Wie sind die Taliban in Afghanistan organisiert?


Hausarbeit, 2008

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

EINLEITUNG

KAPITEL 1: WER SIND DIE TALIBAN? DIE ENTSTEHUNG DER GRUPPIERUNG AFGHANISCHER RELIGIONSSTUDENTEN HISTORISCH EINGEBETTET.

KAPITEL 2: DIE ORGANISATION DER TALIBAN UND IHR PLÖTZLICHER ERFOLG IN AFGHANISTAN.

KAPITEL 3: DIE STRUKTURELLEN ELEMENTE DER TALIBAN.

KAPITEL 4: DIE AUSBREITUNG DER MACHT DER TALIBAN.

KAPITEL 5: DER „TERROR“ DER AFGHANISCHEN RELIGIONSSTUDENTEN UND IHRE STRATEGIE ZUM DURCHSETZEN IHRER ZIELE.

FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

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Einleitung

„Alldeutsche, Allengländer, Allfranzosen, Allzulis, Alltutsi, Allhutus. Es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, jeweils alle ethnischen Alls in einem einzigen Staat zu vereinen. Der Grund könnte nur in dem Interesse dieser Ethnien und der darin lebenden Menschen liegen. Es gibt jedoch viele Konstellationen, in denen Völker in unterschiedlichen Staaten insgesamt besser gedeihen.“

So lautet ein Zitat von dem deutschen Schriftsteller, Lyriker und Verleger Gregor Brand, was gut auf die Situation in Afghanistan übertragen werden kann. Denn dort und in sämtlichen anderen Staaten des Nahen Ostens hat sich die Situation seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA enorm verändert. Die Taliban wurden öffentlich beschuldigt, enge Verbindungen zu Osama bin Laden zu pflegen und ihn sogar zu schützen. Für die Vereinigten Staaten von Amerika war dies eine Legitimation, in beiden genannten Ländern zu intervenieren. Ob dadurch die Sicherheitslage verbessert oder verschlechtert wurde, sei dahin gestellt, jedoch kann unzweifelhaft behauptet werden, dass die Taliban, die sich ursprünglich aus einer „Gruppierung afghanischer Religionsstudenten“ (Bergen 2001: 181) zusammensetzte, nicht vollständig vertrieben werden konnten. Die Führungsspitze dieser Einheit setzt sich hauptsächlich aus Paschtunen zusammen, eine ethnische Gruppe in Afghanistan, die die Mehrheit der Bevölkerung stellt. Wie aber sind die Taliban organisiert, dass sie im Jahr 1994 einen so plötzlichen und erfolgreichen Aufschwung erreichen konnten? Diese Frage soll in der vorliegenden Arbeit weitestgehend beantwortet werden.

Dafür werden zunächst die historischen Hintergründe erläutert, die für ein Verständnis der Etablierung der Taliban unerlässlich sind. Hierfür wird die Einteilung in vier Phasen nach dem Modell von Conrad Schetter dienen, wobei die vierte Phase – die Herrschaftsperiode der Taliban – eine besondere Rolle spielen wird. Des Weiteren wird der Ursprung der Organisation geschildert und welche Möglichkeiten ihnen durch die Unterstützung anderer Staaten geboten wurden. Dabei soll die Veränderung des ethnischen Stellenwerts nicht missachtet werden, denn die ethnische Zugehörigkeit ist in Afghanistan und besonders innerhalb der Bewegung der Taliban von enormer Bedeutung. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll der Aufbau der aus dem Nichts auftauchenden Bewegung weitestgehend dargestellt werden, wodurch ein Bezug zu der Erfolgswelle der afghanischen Religionsstudenten hergestellt werden soll. Hierbei wird das taktische Vorgehen bei den Eroberungsfeldzügen grob angerissen. Abschließend wird die skrupellose Politik der Taliban, die durch Zwang, brutale Ermordungen, Selbstmordterrorismus und Unterdrückungen gekennzeichnet war, dargestellt, bevor ein Fazit der gesamten Arbeit folgt. Die Darstellung der Taliban Herrschaft bezieht sich vornehmlich auf die Phase von 1994 bis Ende der 90er Jahre, jedoch konnten die gegenwärtigen Ereignisse nicht mehr berücksichtigt werden.

Kapitel 1: Wer sind die Taliban? Die Entstehung der Gruppierung afghanischer Religionsstudenten historisch eingebettet.

