Kreuz und Kopftuch im Klassenzimmer

Spannungsfelder religiöser Symbole in der Schule


Diplomarbeit, 2009

117 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Meinungsstudie

3. Verhältnis zwischen Staat und Religion
3.1. Modelle des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Europa
3.1.1. Strikte Trennung von Staat und Kirche
3.1.2. Staatskirchentum
3.1.3. Kooperationssysteme
3.2. Ausformungen des Neutralitätsprinzips in Staaten mit Kooperationssystemen
3.2.1. Distanzierende Neutralität
3.2.2. Offene Neutralität
3.3. Verhältnis von Staat und Religion in Österreich

4. Grundrechte
4.1. Grundrechte in Österreich
4.1.1. Definition
4.1.2. Historische Entwicklung der Grundrechte in Österreich
4.1.3. Bindungswirkung der Grundrechte
4.2. Die Anerkennung von Religionsgesellschaften in Österreich
4.3. Grundrechte in der Europäischen Union
4.4. Grundrechte im religionsrechtlichen Kontext
4.4.1. Ausprägungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit
4.4.2. Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Österreich
4.4.2.1. Staatsgrundgesetz
4.4.2.2. Staatsvertrag von St. Germain
4.4.2.3. Europäische Menschenrechtskonvention
4.4.3. Positive und negative Religionsfreiheit
4.4.4. Religionsfreiheit und Bildung
4.5. Schranken der Religionsfreiheit
4.6. Das Recht auf religiöse Kindererziehung

5. Symbole
5.1. Zum Symbolbegriff aus religionswissenschaftlicher Sicht
5.2. Die Merkmale des Symbols nach Paul Tillich

6. Das Kreuz im Klassenzimmer
6.1. Zur Bedeutung des Kreuzsymbols
6.1.1. Zur allgemeinen Bedeutung des Kreuzsymbols
6.1.1.1. Das Kreuz als reines Glaubenssymbol
6.1.1.2. Das Kreuz als kulturelles Symbol
6.1.1.3. Das Kreuz als christliches und kulturelles Symbol
6.1.1.4. Das Kreuz - ein positiv oder negativ besetztes Symbol?
6.1.2. Die spezifische Bedeutung des Schulkreuzes
6.1.3. Bedeutung des Kreuzes in der Meinungsstudie
6.2. Das Christentum und die kulturelle Identität Europas
6.3. Zur Gesetzeslage in anderen europäischen Staaten
6.4. Der Schulkreuz-Streit in Deutschland und seine Auswirkungen
6.4.1. Der Kruzifix-Beschluss des deutschen Verfassungsgerichtshofs
6.4.2. Wichtige religionsrechtliche Aussagen des Kruzifix-Beschlusses von
6.4.2.1. Verstoß gegen die Glaubensfreiheit
6.4.2.2. Unvereinbarkeit mit dem Neutralitätsgebot des Staates
6.4.2.3. Die Deutung des Kreuzes als religiöses Symbol
6.4.3. Argumentation der Kritiker des Kruzifix-Beschlusses
6.4.3.1. Vereinbarkeit von Schulkreuzen mit der Religionsfreiheit
6.4.3.2. Vereinbarkeit von Schulkreuzen mit dem Neutralitätsprinzip
6.4.3.3. Betonung der säkularen Bedeutung des Schulkreuzes
6.5. Die bayerische Kruzifix-Regelung
6.6. Die österreichische Gesetzeslage im Bezug auf das Schulkreuz
6.6.1. Die Schulkreuzregelung des § 2b Religionsunterrichtsgesetz
6.6.2. Die Bestimmungen im Schulvertrag 1962 zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl
6.6.3. Zur Verfassungsmäßigkeit der österreichischen Schulkreuzregelung
6.6.4. Beseitigung der Schulkreuze in Österreich im geschichtlichen Rückblick
6.7. Andere Lösungsansätze im Kruzifixstreit
6.7.1. Mehrere Symbole in der Schulklasse als Alternative
6.7.2. Kreuze statt Kruzifixe

7. Das Kopftuch der muslimischen Lehrerin
7.1. Richtungen des Islam
7.2. Der Islam in Österreich
7.3. Zum Geschlechterverständnis im Islam
7.4. Das Kopftuch - ein Symbol?
7.5. Formen der Verschleierung
7.6. Islamische Vorschriften zum Kopftuch
7.7. Bedeutung des Kopftuchs
7.7.1. Kopftuch als religiöses Symbol bzw. als religiöse Vorschrift
7.7.2. Das Kopftuch als Zeichen der Würde und Sittsamkeit
7.7.3. Das Kopftuch als Zeichen der Zugehörigkeit
7.7.4. Das Kopftuch als politisches Symbol
7.7.5. Bedeutung des Kopftuchs in der Meinungsstudie
7.8. Zur Freiwilligkeit des Kopftuchs
7.9. Das Kopftuch und die säkulare Verfassung
7.9.1. Das deutsche Kopftuch-Urteil
7.10. Zentrale Aspekte der Auseinandersetzung um das Kopftuch
7.10.1. Das Kopftuch und die Glaubensfreiheit
7.10.2. Das Kopftuch und die staatliche Neutralität
7.10.3. Kopftuch und Integration
7.11. Das Kopftuch und die Gesetzeslage in Österreich

8. Schulkreuze und das Kopftuch der muslimischen Lehrerin im systematischen Vergleich
8.1. Gemeinsamkeiten der beiden Symbole
8.1.1. Grundsätzliches
8.1.2. Bedeutung des Symbols
8.1.3. Grundrechte
8.1.4. Staatliches Neutralitätsgebot
8.1.5. Ähnlichkeiten bei den konkreten rechtlichen Bestimmungen
8.2. Unterschiede zwischen den beiden Symbolen
8.2.1. Grundsätzliches
8.2.2. Bedeutung der Symbole
8.2.3. Grundrechte
8.2.4. Staatliches Neutralitätsgebot
8.2.5. Unterschiede bei den konkreten gesetzlichen Bestimmungen
8.2.5.1. Aussagen des deutschen Verfassungsgerichtshofs
8.2.5.2. Die spezifischen bayerischen Regelungen
8.2.5.3. Regelung in Österreich

9. Resümee

10. Anhang
10.1. Rechtsquellen (Österreich)
10.2. Abschrift des Erlasses vom 23.06

11. Literaturverzeichnis

1. Einführung

In vielen Ländern Mittel- und Westeuropas gibt es in den letzten Jahren im verstärkten Maße gesellschaftliche Grundsatzdiskussionen über religiöse Symbole in öffentlichen Schulen. Im Mittelpunkt der Kontroverse stehen dabei vor allem das Schulkreuz und das Kopftuch der mus- limischen Lehrerin. Die Diskussionen beschäftigen sich unter anderem mit den zentralen Fra- gen, ob das Aufhängen von Kreuzen in Klassenzimmern erlaubt, verboten oder gar verpflich- tend sein soll und ob Kopftuch tragende Musliminnen als Lehrerinnen in öffentlichen Schulen unterrichten dürfen oder nicht.

