Eine Erweiterung der Theorie der Gerechtigkeit

Verteilungsgerechtigkeit dargestellt anhand der Theorien von John Rawls und Amartya Sen


Zwischenprüfungsarbeit, 2007

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Grundlagen der Theorie der Gerechtigkeit nach Rawls
2.1. Theoretische Einordnung des Modells im Hinblick auf Kants Vertragsidee
2.2. Der Schleier der Unwissenheit im Urzustand
2.3. Die Grundgüter der Gesellschaft nach Rawls
2.4. Stärken der Theorie der Gerechtigkeit
2.5. Schwächen dieser Theorie

3. Der Befähigungsansatz nach Sen
3.1. Einordnung des Befähigungsgedankens in die Aristotelische Tugendlehre
3.2. Die individuellen „capabilities“ nach Sen
3.3. Der Praxisbezug von Sens Ansatz
3.4. Stärken des Befähigungsansatzes
3.5. Schwächen des Befähigungsansatzes

4. Verbindung der Ansätze von Rawls und Sen
4.1. Erweiterung der Gerechtigkeitstheorie nach Rawls um individuelle Fähigkeiten und Unterschiede nach Sen
4.2. Umfassende Verteilungsgerechtigkeit als Gesellschaftsziel zur Ermöglichung eines „guten Lebens“

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Frage nach Gerechtigkeit ist innerhalb der Gesellschaft stets diskutiert, sie gilt als zentraler moralischer Maßstab. Gerechtigkeit ist in jedem Fall ein sozialer Begriff, da sie auf den Umgang mit anderen bezogen ist. Sie wird in unterschiedlichen Formen untersucht: Nach Aristoteles wird unterschieden in die Gerechtigkeit entsprechend von Regeln und Gesetzen, in ausgleichende oder wiederherstellende Gerechtigkeit sowie in Verteilungsgerechtigkeit (vgl. Aristoteles, 2004: V. Buch).

In dieser Arbeit wird auf die Verteilungsgerechtigkeit eingegangen anhand der Darstellung von zwei Theorien: John Rawls geht in seiner Theorie der Gerechtigkeit insbesondere auf Verteilungsgerechtigkeit innerhalb einer begrenzten sozialen Gruppe ein, während Amartya Sen einen global gültigen Ansatz wählt. Die globale Gerechtigkeit verkörpert nach Sen einen sozialen Wert, der unterschiedliche Aspekte verschiedener Volksgruppen einbezieht.

Im Anschluss an diese Einleitung wird zunächst die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls dargestellt, wobei vorab eine theoretische Einordnung erfolgt, um danach wichtige Aspekte sowie Stärken und Schwächen dieser Theorie zu diskutieren.

Anschließend wird der capability approach, ins Deutsche übersetzt mit Befähigungsansatz, von Sen erläutert, der in einem ersten Abschnitt der aristotelischen Tugendlehre zugeordnet wird. Danach werden die Inhalte verdeutlicht und auf die Stärken und Schwächen eingegangen.

Schließlich erfolgen die Verbindung dieser theoretischen Ansätze und die Begründung für diese Verbindung sowie die Diskussion ihrer Konsequenzen. Im abschließenden Fazit folgt eine Zusammenfassung mit Blick auf den praktischen Bezug der Ansätze.

2. Grundlagen der Theorie der Gerechtigkeit nach Rawls

Die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls zeigt eine Möglichkeit auf, wie sozialpolitische Institutionen gerechte Verteilung innerhalb der Gesellschaft schaffen können. Dieses ist anhand von Faktoren möglich, die im Folgenden dargestellt werden. Um den Ansatz theoretisch einzuordnen, wird zunächst die kantische Perspektive Rawls’ verdeutlicht.

