Die Dörperwelt in den Liedern Neidharts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Autor Neidhart

3. Die Dörperwelt
3.1. Begriffsentstehung der Dörper
3.2. Charakterisierung der Dörper
3.2.1. Kleidung
3.2.2.Benehmen
3.2.3. Lebenswelt
3.2.4. Namen
3.3. Der Spiegelraub
3.4. Deutungsebenen

4. Elemente aus dem Minnesang
4.1. Minnesang allgemein
4.2. Minnesangelemente bei Neidhart
4.3. Umkehrung der Minnesitten
4.4. Der höfische Sänger

5. Abschluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Neidhart ist einer der originellsten und einfallsreichsten Dichter seiner Zeit. Über kaum einen anderen mittelhochdeutschen Autor gibt es so viele unterschiedliche Interpretationsansätze und Auffassungen seiner Lieder.

Der Dissens beginnt mit der Frage der Echtheit der Lieder Neidharts, wie die verschiedenen Textausgaben und Überlieferungen zeigen.[1] Insgesamt sind etwa 1500 Strophen und 150 Lieder überliefert, die Neidhart zugesprochen werden.[2] Sie unterscheiden sich in Inhalt, Form und Stil, so dass es in der Forschung zur Echtheitsdiskussion kam und die Strophen und Lieder in >echte< und >unechte< Texte unterschieden wurden. Ob es sich beim Autor nun um Neidhart selbst oder einen >Pseudo-Neidhart< handelte, ist nicht mehr zu rekonstruieren und liegt in der Betrachtung und Analyse des Lesers selbst.[3]

In dieser Hausarbeit beziehe ich mich auf die Textausgabe von Edmund Wießner[4], ohne die Echtheit der Lieder und die Reihenfolge der Strophen zu beurteilen.

Neidharts Lieder werden in zwei große Gruppen unterteilt: die Sommerlieder (SL) und die Winterlieder (WL). Sie unterscheiden sich im Aufbau, der Thematik und den Aussageintentionen. In den SL ist der sommerliche Natureingang als Stimmungsauftakt kennzeichnend , es wird von Sommerfreude, Tanz- und Liebeslust berichtet. In Dialogen treten u.a. Mutter und Tochter auf, die um die Gunst des Ritters buhlen oder Gespielinnen, die sich gegenseitig von den Vorzügen des von Riuwental berichten. In den WL hingegen wird anfangs das Vergehen des Sommers und der Einzug des kalten Winters beklagt. Der Tanz, die Liebessehnsucht und –klage sowie die Berichte über das Verhalten der Dörper stehen im Mittelpunkt. Während der Sänger in den Sommerliedern noch erfolgreich um die Frauen warb, klagt er hier über die vergeblichen Liebesbemühungen.

Dem Dichter Neidhart werden eine Vielzahl von Liedern zugesprochen, die in ihrer Gänze keineswegs farblos und eintönig erscheinen, obwohl sie – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nach einem ähnlichen Muster „gestrickt“ sind.

Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, zu untersuchen, welche Elemente in den Liedern zu finden sind und wie es Neidhart gelingt, diese wenigen Hauptkomponenten – Minnesangelemente und Dörperwelt – einfallsreich immer wieder zu mischen und neue Lieder zu erschaffen.

Ein Schwerpunkt der Neidhart-Lieder liegt auf der Beschreibung des Treibens der Dörper und den Reaktionen des Sängers auf sie. Wer oder was die Dörper sind, und wie der Sänger mit ihnen in Beziehung tritt, soll ein Bestandteil dieser Arbeit sein.

Dabei ist die Betrachtung der realen Figur des Autors und der Zeit sowie ein Überblick über den derzeitigen Forschungsstand notwendig. Weiterhin soll hier die Charakterisierung der Dörper herausgearbeitet werden.

In einem zweiten Schritt sollen die Lieder nach darin enthaltenen Elementen des Minnesangs untersucht werden. Dabei wird die Unterscheidung getroffen, inwiefern der Dichter diese Elemente ungebrochen – also unverändert – bzw. gebrochen – verändert oder erweitert – eingesetzt hat. Am Ende soll die Frage beantwortet werden, aus welchen Komponenten die Lieder Neidharts bestehen und wie er sie immer wieder neu zusammensetzt.