Der Begriff Taliban kommt aus dem arabischen und persischen Gebrauch und heißt im Plural übersetzt „Suchende“ bzw. „Studenten der islamischen Wissenschaften“ (Schiewek 2005: 308). Es handelt sich also um eine Gruppe afghanischer Religionsstudenten, die sich 1994 mit enormer Schnelligkeit im Land verbreiteten. Um die plötzlichen Erfolge der aus dem Nichts kommenden Sammelbewegung zu verstehen, müssen vorab die historischen Hintergründe und die gegebenen Voraussetzungen erläutert werden. Dazu soll ein kurzer Überblick über die Afghanistankrise zwischen 1978 bis 2000 (vgl. Schetter 2003: 544) dienen, wobei auf die Veränderung des Stellenwerts der Ethnizität ein besonderes Augenmerk gerichtet werden soll.

Der oben genannte Zeitraum ist nach dem Modell von Schetter in vier verschiedene Phasen einzuteilen, in denen unterschiedliche Machthaber eine Rolle spielten, wodurch die politischen Gegebenheiten jeweils einen Wandel durchlebten. Die erste Phase ist in die Zeit von April 1978 bis Dezember 1979 zu datieren (vgl. Schetter 2003: 544). Nachdem am 27. April 1978 der Premierminister Mohammed Daud durch einen Militärputsch während der April-Revolution von den beiden Flügeln der DVPA – Demokratische Volkspartei Afghanistans – (vgl. Auswärtiges Amt 2007) gestürzt und ermordet wurde, übernahm Mohammed Taraki die Macht in der Demokratischen Republik Afghanistan. Beide Gruppen der DVPA, khalq und parcham, stellten zu Beginn der Machtübernahme gemeinsam die Regierung. Doch schon nach kurzer Zeit – zwischen sechs und acht Wochen – setzte sich der Flügel der khalq durch und verdrängte alle Anhänger der parcham aus den Regierungsämtern.

Das Ziel der parcham war es, Afghanistan dauerhaft und kontinuierlich zu verändern, ganz entgegen der Gruppierung der khalq, die einen radikalen Wandel forderten (vgl. Schetter 2004: 96f). Der Zeitraum bis Dezember 1979 wurde demnach von Repressionen, Reformen und paschtunischem Nationalismus geprägt. Dadurch versuchten die khalq nicht nur die Macht der traditionellen, sondern auch der religiösen Elite zu eliminieren. Ihre repressive und ethnisch ausgelegte Politik orientierte sich an dem sowjetischen Muster. Sie missachteten jedoch dadurch die Umstände in Afghanistan, was zu erfolglosen Reformen und Aufständen in der afghanischen Bevölkerung führte. In dieser Zeit weiteten sich die Unterdrückungen auf alle zivilistischen, politischen, ethnischen und religiösen Gruppen aus, die nicht den Flügel der khalq unterstützten. Dies wiederum hatte zur Folge, dass sich zwischen Oktober 1978 und Sommer 1979 im ganzen Land Rebellionen gegen die Regierung ausbreiteten. Dennoch sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass diese Aufstände nicht ethnisch motiviert waren, sondern von Dorf- oder Stammesgemeinschaften dirigiert wurden. Die Ursache dafür war, dass die afghanische Bevölkerung sich gegen die Eingriffe der Regierung in die traditionelle Gesellschaftsform und gegen die in ihren Augen ungläubigen Kommunisten auflehnte. Die paschtunische Dominanz spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle. Die Rebellionen sind daher als Kampf zwischen dem traditionellen und modernen Lager zu interpretieren und nicht als ethnische Konflikte, wobei die khalq versuchten, die Aufstände auf eine ethnische Basis zu lenken. Sie erhofften sich dadurch die Auflehnungen gegen ihre Politik zu unterdrücken (vgl. Schetter 2003: 544).

