Zeitschleifenfilme und ihr Umgang mit Kausalität, Schicksal und dem freien Willen


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 15


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Struktureller Ansatz
2.1 Die Geschlossene Form des klassischen Films
2.2 Die Offene Form des Zeitspulen-Films

3. Aufbau der Beispielfilme
3.1 Lola rennt
3.2 Smoking / No Smoking
3.3 Groundhog Day

4. Inhaltliche Motive
4.1 Kausalität
4.2 Schicksal
4.3 Freier Wille

5. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Leben ist bestimmt durch Entscheidungen, Handlungen und die daraus resultierenden Veränderungen durch und für den Menschen. Doch wie kann der Mensch herausfinden, welche die richtigen Entscheidungen sind und welche Handlungen zu den gewünschten Veränderungen führen?

Die Gewissheit, ob unsere Entscheidungen im Leben die Richtigen sind, besteht nie, da jede Handlung irreversibel ist und keinen Vergleich hat; „Was wäre wenn“ spielt sich nur in unserem Kopf ab.

Der Film, eines der stärksten visuellen Medien unserer Zeit, nimmt sich diesem Problem an. In filmischen Texten identifiziert sich der Zuschauer mit der Kamera und den filmischen Figuren, wodurch der Zuschauer sich als Subjekt des Films fühlen kann und eine Illusion der Selbstsicherheit, der Handlungsmöglichkeit und der Macht über das Gesehene erlebt.[1]

Somit kann der Zuschauer durch den Film von der Möglichkeit des gefahrenlosen Durchspielens durch Identifikation Gebrauch machen, um zu sehen, wie sich welche Handlungen im realen Leben auswirken könnten.

Diese durch fiktive Figuren ausgeführten Handlungen sind nicht nur durch die Surrealität reversibel, in manchen Filmen haben sogar die innerfilmischen Figuren die Möglichkeit, ihre Handlungen durch eine Wiederholung der Zeit neu zu gestalten.

Solche „Zeitschleifen“ sind zum filmischen Modethema geworden. Sie können in der Wiederholung eines Tagesablaufes, aber auch in einem ganz verschiedenen Lebensentwurf einer bestimmten Person vorliegen.

In der folgenden Arbeit soll der „Zeitschleifen-Film“ als eine Abkehr von der traditionellen, chronologischen Erzählstruktur näher untersucht werden. Die sich thematisch wiederholenden Motive der Vorherbestimmung des Lebens durch ein Schicksal bzw. die Möglichkeit der freien Selbstbestimmung in Zeitschleifen-Filmen werden in den drei Beispielfilmen „Lola rennt“, „Smoking/ No Smoking“ und „Groundhog Day“ analysiert.

Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet: „Inwiefern stellt das Konzept der in Episoden gezeigten, reversiblen Zeit im Film Handlungsmöglichkeiten im Leben unter Beeinflussung der möglichen Größen der Kausalität, des Schicksals oder des freien Willens dar?“

2. Struktureller Ansatz

2.1 Die Geschlossene Form des klassischen Films

Um die Abweichungen der Zeitspulen-Filme zu klassischen Modellen klarzumachen, muss diese zunächst definiert werden. Die traditionelle Dramaturgie der geschlossenen Form hat ihren Ursprung bereits in der Antike und ist bis heute im klassischen Hollywoodkino zu finden. Hiernach geht es hauptsächlich darum, den Zuschauer innerhalb einer bestimmten, immer wiederkehrenden Abfolge von Erzählteilen emotional in den Film einzubinden.[2] Diese bestimmte Abfolge ist in der populären Dramaturgie als „Drei-Akt-Form“ bekannt, das als dominantes Modell für den Mainstream-Film vorherrscht. Hiernach gibt es in jedem Drama eine Exposition, einen Konflikt und eine Auflösung, was nach David Bordwell als Kanonisches Handlungsschema bezeichnet wird.