2.1. Theoretische Einordnung des Modells im Hinblick auf Kants Vertragsidee

John Rawls sieht sich selbst als Deontiker, in seinem Verständnis ist der Wert einer Entscheidung aber nicht vollkommen ohne Berücksichtigung ihrer Konsequenzen zu bemessen, schließlich zeigen auch die Folgen, ob die Entscheidung moralisch richtig ist. Vielmehr bestimmt sich für ihn im Gegensatz zu den Konsequentialisten das moralisch Gute nicht durch die Maximierung des Guten sondern durch das moralisch Richtige der Entscheidung oder Handlung, das selbst nicht maximierbar ist. In diesem Sinne ist auch die Theorie der Gerechtigkeit eine deontische Theorie. Es geht nicht um die Erreichung einer größtmöglichen Nutzensumme, das Maximierungsprinzip findet in Rawls’ Theorie keine Berücksichtigung (vgl. Rawls, 1975: 48 f.).

Rawls selbst nimmt die Einstufung seiner Theorie als Gesellschaftsvertragstheorie im Sinne von Kant vor und grenzt sie von utilitaristischen und perfektionistischen Theorien ab. Im Unterschied zu Kant beruft er sich hierbei auf einen abstrakten Begriff von Vertrag, in dem auf rein theoretischer Basis bestimmte moralische Regeln festgelegt werden (vgl. Rawls, 1975: 27 ff.). In diesem Zusammenhang verweist Rawls auch darauf, dass es sich bei den Vertragsparteien um vernünftige Menschen handelt und somit rationale Entscheidungen den Vertrag bestimmen. Durch die vereinbarten Grundsätze wird erreicht, dass die vertragsgemäße Verteilung von den beteiligten Personen als gerecht empfunden wird. Schließlich sind diese Grundsätze allgemein bekannt und veröffentlicht, so dass sich jeder zu jederzeit darauf berufen kann.

Einschränkend stellt Rawls fest, dass die Theorie der Gerechtigkeit keine vollständige Vertragstheorie darstellt, da er sich lediglich auf die Verteilungsgerechtigkeit und nicht auch auf weitere Tugenden bezieht. Damit wird der beschränkte Anwendungsbereich dieser Theorie deutlich (vgl. Rawls, 1975: 33 f.).

Die Vorgehensweise zur Schaffung der Verteilungsgerechtigkeit hat Rawls in seiner Theorie definiert, sie wird in den folgenden Abschnitten dargestellt.

2.2. Der Schleier der Unwissenheit im Urzustand

Der von Rawls angedachte Vertrag ist theoretisch in einem Urzustand zwischen den Menschen zu schließen. In diesem Urzustand als Ausgangssituation haben die Beteiligten einen Schleier der Unwissenheit, da sie keine Kenntnis über ihre gesellschaftliche Stellung, ihre physische Ausstattung und die eigenen Interessen haben. Dadurch sind die Vertragsparteien vollkommen gleichberechtigt und entscheiden rational über die Grundsätze der Gerechtigkeit (vgl. Rawls, 1975: 29 f.). Die Gerechtigkeit basiert somit auf der Vernunft und dem Einvernehmen der Beteiligten. Es erhalten ausschließlich solche sozialen Werte Bedeutung, die von allen anderen Gesellschaftsmitgliedern akzeptiert werden können.

Der Schleier der Unwissenheit führt dazu, dass ein Vertrag beschlossen wird, der jeden Menschen mit den gleichen Werten ausstattet unabhängig von seinem tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluss und den individuellen Möglichkeiten. Niemand kann für sich persönlich einen Vorteil festlegen, da keiner beurteilen kann, wie dieser Vorteil aussehen könnte. In diesem Sinne bezeichnet Rawls den Urzustand und den darin geschlossenen Gesellschaftsvertrag als fair. „Das rechtfertigt die Bezeichnung „Gerechtigkeit als Fairness“: Sie drückt den Gedanken aus, daß die Grundsätze der Gerechtigkeit in einer fairen Ausgangssituation festgelegt werden.“ (Rawls, 1975: 29).