In einigen europäischen Ländern wie beispielsweise in Deutschland führten diese Kontroversen in den letzten Jahren zu juristischen Auseinandersetzungen und in weiterer Folge zur Neuformulierung der diesbezüglichen gesetzlichen Normen.

Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurden in Deutschland sowohl das Symbol des Kreuzes als auch das Symbol des Kopftuchs aus der öffentlichen Sphäre der Schule zurückgedrängt.

Obwohl auch in Österreich über dieses Thema diskutiert wurde und wird, sind Schulkreuze in Klassenzimmern ebenso wie auch das Tragen des Kopftuchs durch Lehrerinnen im öffentlichen Schuldienst zulässig. Die betreffenden Bestimmungen waren in Österreich bislang nicht Ge- genstand von (verfassungs-)rechtlichen Auseinandersetzungen. Gerade die Betrachtung der verschiedenen Aspekte in Bezug auf den Umgang mit Kreuz und Kopftuch im deutschen Nach- barstaat kann daher für das Verständnis der spezifisch österreichischen Situation in der Schule hilfreich sein.

In einem ersten Schritt soll in dieser Arbeit zunächst das verfassungsrechtliche Fundament dargelegt werden, auf dem die spezifischen gesetzlichen Bestimmungen ruhen. So wird - nach den beiden Einführungskapiteln - in Kapitel 3 das Verhältnis von Staat und Religion in Österreich und Europa diskutiert, in Kapitel 4 die Thematik der Grundrechte sowie der Begriff des staatlichen Neutralitätsgebotes näher erläutert.

Anschließend wird anhand der Symboltheorie Paul Tillichs exemplarisch auf einige Merkmale von Symbolen eingegangen, um ein Verständnis für die besondere Wirkkraft von Symbolen zu erhalten (vgl. Kapitel 5.2).

Neben der Erörterung religions- und verfassungsrechtlicher Grundlagen soll in dieser Arbeit auch auf die grundsätzliche Haltung der Bevölkerung zum Thema religiöser Symbole in der Schule eingegangen werden. Mit der Durchführung einer Meinungsstudie, an der sich 339 El- tern von Vorarlberger Pflichtschulkindern beteiligten, wurde versucht, die Grundstimmung der Eltern zu den verschiedenen Aspekten dieser Diskussion zu erheben und in diese Arbeit mitein- fließen zu lassen.

Der Hauptteil der Arbeit ist jedoch einer fundierten Auseinandersetzung mit den Symbolen des Kreuzes (Kapitel 6) und des Kopftuchs (Kapitel 7) gewidmet. In diesen beiden Kapiteln werden neben der Frage nach der Bedeutung der Symbole auch gesellschaftliche Aspekte, die gesetzliche Situation in anderen Ländern und vor allem die auch in Österreich aufsehenerregenden grundrechtlichen Debatten in Deutschland durchleuchtet.

Auf dieser Grundlage wird im Anschluss jeweils die österreichische Gesetzeslage erläutert und mit den deutschen Regelungen verglichen.

In Kapitel 7 zum Symbol des Kopftuches schien es darüber hinaus sinnvoll, dem Thema die wesentlichen Grundzüge des Islams, seines Frauenbildes und seiner religiösen Vorschriften bezüglich des Kopftuchs voranzustellen.

Ein systematischer Vergleich der beiden Symbole im Hinblick auf ihre rechtlichen Aspekte bildet den Abschluss dieser Arbeit und mündet in einem kurzen Resümee.

Ziel dieser Arbeit ist es, die beiden Symbole des Schulkreuzes und des Kopftuchs muslimischer Lehrerinnen im Spannungsverhältnis unterschiedlicher Rechtspositionen zu analysieren und religiöse, gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Aspekte aufzuarbeiten. Es soll aufgezeigt werden, warum der Umgang mit diesen beiden Symbolen zum Paradigma für grundsätzliche verfassungstheoretische Konzepte in der Schulpolitik werden konnte.

Anmerkung: Zugunsten der besseren Lesbarkeit wurde in dieser Arbeit grundsätzlich auf die Verwendung von geschlechtsneutralen Formulierungen verzichtet.

2. Meinungsstudie

Die im Rahmen dieser Diplomarbeit erstellte Meinungsstudie wurde innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen, vom 17. März 2009 bis 13. April 2009, durchgeführt.

Die Meinungsstudie beansprucht nicht jenes Maß an Objektivität, Reliabilität und Validität, welches eine repräsentative empirische Untersuchung vorweisen kann. Dies hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem gesprengt. Ziel der Studie ist es vielmehr, anhand der Befragung von Vorarlberger Eltern ein Stimmungsbild zum Thema „Kreuz und Kopftuch im Klassenzimmer“ aufzuzeigen.

Insgesamt konnten die Fragebogen von 339 Personen ausgewertet werden. Der Kreis der befragten Personen umfasst Eltern von Vorarlberger Pflichtschulkindern, welche mit Unterstützung des Landesschulrats über die Vorarlberger Pflichtschulen zur Teilnahme an der Studie eingeladen wurden. Dadurch konnten Personen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen in die Untersuchung miteinbezogen werden. Weiters wurden insgesamt zwanzig muslimische Vereine und Gruppierungen in Vorarlberg kontaktiert und gebeten, ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Studie einzuladen.