The classical Hollywood film presents psychologically defined individuals who struggle to solve a clear-cut problem or to attain specific goals. In the course of this struggle, the characters enter into conflict with others or with external circumstances. The story ends with a decisive victory or defeat, a resolution of the problem and a clear achievement or nonachievement of the goals.[3]

Die Exposition führt also die Figuren und die Handlungssituation ein, macht den Hintergrund und die Einordnung deutlich und holt den Zuschauer bei seiner Erwartung ab. Der Konflikt etabliert sich durch einen spannungserzeugenden Wendepunkt, der die friedliche Welt der Exposition stört und dann im Höhepunkt mündet. Am Schluss soll ein Zustand von Stabilität und Etablierung von Ruhe nach einer Störung erreicht werden. In der geschlossenen Form der Dramaturgie kann ein tragischer Schluss oder ein Happy End vorliegen. Der Film löst alle im Text aufgestellten Konflikte und stellt keine weiterführenden, die inhaltliche Konstellation betreffende Fragen, die die Realität des Rezipienten beeinflussen könnten.[4]

Ein Interpretationsansatz des kanonischen Story Schemas ist die „erotetic narration“ (Fragestellende Erzählung) von Noel Carroll. Dieser sieht die Dreiteilung durch einen rezeptionsästhetischen Ansatz: In der Exposition des Filmes wird beim Zuschauer eine Frage konstituiert (z.B. Wird der Held gewinnen?). Diese Frage wird im Hauptteil durch Hypothesen, falsche oder teilfalsche Antworten versucht zu lösen. Erst im Schlussteil findet der Zuschauer nach mehreren Versuchen eine endgültige Antwort (Der Held gewinnt).[5] Die Frage-und-Antwort-Beziehung zwischen den Szenen am Anfang und denen am Ende des Films ist kontinuierlich, d.h., es wird ein ständiger großer Frage-Antwort-, bzw. Problem-Lösungs-Bogen gespannt, der auch noch in kleinere Makro-Bögen aufgeteilt werden kann.[6]

2.2 Die Offene Form des Zeitspulen-Films

Es ist jedoch nicht zwangläufig nötig, dass die spezifische Frage des Frage-Antwort-Bogens bereits am Anfang des Films beim Zuschauer konstituiert wird. Es gibt im Gegensatz zur „Dramaturgie der geschlossenen Form“ auch die „Offene Form“. Anstelle von einer runden, symmetrischen Erzählung, welche die kanonische Struktur einhält, wird bei dieser Form eher eine progressive Struktur verfolgt. Diese kann bspw. durch eine a-chronologische Narration erfolgen oder durch eine Wiederholung der Episoden.[7]

Ziel dieses „Offenen Kunstwerkes“ ist es nach Umberto Eco, beim Interpreten einen Raum bewusster Freiheit zu erzeugen, damit sich dieser aktiv für seine favorisierte Interpretation entscheiden kann, ohne die Vorschreibung des Autors. Das trifft im Film nur begrenzt zu, da die Auswahl ja nur auf eine begrenzte Anzahl der Varianten begrenzt ist.[8]

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen klaren Frage-Antwort-Bogen zu umgehen. Eine Möglichkeit ist es, keine klare Frage zu konstitutionieren, wie beispielsweise in „Letztes Jahr in Marienbad“ von Alain Resnais, wo es tatsächlich nur um die vage Frage nach Authentizität und Vergangenheit geht. Eine andere Variante besteht darin, innerhalb des filmischen Textes auf eine Frage mehrere Antworten bereitzustellen, wie beispielsweise bei „Rashomon“ von Kurosawa. Hier wird eine Geschichte in mehreren Varianten von Figuren erzählt, wobei bis zum Ende nicht klar ist, welche der Wahrheit entspricht.[9]

Die Filme „Smoking“ und „No Smoking“ von Alain Resnais sowie „Lola rennt“ von Tom Tykwer, welche im Verlauf der Arbeit genauer untersucht werden sollen, gehen einem anderen Schema, dem der Zeitschleife, nach. Im Exposé wird eine Frage formuliert, auf die im Film ebenfalls mehrere Antwortmöglichkeiten gegeben werden. Diese werden allerdings nicht von Figuren innerhalb der Textwelt angeboten, sondern erfolgen als neue Version der bereits in der Vergangenheit liegenden Filmsequenz. Durch eine verlinkte Struktur mit charakteristischen Knotenpunkten können alternative Versionen der bereits erzählten Geschichte neu aufgenommen werden.

