Die Rolle des Grals in der Schwanrittergeschichte in Konrads 'Der Schwanritter' und Wolframs 'Parzival'

Mahr, Menschlichkeit, und die Frage nach der Genealogie


Hausarbeit, 2009

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Handlungsschema und Protagonist der Schwanrittersage: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Fassungen
2.1. Gemeinsames Handlungsschema der Schwanrittersage
2.2. Unterschiede in den Eigenschaften des Schwanritters

3. Der Gral und die Mahrteneigenschaften des Schwanritters
3.1. Die externe Instanz: Der Gral und seine Rolle in Beziehung zu Loherangrin
3.2. Die Funktion des Schwanritters und des Grals in der genealogischen Legitimation

4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der faszinierenden Welt der mittelalterlichen Literatur, an der labilen Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen der Erklärbarkeit der Welt und des Magi-schen der Anderswelt, verirren sich die Leser schon immer gerne. Die Geschichten um Halbmenschen, Dämonen oder Feen und deren Vermählung mit Menschen, ihre Bedingungen und Tabus und vor allem das große Mysterium des Grals sprießen überall in den mittelalterlichen Epen auf internationaler Ebene. Aus ihrer literari-schen Ausbreitung entstehen regelrechte Mythen, die in den Jahrhunderten bis heute mehr oder weniger variierter Gegenstand von Erzählungen, Gemälden, Musikstücken und Forschung gewesen sind. Was den Stoff rund um den Gral angeht, erstreckt sich der eigentliche Corpus über eine relativ beschränkte Zeitspanne, zwischen 1180 und 1240. In dieser Zeit fand die Verbreitung des Themas auf Deutsch, Französisch, Englisch, aber auch Norwegisch und Portugiesisch statt. Doch diese Epen waren in der zeitgenössischen Rezipientenkonstellation anders konnotiert und interpretiert als heute: sie erfüllten nicht ausschließlich eine Unterhaltungsfunktion, sondern enthiel-ten vielmehr wichtige Verknüpfungen an die zeitgenössische Realität: an das soziale Leben in der Gesellschaft, an ihre Geschichte, an die wichtigsten Diskussionsthemen und die großen kulturellen Veränderungen der Epoche. Sie spiegelten eine Weltan-schauung wider, in der sich die Rezipienten wiedererkannten, und boten Mitteilun-gen und indirekte Hinweise, die dem heutigen Rezipient leider größtenteils entgehen.

Die vorliegende Arbeit versucht, zwei dieser Epen der Zeit in Betracht zu ziehen, nämlich den Parzival von Wolfram von Eschenbach und Der Schwanritter von Kon-rad von Würzburg, beide aus dem deutschen literarischen Raum des 13. Jahrhunderts (genauer gesagt, Parzival 1205/15 und Der Schwanritter 1257/58 verfasst). Trotz des enormen Suggestivpotentials der gesamten Figuren und Motive der Erzählungen, vor allem im Parzival, liegt hier der Schwerpunkt in der Figur des Schwanritters und in der damit verbundenen Rolle des mythischen Grals, dessen Präsenz aber nur im Par-zival und nicht in Der Schwanritter für eine bedeutungsvolle Tatsache zu halten ist. Das von ihnen behandelte Schwanrittermotiv wird in Konrads Fassung zum Zentral-thema der gesamten Erzählung und detailliert geschildert, während die Episode im Parzival nur als eine lakonische, knappe Erwähnung innerhalb des 16. Buchs kurz vor dem Schluss erscheint. Trotzdem tauchen einige offensichtlichen Aspekte auf, die zu interessanten Überlegungen und Hypothesen führen. Durch eine vergleichende Analyse der zwei Fassungen werden der Kern des Handlungsschemas der Schwanrit-tersage sowie sämtliche Unterschiede in den zwei Figuren des Schwanritters offen-bar. Ferner wird der Gral in Zusammenhang mit dem Schwanritter gebracht. Außerdem werden einige Hypothesen zur möglichen Begründung der Besonderhei-ten von Wolframs Schwanritter und zur Verbindung der Episode mit dem Gral mit Bezug auf die Genealogie aufgestellt.

Zwei Prämissen sind meines Erachtens noch notwendig. Erstens muss man sich klar machen, von welcher analytischen Perspektive man ausgeht. Ich werde in der folgenden Arbeit von der Perspektive der Rezipienten ausgehen und daher über einen breiteren, aus der Schwanritterepisode an sich und sogar aus der Diegese hinaus-gehenden analytischen Überblick verfügen. In der Hinsicht ist es hilfreich, den Hori-zont im Parzival über die Binnenhandlung des Schwanrittermotivs hinaus zur gesam-ten Erzählung, also in Hinblick auf die ganze Figurenkonstellation, zu bewahren und diese Betrachtungsweise im Laufe der vorliegenden Analyse zu begründen.

