Dimensionen gesellschaftlicher Differenzierungen bei Weber und Luhmann

Das Konzept der "Wertsphären" und der Ansatz der "Funktionssysteme"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. ) Max Webers Konzept der Wertsphären
1.1) Religionssoziologische Grundannahmen: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
1.2) Die vier Typen rationalen Handelns
1.3) Webers Wertsphärenkonzeption
1.4) Der „Werturteilsfreiheitsaufsatz“

2. ) Niklas Luhmanns Ausdifferenzierung in Funktionssysteme
2.1) Grundbegriffe der Systemtheorie
2.2) Die Differenzierungsform der Systemtheorie
2.3) Die Herausbildung der einzelnen Funktionssysteme
2.4) Kennzeichen einer funktional differenzierten Gesellschaft

3. ) Wertsphären und Funktionssysteme im Vergleich

Abschließende Betrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Schwerpunkt der soziologischen Forschung und des soziologischen Interesses lag von Anbeginn als wissenschaftliche Disziplin darin, die Gesellschaft als solches und die gesellschaftliche Entwicklung erklärbar zu machen. Wenngleich sich eine breite Theorienvielfalt herausgebildet hat, herrscht unter den verschiedenen Vertretern doch weitgehender Konsens darüber, dass die gesellschaftliche Entwicklung durch eine fortschreitende Differenzierung gekennzeichnet ist. Ende des 19. Jahrhunderts führte diesbezüglich der deutsche Soziologe Georg Simmel den Begriff der sozialen Differenziertheit in die Soziologie ein[1].

Unter Differenzierung wird ganz Allgemein die Aufteilung eines Ganzen in Einzelelemente verstanden, im soziologischen Sinne wird hiermit die Aufgliederung des gesellschaftlichen Ganzen in (z.B.) soziale Positionen, Lebenslagen, Systeme oder Milieus ausgedrückt.

Unter Differenzierung der Gesellschaft ist also eine fortschreitende Gliederung in verschiedene Teilbereiche gemeint, die sich immer mehr verselbständigen.

Im Gegensatz hierzu besteht in der soziologischen Theorie in Bezug auf die Art und die Dimension der Differenzierung als auch allgemein auf die Benennung der gesellschaftlichen Teilbereiche ein hohes Maß an Unstimmigkeit, die Anzahl der Konzeptionen ist vielseitig.

Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit zwei ausgewählten Konzepten zur gesellschaftlichen Differenzierung auseinander: Zum einen mit dem Ansatz der „Wertsphären“ von Max Weber und zum anderen mit den „Funktionssystemen“ Niklas Luhmanns.

Diesbezüglich sollen zunächst beide Ansätze vorgestellt und erläutert werden, um anschließend den Versuch zu starten, beide miteinander zu vergleichen.

Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit setzt sich dementsprechend mit Max Webers Konzept der Wertsphären auseinander, wobei zunächst auf die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus und die unterschiedlichen Typen rationalen Handelns als Vorbedingungen für die Herausbildung von Wertsphären eingegangen wird. Der zweite Passus wird dann Niklas Luhmanns Systemtheorie, die Herausbildung der einzelnen Funktionssysteme und die Kennzeichen einer funktional differenzierten Gesellschaft behandeln. Dem Vergleich zwischen „Wertsphären“ und „Funktionssystemen“ ist schließlich der dritte Abschnitt gewidmet.

1.) Max Webers Konzept der Wertsphären

Gemäß Max Weber differenzierten sich aufgrund einer besonderen Verbindung von kapitalistischen und religiösen Elementen die westlichen Gesellschaften in von ihm so bezeichnete Wertsphären.

