Der Konflikt der Hegelschen Rechtsphilosophie mit dem Liberalismus


Seminararbeit, 2008

22 Seiten


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Der Ursprung der Hegelschen Rechtsphilosophie, Aufklärungskritik und der Streit mit der Historischen Rechtsschule

3. Der Staat und die Freiheit
i. Der Staatsgedanke bei Hegel
ii. Der Vertrag bei Hegel, Definition und die daraus folgende Kritik an einem Gesellschaftsvertrag
iii. Das Problem der Souveränität
iv. Der Freiheitsbegriff bei Popper und Hegel

4. Fazit

Literatur

1. EINLEITUNG

Hegels Rechtsphilosophie als einen Verfassungsentwurf zu verstehen, dessen höchste Priorität in der Sicherung der Freiheit liegt, fällt bei einer ersten Lektiire keineswegs leicht. Der hegelsche Staat, eine Erbmonarchie mit einem komplexen Gesellschaftssystem aus Ziinften, staatlichen Behörden und anderen Organen, scheint dem Individuum jede persönliche Freiheit zu nehmen und ihn in einem komplexen System der Bediirfnisse und Pflichten zu ersticken.

Dies macht die beigende Kritik Karl Poppers auf den ersten Blick verständlich. Popper widmet Hegel ein Kapitel seines Texts iiber die offene Gesellschaft1, das zwischen Spott, Polemik und offenem Hass jede mögliche Form der Antipathie enthält. Er wirft Hegel eine „Revitalisierung des Mythos von der Hordea2 vor, die Einfiihrung einer autoritären Staatsideologie, die im Auftrag der preugischen Obrigkeit entwickelt worden war3, um die Etablierung einer offenen, freiheitlichen Demokratie in Deutschland zu verhindern.4

In dieser Arbeit soll die Auseinandersetzung der hegelschen Rechtsphilosophie mit dem Liberalismus untersucht werden. Das Problem, eine allgemein giiltige Definition von Liberalismus zu geben, soll durch Karl Popper gelöst werden, dessen Kontrast zu Hegel als Ausgangspunkt eines Vergleichs genommen wird. Dabei ist zunächst die Herkunft und Grundstruktur der Rechtsphilosophie zu untersuchen, desweitern die Staatskonzeption Hegels. An Hand der Vertragstheorie soll die Inkompatibilität beider Systeme gezeigt werden, um dann iiber die Frage der Souveränität zum eigentlichen Schliisselbegriff, nämlich der Freiheit, zu kommen.

2. DER URSPRUNG DER HEGE LSCHEN RECHTSPHILOSOPHIE. AUFKLARUNGSKRITIK UND DER STREIT MIT DER HISTORISCHEN RECHTSSCHU LE.

Der Leitsatz der Aufklarung lasst sich durch den vielzitierten Ausspruch Emmanuel Kants wiedergeben, wonach Aufklarung der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmundigkeit"5 ist. Der Mensch soll nach diesen Forderungen seinen eigenen Intellekt dazu einsetzen, alle bestehenden Urteile einer Prufung zu unterziehen und sie nur unter einer kritischen Reflexion zu ubernehmen. Hegel polemisiert an vielen Stellen seiner Rechtsphilosophie gegen diesen Standpunkt. Das ungezugelte Infragestellen aller Rechte, Gesetze und Normen fuhre keineswegs zu hoheren ethischen Standards, sondern wurde vielmehr den Menschen in eine „Gedrucktheit der Reflexion"6 werfen. Solchen Fragen fuhrten dazu, den Wald vor t au t er Eitiumen nich t zu sehen7 und seien daher, besonders im Hinblick auf das Volk im Allgemeinen, kontraproduktiv und gefahrlich.

In diesem Punkt stimmen selbst einige der Aufklärer mit Hegel uberein. So relativiert Moses Mendelsohn in seinem Antwortschreiben8 auf die Frage, was Aufklärung sei, viele Anspruche der Aufklärung. „Ungluckselig ist der Staat, der sich gestehen mug, dag in ihm die wesentliche Bestimmung des Menschen mit der wesentlichen des Burgers nicht harmonieren, dag die Aufklärung, die der Menschheit unentbehrlich ist, sich nicht uber alle Stände des Reichs ausbreiten könne, ohne dag die Verfassung in Gefahr sei, zugrunde zu gehen. Hier lege die Philosophie die Hand auf den Mund!"9 Ungezugelt durfe die Aufklärung des Menschen durch die Philosophie also nicht ablaufen, da die standige Kritik an allen Maximen und Urteilen zwar dem Individuum als Menschen, jedoch nicht als Burger nützlich ist. Mendelsohn, der zwischen der Aufklärung des Bürgers und des Menschen unterscheidet und beide Projekte durchaus im Konflikt miteinander sieht, nimmt also den kritischen Blick der Aufklärung zurück, wenn er den Staat, also die Grundlagen und Strukturen des menschlichen Zusammenlebens gefährdet sieht.