Zweitens ist es sehr schwierig, wenn gar unmöglich und nicht der Funktionalität der Erzählung entsprechend, von Antworten als Ziel dieser Analyse um die Schwan-rittersage zu sprechen, gerade weil das Leitmotiv selbst eine Frage ist, die unbeant-wortet bleibt. Analog wird hier keine Antwort geliefert, sondern es werden eher noch mehr Fragen aus der näheren Auseinandersetzung mit dem Stoff gestellt, welche höchstens mit interpretatorischen Hypothesen beantwortet werden können. Einige der Fragen, die im Laufe der Arbeit gestellt werden, sind: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen dem Schwanritter im Parzival und im Schwan-ritter von Konrad? Warum bestehen diese Unterschiede? Welche Funktion erfüllt die Schwanrittersage in der zeitgenössischen Konstellation? Und wie erklärt man Loher-angrins Identifizierung als Schwanritter in Wolframs Erzählung, was bedeutet das für die gesamte Handlung? Und zuletzt: welche Rolle spielt der legendäre Gral im Zu-sammenhang mit dem Schwanritter und welche extradiegetischen Einbeziehungen trägt er mit sich?

2. Handlungsschema und Protagonist der Schwanrittersage: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Fassungen.

2.1. Gemeinsames Handlungsschema der Schwanrittersage

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden die zwei Fassungen der Schwan-rittersage unter die Lupe genommen und der gemeinsame Kern des Handlungssche-mas sowie die Unterschiede in der Handlung und besonders in der Figur des Schwan-ritters werden entfaltet.

Beide Fassungen schildern den Ursprung der Dynastie der Brabanter durch eine Legende, die aus dem französischen Literaturraum entnommen wird,[1] in denen dage-gen die Rede von der Dynastie der Bouillons war. Das ist schon ein wichtiger As-pekt, der die beiden Fassungen verbindet. Wie schon in der Einleitung vorwegge-nommen, besteht aber schon von vornherein ein Unterschied zwischen dem Erzähl-modus im Parzival von Wolfram von Eschenbach und Der Schwanritter von Konrad von Würzburg, denn der letzte ist trotz der beträchtlich geringeren Menge an konkre-ten Informationen über den Protagonisten ausschließlich auf die Schwanritterlegende bezogen, mit entsprechend detaillierten und vollständigen Beschreibungen der Sze-nen und der Handlung. Das ist umso offensichtlicher im Gegensatz zum Parzival, denn da wird die Schwanrittererzählung zu einer lakonischen, sehr schnell und grob dargestellten Binnenhandlung zum Schluss des 16. Buches, wobei der Erzähler wahr-scheinlich davon ausgeht, dass die Geschichte unter den Rezipienten schon bekannt ist. Die Binnenhandlung ist auch in Hinblick auf die Figurenkonstellation Teil der äußeren Handlung, denn Loherangrin, der Sohn Parzivals, tritt als Schwanritter in der Erzählung auf. Das erfährt man allerdings erst am Ende der Erzählung, sein Name wird erst am Ende direkt vom Erzähler enthüllt.

Jedenfalls kann man trotz der Knappheit von der Schwanritterepisode im Parzi-val in den zwei Erzählungen gewisse strukturelle Parallele erkennen, die paradigma-tisch für das Schema der Schwanrittersage sind. Folgende Handlungspunkte sind in beiden Fassungen zu finden: die Herzogin von Brabant, die tugenthaft[2], vor aller valscheit bewart[3] und voller diemuot[4] ist, lebt alleine in Antwerpen und wird von vielen Freiern umworben. Sie will aber nur denjenigen heiraten, den ihr Gott sendet. Ein Ritter wird zu ihr gesandt auf einem Schiffchen, gezogen von einem Schwan, und ist bereit, die Ehe mit ihr unter der einen Bedingung zu schließen, dass sie ihn niemals nach seiner Herkunft fragen soll:

gevrâget nimmer wer ich sî:

sô mag ich iu belîben bî.

bin ich zwierr vrâge erkorn,

sô habt ihr minne an mir verlorn.[5]

Die Herzogin willigt ein, sich an das Frageverbot zu halten, die Ehe kann erfol-gen und sie bekommen auch Kinder. Nach einer gewissen Zeit stellt ihm die Frau je-doch die verbotene Frage und bricht somit den Pakt zwischen ihnen. Der Schwanrit-ter verlässt nun die Frau und die Kinder und kehrt wieder an den Ort zurück, von dem er gekommen war.