Trotz dieser zusätzlichen Bemühung um eine gemischte Teilnahme gelang es nur in sehr gerin- gem Ausmaß, muslimische Eltern für die Beteiligung an der Studie zu gewinnen. Auf muslimi- scher Seite scheint eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Fragebögen und einer wissenschaft- lichen Aufarbeitung von Themenkomplexen, die mit Religion und Integration zusammenhän- gen, zu bestehen. Grund dafür könnte unter anderem die vor kurzem durchgeführte Werte- studie unter islamischen Religionslehrern sein, aufgrund der eine heftige politische Kontrover- se entbrannte, welche muslimische Eltern möglicherweise davon abhielt, sich an einer Studie mit einem ähnlichen Thema zu beteiligen.

Da der Anteil der muslimischen Bevölkerung an der Studie zu gering ist, um daraus ein wirkliches Meinungsbild von muslimischen Eltern zu erhalten (von 339 befragten Personen gehören nur zehn Personen dem Islam an), muss auf eine gesonderte Darstellung der muslimischen Einzeldaten verzichtet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die schwache Beteiligung der muslimischen Bevölkerung macht deutlich, dass durchaus eine Gefahr besteht, dass die Debatte über integrative Themen in einen Monolog der Mehrheitsbe- völkerung abgleitet. Allein die Tatsache, dass muslimische Eltern nicht im gleichen Maße wie die übrige Bevölkerung zur Teilnahme an der vorliegenden Studie motiviert werden konnten, wäre für sich schon wieder Ausgangspunkt für weitere interessante Fragestellungen.

3. Verhältnis zwischen Staat und Religion

Neben dem Themenkomplex der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte, welcher in Kapitel 4 erörtert wird, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit der religiösen Symbole Kreuz und Kopftuch in der Schule das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Religion sowie das Verständnis von staatlicher Neutralität gegenüber Religion von ausschlaggebender Bedeu- tung.

Die Ausformungen der Beziehung zwischen Staat und Religion stellen sich dabei in verschiedenen Staaten unterschiedlich dar.

3.1. Modelle des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Europa

Nimmt man verschiedene europäische Staaten in den Blick, lassen sich im Wesentlichen drei Grundtypen von staatskirchenrechtlichen Systemen in Europa unterscheiden: die strikte Trennung von Staat und Kirche, das Staatskirchentum sowie unterschiedlich ausgeprägte Kooperationssysteme (Robbers, 1998:60f).

3.1.1. Strikte Trennung von Staat und Kirche

Der erste Grundtyp, das laizistische Modell, stellt eine strikte Trennung von Staat und Kirche dar.

Die laizistische Verfassung versucht, die Entkonfessionalisierung des Staates und die Privatisie- rung von Religion konsequent zu verwirklichen. Dieses Trennungssystem ist insbesondere im französischen Rechtsystem umgesetzt. Es basiert dort auf einem Gesetz aus dem Jahr 1905, das in der Tradition der Gesetzgebung des revolutionären Frankreich steht (Kalb, 1996:45).

Mit der Entwicklung des sozialen und kulturellen Leistungsstaates kam es jedoch auch in Frankreich immer wieder zu Fragen, die eine Bewertung der religiösen Dimension erforderten. Die komplette „Entsonderung“ von religiös mitbestimmten Lebensbereichen erwies sich auch in Frankreich als undurchführbar. So kam es im Lauf der Zeit trotz der „Nichtanerkennung“ von Religionsgemeinschaften doch zur Entwicklung eines spezifischen Status, der etwa steuerliche Begünstigungen für Kultvereine, die Anerkennung freiwilliger Kirchenabgaben als Steuerab- zugsposten sowie arbeitsrechtliche Sonderbestimmungen umfasste (Kalb, 1996:45).

3.1.2. Staatskirchentum

Im Gegensatz zur laizistischen Verfassung zeichnet sich das Staatskirchentum vor allem durch eine institutionelle Verbindung zwischen Staat und Kirche aus (Triebel, 1999). Diesem Typus werden jene europäischen Staaten zugerechnet, in denen formal-verfassungsrechtliche staats- kirchliche Strukturen herrschen. Dazu gehören etwa England, Norwegen und Dänemark (Potz, 2005:15).

3.1.3. Kooperationssysteme

Das dritte und letzte Konzept stellen Systeme mit einer rechtlich ausgebildeten Kooperation bei gleichzeitiger Trennung von Staat und Kirche dar (Robbers, 1998:60f). Diese beinhalten eine Garantie von individueller Religionsfreiheit und verbinden diese mit einer besonderen Berücksichtigung gesellschaftlich relevanter Religionsgemeinschaften (Kalb, 1996:50). In diesen Staaten gibt es zwar keine Staatskirche, aber vielfältige Verbindungen zwischen Kirche und Staat (Robbers, 1998:60f).

Der diesem Konzept zugrundeliegende Gedanke ist es, Religion nicht „im Sinne einer aufge- klärt-absolutistischen bzw. paläo-liberalen Staatstradition“ auszugrenzen, sondern einen recht- lichen Rahmen für die pluralistische Hereinnahme in die gesellschaftliche Öffentlichkeit anzu- bieten. Obwohl also auch in diesen Systemen eine institutionelle Trennung von Staat und Kir-

che vorliegt, wird die religiöse Neutralität nicht durch die vollständige Privatisierung von Religion und religiöser Aktivität verwirklicht (Kalb, 1996:50).

Dieses Konzept ist in vielen Staaten Europas verbreitet und findet sich beispielsweise in Österreich, Deutschland und den meisten Schweizer Kantonen, aber auch in Belgien, Italien, Spanien und Portugal (Kalb, 1996:50).

Im Rahmen der Meinungsstudie dieser Diplomarbeit wurde unter anderem auch die Frage gestellt, ob sich die Eltern eine gänzliche Trennung von Schule und Religion wünschen würden. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass eine „strikte Laizität“ des Schulwesens nur von einer Minderheit gewünscht wird. Insofern zeigt dieses Meinungsbild, dass ein Großteil der Vorarl- berger Eltern mit dem aktuellen Status Quo der österreichischen Gesetzeslage zufrieden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2. Ausformungen des Neutralitätsprinzips in Staaten mit Kooperations- systemen

Neben den oben beschriebenen Unterschieden auf der formalen Ebene der Beziehung zwischen Staat und Religion gibt es innerhalb der jeweiligen Systeme wiederum Unterschiede im Verständnis und in der konkreten Umsetzung von staatlicher Neutralität gegenüber den Religionen und Weltanschauungen (Jakobs, 2001:46).