Im Laufe der Zeit erregte die repressive Herrschaft des khalq Flügels internationales Aufsehen, vor allem in der damaligen Sowjetunion. Diese mischte sich im Dezember 1978 durch einen Kooperationsvertrag, nach dem Experten zur Unterstützung der Regierung nach Afghanistan gesandt wurden, ein. 1978/79 ereignet sich ein interner Machtkampf zwischen Taraki und Hafizullah Amin, ein anderer khalq Politiker, der sich daraufhin selbst als Präsident ernannte. Seine kurzfristige Herrschaft – von nur drei Monaten – mündete nun in die von Schetter festgelegte zweite Phase der Afghanistankrise, der sowjetischen Invasion Ende Dezember 1979. Der Einsatz der Sowjets in dem Land am Hindukusch war ursprünglich nur für ein Jahr geplant, jedoch wurde relativ schnell deutlich, dass sie nicht in der Lage waren Afghanistan innerhalb des geplanten Zeitraums vollständig zu kontrollieren. Das Vorgehen der Besatzungsmacht war weiterhin von Repressionen gekennzeichnet.

In dieser Phase – 1979 – 1992 (Schetter 2003: 545) – fand einer der größten Flüchtlingsströme seit dem zweiten Weltkrieg statt, wodurch sich eine demographische Veränderung vollzog, die weitreichende Folgen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Sektor hatte (vgl. Parvanta 2005: 24). Die tajikische Bevölkerungsgruppe löste während dessen die Paschtunen als verhältnismäßig größte Ethnie ab. Darüber hinaus „nahm Ethnizität v.a. als Strukturierungsmoment der militärpolitischen Organisation eine herausragende Rolle ein und gewann kontinuierlich an Bedeutung“ (Schetter 2003: 545). Die Gestaltung auf Stammesebene wurde aufgrund dessen geschwächt und sowohl ethnisch und tribal organisierte Milizen, als auch islamische Widerstandsparteien etablierten sich zunehmend in der afghanischen Gesellschaft. Die meisten von ihnen wurden von ausländischen Sponsoren finanziert, vor allem von den USA, die in diesen antisowjetisch eingestellten Fraktionen eine Gelegenheit sahen, den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion indirekt zu führen. Demzufolge entwickelte sich der Konflikt in Afghanistan auf einer ideologischen Ebene zwischen den zwei Lagern: Kommunismus gegen Islam (vgl. Parvanta 2005: 24).

Pakistan, als Nachbarland, spielte dabei eine entscheidende Rolle, weil die USA und Saudi-Arabien die islamischen Widerstandsparteien über den Inter Services Intelligence (ISI) – der pakistanisch militärische Geheimdienst – nicht nur mit finanziellen Mitteln, sondern auch mit Waffen belieferten (vgl. Schetter 2004: 108). Die Aufgabe Pakistans war es, den antisowjetischen Widerstand zu organisieren, vor allem auch, um die Bevölkerungsgruppen, die den Schiiten oder den Dari-Sprechenden angehörten und vermutlich vom Iran unterstützt wurden (vgl. Olumi 2002: 115f), einzuschüchtern. In Folge dessen schlossen sich die meisten schiitischen Bewegungen zu einer Partei zusammen, der hezb-i wahdat. Dennoch vereinten sich nicht alle schiitischen Gruppen, weil einige nicht mit dem Iran in Verbindung gebracht werden wollten (vgl. Schetter 2004: 109f). Eine weitere aufständische Partei, die im weiteren historischen Verlauf von Bedeutung sein wird, war die tajikische gam´iat, die sich jedoch wegen fehlender finanzieller Unterstützung nur schwer mit den paschtunischen Parteien auf eine Ebene stellen konnte.

Die Liste der Widerstandsparteien, die sich in dieser zweiten Phase etablierten, könnte endlos weitergeführt werden, jedoch kann an dieser Stelle nur auf zahlreiche Literatur hingewiesen werden, vor allem von Conrad Schetter, der sich intensiv sowohl mit der Ethnisierung des Afghanistankonflikts, als auch mit den Widerstandsparteien auseinandersetzt, genau so, wie Yama Olumi. Abschließend ist für den Zeitraum von 1979 bis 1992 festzuhalten, dass die ausländischen Interessen eine erhebliche Veränderung in der militärisch-politischen Landschaft Afghanistans verursachten und die Gründung zahlreicher Gruppierungen herbeiführte. Darüber hinaus kann die afghanische Regierung dieser Periode als Marionettenregime benannt werden, welches den Forderungen der Sowjetunion nachkommen musste. Nachdem Babrak Karmal die ersten Jahre während der sowjetischen Besatzung das Präsidentenamt besetzte, folgte in der zweiten Hälfte der ebenfalls dem parcham Flügel angehörende Najibullah, dessen Regierungszeit bzw. dessen Sturz durch die Mujaheddin die folgende Phase des Afghanistankonflikts einleitete.