Dieser mehrfache Versuch nach einer Beantwortung der Frage leitet im Schlussteil ein immer neues Ende ein. Wenn es hierbei zu einem aus der Perspektive der Figuren, bzw. des Zuschauers falschen Schluss kommt, gibt es also die Möglichkeit einer kompletten Neubeantwortung der Frage. Mit diesem Schema wird die Irreversibilität erzählter Zeit aufgehoben und damit auch die zeitlich versetzte Verwirklichung mehrerer Versionen der Geschichte möglich gemacht. Für den Zuschauer liegen räumlich verschiedene Pfade an den Knotenpunkten vor. In struktureller Hinsicht ist dies eine beschränkte Auflösung der Grenzen des chronologischen Textes (beschränkt durch die Vorgabe der Episoden).

Der besondere ästhetische Reiz besteht daraus, die neue Variante vor der Kontrastfolie der vorherigen Variante zu sehen.[10] Anders als bei dem klassischen Prinzip, welches nach Stellung der Ausgangsfrage auf eine bestimmte Lösung zusteuert, wird ein „es hätte auch anders sein können“ entgegengestellt. Dieser Umsturz narrativ linearer Muster durch die Aufspaltung in mehrere konträre Entwicklungen von einem Knotenpunkt ausgehend, ist Thema dieser „Entweder-oder-Filme“.[11]

Dieses Phänomen wird auch als „Zeitschleifen-Filme“ betitelt, da die lineare Narration an einem Knotenpunkt unterbrochen wird und sich der Zuschauer nun in einer Wiederholungsschleife der Zeit befindet. Theoretisch müsste in einer Wiederholung der Zeit jedes Ereignis exakt gleich stattfinden, da alle Akteure in jeder Situation gleich reagieren müssten (Dieses Phänomen ist allerdings nicht beweisbar, da eine tatsächliche Reise durch die Zeit nicht möglich ist). Da jedoch jede Episode innerhalb der Filmzeitschleifen unterschiedlich verläuft, ist davon auszugehen, dass die Akteure einen Veränderungsprozess erfahren haben, bzw. gelernt haben.

3. Aufbau der Beispielfilme

3.1 Lola rennt

In dem Spielfilm „Lola rennt“ (1998, Regie: Tom Tykwer) muss die Protagonistin Lola in 20 Minuten 100.000 Mark auftreiben, die ihr Freund Manni seinem Gangsterboss schuldet. Sie bittet ihren Vater um das Geld, überfällt eine Bank und spielt Roulette im Casino. Diese Suche nach dem Geld wiederholt sich zweimal, denn Lola hat drei Leben bzw. drei filmische Durchläufe. Beim ersten Mal stirbt Lola durch einen Schuss, beim zweiten Mal wird Manni am Ende überfahren und in der dritten Episode geht alles gut, die Protagonisten haben sogar 100.000 Mark mehr als benötigt.

[...]


[1] Vgl. Lowry, Stephen: Film - Wahrnehmung – Subjekt, S. 117ff.

[2] Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, S.116.

[3] Bordwell, David: Narration in the Fiction Film, S. 157.

[4] Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, S.116ff.

[5] Vgl. Correll, Noel: Mystifying Movies, S.170ff.

[6] Vgl. Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films, S.28f, 40f.

[7] Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, S.116.

[8] Vgl. Eco, Umbert: Das offene Kunstwerk, S. 30-31.

[9] Vgl. Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films, S. 41ff.

[10] Vgl. Mecke, Jochen: Ästhetische Differenz in Print- und Hypertext(fiktion), S. 5.

[11] Vgl. Eder, Jens: Dramaturgie des populären Films, S. 42f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zeitschleifenfilme und ihr Umgang mit Kausalität, Schicksal und dem freien Willen
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
SE Filmästhetik
Note
15
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V131777
ISBN (eBook)
9783640375998
ISBN (Buch)
9783640658893
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lola rennt, Groundhog Day, Smoking/ No Smoking, Filmästhetik, tykwer, resnais, Zufall, Butterfly Effect, Erzählformen, Narration
Arbeit zitieren
Sara Hank (Autor:in), 2007, Zeitschleifenfilme und ihr Umgang mit Kausalität, Schicksal und dem freien Willen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131777

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