Neutralität bedeutet grundsätzlich Nichteinmischung, Gleichbehandlung und Unparteilichkeit (Czermak, 2008:85), kann aber auch als Überparteilichkeit verstanden werden.

Das ‚Neutralitätsprinzip‘ (Jakobs, 2001:45) oder ‚Neutralitätsgebot‘ (Czermak, 2008:85) ist ein verfassungstheoretischer Schlüsselbegriff (Czermak, 2008:87), der aber verfassungsrechtlich abstrakt formuliert bleibt (Jakobs, 2001:46), sodass seine konkrete Bedeutung sehr unterschiedlich verstanden und umgesetzt werden kann.

Grundsätzlich wird bei der Konkretisierung des Begriffs der Neutralität zwischen distanzierender und offener Neutralität unterschieden (Czermak, 2008:94)

3.2.1. Distanzierende Neutralität

Der Staat darf im Sinne der distanzierenden Neutralität keine weltanschauliche oder religiöse Position beziehen und muss in der Art und Weise neutral bleiben, als er sich nicht mit einer bestimmten Religion identifizieren darf (Kalb, 1996:43).

Die folgenreichen Entscheidungen des deutschen Verfassungsgerichtshofs bezüglich der bei- den Symbole Kreuz und Kopftuch in den Jahren 1995 und 2003 haben das Neutralitätsprinzip für den Bereich der Schule in Richtung distanzierender Neutralität gedeutet und damit engere Vorgaben für religiöse Bezüge in öffentlichen Schulen in Deutschland definiert (Czermak, 2008:150).

3.2.2. Offene Neutralität

Die offene oder hereinnehmende Neutralität (Czermak, 2008:94) versucht demgegenüber, Religion nicht aus der Öffentlichkeit auszuschließen (Jakobs, 2001:45). Sie versteht Neutralität vor allem als Überparteilichkeit. Dieses Neutralitätsverständnis berücksichtigt Religionen in ihrer Unterschiedlichkeit und unterstützt sie im Sinne von inhaltlicher Parität. Neutralität wird somit durch Pluralität und Förderung des Nebeneinanders der Religionen verwirklicht (Kalb, 1996:50).

In diesem Zusammenhang wird Neutralität vor allem als das Verbot der Bevorzugung oder Benachteiligung einer bestimmten Religion, nicht aber als grundsätzliches Verdrängen alles Religiösen aus der Öffentlichkeit verstanden.

Die österreichische Gesetzeslage ist im gegenständlichen Bereich sehr an einem hereinneh- menden Neutralitätsverständnis orientiert. Der österreichische Staatskirchenrechtler Herbert Kalb sieht in der pluralistischen Hereinnahme von Religion und Weltanschauung, wie sie in Österreich verwirklicht ist, auch einen wichtigen Faktor zur Vermeidung von gesellschaftlichen Konflikten (Kalb, 1996: 55).

3.3. Verhältnis von Staat und Religion in Österreich

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde) Aus den rechtlichen Rahmenbedingungen, die in Österreich nach 1945 auf der Grundlage älte- rer Vorschriften aufgebaut wurden, wird deutlich: Der österreichische Staat hat sich dem Prin- zip der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften bei gleichzeitiger Trennung verschrieben. Österreich ist damit ein säkularer, aber kein laizistischer Staat. Religion und Weltanschauung sind als Grundbestandteile des privaten wie des öffentlichen Lebens aner- kannt. In vielen Einzelfragen der Beziehung zwischen Staat und Religion hat Österreich pragmatische Lösungen gefunden, die sich quer durch die gesamte Rechtsordnung ziehen und sich unter anderem auch im Schulrecht widerspiegeln (Wallner, 2009).

Auch in Österreich ist die staatliche Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip ein unum- strittener Kernbestand der Rechtsordnung (Kalb, 1996:37). Sie wird hierzulande im Schulbe- reich aber tendenziell offener verstanden als vom deutschen Bundesverfassungsgerichtshof (Kalb, 1996:55).

Das österreichische System stellt, so Kalb, ein „modernes, einem zeitgemäßen leistungsorientierten Freiheits- und Staatsverständnis verpflichtetes Modell von konfessioneller Neutralität“ dar. Es fördert nicht Ausgrenzung, sondern „aktive pluralistische Hereinnahme von Religion in die staatliche Öffentlichkeit“ (Kalb, 1996:50).

4. Grundrechte

4.1. Grundrechte in Österreich

4.1.1. Definition

Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) definiert Grundrechte als „verfassungs- gesetzlich gewährleistete Rechte“ (Art 144 B-VG). Grundrechte sind subjektive Rechte, die jedem Individuum zukommen und die ihre Grundlage im Verfassungsrecht haben. Die Verlet- zung eines solchen Grundrechtes muss vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht wer- den (Öhlinger, 2003:289). Einzelne Grundrechte sind beispielsweise das Recht auf Leben, der Gleichheitssatz, das Recht auf Bildung oder die Glaubens- und Gewissensfreiheit.

4.1.2. Historische Entwicklung der Grundrechte in Österreich

Die Festschreibung der Grundrechte in Österreich erfolgte im Wesentlichen in drei Etappen: mit dem Staatsgrundgesetz (StGG) 1867, dem Staatsvertrag von St. Germain (StVSt-Germain) 1919 und schließlich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) 1950 (Potz, 2005:31). Die EMRK erlangte 1958 in Österreich sogar Verfassungsrang, wodurch sie in einen gesetzlichen Rang erhoben wurde, der ihr ansonsten bis heute in keinem anderen Vertrags- staat zukommt (Kalb, 1996:61f).

Die österreichischen Grundrechte sind jeweils unter verschiedenen historischen Bedingungen entstanden und entstammen auch verschiedenen Rechtsquellen, nämlich innerstaatlichen und völkerrechtlichen. Diese unterschiedlichen Wurzeln erschweren die systematische Einordnung der einzelnen Gewährleistungen. In vielen Fällen kann es auch zu einer Art Überlagerungspro- zess der einzelnen Rechtsquellen kommen. Die inhaltliche Bestimmung eines Grundrechts kann daher nur durch Zusammenschau aller relevanten Grundrechtspositionen erfolgen (Kalb, 1996:61f).

