Die Dramaturgie des Frankfurter Tatort


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Entstehung und Intention der Kriminalfilmreihe Tatort

2. Die klassische Dramaturgie zu Beginn der deutschen Kriminalfilmserie am Beispiel Stahlnetz

3. Die 5-Akt-Struktur
3.1 Die Exposition – Einführung der Thematik durch die Kommissare
3.2 Der Zufall dominiert die Ermittlungen
3.2 Dritter Akt: Die Verwicklungen
3.2 Ermittler im Fokus des Geschehens innerhalb der Zuspitzungen
3.3 Die Auflösung und ihre gesellschaftskritischen Komponenten

4. Schlussfolgerung - Ein neues Konzept nach altem Schema

Literaturverzeichnis

Filmographie

1. Entstehung und Intention der Kriminalfilmreihe Tatort

Der Tatort, der in erster Linie ein Krimi ist, also ein Format, das erfundene Geschichten erzählt, stand bereits von Anfang an, für eine deutliche Hinwendung zum eigenen Land.[1] Bereits mit der ersten Tatortfolge (Taxi nach Leipzig, Regie: Peter Schulze-Rohr), die am 29. November 1970 auf Sendung ging, sind klare dramaturgische Meilensteine gesetzt worden, die bis heute noch Gültigkeit haben und in jedem Tatort wieder zu finden sind. Neben der jeweiligen regionalen Ansiedlung, dass jene Hinwendung ungemein verstärkte, etablierten sich sowohl die sozialkritischen Themen und ihre damit gekoppelten Verbrechen, als auch die Inszenierung der Kommissare als ein Abbild der zeitgenössischen Gesellschaft zum Merkmal der Dramaturgie des Tatort.

Folgende Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Dramaturgie des aktuellen Frankfurter Tatort. Stellvertretend für die alle im Seminar durchgearbeiteten elf Folgen, wird die klassische 05-Akt-Struktur an drei ausgewählten Folgen angewandt (Oskar, Herzversagen und Das letzte Rennen). Im Fokus der Analyse liegen die Ermittlungsarbeiten und der jeweilige dazugehörige Bezug der zwei Hauptermittler. Soziale Themen, Inszenierung der Verbrechen und die Darstellung der Täter werden dabei berücksichtigt, wobei auch mit zeitgenössischen Tatort- Reihen, mit Beispielen aus aktuellen amerikanischen Kriminalserien und mit Tatort- Folgen aus vergangen Jahrzehnten Vergleiche aufgestellt werden.

Die Analyse beginnt mit einer Untersuchung der Dramaturgie in den Anfängen des deutschen Kriminalfilms anhand der ersten deutschen Kriminalfilmreihe Stahlnetz. Diese dient dazu, um einen kurzen Einblick zu bekommen, ob die Dramaturgie des Tatorts auf einer langjährigen Tradition des deutschen Kriminalfilms beruht oder ob sich hier eine vollkommen innovative Kriminalserie etabliert hat. Herauszufinden gilt es, welche Elemente nach über dreißig Jahren gleich geblieben sind, welche sich verändert haben und welche neu hinzugekommen sind und was den Frankfurter Tatort so besonders ausmacht.

2. Die klassische Dramaturgie zu Beginn der deutschen Kriminalfilmserie am Beispiel Stahlnetz

Stahlnetz ist die erste lang laufende Kriminalfilmserie des deutschen Fernsehens. Sie ist aus der auf Prävention ausgerichteten Serie Der Polizeibericht meldet (1953-58) hervorgegangen und wurde nach dem Modell der amerikanischen Polizeifilmserie Dragnet konzipiert. Von Stahlnetz gibt es 22 Folgen: für 21 von ihnen schrieb Wolfgang Menge die Drehbücher; Jürgen Roland führte bei acht Folgen Regie. Vom NDR in Hamburg produziert, nahm Stahlnetz in seinen einzelnen Folgen die Regionalisierung der Tatorte und Kommissare vorweg, wie sie dann ab 1970 die Tatort- Reihe der ARD kennzeichnete.[2] Die Expositionen sind kurz und prägnant. Der bevorstehende Kriminalfall wird beinahe schon rabiat eingeführt.