Das ist der Teil der Geschichte, den die beiden Fassungen gemeinsam haben. Kommen wir nun zu den Unterschieden zwischen den Fassungen. Die signifikantes-ten Abweichungen sind folgende: erst einmal die Tatsache, dass Loherangrin beim Verlassen seiner Frau ein swert, ein horn, ein vingerlîn[6] hinterlässt, während von ihm im Schwanritter keine Spur außer dem Zeugnis der bloßen Erinnerung bleibt. Das fügt zur Figur Loherangrins ein empirisches, aus der menschlichen materiellen Welt kommendes Merkmal hinzu. Noch eine signifikante Abweichung kommt in dem Mo-ment zustande, als die Frage gestellt wird: während nämlich die Frage im Parzival aus Liebe[7] und in einer ungenaueren Zeit gestellt wird, stellt die Herzogin in Konrads Der Schwanritter die Frage an einem bestimmten Punkt, nämlich als die Kinder schon größer und heiratsfähig sind. So heißt es in Konrads Fassung:

sô man nu frâget unser kint

hernâch umb ir geslehte,

so enkunnen si ze rehte

bescheiden noch bediuten,

von welher hande liuten

ir quaemet her in disiu lant.[8]

Der Grund für den Verstoß gegen das Frageverbot ist also ein ganz anderer: die Herzogin fragt ihn nicht direkt, auch nicht konkret aus Liebe, sondern sie antwortet erstens auf eine direkte Frage seitens des Schwanritters, nämlich „waz wirret iu?“[9], und zweitens bezieht sie sich auf die Verheiratung der Kinder und auf deren Bedürf-nis, über ihre eigene Herkunft zu wissen. Für die Rezipienten wird die Frage nach der Identität im Falle des Parzival beantwortet, nicht aber bei Der Schwanritter. Wie im Laufe der Analyse klar wird, spielen diese Unterschiede in der Schwanritterepiso-de des Parzival eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Frage nach der Genealo-gie. Aber im Folgenden werden noch weitere Unterschiede in der Figurenkonstella-tion, vor allem mit Schwerpunkt auf dem Schwanritter, dargelegt und genauer analysiert, die im Schwanritterschema eine sehr interessante Problematik aufrufen.

2.2. Unterschiede in den Eigenschaften des Schwanritters

Zuerst einmal wird die Figur des Schwanritters in den zwei Erzählungen in Be-tracht gezogen. Wie schon kurz in der Einleitung erwähnt, kann die Schwanritterer-zählung im Parzival von der Außenerzählung nicht getrennt werden, obwohl Bumke von der separaten Funktion der Episode überzeugt ist aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum disharmonischen Programm des 16. Kapitels, welches die Erschaffung einer Metabedeutungsebene mit Entstehung unbeantworteter Fragen zur Folge habe.[10] Im Rahmen der hier erfolgenden Analyse wird die Episode jedoch aufgrund gemeinsa-mer Verknüpfungselemente auf der Handlungsebene und aus der Perspektive der Re-zipienten als ein Bestandteil der Außenhandlung betrachtet. Informationen, die nicht explizit in der Episode vermittelt werden, wie zum Beispiel die Identität oder Her-kunft Loherangrins, können trotzdem aufgrund voriger und späterer Elemente der Außenhandlung abgeleitet oder explizit erfahren werden. Aus diesem Grund erfolgt die vorliegende Betrachtung auch unter Berücksichtigung sämtlicher Informationen, die auch in der gesamten Parzivalgeschichte präsent sind.

[...]


[1] Die älteste schriftliche Quelle, die den Schwanritter mit den Bouillon verbindet, ist ein aus dem XII Jahrhundert stammender Brief vom französischen Guy de Bazoche, der meint, Balduin von Bouillon (Goeffreys Bruder) sei der Neffe vom “myles cygni”. Einige Jahre nachdem auch der Bischof Guillaume de Tyr, Autor einer Chronik über den ersten Kreuzzug ins Heilige Land, die Herkunft vom Schwanritter im Zusammenhang mit Goeffrey von Boulogne erwähnt, erschien Ende des XII Jahrhundert die poetische Fassung La Chanson d’Antioche des Trobadeurs Graindor de Douai.

Vgl. Sabina Marineo, Il mito dei Merovingi e del Re Perduto, 2007.

[2] Schwanritter, V. (20) 162.

[3] Parzival, V. 824, 3.

[4] Ibid., V. 824, 12.

[5] Ibid., V. 825, 19-22.

[6] Ibid., V. 826, 19.

[7] Ibid., V. 825, 26.

[8] Schwanritter, V.1430-1435.

[9] Ibid., V. 1408.

[10] Vgl. Bumke, 1991. S. 236-263.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Grals in der Schwanrittergeschichte in Konrads 'Der Schwanritter' und Wolframs 'Parzival'
Untertitel
Mahr, Menschlichkeit, und die Frage nach der Genealogie
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut Germanistik Lehrstuhl Germanistische Mediävistik und Frühneuzeitforschung)
Veranstaltung
Gestörte Mahrtenehen in der mittelalterlichen Erzählliteratur
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V130930
ISBN (eBook)
9783640401871
ISBN (Buch)
9783640401925
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Grals, Schwanrittergeschichte, Konrads, Schwanritter, Wolframs, Parzival, Mahr, Menschlichkeit, Frage, Genealogie
Arbeit zitieren
Dott. Manuela Gallina (Autor:in), 2009, Die Rolle des Grals in der Schwanrittergeschichte in Konrads 'Der Schwanritter' und Wolframs 'Parzival', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130930

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