Hegel verfolgt diesen Gedanke seiner Arbeit weiter. Normen und Gesetze, letztendlich verkörpert durch den Staat, seien unverzichtbar für den Menschen, da sie seine Freiheit im Zusammenleben mit anderen sichern. Diese Strukturen müssten vor dem kritischen Blick des Zweifels geschützt sein, da aus dem Einreigen aller bestehenden Rechte und Gesetze nicht zwangsweise eine bessere Welt entsteht. Die radikale Delegitimation aller Gesetze und Normen würde zur absoluten Anarchie führen, ein Zustand, in dem Hegel jede Freiheit vernichtet sieht.

Damit soll Hegel jedoch nicht als autoritärer Reaktionär und Gegenaufklärer verleumdet werden. Seine Aufklärungskritik ist philosophisch begründet und geht weit über ein Festhalten an überkommenen Traditionen hinaus. Die missverständliche — und oft missverstandene — Formulierung, dass jenes, was wahr ist, wirklich sei und dieses, was wahr ist, auch wirklich sei, hat Hegel jedoch die Anklage eingebracht, den Staat und alles Bestehende philosophisch zu verklären und damit voreilig zu legitimieren.10 Mit dieser Denkfigur, die seinem philosophischen System erwachsen ist, versucht er die Kluft zwischen Sein und Sollen, die die Ethik seit Kant durchzogen hat, zu schliegen. Deutlich wird dies bei der Betrachtung der direkten Vorgänger bzw. Konkurrenten der Hegelschen Rechtslehre. In der zu Hegels Zeit kontrovers geführten Diskussion über den Konflikt zwischen Naturrecht und Vernunftrecht versucht er mit seiner Rechtsphilosophie im dialektischen Sinne einen Bogen zu spannen, der diese beiden Pole zu einer neuen Idee des Rechts vereinigt.11 Hegel lehnt sowohl die aus der Vernunft abgeleitete Begründung des Rechts ab, wie sie Kant in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten formulierte, jedoch widerspricht er auch der Konzeption, wonach Recht nur durch die geschichtliche Entwicklung legitimiert wird.12 „Seine Rechtsphilosophie sucht nach einer Durchfahrt zwischen der Scylla des Vernunftrechts und der Charybdis des blog historischen, aber gleichwohl mit dem Anspruch der Legitimationskraft auftretenden Rechtsgedanken."13 Dazu soll zum einen gezeigt werden, dass die Vernunft nicht nur ein abstraktes Prinzip ist, das der Lebenswirklichkeit gegeniibersteht und zum anderen, dass die Historie Aussagekraft iiber die Deskription des Geschehenen hat. Unter diesen Punkten lässt sich der Einleitungssatz der Rechtsphilosophie verstehen, wonach das Wirkliche gleichzeitig wahr ist und das Wahre wirklich. Der Schliissel zur Verbindung dieser beiden Denkformen ist der Begriff des objektiven Geistes. Hegel will zeigen, dass die Geschichte eine „Explikationsform des Geists"14 ist und dass gleichzeitig die normativen Forderungen, die aus der Vernunft gewonnen werden, ihren Ursprung in diesem haben. So schreibt er in §3, dass der Inhalt des Rechts durch die geschichtliche Entwicklung gegeben sei, andererseits durch die Anwendung des allgemeinen Begriffs gefunden wird.15

Fiir Hegel ist also zu zeigen, „PQR, dag die Existenz des Staates Teil eines gottlichen Planes sei, nicht nur ein von Menschen geschaffenes Gebilde."16 Gleichwohl muss dem Menschen zugestanden werden, Recht zu kodifizieren und die Entscheidungen im Staat aus der Willkiir zu fiihren. Diese Punkte zu verbinden ist die Aufgabe, die Hegel der philosophischen Beschäftigung mit dem Recht zuspricht.