In der ersten Folge Mordfall Oberhausen sehen wir eine fröhliche Gesellschaft in einer Gastwirtschaft, die wir durch die Beine eines Mannes hindurch beobachten, der mit dem Rücken zur Kamera steht. Dieser unbekannte Mann erschießt eine Person aus der Gesellschaft. Sofort erfolgt der Vorspann, der mit seiner starken Musik und der unmittelbaren, beinahe schon aggressiv eingeblendeten Schrift dem Einführen des Mordfalls in nichts nahe steht. Unmittelbar im Anschluss wird der Hauptkommissar eingeführt, der sich dem Zuschauer durch sein Voice-Over selbst vorstellt. Das Hauptaugenmerk liegt ausschließlich auf den Ermittlungsarbeiten. Nach einer kurzen Vorstellung beginnt der Hauptkommissar sofort mit der Zeugenbefragung.

Bereits in der 10. Minute ist der Fall aufgeklärt und die restlichen 20 Minuten dieser Folge beschäftigen sich damit, den Täter zu finden. Nachdem dieser geschnappt wurde, endet die Folge genauso unmittelbar und direkt, wie sie begonnen hat. Hier erfährt der Zuschauer nichts über das private Leben des Ermittlers, geschweige denn vom emotionalem Wohlbefinden oder seinem persönlichen Bezug zum Fall. Eine Identifikation von Kommissar zum Verbrechen und Täter besteht hier nicht. Er verfolgt ausschließlich ein Ziel: dem Aufklären des Mordfalls. Jedoch ist schon in dieser Kriminalfilmreihe eine Entwicklung bereits in der zweiten Folge zu beobachten. In Bankraub in Köln ist die Antriebsfeder nicht ein aufzuklärender Straffall, sondern dieses Mal beginnt die Exposition mit einem schon aufgeklärten Fall, welches durch die Ehrung von vier Jungen bei der Sparkasse erzählt wird. Der Straffall des Bankraubs wird in einer Rückblende berichtet. Wie in der vorangegangenen Stahlnetz- Folge ist auch dieser Fall bereits in der elften Minute aufgeklärt. Die Investigationen fokussieren sich von da an nur noch darauf, den Bankraub den Tätern nachweisen zu können. Zu beobachten sind hier, die ersten, wenn auch sehr subtilen Andeutungen, auf das Leben eines Polizisten. Bereits in der 10. Minute berichtet der Ermittler in seinem Voice-Over, dass sie in der ersten Nacht lediglich ein paar Stunden schliefen. Später berichtet er ein weiteres Mal, dass alle am Fall Beteiligten die ganze Woche durcharbeiteten, einschließlich des Sonnabends und für den Sonntag erwähnt er, dass er etwas später ins Präsidium ging.

Fast wie eine Rechtfertigung, sich am letzten Tag in der Woche einen kurzen Moment mehr Ruhe zu gönnen, klingt diese Aussage des Hauptkommissars und während er diese Sätze spricht, sehen wir mehrere Polizisten, in ziviler Kleidung und Uniform, im Gang hin und her laufen. Es wird klar, dass es sich bei diesem Ermittler um keinen Einzelfall handelt, sondern um eine allgemeine Situation von Arbeitern aus dieser Branche. In der dritten Stahlnetz- Folge Die blaue Mütze sind diese Merkmale, welche im heutigen Tatort allgegenwärtig sind, noch stärker ausgeprägt. Obwohl hier die regionale Ansiedlung nicht im Titel verankert ist, beginnt die Voice-Over Stimme die Exposition mit einer regionalen Verortung, nämlich Berlin: […] „kein Brandenburger Tor. Kein Kurfürstendamm. Wir befinden uns in Berlin Neuköln.“

Daraufhin erfolgt eine direkte Beschreibung, in welchem sozialen Milieu dieser Stadtteil Berlins verankert ist. Zusätzlich bekommen wir dieses Mal nicht nur eine Innensicht in das Arbeitsleben eines Polizisten erzählt, sondern zum ersten Mal, wird auf eine sehr dezente Art und Weise der persönliche Bezug, wenn auch vorerst nur zum allgemeinen Beruf, aufgebaut. Dies geschieht als der Hauptkommissar spielende Kinder auf der Strasse beobachtet und seine Meinung über seine berufliche Situation mehr oder weniger ironisch mitteilt: „die haben’s gut. Die können sich noch aussuchen, was sie sein können. Räuber oder Gendarme.“ Mit einer gefassten Stimme, aber jedoch einem leichten traurigen Nachklang wird diese Stimmung zum Zuschauer transportiert.

