Über den Lernprozess - Eine Grundlegung zur Diskussion um die Lernbehinderung


Hausarbeit, 2001

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Fundament oder Mein Standpunkt

Was ist nun Lernen

Funktion des Lernens

Wie Verhalten geändert wird
Gene und Umwelt oder Kann Lernen von außen kommen
Emotion und Aufmerksamkeit oder Auswählen und Entscheiden
Lernen muß einen Sinn machen oder Über den Unsinn des Lernzwangs
Über das Glauben und die Sinne

Das institutionalisierte Lernen oder Die Schule
Die Aufgabe der Schule
Die Rolle des Gedächtnisses oder Wie der Schüler prüfbar wird

Resümee

Literaturverzeichnis

Vorwort

Das Thema des Lernens erschloß sich mir, wie der Untertitel bereits andeutet, über den Begriff der Lernbehinderung. Da dies auch zuerst das Dach meines Hauses bildete, besorgte ich mir einige Bücher dazu. Nach einiger Zeit der Lektüre wurde mir allerdings immer klarer, daß diesem Dach ein Fundament vorgehen muß. Und dieses Fundament besteht nun im Begriff des „Lernprozesses“. Denn was nun hier behindert wird und ist, sah ich kaum oder nur an-satzweise behandelt. Nun will ich also den Prozeß des Lernens betrachten, um darauf aufbauend dann mich der Behinderung eben dieses zuzuwenden. Diese Zuwendung wird allerdings nur einen geringen Teil dieser Hausarbeit ausmachen, da mir ein gutes Fundament, ohne natürlich das Haus und das Dach aus den Gedanken zu verbannen, wichtig erscheint und ich das Dach auch gut gesichert wissen will.

Nun, weg von diesen schönen Worten und Idealen und hin zum Ausblick und zur Systematik. Ich will in dieser Hausarbeit das Lernen als Phänomen betrachten und nicht weiter darauf eingehen, wie man dieses nun verbessern, verschlechtern, manipulieren ohne jedoch darauf zu

vergessen, wie man dies behindern kann. Doch hoffe ich, daß diese Hausarbeit eigene Schlüs-se zuläßt und eben nach dieser Maxime will ich sie denn auch verfassen. Hierbei wird vor allem der Bereich der Neurobiologie und –psychologie von mir behandelt. Das bedeutet (für mich) auch, daß ich den Lernprozeß unter den Gesichtspunkten des Konstruktivismus betrachten will.

Allerdings verwende ich auch psychologisches und sogar philosophisches Material, um mich dem Thema zu nähern.

Der Lernprozeß wird von mir allerdings umfassend gesehen, sodaß diese Hausarbeit nur ein kleiner Einblick in das Thema darstellen und nicht ausreichen kann. Jedoch erhebe ich den Anspruch diejenigen Bereiche ausgewählt zu haben, die mir im Kontext der Heilpädagogik und der Lernbehinderung wichtig scheinen.

Sehr inspiriert wurde ich von Heschls (1998) evolutionsbiologischen, von Holzkamps (1995) kritisch-psychologischen, von Damasios (1997) neurologischen und wie immer von Roths (1996) konstruktivistischen Ansatz. Nicht zu vergessen sind die beiden Philosophen Kant (1998) und Hume (1989), deren Weltbild mein eigenes bereicherte.

Das Fundament oder Mein Standpunkt

Nun will ich zu Beginn dieser Arbeit eine Grundlage schaffen. Mit dieser soll der Leser vorbereitet und vor allem, etliche Zweifel und Fragen, die sich ihm während der Lektüre aufdrängen mögen, schon von vornherein abgeschwächt oder sogar beantwortet werden.

So scheint es mir wichtig zu erklären, daß ich grundsätzlich ein naturwissenschaftliches[1] Paradigma vertrete und mit dessen Mitteln auch den Begriff des Lernens fassen will. Dies bedeutet nicht, daß ich nicht auch andere Betrachtungsweisen schätze und auch für mich zu verwenden suche, sondern, daß mein Grundverständnis der Welt materialistisch ist. Da dieser Begriff allerdings allzu vorbelastet ist, will ich meinen Standpunkt eher als vom Ursache-Wirkungsprinzip ausgehend bezeichnen.