2. Der Autor Neidhart

Die Person des Dichters näher zu bestimmen fällt schwer, da weder eine Chronik noch eine Urkunde das historische Leben Neidharts bezeugt. Die einzigen Belege über die Existenz eines Autors namens Nîthart finden sich in den Werken anderer mittelhochdeutscher Autoren, zum Beispiel in Wolfram von Eschenbachs Willehalm oder Titurel. Man kann also davon ausgehen, dass „der mhd. Lyriker zu seiner Zeit nur unter dem einen Namen Nîthart bekannt war und so von Zeitgenossen und literarischen Nachfahren genannt wurde.“[5]

Im Text erscheint ein zweiter Name: von Riuwental. Dieser gab Anlass dazu, den Autor als >Neidhart vom Reuental< zu bezeichnen. Trotz dem Umstand, dass die Namen Neidhart und von Reuental niemals zusammen genannt werden[6] und der bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorgebrachten Überlegungen Grimms und von der Hagens, die Nîthart und Riuwental nicht als reale, sondern als spöttische Namen werteten[7], hält sich der Name >Neidhart von Reuental< hartnäckig bis in neuere Forschungen.[8]

Die Existenz eines realen Riuwental ist bis heute nicht erwiesen, auch wenn zwei ähnlich lautende Ortsnamen – Rewental im Kreis Freising und Reintal in der Nähe von Landshut – in die Diskussion eingebracht wurden.[9]

Sicher ist, dass der Autor Neidhart eine gewisse Zeit als Sänger in Bayern und von dort, aus nicht näher bekannten Gründen, um 1230 nach Österreich ging. Einziger Anhaltspunkt für das Verlassen Bayerns ist im Winterlied 24, VIII,1 zu finden. Dort heißt es: „Ich hân mînes herren hulde vloren âne schulde“. Es gibt gelegentliche Anspielungen auf historische Ereignisse und Personen, so dass man den ungefähren Entstehungszeitraum aller Lieder (1200/10 – 1240[10]) als relativ gesichert betrachten kann.[11]

Die Forscher nehmen an, dass sich Neidhart zusammen mit seinen Gönnern auf Reisen und Kreuzzüge begeben hat, da in verschiedenen Winterliedern (z.B. den sog. Kreuzliedern) darüber berichtet wird. Allerdings wäre es auch möglich, dass er diese wenigen historischen Angaben über die Zustände während der Reisen und die Anzahl der Toten im Kreuzzug auch im Heimatland erfahren und in seinen Dichtungen verarbeitet hat.

Fraglich bleibt aber sein Stand, denn als Ritter wird die literarische Figur Neidhart bezeichnet und nicht der Autor selbst. Es ist aber davon auszugehen, dass der Autor Neidhart dem ritterlichen bzw. adligen Stand angehörte, denn er genoss eine gewisse Bildung, die ihn befähigte, lyrisch tätig zu sein. Auch besaß er Kenntnis über die gängigen mittelhochdeutschen Autoren und die Sitten am Hofe. Ob er nun unter ständigem Geldmangel litt oder die „Arme-Ritter-Klagen“ nur poetisch einsetzt, ist nicht mehr zu rekonstruieren.

Das Spiel mit Identität, fiktiver Welt und mehrschichtiger Sängerrolle erschwert den Blick auf die tatsächliche Person und lässt viel Raum zur Diskussion. In der Forschung geht man davon aus, dass der Lyriker Neidhart für seine Dichtung mehrere Rollen geschaffen hat und somit der Sänger in seinen Liedern als Kunstfigur auftritt und nicht mit dem Dichter Neidhart identisch ist.