Der Frankfurter Tatort greift diese Thematik, der Ermittler und ihr persönlicher Bezug zum Polizistenberuf auf und erweitert dies noch, in dem nicht nur ein Einblick in den Polizistenalltag gewährt wird, sondern der Fokus auf das Innenleben der beiden Protagonisten gesetzt und die Verbindung zu den jeweiligen Verbrechen aufgebaut wird. Dadurch wird deutlich aufzeigt, dass es sich hierbei nicht einfach nur um einen Beruf handelt, den man ausübt, sondern um eine Berufung, der man unterliegt welches sich konstant durch alle Teile der 05-Akt-Struktur hindurch zieht.

3. Die 5-Akt-Struktur

3.1 Die Exposition – Einführung der Thematik durch die Kommissare

Eine Exposition (aus dem lt. expositio – Darlegung) dient zur Vorstellung der Protagonisten und ihrer Funktionen und zur Einführung des Geschehens, in diesem Fall, des Verbrechens. Informationen über die Vorgeschichte, den Figuren, dem Ort und der Zeit der Handlung, der aktuellen Lage und dem entstehenden, dramatischen Konflikt werden hier vermittelt. Die Dauer einer Exposition hängt von der Dauer des Gesamtfilms ab. Für einen 90-minütigen Spielfilm, ist eine Exposition von ca. 30 Minuten die Norm.[3] Eine Exposition beim seriellen Format ist in der Regel wesentlich kürzer, da durch die wiederkehrenden Protagonisten eine erneute Vorstellung der Charaktere nicht zwingend notwendig ist.

Durch eine im Seminar genau erarbeitete Analyse konnte man feststellen, dass die Expositionen der ersten elf Folgen des Frankfurter Tatort niemals eine Dauer von 10 Minuten überschritten. Dabei ist zu beobachten, dass die oben genannten Folgen eben nicht mit einem Verbrechen, die kommende Kriminalgeschichte beginnen, sondern sich unmittelbar auf die bevorstehende Thematik fokussieren und den Zuschauer dadurch in das Geschehen einführen. In Herzversagen, das die Altenthematik aufgreift, beginnt die Folge mit der Darstellung der Hauptdarstellerin Charlotte Sänger alias Andrea Sawatzki während einer Sitzung bei ihrem Psychotherapeuten. Aus vorangeganger Folge wissen wir, dass ihre Eltern, durch einen Serienkiller ermordet wurden.

Zwar erfolgt die Einführung eines tatsächlichen Tatorts erst in der siebten Minute und das auch ziemlich unspektakulär, jedoch wird der Zuschauer bereits vorher, durch die Inszenierung von Charlotte Sänger unmittelbar in Emotionen eingeführt, die die bevorstehenden Konfliktlinien darstellen und somit den Verlauf der Handlung bestimmen. Dies ist daran zu erkennen, dass Charlotte Sänger versucht ihren Schmerz, nämlich den Verlust ihrer Eltern dadurch abzumildern, in dem sie zum Psychiater sagt, dass ihre Eltern bereits alt waren und auch ein erfülltes Leben hatten. Ihr beinah apathischer Blick, verstärkt durch die gefasste Aussprache ihrer Worte vermitteln uns als Zuschauer den Eindruck, als würde sie mehr zu sich selbst, statt zu ihrem Gegenüber sprechen, um das Geschehene besser für sich akzeptieren zu können. Die inhaltlich gleichen Aussagen macht dann der Mörder am Ende der Geschichte im Verhörraum: „sie waren ja schon alt. Ich habe schließlich keine Kinder getötet.“

[...]


[1] Vgl. Eike Wenzel (2000). Seite 7

[2] Vgl. Thomas Koebner (2005), Filmgenres-Kriminalfilm. Seite 175

[3] Vgl. Syd Field (1984). Seite 40

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Dramaturgie des Frankfurter Tatort
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Filmwissenschaft)
Veranstaltung
Die Dramaturgie des Frankfurter Tatort
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V131888
ISBN (eBook)
9783640377329
ISBN (Buch)
9783640377602
Dateigröße
574 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tatort, Frankfurt, Andrea Sawatzki, Jörg Schüttauf, Lars Kraume, Krimi
Arbeit zitieren
Rosalinda Basta (Autor:in), 2009, Die Dramaturgie des Frankfurter Tatort, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131888

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