Das Thema mag im Leser bereits eine gewisse Verwunderung auslösen und doch muß es zu Beginn meiner Hausarbeit stehen, da es das Dogma ist, auf dem ich aufbaue. Dies zu erwäh-nen, rechtfertigt meiner Meinung nach alleine schon dieses Kapitel, doch ich will nun auch erklären, warum ich die Kausalität als Dogma also als Grundannahme und Fundament ansehe, daß akzeptiert, geglaubt und doch nicht für wahr gehalten werden muß.

Hume zur Grundsätzlichkeit der Kausalität: „so ist es ein in der Philosophie allgemein ange-nommener Grundsatz, daß, was zu existieren anfängt, einen Grund seiner Existenz haben müsse“ und gleichsam als Begründung, warum ich dieses Thema hier anspreche: „Diese Re-gel pflegt in unseren Urteilen als selbstverständlich vorausgesetzt zu werden“ (Hume 1989, S. 106). Nun, auch ich will diesem Grundsatz folgen, ohne allerdings zu vergessen, daß dieser eben ein Dogma, keine Wahrheit, ist, was Hume auch kurz darauf zum Schluß kommen läßt, daß „jeder Beweis, der für die Notwendigkeit von Ursachen vorgebracht worden ist, trügerisch und sophistisch ist“ (Hume 1989, S. 107/ Hervorgehoben – A.L.). Denn die Vorstellung einer Notwendigkeit von Ursache und Wirkung kann nur als Konstruktion unseres Gehirns gesehen werden, nicht als eine Gesetzmäßigkeit der Natur, da es für uns ausgeschlossen ist, diesen Zusammenhang, oder präziser formuliert, was nun zwischen Ursache und Wirkung, also das verbindende Moment, liegt, tatsächlich wahrzunehmen. Und doch ist es unmöglich eine Diskussion auf der Basis der Unwissenheit zu führen, weshalb ich den von Roth vertretenen nicht reduktionistischen Physikalismus (vgl. Roth 1996 S.23-25, 300-303) als übereinstimmend mit meinem Dafürhalten ansehe.

So gehe auch ich „von dem einheitlichen Wirkungszusammenhang der verschiedenen und verschieden erlebten Bereiche der Natur aus“ (Roth 1996, S.301). Sollte trotz alledem das Kapitel als unangebracht angesehen werden, so verweise ich auf die nachfolgenden Kapitel, die ohne das Kausalitätsprinzip in sich zusammenfallen würden. Und trotzdem, es sei mir erlaubt, erneut darauf hinzuweisen, ist dies ein bloßer Glaubensakt.

Was ist nun Lernen

Um diese Hausarbeit nicht ziellos lesen zu müssen, ist es unumgänglich eine Definition im wörtlichen Sinne voranzustellen. Ich will in dieser Diskussion das Lernen allgemein als Verhaltensänderung betrachten, die einen dauerhaften Charakter besitzt und durch sowie in Interaktion mit der Umwelt entsteht (vgl. Michel/Novak 1991, S. 217ff). Nicht trennen will ich das Lernen allerdings vom Reifungsprozeß, wie dies in der Psychologie oft getan wird (vgl. Schermer 1998 S.10-11), sondern beides als funktionale Einheit sehen.

Es ist mir weiters sehr wichtig zu bemerken, daß ich den Begriff des „Verhaltens“ nicht in seiner behavioristischen (behavior (engl).: Verhalten) und empirischen Tradition als von außen objektiv beobachtbaren Komplex der körperlichen Aktivitäten (vgl. Goldenberg 1997, S. 4) akzeptieren will, sondern als subjektiven Prozeß ansehe, der dazu dient eine wodurch auch immer bedingte Verschiebung der Homöostase auszugleichen.

Verhalten werde ich somit als die „Gesamtheit aller Körperbewegungen, Körperhaltungen und des Ausdrucksverhaltens“ (Humboldt-Psychologie-Lexikon 1990 S.397) , ganz gleich ob nun beobachtbar oder nicht, sehen. Allerdings schließt das nach meinem Verständnis der Körperlichkeit auch innerpsychische Prozesse mit ein. Angermeier (1984) bezeichnet dies als „eine überdauernde Veränderung (...) der kognitiven Struktur, die sich in motorischen oder verbalen Verhaltensweisen nachweisen[2] läßt“ (S.27).

In dem dargestellten Sinne wäre der Lernprozeß also die Verhaltensänderung selbst und gelernt wäre demnach das bereits existierende Verhalten oder nach Angermeiers Definition wären die bestehenden kognitiven Strukturen gelernt und die Veränderung derselben würden den Lernprozeß darstellen.