Die Mujaheddin Herrschaft dauert von 1992 bis 1994, nachdem die Sowjets abgezogen waren und Najibullah nicht in der Lage war, das Land unter einer allgemein anerkannten Regierung zu einigen. 1992 hatte die Bewegung der Mujaheddin den größten Teil Afghanistans unter Kontrolle gebracht, wodurch ihnen folglich sowohl Kabul, als auch einige andere Städte kampflos übergeben wurden. In dieser Zeit nahm der Stellenwert der Ethnizität im Konflikt enorm an Bedeutung zu und bestimmte seitdem die Parteienlandschaft in Afghanistan. Die Veränderung vom „ holy war zum ethnic war “ (Schetter 2003: 546) wurde durch die ohnehin schon ethnisch geprägte Parteienbildung gefördert. Einige Gruppierungen sahen in dieser Abgrenzung auch einen Vorteil, da diese durch die Betonung auf die ethnische Identität erheblich leichter und deutlicher wurde (vgl. Schetter 2003: 546). Die Mujaheddin, was übersetzt „die den Jihad ausüben“ (Elger 2005: 218) bedeutet, setzten sich aus mehreren Fraktionen zusammen. Durch ihre Herrschaft wurde die Legitimierung der Handlungen durch die Religion des Islam immer mehr geschätzt, vor allem im politischen und militärischen Bereich. Darüber hinaus herrschten zahlreiche interne Konflikte, was zur Folge hatte, dass das ohnehin schon in unzählbare Gruppen zersplitterte Land eine vermehrende Fragmentierung erfahren musste. Alle Versuche, Friedensabkommen zwischen den zerstrittenen sunnitischen Mujaheddin Parteien und der schiitischen Opposition zu schließen, scheiterten. Stattdessen fand eine zunehmende Islamisierung statt, aus der sich in den folgenden Jahren die afghanischen Religionsstudenten – die Taliban – formierten.

Zusammenfassend findet in der Phase von 1992 bis 1994 sowohl eine Ethnisierung, als auch eine erstarkende Stellung der islamischen Religion statt, wobei beide Entwicklungen in den folgenden Jahren die Kriegshandlungen dominierten. Dennoch wird die Betonung der ethnischen Zugehörigkeit im Konflikt eher indirekt eingesetzt, da das Prinzip der Abgrenzung mit der islamischen Lehre im Widerspruch steht (vgl. Poya 2005: 270f). Die nachhaltige Verbindung der Handlungen im Kampf mit dem Islam ließ die Mujaheddin als „heilige Krieger“ (Poya 2005: 273) bekannt werden, wodurch sie ihre Ansehen nicht unbedingt aufwerteten. Die Wandlungen des Konflikts in Afghanistan, die nicht vorhandene Staatsstruktur und Autorität waren willkommene Voraussetzungen für das plötzliche erfolgreiche Auftreten der Talibanbewegung, die in der vierten festgelegten Phase von Conrad Schetter im Fokus steht.

Die Erscheinung der Religionsstudenten wird zwar auf den Zeitraum von 1994 bis 2000 festgelegt, jedoch übernahmen die Taliban erst 1996 die Macht in dem Land am Hindukusch. Diese vierte Phase wurde, genau wie die vorherige Epoche, von ethnischen und religiösen Konfliktmerkmalen gekennzeichnet. Denn die Kombination von diesen beiden Aspekten wurde innerhalb dieser Bewegung deutlicher, als in jeder anderen Gruppierung. Die vorherrschende Situation in Afghanistan förderte förmlich die Entstehung einer militärischen und politischen Partei, wie die Taliban es waren und teilweise heute noch sind. Wie sie es schließlich schafften, fast das komplette Land unter ihre Herrschaft zu stellen und wie diese aus dem Nichts kommenden afghanischen Religionsstudenten so schnell so erfolgreich sein konnten, soll Gegenstand des nächsten Kapitels sein.

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wie sind die Taliban in Afghanistan organisiert?
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Konfliktanalyse: War in Afghanistan
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V132073
ISBN (eBook)
9783640379835
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Taliban, Afghanistan
Arbeit zitieren
Daniela Schölch (Autor:in), 2008, Wie sind die Taliban in Afghanistan organisiert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132073

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