Das Verständnis der Grundrechte hat sich seit dem 19. Jahrhundert grundlegend gewandelt: Während zur Zeit des Staatsgrundgesetzes die Grundrechte noch als Abwehrrechte des Einzel- nen gegenüber ungerechtfertigten Eingriffen des Staates angesehen wurden, kommt dem Staat aus heutiger Sicht eine aktivere Rolle zur Sicherung der Grundrechte zu. Impliziert wird im heutigen Grundrechtsverständnis eine Schutzpflicht des Staates, die unter anderem die Wahrung des Gemeinwohls umfasst (Potz, 2005:28). Die Grundrechte können als die in einer demokratischen Gesellschaft gültigen Werte oder Prinzipien verstanden werden, die den Ge- setzgeber auch zu einer aktiven Umsetzung verpflichten (Öhlinger, 2003:293).

4.1.3. Bindungswirkung der Grundrechte

Kirchen und Religionsgemeinschaften sind grundsätzlich nicht in gleicher Weise wie der Staat an die Grundrechte gebunden (Potz, 2005:41). Allerdings können sich die Grund- und Freiheits- rechte unter Umständen auch auf die Rechtsbeziehungen von Kirchen bzw. Religionsgemein- schaften und Privatpersonen erstrecken (Potz, 2005:28). Eine solche Bindungswirkung scheidet allerdings hinsichtlich jener Grundrechte aus, die den Schutz der Kirchen und Religionsgemein- schaften selbst zum Inhalt haben. So kann sich ein kirchlicher Mitarbeiter zum Beispiel gegen- über der Kirche nicht auf das Grundrecht der Religions- oder Meinungsäußerungsfreiheit beru- fen (Potz, 2005:41).

4.2. Die Anerkennung von Religionsgesellschaften in Österreich

Am 27. Mai 1874 trat in Österreich das Gesetz zur Anerkennung von Religionsgesellschaften in Kraft. Damit wurde der Stellenwert von Religionen für das gesellschaftliche und staatliche Leben formalrechtlich anerkannt (Wallner, 2009).

Das sogenannte „Anerkennungsgesetz“ umfasst verschiedene Kriterien, die für eine gesetzli- che Anerkennung erfüllt werden müssen. Wird eine Kirche oder Religionsgesellschaft gesetz- lich anerkannt, so erlangt sie den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Dieser Status bringt einige „Privilegien“, aber auch gesellschaftliche Pflichten mit sich (Wallner, 2009).

Derzeit sind in Österreich vierzehn Kirchen und Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt. Für einige - etwa für den Islam, vgl. Kapitel 7.2 - gibt es eigene Gesetze, andere - etwa die Altkatholische Kirche - wurden direkt auf der Basis des Anerkennungsgesetzes anerkannt (Wallner, 2009).

Das Verhältnis zwischen dem Staat und der Katholischen Kirche wird durch einen völkerrechtli- chen Vertrag, das Konkordat von 1933, geregelt. 1938 wurde es von den Nationalsozialisten mit der Besetzung Österreichs für ungültig erklärt; 1945 jedoch mit einigen Modifikationen wieder in Kraft gesetzt. Kerninhalte des Konkordats betreffen unter anderem das Schulrecht (welches allerdings in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts reformiert wurde), Feiertagsrege- lungen oder Rechtsgeschäfte mit kirchlichen juristischen Personen (Wallner, 2009).

Oft wird im Zusammenhang mit dem Konkordat vorschnell von „Privilegien“ der Katholischen Kirche gesprochen. Dabei wird übersehen, dass die wesentlichen Bestimmungen diesbezüglich im österreichischen Religionsunterrichtsgesetz sowie im Privatschulgesetz stehen. Viele zentrale Normen betreffen somit nicht nur die Katholische Kirche, sondern alle gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften (Wallner, 2009).

Das in Österreich geltende Paritätsprinzip stellt eine religionsrechtliche Ausformung des allge- meinen Gleichheitssatzes dar (Potz, 2005:38). Dieses Prinzip verlangt vom Staat nicht nur, die formelle Gleichheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu garantieren, sondern auch ihre Unterschiedlichkeit zu berücksichtigen und aktiv inhaltliche Parität zu ermöglichen (Wall- ner, 2009). Während auf formeller Ebene die staatlichen Regelungen für alle Kirchen und Reli- gionsgemeinschaften gleichermaßen gelten müssen, ist auf materieller Ebene auch eine sach- lich gerechtfertigte Differenzierung möglich. Die Besonderheiten der einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften müssen dabei ebenso beachtet werden wie das jeweilige Selbstver- ständnis, die zahlenmäßige und gesellschaftliche Bedeutung sowie allenfalls die aus einer Min- derheitensituation folgende besondere Schutzbedürftigkeit (Potz, 2005:35).

4.3. Grundrechte in der Europäischen Union

„In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Uni- on auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.“

(Präambel der Grundrechtecharta 2000 der Europäischen Union).

Die hier zitierte Präambel der Grundrechtecharta der Europäischen Union ist zurzeit zwar formal nicht rechtsverbindlich, es kommt ihr aber - als Absichtserklärung und Leitlinie - durchaus eine rechtserhebliche Wirkung zu. Sie ist dem sogenannten „soft law“ zuzurechnen. Wenn in ihr auch kein direkter Gottesbezug vorkommt, ist der Hinweis auf das „geistig-religiöse Erbe“ als Fundament der Union doch beachtlich (Potz, 2005:19).

Der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtschutz, also die Absicherung der Grundrechte innerhalb der Europäischen Union, beruht im Wesentlichen auf den nationalen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie auf völkerrechtlichen Verträgen wie der EMRK. Durch eine wertende Rechtsvergleichung dieser Quellen wird ein relativ hohes Schutzniveau erreicht. Obwohl die EMRK nicht unmittelbar im Gemeinschaftsrecht gilt, wird sie doch faktisch als Teil desselben angewendet (Potz, 2005:18f).