Funktion des Lernens

Auf dem eben festgestellten aufbauend stellt sich nun wohl als erstes die Sinn- oder Zweckfrage: Warum?

Man könnte diese Frage damit beantworten, daß Lernen dazu diene, Probleme zu lösen, oder eben ein Gleichgewicht herzustellen. Doch hiermit wäre nichts gesagt. Denn warum existieren nun diese Strategien?

Nach meiner Definition müssen alle Lebewesen, die Verhalten zeigen und im Austausch mit ihrer Umwelt stehen, was wohl bei jedem tierischen Mehrzeller mit einem Zentralnervensystem der Fall ist, lernfähig sein. Die Gebundenheit an ein ZNS ist wohl darauf zurückzuführen, daß jegliche Kognition an „neurale und hormonale Strukturen“ (Angermeier 1987, S. 102) gebunden ist. Doch auch damit wäre die Frage grundsätzlich nicht beantwortet. Ich meine, daß hier die Evolutionstheorie die beste Möglichkeit darstellt, die Existenz des Lernens zu erklären.

An diesem Punkt scheint es mir angebracht, eine kurze Erläuterung zum Begriff der „Evolution“ voranzustellen. Im Grunde genommen besagt diese nichts mehr, als daß es einen Weg gibt, auf dem „aus der Einfachheit Komplexität werden konnte“ (Dawkins 1994, S.41). Dieser Weg besteht nur aus zwei Elementen, der Mutation und der Selektion, wobei man diese auch unter Gen- und Umweltkomponente fassen kann.

Die Mutation ist also die individuelle Evolution, die ungerichtete[3] Veränderung (vgl. Heschl 1998, S. 39ff) des von den Eltern erworbenen genetischen Materials, die und nur die zu einer absoluten Neuartigkeit in der Überlebensfähigkeit bis zur Fortpflanzung oder des Fortpflanzungserfolges selbst führen kann. Am Moment der Selektion mag die berühmte Bezeichnung „survival of the fittest“ von Herbert Spencer (vgl. Heschl 1998, S.33) bekannt sein. Jedoch wurde dieser Ausdruck oft mißverstanden. Selektion besagt allerdings lediglich, „daß unterschiedlich ausgestattete Lebewesen in einem begrenzten Lebensraum mit begrenzten Ressourcen entsprechend unterschiedliche Überlebens- und Fortpflanzungschancen haben werden“ (S.33). Selektion ist also die Umwelt, die einen bereits lebenden Organismus mit seiner Ausstattung die Fortpflanzung ermöglicht, oder nicht.

Anhand dieser kurzen Abgrenzung des Evolutionsbegriffs, kann ich nun feststellen, daß die Fähigkeit zu lernen, sich durch die Evolution entwickelt hat, und daß diejenigen Individuen, die mit diesem Können ausgestattet waren, einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen hatten, da sie nun die Umwelt nicht nur wahrnehmen sondern auch in sich aufnehmen konnten. Ohne dieser Fähigkeit läge es nur an der Umwelt, eine Homöostase zuzulassen. Durch das Lernen ist es allerdings das Individuum, welches aktiv das Gleichgewicht herstellen kann.

[...]


[1] Im nachhinein fiel mir auf, daß gerade in der Diskussion um die heilpädagogische Anthropologie (vgl. Mattner/ Gerspach 1997, S.67ff) dieser Begriff ein rotes Tuch ist. Daher verweise ich auf die nachfolgende Ergänzung

[2] Nachweisen sehe ich hier im Sinne von „feststellen“ und nicht im Sinne von „beweisen“ (im Gegensatz zu Angermeier).

[3] An dieser Stelle möchte ich anmerken, daß dies keine Abkehr von der Kausalität darstellt, sondern lediglich mit diesem Zufallsbegriff ausgesagt wird, daß die Ursache dieser evolutionären Veränderung nicht an der Vererbung liegen kann, sondern wahrscheinlich durch ein ungenaues Kopieren der ursprünglichen Base im Gen entsteht (vgl. Dawkins 1997, S.46ff.)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Über den Lernprozess - Eine Grundlegung zur Diskussion um die Lernbehinderung
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz  (Fachbereich für Sozialwesen)
Veranstaltung
Heilpädagogisches Kolloquium
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V13139
ISBN (eBook)
9783638188678
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lernen
Arbeit zitieren
Andreas Liebeg (Autor:in), 2001, Über den Lernprozess - Eine Grundlegung zur Diskussion um die Lernbehinderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13139

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