1.1) Religionssoziologische Grundannahmen: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus

In seinen sehr ausführlichen Studien über die Religionssoziologie stellt Weber bereits in der Vorbemerkung fest[2], dass es kapitalistische Bestrebungen im Sinne des Strebens nach Gewinn in allen Gesellschaften zu allen Zeiten gegeben hat: „Kapitalismus [ist] identisch mit dem Streben nach Gewinn wobei umgekehrt das Streben nach Gewinn nicht zwingendermaßen gleich kapitalistisch sein muss. [...] In diesem Sinne nun hat es ,Kapitalismus’ und kapitalistische Unternehmungen’ [.] in allen Kulturländern der Erde gegeben.“[3]Kennzeichnend für den westlichen, okzidentalen Kapitalismus, der sich bereits in der frühen Neuzeit bildete, den mittelalterlichen Feudalhandel ablöste und sich seit der Industrialisierung zunehmend entfalte, ist dessen Verbindung mit der rationalen-kapitalistischen Arbeitsorganisation. In der okzidentalen Version des Kapitalismus entwickelten sich die freie Arbeit, die Trennung von Betrieb und Haushalt und die rationale Buchführung. Es entstehen die sich gegenüberstehenden Schichten von großindustriellen Unternehmern und freien Lohnarbeitern. Weber spricht von der „Entstehung des bürgerlichen Betriebskapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit.“ [4]

Obwohl es kapitalistische Strukturen in allen Gesellschaften gegeben hat, konnte sich der rationale Kapitalismus nur im Okzident ausbilden, was gemäß Weber im spezifisch gearteten ,Rationalismus’ der okzidentalen Kultur“[5] begründet liegt. Wichtiger und formender Bestandteil einer Kultur und daraus resultierend der Lebensführung ist die Religion und die mit dem Glauben verbundenen ethischen Pflichtvorstellungen. Zwischen religiösem Glauben und einer spezifischen Wirtschaftsgesinnung besteht also ein Kausalzusammenhang, da wirtschaftliches Handeln und Denken ja als Teil der Lebensführung angesehen werden kann.

In Bezug auf den Okzident spricht Weber von einem Zusammenhang „des modernen Wirtschaftethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus “ [6], womit er vor allem auf die Calvinisten verweist. Weber vertritt die Auffassung, dass diese spezifische Form des Kapitalismus aufgrund des Protestantismus (und der protestantistischen Lebensführung) entstand, der in Mitteleuropa dominierend war. Kennzeichnend für den Calvinismus ist vor allem die Tatsache, dass er (im Gegensatz zum katholizistischen Christentum) keine Erlösungsreligion darstellt, welche den Gläubigen für eine bestimmte (vorgeschriebene) Lebensform Erlösung (in Form des ewigen Lebens) anbietet. Dieser beruft sich vielmehr auf die Prädestinationslehre. Erlösung kann nach dessen Vorstellungen nicht erworben werden, da von vorneherein das Schicksal des Menschen entweder zur Verdammnis oder zur Seeligkeit vorherbestimmt ist. Gemäß der Westminster-Confession[7] von 1647, dem Glaubensbekenntnis vieler reformierter Religionsgemeinschaften, ist das Heil für den Menschen ein Geschenk göttlicher Gnade, wirtschaftlicher Erfolg wird also als Anzeichen von Auserwähltheit und späterer Seeligkeit interpretiert.

Die „protestantische Ethik“ der Calvinisten liefert eine Erklärung und Rechtfertigung für die charakterlichen Verhaltensweisen des Kapitalismus, da ihr eine innerweltliche Askese innewohnt. Zum Beweis der Auserwähltheit werden die Gläubigen zum wirtschaftlichen Erfolg angetrieben, erzielter Profit wird aber nicht dafür genutzt, die Freuden des Lebens zu genießen, sondern, um wieder aufs Neue zu investieren und zu produzieren, um neuerlich wirtschaftlichen Erfolg als Beweis für Auserwähltheit zu haben.[8] Deswegen rationalisieren Calvinisten ihre Lebensführung, was in allen Bereichen des Lebens deutlich wird: Nur im Okzident entstand so (gemäß Weber) eine gültig anerkannte Wissenschaft und ein bürokratischer Staat als Anstalt mit rationalisierter Verfassung, Rechten, Gesetzen und Verwaltung. Im Vergleich hierzu untersucht Weber das antike Judentum, sowie den Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus und Taoismus und stellt fest, dass diesen Glaubensrichtungen eben diese rationale Komponente fehlt[9], der okzidentale Kapitalismus also hier nicht entstehen konnte.[10]

1.2) Die vier Typen rationalen Handelns

In Bezug auf die Rationalisierung unterscheidet Weber vier Dimensionen: Das zweckrationale Handeln, die theoretische Rationalität, die formale Rationalität und die Wertrationalität.[11]Zweckrationales Handeln bedeutet nach Weber die rationale Abwägung und Tauglichkeitsüberprüfung der Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke und Ziele.