An der Frage nach dem Status eines Staatsvertrags lässt sich dieses Problem exemplifizieren. Da die Vertragsfigur ein a priori Bestandteil des Rechts ist, muss sie daher zum Naturrecht gehören.17 Welche Auswirkungen dies auf die Konzeption eines moglichen Staatsvertrags hat, soll in Kapitel 3. ii. gezeigt werden, wobei zunächst eine Darstellung des Staatsgedanken bei Hegel notwendig ist.

3. DER STAAT UND DIE FREIHEIT

i. DER STAATSGEDANKE BEI HEGE L

Hegels Staatskonzeption ist der wohl meistdiskutierte und rezipierte Teil der Rechtsphilosophie.18 Der Versuch Hegels, den Staat als notwendig fiir die Verwirklichung der Freiheit jedes Individuums zu beschreiben, ist besonders von Vertretern des Liberalismus heftig kritisiert worden.

Die zentralen Gedanken des hegelschen Staatsentwurfs finden sich in den Uberlegungen zur Freiheit.19 Nach Hegel ist der Staat notwendig zur Verwirklichung der personlichen Freiheit, ein Aspekt, den seine Uberlegungen beispielsweise von denen Kants abheben. Diese „wahre Freiheit" ist die Idee der Freiheit, also die gleichzeitige „Einheit von Begriff und Wirklichkeit."20 Dies wird durch die Figur des „Beisichseins-im-Anderssein"21 deutlich. Freiheit kann nicht nur als Unabhangigkeit, Autarkie oder Autonomie gedacht werden, sondern muss sich immer auf ein Gegeniiber beziehen, durch das sie erst Verwirklicht wird. Dieses Gegeniiber darf der hegelianischen Staatsvorstellung nach dem Subjekt nicht als ein Fremdes gegeniiberstehen, sondern muss vielmehr als notwendiges Teil der Einheit gedacht werden. „So will die Staatslehre Hegels im Lichte seiner grol-3en dialektischen Formeln verstanden werden: Einheit von Begriff und Wirklichkeit, Idealitat und Realitat, Substantialitat und Subjektivitat."22

Diese so entwickelte Idee der Freiheit setzt Hegel zunächst mit dem Recht gleich23, sieht sie in der Sittlichkeit24, vollständig verwirklicht jedoch erst im Staat.25 Erst dieser ermoglicht es dem Individuum frei zu sein.

ii berhaupt die Freiheit als Idee."

Nach Hegel muss der Staat daher mehr leisten, als die einzelnen Willen der Burger zu befriedigen. Dies sei Aufgabe der burgerlichen Gesellschaft mit dem System der Bedurfnisse; sie dem Staat zu schreiben bedeutet, die „Interessen der Einzelnen als solche" zum letzten Zweck des Staates zu machen.26 Fur Hegel ist der Staat selbst jedoch schon der „absolut unbewegte Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt."27 Dieser Endzweck hat „das höchste Recht gegenuber [den] Einzelnen"28, er ist diesen also u ber geordnet. Hegel greift damit die Theorie an, nach der der Staat nur die Kodifizierung der Gemeinsamkeiten der einzelnen Willen ist. Er kritisiert Fichte und Rousseau, da diese zwar den Willen als Ursprung und Grundlage des Staates erkannt hätten, jedoch „den Willen nur in bestimmter Form des einzelnen Willen und den allgemeinen Willen"29 gefasst hätten. Damit lieBe sich nur das Gemeinschaftliche fassen, nicht jedoch „das an und fur sich Vernunftige"30. Hegel möchte zeigen, dass aus den verschiedenen, widerspruchlichen, auf Eigennutz bedachten Willen, der unendlichen Pluralität des Meinens u nd Wollens niemals ein Staat konstruiert werden kann.31 Dieses Modell wurde zur Etablierung eines contrat social fuhren, der so Grundlage des politischen Zusammenlebens werden wurde. Dass dies fur Hegel inakzeptabel ist, soll im folgenden Kapitel gezeigt werden.

[...]


1 Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. (=Gesammelte Werke Band 6) Tiibingen 41992.

2 Ebd. S. 35-96.

3 Ebd. S. 42ff.

4 Diese iiberaus kontroversen Thesen, die von der Hegel-Forschung allesamt zuriickgewiesen worden sind, sollen hier nicht diskutiert werden. Fiir einen Uberblick iiber diese Auseinandersetzung, siehe den bereits etwas älteren Artikel Kaufmanns: Kaufmann, Walter: Hegel — Legende und Wirklichkeit. In: Zeitschrift fiir philosophische Forschung 10. 1956. S. 191 — 226.

