigenschaften der LIPT-Items an. Er bemängelt u.a. die fehlende Gewichtung der einzelnen Handlungen. Demzufolge ist eine wissenschaftliche Aussage über die Häufigkeit und Verteilung der Handlungen nicht möglich. Anhand der Liste kann nur abgefragt werden, ob Mobbing vorliegt oder nicht, ohne ausfindig zu machen in welcher Art und Weise und Intensität der Person übel mitgespielt wurde. Darüber hinaus stellt sich Neuberger Fragen zu der Substituierbarkeit der Einzelhandlungen. „Muss die gleiche Handlung immer wieder vollzogen werden oder kann sie abwechselnd durch einige andere substituiert werden und - wenn nicht alle Handlungen gleich gravierend sind - wie errechnet sich deren jeweiliger ‚Mobbingwert’?“[50] Der LIPT scheint auf diese Fragen keine zufriedenstellenden Antworten zu geben.

Weitere Mängel im LIPT findet Neuberger im Detaillierungsgrad und -grund sowie der Kategorienzuordnung. Insbesondere kritisiert er überflüssige Formulierungen, denn einige „schließen als übergeordnete andere ein (‚Man lässt sich nicht ansprechen’ (13) vs. ’Schränkt die Möglichkeit ein, sich zu äußern’ (21)“[51] und verlängern unnötig den Fragebogen. Das Wechseln der Adressaten der Handlungen (Handlungsbeschreibung aus Sicht des Opfers und Täters) als auch die inkonsistente Zuordnung der Rubriken sind weitere Defizite im LIPT, die Neuberger bemängelt. Auch das ständig wechselnde Abtraktionsniveau der einzelnen Items, ist ein von Neuberger ausgewähltes Beispiel. Hieran soll verdeutlicht werden, dass eine einheitliche Basis, worauf sich die unterschiedlichen Items beziehen, eine sinnvolle Wahl zur besseren Übersicht darstellen würde.

Einen weiteren Kritikpunkt setzt Neuberger bei der Mehrdeutigkeit der Handlungen an. Er ist der Überzeugung, dass Mobbing-Fälle nicht eindeutig festzulegen sind. Dabei zählt er einige Items der Liste auf, die ebenso eine andere Auslegung der Situation zulassen. So kann das Item „Man gibt ihm ständig neue Aufgaben“[52] darauf abzielen, Abwechslung in die Tätigkeit des Mitarbeiters zu bringen, um ihn so zu mehr Motivation und Leistungssteigerung anzuspornen. Auch das Item „Man lässt sich nicht ansprechen“[53] kann darauf zurückzuführen sein, dass ein gestresster Kollege mehr Ruhe benötigt und somit den Kontakt zu anderen Kollegen meidet. Nicht immer ist das Empfinden der Personen, die einer bestimmten Situation ausgesetzt sind, identisch. „Es kommt auf die Praktiken und Normen des sozialen Umfelds an, ob eine bestimmte Handlung als ‚diskriminierend’ empfunden wird [...]“, die Neuberger als spezifische Normativität bezeichnet.[54] Dieses Ereignis stellte er insbesondere durch seine Studenten fest, die er in den Vorlesungen befragte. Das Ergebnis wies eine extreme Streuung auf. Obwohl von derselben Handlung die Rede war („Man wird ‚wie Luft’ behandelt“), wurde der Schweregrad des Mobbing von den Befragten unterschiedlich eingestuft. Während manche die Handlung als besonders schwerwiegend beschrieben, war es für die anderen Befragten kaum von Belang. Zum anderen zeigte sich auch, dass für den einen oder anderen einige Handlungen keinen bedrohlichen oder negativen Kontext hatten. Für einige der Studenten, hatten bestimmte Handlungen sogar einen positiven Beigeschmack, so wurde z.B. die Handlung „Sexuelle Annäherung oder Angebote“ als flirten oder Komplimente verstanden.

Die letzte kritische Äußerung bezüglich bestimmter Eigenschaften der Elemente des LIPT, betrifft die Kontextfreiheit. Das Problem bei solchen Fragebogen-Items den Neuberger nennt ist, „dass sie unbedingt formuliert sind, d.h. sie führen nicht gleichzeitig auch die Bedingungen auf, unter denen (gehäuft, überhaupt, im konkreten Einzelfall) die relevanten Handlungen vorkamen.“[55]

[...]


[1] vgl. www.brockhaus.de

[2] Übersetzung laut http://dict.leo.org

[3] vgl. Zuschlag (1997): 3

[4] vgl. Leymann (1995): 14

[5] vgl. Schild/Heeren (2002): 4

[6] Leymann (1993): 21

[7] ebd.: 21

[8] Leymann (1993): 22

[9] ebd.: 22

[10] Bei allen Zitaten wurde die Rechtschreibung der aktuellen Schreibweise angepasst.

[11] Zuschlag (1997): 4

[12] vgl. ebd.: 4

[13] Zuschlag (1997): 6

[14] vgl. Neuberger (1999): 21

[15] Neuberger (1999): 18

[16] Neuberger (1999): 4

[17] Leymann (1995): 18

[18] ebd.: 47

[19] Niedl (1995): 20, zit. nach Einarsen/Raknes (1991):10

[20] Niedl. (1995): 23

[21] Walter (1993): 38

[22] Leymann (1993): 22

[23] Leymann (1993): 22

[24] vgl. ebd.:23

[25] ebd.: 24

[26] vgl. Leymann (1993):24

[27] Leymann (1993): 25

[28] ebd.: 25

[29] ebd.: (1993): 26

[30] vgl. Leymann (1993): 26

[31] vgl. Leymann (1993): 26ff

[32] Zuschlag (1997): 75

[33] ebd.: 75f

[34] vgl. Leymann (1993): 28f

[35] Im Original heißt es - vermutlich ein Druckfehler - „Auswirkungen auf das soziale Ansehen“.

[36] Leymann (1993): 31

[37] vgl. Zuschlag (1997): 79f

[38] vgl. ebd.: 80f

[39] vgl. Zuschlag (1997): 82

[40] vgl. Neuberger (1999): 25

[41] ebd.: 26

[42] vgl. Neuberger (1999): 26, zit. nach Knorz&Zapf (1995): 13

[43] vgl. Neuberger (1999): 29

[44] vgl. Neuberger (1999): 29

[45] vgl. ebd.: 29ff

[46] vgl. Neuberger (1999): 32ff

[47] ebd.: 38

[48] ebd.: 38

[49] ebd.: 38

[50] ebd.: 40

[51] Neuberger (1999): 40

[52] Leymann (1993): 34

[53] ebd.: 33

[54] vgl. Neuberger (1999): 40f

[55] Neuberger (1999): 41

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Mobbing. Eine Herausforderung für Führungskräfte
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
115
Katalognummer
V132096
ISBN (eBook)
9783640393480
ISBN (Buch)
9783640393428
Dateigröße
2074 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mobbing, Eine, Herausforderung, Führungskräfte
Arbeit zitieren
Derya Akdag (Autor:in), 2009, Mobbing. Eine Herausforderung für Führungskräfte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132096

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