Unter theoretischer Rationalität wird in Hinblick auf die Handlungswirkungen allgemein die Suche nach Kausalzusammenhängen verstanden.

Während formale Rationalität die Bezugnahme auf universale Regeln darstellt, bezeichnet die Wertrationalität ein Handlungsprinzip, das an die Überzeugungen des Handelnden, also an den Willen des Akteurs ausgerichtet ist.

Max Weber vertat dabei die These, dass der oben angesprochene „okzidentale Rationalismus“, der den Kapitalismus westlicher Prägung „erschuf“ und seinerseits seine Wurzeln in der protestantischen Ethik des Calvinismus hatte, als eine Verbindung aller vier Rationalisierungsdimensionen angesehen werden konnte.[12]

Im Mittelpunkt stehen hierbei das zweckrationale Handeln und die Wertrationalität. Ersteres hat sich nach Weber aus dem traditionellen Handeln herausgelöst und will ein bestimmtes Ziel unter rationaler Abwägung möglicher Folgen mit den wirksamsten Mitteln verwirklichen. Dem gegenüber steht die Herausbildung der Wertrationalität, die entstehen konnte, da sich die Dimension des Wollens von gesellschaftlichem Handeln aus den religiösen Vorgaben gelöst hat.[13]Dieser Vorgang kann eigentlich als Paradoxon bezeichnet werden, da er aufzeigt, dass der Calvinismus und die von ihm vertretene Lebensführung den Gläubigen zu rationalem Handeln und hiermit zu einer Abkehr von den vertretenen calvinistischen Positionen aufruft. Anders hätte sich die die Dimension des gesellschaftlichen Wollens wohl kaum von den religiösen Vorgaben lösen können.

Charakteristisch für den „okzidentalen Rationalismus“ war also die parallele Rationalisierung in allen vier Dimensionen.

1.3) Webers Wertsphärenkonzeption

Gemäß Max Weber differenzierte sich die westliche Gesellschaft als Folge des vierdimensionalen „okzidentalen Rationalismus“ und der Herausbildung der Wertrationalität, welche aus Sicht Webers die wichtigste Dimension darstellt, in Wertsphären.

Hierbei können, so Weber, in modernen Gesellschaften sechs Wertsphären benannt werden: Religion, Ökonomie, Politik, Ästhetik, Erotik und Intellektualismus.[14]

Allerdings werden die einzelnen Sphären von Weber nicht tiefgreifender definiert, vielmehr stellt er die religiöse Sphäre den anderen gegenüber und arbeitet heraus, welche Spannungsverhältnisse sich zwischen den fünf anderen Sphären und der Religion zwangsläufig ergeben.[15]

Gemäß Weber stehen die Vorgaben der religiösen Brüderlichkeitsethik in klarem Widerspruch zu den Prinzipien der anderen Sphären, was in der ökonomischen am deutlichsten zu Tage tritt.

So besteht ein klarer Antagonismus zwischen der rationalisierten Wirtschaft und der religiösen Vorgabe, sein Heil durch die Ablehnung weltlicher Güter zu erlangen: „Die religiöse Virtuosenethik hat auf das Spannungsverhältnis [...] durch Ablehnung des ökonomischen Güterbesitzes reagiert. “ [16] Je mehr sich die ausdifferenzierende Ökonomie rationalisierte und ihren Eigengesetzlichkeiten folgte, sich also an Geldwerten orientierte, wobei Geld nach Weber „das Abstrakteste und Unpersönlichste’, was es im Menschenleben gibt“ [17] darstellt, desto unzugänglicher wurde sie für die religiösen Wertvorstellungen.