Unter dem Schleier der Unwissenheit werden zum Einen für jeden Menschen gleiche Grundrechte beschlossen, zum Anderen werden ungleiche Verteilungen als gerecht beurteilt, wenn dadurch allen Vorteile erwachsen. So können zum Beispiel Institutionen der Macht eingerichtet werden, die die Machtbefugnisse einiger weniger Menschen legitimieren, um die Rechte für alle Gesellschaftsmitglieder zu wahren. Moralische Willkür wird durch diese Grundsätze ausgeschlossen (vgl. Rawls, 1975: 32).

Um sich den Urzustand vorstellen zu können, schlägt Rawls folgende Annäherung vor: Zunächst muss unterstellt werden, dass die Menschen die gegenseitigen Unterschiede nicht kennen, sie begeben sich also unter einen Schleier der Unwissenheit. Alle Menschen haben danach die gleichen Rechte und können gleichberechtigt Vorschläge machen. Um Grundsätze der Gerechtigkeit zu finden, nähert man sich durch rationale Überlegungen den Bedingungen, die allen Menschen unabhängig von ihren individuellen Verhältnissen gerecht werden. Durch diese Bedingungen können moralische Werte geschaffen werden, die durch die Intuition ermöglicht wurden und Ausdruck von Fairness sind (vgl. Rawls, 1975: 36 ff.).

2.3. Die Grundgüter der Gesellschaft nach Rawls

Im Fokus der Theorie von Rawls stehen die Grundgüter und ihre gerechte Verteilung innerhalb der Gesellschaft, nicht der gesellschaftliche Wohlstand an sich. Die soziale Gruppe und die Verteilung der Grundgüter in dieser Gruppe stehen deswegen im Vordergrund, da jeder Mensch bestimmte Güter benötigt, um seine Lebenspläne verfolgen zu können. Die Grundgüter erfüllen bei Rawls den Zweck, dass jede Person innerhalb der Gesellschaft ein gutes Leben führen und ihre Vorstellung vom moralisch Guten verfolgen kann (vgl. Rawls, 1975: 113).

Rawls verweist auf materielle Güter, bezieht in seiner Theorie aber genauso auch immaterielle Werte ein. Konkret bezeichnet er als Grundgüter „Dinge, von denen man annehmen kann, daß sie jeder vernünftige Mensch haben will.“ (Rawls, 1975: 83). Unabhängig davon, wie das Leben eines Menschen aussieht oder verläuft, benötigt jeder Rechte, Freiheiten, Chancen, Einkommen, Vermögen und Selbstachtung, um ein gutes Leben zu führen. Diese gesellschaftlichen Grundgüter, die von Rawls auch als soziale Werte bezeichnet werden, sollen in der Ausgangssituation gleichmäßig verteilt sein. Die Freiheit wird durch in der gesellschaftlichen Verfassung verankerte Rechte gesichert, während die Distribution materieller Güter durch Gesetze geregelt wird. Neben den gesellschaftlichen Grundgütern sieht Rawls weitere Grundgüter wie Lebenskraft, Intelligenz und Phantasie, die aber von der Gesellschaftsstruktur nur bedingt beeinflusst werden und natürliche Güter darstellen (vgl. Rawls, 1975: 83).

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Details

Titel
Eine Erweiterung der Theorie der Gerechtigkeit
Untertitel
Verteilungsgerechtigkeit dargestellt anhand der Theorien von John Rawls und Amartya Sen
Hochschule
Universität Hamburg  (Philosophisches Seminar)
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V131823
ISBN (eBook)
9783640404582
ISBN (Buch)
9783640404223
Dateigröße
412 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eine, Erweiterung, Theorie, Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Theorien, John, Rawls, Amartya
Arbeit zitieren
Martina Schroeder (Autor:in), 2007, Eine Erweiterung der Theorie der Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131823

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