3. Die Dörperwelt

3.1. Begriffsentstehung der Dörper

Um 1200 wurden Lehnwörter wie ritter, knappe und wappen in den oberdeutschen Wortschatz, speziell in die höfische Dichtung übernommen. Zu dieser Gruppe gehört auch das Wort dörper, welches aus dem Niederländischen/Niederdeutschen entlehnt wurde.[12] Vor Neidhart finden sich bei anderen mittelhochdeutschen Autoren, z.B. im Eneas-Roman von Heinrich von Veldeke und in Gottfried von Straßburgs Tristan sowie im Minnesang bei Walter von der Vogelweide, Wörter mit dem gleichem Wortstamm: dörperheit, dörperichkeit und dörperlîch. Es wurde hier im Sinne von >unhöfischem Benehmen< benutzt.[13]

Neidhart benutzt das Importwort dörper als Bezeichnung der Protagonisten seiner Lieder. Schweikle geht davon aus, dass ein Autor seine Wortwahl wohlüberlegt trifft. Somit ist anzunehmen, dass Neidhart das Wort dörper von den oben genannten niederdeutschen Wörtern abgeleitet und somit eine Kunstfigur geschaffen hat, die Personen bezeichnet, die diese bestimmten unhöfischen Verhaltensweisen verkörpern.[14]

3.2. Charakterisierung der Dörper

Die eigentliche Auseinandersetzung zwischen dem Sänger und den Dörpern ist auf die Winterlieder konzentriert. Sie sind protzig auftretende Schläger, die durch grobes und plumpes Benehmen beim Tanz, Spiel und vor allem Frauen gegenüber negativ auffallen. Immer wieder geraten sie mit dem Sänger in Streit und es kommt zu körperlichen Auseinandersetzungen. Im Folgenden sollen die Darstellungen der Dörper näher betrachtet und deren Bedeutung in Neidharts Liedern analysiert werden.

3.2.1. Kleidung

Bereits im WL 1 begegnet uns Lanze, der eine treien treit, dui ist von barchâne / grüene alsô der klê. /.../ dar in er gesteppet hât / ein guot îsnîn hemde. Das Kettenhemd scheint hier in Anlehnung an die ritterliche Rüstung aufzutauchen. In verschiedenen Winterliedern werden weitere Rüstungselemente[15] und Waffen (Schwert) genannt. Diese trägt der jeweilige Dörper zusammen mit einem Gürtel – Schwertgurt –, der zweier hende breit (WL 4, V, 5 und WL 24, X, 2) ist. Im WL 24 wird die Kleidung der Dörper explizit beschrieben:

Enge röcke tragent sî und smale schaperûne,

rôte hüete, rinkelohte schuohe, swarze hosen.

(WL 24, V, 1-2)

In seidenen Beuteln tragen sie Gewürze (ingewer) mit sich. Ebenso übertrieben gekleidet wird Hildemar im WL 29 beschrieben:

Die Hildemârs gelöschten schuoh die sint von rôtem ledere:

dâ sint tschappel an genât mit bilden dür diu knie.

(WL 29, VIIIa, 1-2)

Die Kleidung ist meist aus Seide oder einem anderen guten Stoff (Ôsterriches touches’, WL 18, II, 5) gefertigt. Die Ärmel sind wie der Rock ebenfalls eng geschnitten und mit Pelz besetzt: enge ermel treit er lanc, / die sint vor gebræmet, / innen swarz und ûzen blanc. (WL 27, VII, 9-11).

Auf dem Kopf tragen die Dörper rote Hüte, Blumenkränze und Hildemar sogar eine kostbare bestickte Haube:

Alle dûhten sî sich wert

mit ir langem hâre,

hiuwer tumber danne vert.

Seht an Hildemâren!

Der treit eine hûben, diu ist innerhalp gesnüeret

und sint ûzen vogelîn mit sîden ûf genât.

(WL 29, V, 5-VI, 2)

Neben der Haube werden auch seine Haare beschrieben, die ihm lang gelockt bis zum Kinn hängen. Es ließe sich noch eine Fülle von Belegen aufführen, die die aufwändige Kleidung der Dörper beschreibt, aber die bereits genannten bieten einen hinreichenden Eindruck der Kleider. Insgesamt sind ihre röcke nâch der hovesite und wol beslagen waren in ir gürtel beide sam (WL 18, II, 5) und sie entsprechen denen einer adligen Dame oder eines Herren seiner Zeit.[16]

[...]