In Bezug auf die politische Sphäre verweist Weber auf den Dualismus zwischen dem einheitlichen Welt-Gott und dem rationalisierten bürokratischen Staatsapparat, der seine Geschäfte „ohne Haß und daher ohne Liebe, verrichtet“[18] und seine Gewalt nicht von ethischen Rechtsvorstellungen eines unfehlbaren „Gottes der Liebe“ abhängig macht.

Die Ästhetik, worunter Kunst bzw. Kultur verstanden wird, steht zur religiösen Sphäre und dessen Brüderlichkeitsethik in einem Konkurrenzverhältnis: Durch die Rationalisierung konstituiert sie Eigenwerte und wird zur „Kreaturvergötterung“[19].

[...]


[1] Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung [1892], in: ders, Gesamtausgabe Bd. 2: Aufsätze 1887-1890. Über sociale Differenzierung. Die Probleme der Geschichtsphilosophie, Frankfurt am Main, 2001. Über sociale Differenzierung online: http://www.digbib.org/Georg Simmel 1858/Ueber sociale Differenzierung Zu Simmel allgemein vgl. z.B. Mikl-Horke, Gertraude: Soziologie. Historischer Kontext und soziologische Theorie-Entwürfe, München 20015, S. 106-118.

[2] Weber, Max [1920]: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I, Tübingen 1988, S. 1-16.

[3] Ebenda, S. 4-6.

[4] Ebenda, S. 10.

[5] Ebd. S. 11.

[6] Ebd. S. 12.

[7] Die Westminster-Confession online: http://www.reformatio.de/bekenntnisse/WestminsterBekenntnis.pdf

[8] vgl. Aron, Raymond: Hauptströmungen soziologischen Denkens, Bd. 2, Köln 1971, S. 202-220.

[9] Die rationale Komponente fehlt, wie Weber betont, freilich auch beim Katholizismus und beim lutherischen Protestantismus, da auch diese Glaubensrichtungen Erlösungsreligionen darstellen.

[10]Weber, a.a.O. S. 536-573 (Zwischenbetrachtung).

[11]Ebd.

[12]Ebd. Vgl. auch Kalberg, Stephen: Max Webers Typen der Rationalität. Grundsteine für die Analyse von Rationalisierungs-Prozessen in der Geschichte, in: Sprondel, Walter/ Seyfarth, Constans (Hgg.): Max Weber und die Rationalisierung sozialen Handelns, Stuttgart 1981.

[13]Vgl. Pioch, Roswitha: Soziale Gerechtigkeit in der Politik. Orientierungen von Politikern in Deutschland und den Niederlanden, Frankfurt am Main 2000, S. 44f.

[14] Weber a.a.O. S. 536-573.

[15] Pioch a.a.O. S. 45f. Vgl. Oakes, Guy: Wertrationalität und Wertsphären. Kritische Bemerkungen, in: Gostmann, Peter/ Merz­Benz, Peter-Ulrich (Hgg.): Macht und Herrschaft. Zur Revision zweier soziologischer Grundbegriffe, Wiesbaden 2007, S. 28f.

[16] Weber, a.a.O. S. 545.

[17] Ebenda, S. 544.

[18] Ebd. S. 546.

[19] Ebd. S. 556.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Dimensionen gesellschaftlicher Differenzierungen bei Weber und Luhmann
Untertitel
Das Konzept der "Wertsphären" und der Ansatz der "Funktionssysteme"
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar "Dimensionen gesellschaftlicher Differenzierungen"
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V131809
ISBN (eBook)
9783640378029
ISBN (Buch)
9783640378586
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimensionen, Differenzierungen, Weber, Luhmann, Konzept, Wertsphären, Ansatz, Funktionssysteme
Arbeit zitieren
Joachim Graf (Autor:in), 2009, Dimensionen gesellschaftlicher Differenzierungen bei Weber und Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131809

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