Von großer Bedeutung in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Kirchen und Religionsgemeinschaften ist auch die „Amsterdamer Kirchen-Erklärung“, die Ein- gang in die Schlussakte des Amsterdamer Vertrages 1997 (eine Ergänzung des Vertrags von Maastricht, der den „Gründungsvertrag“ der Europäischen Union darstellt) gefunden hat (Trie- bel, 1999).

Teil 11 der „Kirchen-Erklärung“ besagt: „Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen und beeinträchtigt ihn nicht.“

In dieser Bestimmung ist nicht nur eine Bestandsgarantie für religionsrechtliche Systeme zu sehen; es wird mit ihr auch das Subsidiaritätsprinzip konkretisiert. Es lässt sich also aus der Regelung eine Verpflichtung der Union ableiten, die Religions- und Weltanschauungsgemein- schaften bei den sie betreffenden Gesetzesvorhaben mit einzubeziehen (Potz, 2005:22f).

Da es sich allerdings bei der „Amsterdamer Kirchen-Erklärung“ formal nur um eine Erklärung und nicht um einen Vertragsbestandteil handelt, kommt ihr keine unmittelbar rechtliche, son- dern lediglich eine politische Bedeutung zu. Nichtsdestotrotz gehören Erklärungen grundsätz- lich zum Vertragsumfeld und sind deshalb auch bei der Auslegung von Verträgen zu berück- sichtigen. Die Grundsätze der Amsterdamer Kirchen-Erklärung können also insoweit rechtlich relevant sein, als sich die Europäische Union dadurch selbst eine gewisse Bindung auferlegt (Triebel, 1999).

4.4. Grundrechte im religionsrechtlichen Kontext

4.4.1. Ausprägungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Im Zentrum jener Grundrechte, die im religiösen Bereich von Bedeutung sind, steht das ein- heitliche und umfassende Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Es tritt in verschiedenen Ausprägungen auf und ist als Gewissens-, Glaubens-, Kultur- und Bekenntnis- freiheit zu finden, wobei sich diese Bereiche teilweise überschneiden und überlagern (Potz, 2005:33).

Die Gewissensfreiheit umfasst unter anderem das Recht auf Bildung, welches in Kapitel 4.4.4 näher erläutert wird. Dieses Recht gewährt zum Beispiel die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht und gibt einem Lehrer das Recht, die Zuweisung an eine konfessionelle Privatschule zu verweigern (Potz, 2005:35).

Die Glaubensfreiheit sichert das Recht zu, unabhängig vom Staat einen beliebigen Glauben zu haben, diesen zu wechseln oder aber keinen Glauben zu haben. Damit wird explizit auch die Möglichkeit eines Austritts rechtlich abgesichert (Potz, 2005:35).

Die Kultusfreiheit gewährt das Recht, öffentlich oder privat, allein oder mit anderen, religiöse Andachten, Gottesdienste oder sonstige sakrale Zeremonien zu veranstalten oder daran teilzunehmen (Potz, 2005:37).

Die Bekenntnisfreiheit umfasst die Garantie, den eigenen Glauben auch außerkultisch im priva- ten oder öffentlichen Bereich zu manifestieren. In diesen Bereich fallen etwa die religiöse Kin- dererziehung, der Religionsunterricht oder auch das Tragen von religiöser Kleidung (Potz, 2005:37).

Neben dem Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit kann im religionsrechtli- chen Kontext auch anderen grundrechtlichen Gewährleistungen eine gewisse Relevanz zu- kommen. In Frage kommen dabei etwa die Meinungsäußerungsfreiheit, die Vereins- und Ver- sammlungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft (Potz, 2005:26).

4.4.2. Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Österreich

Die Religionsfreiheit in Österreich entwickelte sich in den letzten zwei Jahrhunderten ausgehend vom Toleranzpatent durch Joseph II. im Jahr 1781. Die grundrechtliche Absicherung der Religionsfreiheit erfolgte allerdings erst 1867 mit dem „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“, welches auch in die Rechtsordnungen der Ersten und Zweiten Republik übernommen wurde.

4.4.2.1. Staatsgrundgesetz

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird in Art 14 Staatsgrundgesetz gewährleistet. In diesem Artikel wird betont, dass der „Genuß (sic!) der bürgerlichen und politischen Rechte vom Religi- onsbekenntnis unabhängig“ sein muss. Den „staatsbürgerlichen Pflichten darf jedoch durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch“ geschehen. Niemand kann zu einer „kirchlichen Hand- lung oder zur Theilnahme (sic!) an einer kirchlichen Feierlichkeit“ gezwungen werden, „in so- fern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen“ untersteht.“ (Art 14 StGG).

Auch heute noch ist diese Bestimmung Kern der religionsrechtlichen Freiheitsgarantien. Um jedoch den vollen Gehalt der religionsfreiheitlichen Gewährleistungen zu erfassen, müssen auch die entsprechenden Bestimmungen der EMRK und des Staatsvertrags von St. Germain in den Blick genommen werden (Wallner, 2009).

4.4.2.2. Staatsvertrag von St. Germain

Artikel 63: „... Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.“

Art 63 StVStGermain garantiert allen Einwohnern Österreichs das Recht der freien Religions- ausübung. Dieses Recht steht daher auch den Anhängern nicht anerkannter Bekenntnisse zu.

4.4.2.3. Europäische Menschenrechtskonvention

Artikel 9. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

(1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt (sic!) die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

(2) Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwen- dige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind. (EMRK)

Die Religionsfreiheit schützt Überzeugungen und Verhaltensweisen, die die Identität einer handelnden Person fundamental betreffen. Somit hat die Religionsfreiheit eine besondere Nähe zur Menschenwürde (Potz, 2005:26).

Grundrechte sind grundsätzlich weit auszulegen. Mit der Aussage „jede Art Glaube, Religion oder Bekenntnis“ ist die Religionsfreiheit darüber hinaus eines jener Grundrechte, für die der Auslegungsgrundsatz „in dubio pro libertate“ gilt. Wird das Grundrecht der Religionsfreiheit beschränkt, so sind diese Beschränkungen daher als Ausnahmevorschriften restriktiv auszule- gen (Potz, 2005:27).