5 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklarung? In: Bahr, Egon (Hg): Was heigt Aufklarung? Thesen und Definitionen. Stuttgart 1974. S. 9.

6 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Die Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriss. Stuttgart 1970. §149: "Das Individuum hat aber in der Pflicht vielmehr seine Befreiung [...] von der Gedrucktheit, in der es als subjektive Besonderheit in den moralischen Reflexion des Sollens und Mogens ist [...]". Im folgenden zitiert als RP.

7 RP: Vorrede des Autors.

8 Mendelsohn, Moses: Was heigt aufklaren? In: Bahr, Egon (Hg): Was heigt Aufklarung? Thesen und Definitionen. Stuttgart 1974. S. 7-12.

9 Ebd. S. 7.

10 Für eine ausführliche Beschäftigung mit dieser Problematik, siehe beispielsweise: Knowles, Dudley: Hegel and the Philosophy of Right. London 2002. S. 63-80. Besonders: S. 67-71.

11 Jaeschke, Walter: Hegel Handbuch. Leben — Werk -Schule. Stuttgart 2003. S. 367.

12 Ebd. S. 366

13 Ebd. S. 367.

14 Ebd.

15 Vgl. RP: §3.

16 Av i ner i, Shlomo: Der Staat — das BewuRtsein der Freiheit. In: R i edel, Manfred (Hg): Materialen zur Rechtsphilosophie. Bd.2. Frankfurt am Main 1975. S. 393.

17 Schn i delbach: Rehabilitierung. S. 189f.

18 Siehe beispielsweise das Urteil von Werner Maihofer: „Wie kein anderer Teil seines System der Philosophie wurde die Staatsphilosophie Hegels [...] in der Folgezeit in den Wirbel der politischen Auseinandersetzungen gezogen."Ma i hofer, Werner: Hegels Prinzip des modernen Staats. In: R i edel, Manfred (Hg): Materialen zur Rechtsphilosophie. Bd.2. Frankfurt am Main 1975. S. 361.

19 So iiberschreibt Schn i delbach seinen Aufsatz zur hegelianischen Verfassung mit dem Titel „Die Verfassung der Freiheit". Vgl.: Schn i delbach, Herbert: Die Verfassung der Freiheit. In: S i ep, Ludwig (Hrsg): G.W.F. Hegel. Grundlinien der Philosophie des Rechts (=Klassiker auslegen 9). Berlin '2005.

20 Schn i delbach, Herbert: Die Verfassung der Freiheit. S. 243.

21 Ebd. Siehe auch: P i nkard, Terry: German Philosophy, 1760-1860. The Legacy of Idealism. Cambridge 2002. S. 227ff.

22 Schn i delbach, Herbert: Die Verfassung der Freiheit. S. 244.

23 RP: §29. „Dies, dal-3 ein Dasein iiberhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. — Es ist somit

24 RP: §142. „Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute, das in dem SelbstbewuBtsein sein Wissen, Wollen und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit sowie dieses an dem sittlichen Sein seine an und fur sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat — der zur vorhandenen Welt und zur Natur des SebstbewuBtseins gewordene Begriff der Freiheit."

25 RP: §257. „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee — der sittliche Geist als der offenbare, sich selbst deutliche und substantielle Wille, der sich denkt und weiB und das, was er weiB und insofern er es weiB, vollfuhrt."

26 RP: §258.

27 Ebd.

28 Ebd.

29 Ebd.

30 Ebd.

31 Knowles: Philosophy of Right. S. 308. „[T]he state cannot be constructed out of the wills of individual persons with their distinctive arbitrariness, their particular ends or idiosyncratic personal values."

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Details

Titel
Der Konflikt der Hegelschen Rechtsphilosophie mit dem Liberalismus
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Gesellschaftswissenschaften und Philosophie)
Veranstaltung
Hegels Rechtsphilosophie
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V130734
ISBN (eBook)
9783656660422
ISBN (Buch)
9783656660408
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konflikt, hegelschen, rechtsphilosophie, liberalismus
Arbeit zitieren
Christoph Meister (Autor:in), 2008, Der Konflikt der Hegelschen Rechtsphilosophie mit dem Liberalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130734

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