[1] Es sind 25 handschriftliche Überlieferungen aus dem 13. – 15. Jahrhundert zu finden, zum Teil als Autorsammlungen mit unterschiedlichem Umfang und Inhalt auf Pergament, aus dem 13. und 14. Jahrhundert, und Papier, aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Vgl. Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart 1990, S. 1-2.

[2] Vgl. ebd., S. 20.

[3] Vgl. ebd., S. 38: „Bis heute hat die Textphilologie keine verlässlichen Kriterien entwickelt [...], um Urteile über >echte< und >unechte< Lieder objektiv zu begründen [...]. Weder die >Echtheit< mittelalterlicher Lieder noch ihre >Unechtheit< lässt sich letztendlich beweisen“.

[4] Die Lieder Neidharts, hg. von Edmund Wießner, fortgeführt von Hanns Fischer: Fünfte, verbesserte Auflage hg. von Paul Sappler. Mit einem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer. Tübingen 1999 (ATB Nr. 44).

[5] Schweikle (1990), S. 51.

[6] Vgl. Ebd., S. 52.

[7] Vgl. F.H. von der Hagen; Grimm: „Was die Namen betrifft, so ist der des Nitharts unstreitig ein mythischer, er bedeutet einen neidischen, schadenfrohen, dergleichen Neithart in Beziehung auf die Torper war.“ Zitiert nach: Schwarz, Jan-Christian: „derst alsô getoufet daz in niemen nennen sol“. Studien zu Vorkommen und Verwendung der Personennamen in den Neidhart-Liedern. Hildesheim 2005, S. 30, Anm. 28.

[8] Vgl. beispielsweise die Reclam-Ausgabe von Helmut Lomnitzer: Neidhart von Reuental (RUB 6927).

[9] Vgl. Schweikle (1990), S. 53.

[10] Vgl. Schweikle (1990), S. 63: „Neidharts Tod wird um 1240 angesetzt [...]. Der Tod seines Gönners 1246, des letzten Babenbergers, wird nicht mehr erwähnt.“

[11] Vgl. Behr, Hans-Joachim: Ich gevriesch bî mînen jâren nie gebûren alsô geile... Neidharts ‚Dörper’- Feindlichkeit und das Problem sozialen Aufstiegs im Rahmen des Territorialisierungsprozesses in Bayern und Österreich. In: Neidhart von Reuental. Aspekte einer Neubewertung, hg. von Helmut Birkhan. Wien 1983 (Philologica Germanica 5), S.3.

[12] Vgl. Schweikle (1990), S. 123.

[13] Vgl. ebd., S. 123-124.

[14] Vgl. Schweikle, Günther: Dörper oder Bauern. Zum lyrischen Personal im Werk Neidharts. In: Ders.: Minnesang in neuer Sicht. Stuttgart 1994 (SM 981), S. 422 ff.

[15] peckkelhauben (Brustharnisch) WL 24, Va, 2; buosemblech (Brustpanzer) WL 27, VII, 7; hiubelhuot (eine Art Helm) WL 10, VI, 2.

[16] Vgl. Lehmann-Langholz, Ulrike: Kleiderkritik in mittelalterlicher Dichtung. Der Arme Hartmann, Heinrich ‚von Melk’, Neidhart, Wernher der Gartenaere und ein Ausblick auf die Stellungnahmen spätmittelalterlicher Dichter. Frankfurt/Main 1985, S. 23 ff (In den Kapiteln 2 und 3 beschreibt sie die Kleidung der höfischen Frau und des höfischen Mannes).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Dörperwelt in den Liedern Neidharts
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
Neidhart und Neidhartiana
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V130825
ISBN (eBook)
9783640368853
ISBN (Buch)
9783640369249
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dörperwelt, Liedern, Neidharts
Arbeit zitieren
Anke Herrmann (Autor:in), 2004, Die Dörperwelt in den Liedern Neidharts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130825

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