4.4.3. Positive und negative Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist ein mehrdimensionales Grundrecht, welches eine positive und eine negative Ausprägung umfasst. Beide Seiten treten als gleichwertige Erscheinungsformen des Grundrechts auf (Potz, 2005:31).

Die positive Religionsfreiheit gewährt jedem Menschen in Österreich das Recht, seine Religion ungestört auszuüben (Potz, 2005:31). Sie wird in Art 14 Abs 1 StGG festgeschrieben, der die volle Glaubens- und Gewissenfreiheit gewährleistet.

Negative Religionsfreiheit bedeutet, dass in religiösen Belangen kein Zwang erfolgen darf. Jeder Mensch in Österreich hat das Recht auf Freiheit von Religion und ist somit geschützt vor einer erzwungenen Teilnahme an religiösen Handlungen (Potz, 2005:31). Die entsprechende Rechtsgrundlage zur negativen Religionsfreiheit findet sich in Art 14 Abs 3 StGG, wonach „niemand zu einer kirchlichen Handlung (…) gezwungen werden kann (…)“.

Kommt es zu einem Zusammenstoß der positiven Religionsfreiheit einer Person mit der negativen Religionsfreiheit einer anderen, ist es Aufgabe des Staates, die verschiedenen Ansprüche zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Der Staat muss sich dabei konfessionell neutral verhalten (Wallner, 2009).

4.4.4. Religionsfreiheit und Bildung

Eine weitere zentrale Bestimmung bezüglich der Religionsfreiheit findet sich in Artikel 2 des ersten Zusatzprotokolls der EMRK.

Artikel 2 - Recht auf Bildung:

Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Auf- gaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. (EMRK - 1. Zusatzprotokoll)

Durch diese als „Achtungsanspruch“ formulierte Verfassungsbestimmung wird dem Staat nicht die Verpflichtung auferlegt, eine Erziehung gemäß den religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern sicherzustellen, sondern diese Überzeugungen im Rahmen des staatlichen Bildungs- und Erziehungswesens zu respektieren (Potz, 2005:113).

Dies impliziert auch eine Verpflichtung des Staates, aktiv Maßnahmen zur Sicherung dieses Rechtes zu ergreifen. Es ist dem Staat nicht verwehrt, bei der Durchführung des Unterrichts religiöse oder weltanschauliche Fragen zu berühren. Diese müssen allerdings in einer „objekti- ven, sachlich-kritischen und pluralistischen Form“ besprochen werden (Potz, 2005:113).

Wenn der Staat im Rahmen seiner Erziehung eine bestimmte Aufgabe erfüllt, hat er diese gegenüber allen in vergleichbarer Lage befindlichen Einzelpersonen oder Gruppierungen ohne Diskriminierung wahrzunehmen (Kalb, 1996:78).

Gemäß Art 17 Abs 5 StGG obliegt dem Staat das „Recht der obersten Leitung und Aufsicht“ hinsichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens (Kalb, 1996:79). Diese Erzie- hungsaufgabe wird im Schulorganisationsgesetz (SchOG) konkretisiert, wobei dem allgemeinen Zielparagrafen des österreichischen Schulwesens, § 2 SchOG, eine besondere Bedeutung zu- kommt:

„Die Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen entsprechenden Unterricht mitzuwirken.“

Durch die Einbeziehung auch der religiösen Werte wird dem umfassenden Bildungsauftrag der österreichischen Schulen entsprochen. Der Begriff „religiös“ ist auch hier gemäß dem verfas- sungsrechtlich gewährten Grundrechtsschutz in einem weiten, auch nicht religiöse Weltan- schauungen umfassenden Sinn zu interpretieren (Kalb, 1996:80). Die weltanschauliche Kom- ponente bildet somit einen integrierenden Bestandteil des öffentlichen Schulwesens und hat an einer wertorientierten Erziehung, wie sie in der Schule vorgesehen und wünschenswert ist, mitzuwirken (Kalb, 1996:81).

4.5. Schranken der Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist zwar ein weitreichend geschütztes, doch kein absolutes Recht. Der Staat hat die Möglichkeit, verhältnismäßige und begründete Einschränkungen des Rechtes vorzunehmen, wenn diese einem legitimen öffentlichen Interesse dienen (Human Rights Watch, 2009).

Für die Prüfung solcher Einschränkungen ist die Rechtsgüterabwägung eine wichtige Vorgangsweise. Dabei ist das eingesetzte Mittel mit dem angestrebten Ziel in Beziehung zu setzen und auf Eignung, Erforderlichkeit und Adäquanz zu prüfen (Potz, 2005:42f). Jede in Betracht gezogene Einschränkung ist hierbei möglichst gering zu halten.

Aufgrund der offenen und knappen Formulierung der Grundrechte, die auch für das Grund- recht der Religionsfreiheit typisch ist, kommt der Interpretationstätigkeit für die Rechtsgewin- nung im Grundrechtsbereich ein besonderer Stellenwert zu (Kalb, 1996:56). Im Allgemeinen kann dabei nicht nur eine einzige Lösung als verfassungsrechtlich einwandfrei bezeichnet wer- den (Kalb, 1996:59).

Das wichtigste Instrument für die vergleichende Rechtsgüterabwägung zur Erzielung eines schonenden Interessensausgleichs ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der als bestimmen- des Prinzip der Grundrechtsdogmatik und als ein „elementarer, die Rechtsordnung durchdrin- gender Grundsatz der Gerechtigkeit“ bezeichnet werden kann (Kalb, 1996:69). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind jeweils beide Grundrechtskomponenten - die positive und die negative - als gleichrangig einzubringen und gegeneinander abzuwägen (Kalb, 1996:70). Ge- mäß dem „ultima ratio“-Prinzip hat immer das gelindeste zum Ziel führende Mittel zum Einsatz zu kommen (Kalb, 1996:69).

4.6. Das Recht auf religiöse Kindererziehung

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist das elter- liche Recht zur religiösen bzw. weltanschaulichen Erziehung der Kinder. Den Eltern kommt dabei das Recht zu, ihre Kinder gemäß ihren persönlichen religiösen und weltanschaulichen Ansichten zu erziehen. Auch hier kann es durch behördliche Maßnahmen im Bereich der Kin- dererziehung zu einer Verletzung der Grundrechte der Eltern kommen (Potz, 2005:112).

Das Recht der religiösen und weltanschaulichen Kindererziehung wird als lex specialis durch das Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKEG) geregelt. Die in diesem Gesetz enthaltenen Regelungen sind laut § 6 RelKEG - ungeachtet des Gesetzestitels - auch „auf die Erziehung der Kinder in einer nicht bekenntnismäßigen Weltanschauung entsprechend anzu- wenden“ (Potz, 2005:112).

Religion hat für die in der Meinungsstudie befragten Personen einen hohen Stellenwert in der Erziehung ihrer Kinder. Zwei Drittel aller Befragten (66 Prozent) geben an, ihre Religion sei „sehr wichtig“ oder „wichtig“. Nur sieben Prozent der Eltern gaben an, dass Religion in ihrer Kindererziehung nicht von Bedeutung sei.

Wie wichtig ist Ihnen Ihre Religion bei der Erziehung Ihrer Kinder?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dem elterlichen Erziehungsrecht steht allerdings die in Art 17 StGG verankerte staatliche Schulhoheit und der sich daraus herleitende staatliche Erziehungsauftrag gegenüber. Bei der Gegenüberstellung dieser selbständigen Gestaltungsbefugnis des Staates mit dem Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder kommt es zwangsläufig zu einem gewissen Spannungsver- hältnis (Kalb, 1996:79). Hierbei ist es Aufgabe der Rechtsprechung, im Wege „praktischer Kon- kordanz“ einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen zu finden und so einen in jeder Hinsicht effektiven Grundrechtsschutz zu erzielen (Kalb, 1996:36).

5. Symbole

In der vorliegenden Arbeit ist häufig von Symbolen die Rede. Die jeweilige Deutung des Sym- bolgehalts und die Einschätzung der Wirkungskraft der Symbole sind sowohl beim Schulkreuz als auch beim religiös motivierten Tuch auf dem Kopf einer Lehrerin von entscheidender Be- deutung für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit in öffentlichen Schulen. Aus diesem Grund soll im Folgenden auf Eigenschaften und Wirkweisen von Symbolen genauer eingegangen werden.

Das Wort „Symbol“ findet seinen Ursprung im griechischen Wort „symballein“ und bedeutet wörtlich übersetzt „das Zusammengefügte“. Symbole waren in der Antike Erkennungszeichen wie zum Beispiel Münzen, die bei Vertragsabschlüssen zerbrochen wurden. Jeder Partner be- kam einen Teil der Münze und konnte so beweisen, der rechtmäßige Vertragspartner zu sein (Ebenbauer, 2009:5).

5.1. Zum Symbolbegriff aus religionswissenschaftlicher Sicht

„Ein Symbol hat keine eindeutig bestimmte, sondern nur die Bedeutung, die jeder die- sem Symbol gibt, der seiner ansichtig wird. Mit anderen Worten: Ein Symbol ist auf Deutung angewiesen; ohne Auslegung kann es alles oder nichts bedeuten.“ (Zehet- mair, 1995:45)

Symbole sind Sinnzeichen - sie verkörpern eine komplexe Idee, können aber ihre eigentliche Kraft nur durch die persönliche Haltung eines Betrachters konkret entfalten (Czermak, 1998:28).

Es ist charakteristisches Merkmal eines Symbols, dass es mehrere mögliche Auslegungen bein- haltet (Ihli, 2001:138). Jedem Betrachter wird dadurch die Möglichkeit und Freiheit gegeben, ein Symbol zu deuten (Berger, 1998:171). Symbole wecken unmittelbare Assoziationen und Emotionen und können unter Umständen sogar suggestiv beeinflussen. Weder die allgemeine noch die konkrete Symbolbedeutung kann grundsätzlich „wegdefiniert“ werden (Czermak, 1998:28).

Die Bedeutung eines Symbols kann sich nur durch Änderungen im persönlichen oder gesellschaftlichen Bereich verschieben (Czermak, 1998:28).

Bei den Symbolen des Kreuzes und des Kopftuchs handelt es sich um Symbole von einer unter- schiedlichen inneren Qualität. Während es sich beim Symbol des Kreuzes um ein elementares Grundsymbol des Christentums handelt (Beinert, 2002:15), basiert das Tragen des Kopftuchs auf einer religiösen Pflicht, die in einem bestimmten Kontext zum Handlungssymbol werden kann (vgl. Kapitel 7.7.1).

5.2. Die Merkmale des Symbols nach Paul Tillich

Besonders aufgrund der Problematik, dass viele Muslime das Kopftuch nicht als Symbol sehen möchten (vgl. Kapitel 7.4) und der Schwierigkeit der unterschiedlichen Symbolbegriffe in verschiedenen Wissenschaftsbereichen wie etwa der Soziologie, der Semiotik oder der Religionswissenschaft ist es von entscheidender Bedeutung, den in dieser Arbeit verwendeten Symbolbegriff anhand von Merkmalen zu definieren.

Die sehr emotionale Beteiligung an der Meinungsstudie im Rahmen dieser Diplomarbeit zeigt die offensichtlich große Wirkung der beiden Symbole Kreuz und Kopftuch. Warum also ein Kopftuch eben nicht nur ein Symbol ist, lässt sich durch die hier exemplarisch dargestellte Symboltheorie des protestantischen Theologen Paul Tillich genauer erklären.

Tillich vertritt die Auffassung, dass Symbole keineswegs harmlos sind und dass die Macht von Symbolen nicht unterschätzt werden darf (Tillich, 2009). Ein Symbol ist, so Tillich, nichts weniger als ein Symbol (Bucher, 1990:312).

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Kreuz und Kopftuch im Klassenzimmer
Untertitel
Spannungsfelder religiöser Symbole in der Schule
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2009
Seiten
117
Katalognummer
V131850
ISBN (eBook)
9783640378074
ISBN (Buch)
9783640377558
Dateigröße
2120 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kreuz, Kopftuch, Klassenzimmer, Spannungsfelder, Symbole, Schule, Sehr
Arbeit zitieren
Mag. iur. Anne Mayer (Autor:in), 2009, Kreuz und Kopftuch im Klassenzimmer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131850

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