Gewalt im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

14 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1 Einführung in die Thematik

2 Der Gewaltbegriff und seine Ambivalenz

3 Gewaltdarstellungen innerhalb der lateinamerikanischen Literatur des „boom“
3.1 Gewalt verkörpert durch staatliche Aggressoren
3.2 Gewalt verkörpert durch nicht-staatliche Aggressoren

4 Gewalt im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses

5 Literaturverzeichnis

6 Selbstständigkeitserklärung

1 Einführung in die Thematik

„Wir haben uns an die Gewalt gewöhnt.“ [1]

Gibt es so etwas wie eine Gewöhnung an Gewalt? Um dieser Fragestellung nach zu gehen, werde ich mich mit den Vorraussetzungen und den daraus resultierenden Folgen eines Gewöhnungsprozesses auseinandersetzen, welcher im Kontext des sich immer wieder ereignenden Traumas der Gewalt in Lateinamerika untersucht werden soll.

Um dies durchzuführen behelfe ich mir anfangs mit der Monographie von Wilhelm Heitmeyer „Gewalt“[2], um daran die Ambivalenz des Gewaltbegriffs aufzuzeigen. Im Anschluss dessen nehme ich Bezug auf das Werk „Lituma en los Andes“ von Mario Vargas Llosa[3], mit der Intention zunächst einmal zu untersuchen, in welcher Art und Weise Gewalt in seiner Vielschichtigkeit im literarischen Werk des lateinamerikanischen Autors seinen Niederschlag fand.[4] In einem dritten und letzten Schritt nehme ich die daraus erhaltenen Erkenntnisse und werde mit Hilfe der sozialpsychologischen Studie von Harald Welzer „Täter – Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“[5] herausarbeiten, inwieweit der tagtägliche Umgang mit Gewalt im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses gesehen werden kann.

Einige Historiker bezeichnen das 20. Jahrhundert als ein „Jahrhundert der Extremen Gegensätze“: Krieg und Frieden, Demokratie und Diktatur, Wohlstand und Hunger, Wirtschaftswachstum und Verelendung, ebenso wie grausame Genozide, Vertreibung und Emigrationen.[6] Nicht nur in Europa, sondern gleichermaßen in Südamerika spielten sich im vergangen Jahrhundert eine große Anzahl an menschlichen Dramen und Schicksalen ab, die ihren Niederschlag und ihre Verarbeitung schließlich auch in der Literatur Südamerikas fanden. Ausdruck dieses omnipräsenten Menetekels sind literarische Strömungen wie beispielsweise die Epoche der „Violencia“, die es nicht nur in Kolumbien und Venezuela gab, sondern die als epochenkonstituierender Begriff, nämlich den der „Gewalttätigkeit“, gleichermaßen auf die Erfahrungen im Zusammenhang mit den Militärdiktaturen in Paraguay, Chile, Uruguay und Argentinien u.a. anwendbar ist.[7] Dabei wird bei genauerer Betrachtung Lateinamerika zum regelrechten Prototyp menschlicher Gewalterfahrungen…

Das Werk „Lituma en los Andes“ von Mario Vargas Llosa spielt im südamerikanischen Peru, welches, ebenso wie viele andere südamerikanische Länder, eine bewegte und oftmals blutige prä- und postkoloniale Vergangenheit vorzuweisen hat. Das Peru der 80iger Jahre, in welches uns der Roman mitnimmt, präsentiert dem Leser einen brutal ausgetragenen Konflikt zwischen den staalich institutionalisierten Truppen der „Comandos Políticos Militares“ und der Terrorgruppe „Sendero Luminoso“, die 1970 ursprünglich als „Partida Comunista del Perú“ einige Zeit später dann in den Untergrund ging, um von dort aus ihr Gewaltpotenzial auszubauen und dieses dann sowohl gegen die Zivilbevölkerung, als auch gegen die Regierungstruppen anzuwenden.[8]

In dem folgenden Beitrag möchte ich mich genau diesen reiterativen Gewalterfahrungen widmen. Allerdings nicht im Kontext eines Erklärungsversuches, weswegen sich diese Gewaltformen manifestiert und verankert haben, sondern unter der Fragestellung, ob ein Zusammenhang zwischen andauernder Gewalttätigkeit auf der einen Seite und einer sich akkumulierenden Gewaltbereitschaft im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses auf der anderen Seite existiert. Woher kommt ganz konkret diese Freude an der Gewalt, diese Freude am Quälen? Töten und Quälen sind Nivellierungen des Gewaltbegriffs, welche man einer okasionellen Differenzierung hinsichtlich seiner Intensität unterziehen sollte, besonders in einem Jahrhundert mit so vielen nachweisbaren Genoziden und blutigen Massakern wie das Vergangene.

Ganz konkret gesprochen stellt sich mir die Frage, ob es so etwas wie eine „Gewöhnung“ an Gewalt gibt oder ob das zu Beginn verwendete Zitat aus „Lituma en los Andes“ lediglich ein fiktiver Ausspruch einer fiktiven Welt ohne reale Analogie darstellt.

2 Der Gewaltbegriff und seine Ambivalenz

Zunächst geht es um eine Klassifizierung des Gewaltbegriffs: In der Forschung unterscheidet man zunächst einmal zwischen den Aspekten der „Physischen Gewalt“ und denen der „Psychischen Gewalt“. Ersterer ist eine Begrifflichkeit, die im Laufe der Geschichte einen gewissen Wandlungsprozess durchlaufen hat. Stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts und lange Zeit danach der Aspekt der Nutzung des Körpers durch den Täter und dessen Streben den eigenen Willen durchzusetzen im Vordergrund, so erhält dieser Begriff in neueren sozialwissenschaftlichen Debatten eine verstärkte Zielrichtung auf die körperliche Schädigung des Opfers.[9] Die „Psychische Gewalt“ hingegen verweist in ihrem Kern auf eine Schädigung auf mentaler Ebene[10], die bereits durch verbale Aggressionen evoziert werden kann und in ihren Auswirkungen für das Opfer niemals unterschätzt werden sollte.[11] Aber auch der Gesichtspunkt der „Schädigung durch Unterlassung“ muss im Kontext der Differenzierung mit aufgenommen werden.[12]

Eine weitere Distinktion erfährt der Gewaltbegriff hinsichtlich der Unterscheidung zwischen „Kultureller Gewalt“ einerseits und „Struktureller Gewalt“ andererseits. Ersterer referiert das Bestreben einer Kulturgemeinschaft nach Ordnung und klar abgegrenzten Zugehörigkeitsbeschreibungen. Um dieses Ordnungssystem zu bewahren, legitimiert man sich Handlungsmuster, die Gewalt oder, genauer gesagt, Gewalttätigkeit in ihr Repertoire aufnehmen.[13] Alles, was diesem Ordnungsbestreben gegenläufig erscheint, darf beseitigt werden. An ihrem Kulminationspunkt stehen exzessive Gewalthandlungen gegen zuvor determinierte „Feindbilder“, wie sie deutlich in genozidalen Ereignissen oder auch in totalitären Herrschaftssystemen zu Tage treten bzw. getreten sind.[14] Diese Form tritt sehr anschaulich im Werk von Vargas Llosa zu Tage, als bei einem Massaker durch nicht-staatliche Aggressoren erwähnt wird, dass nur diejenigen getötet wurden, die sich nach eingehender Überprüfung auf einer Liste befanden.[15] „Strukturelle Gewalt“ bezieht sich auf Gewaltausübungen, die keinen direkten, agierenden Aggressor kennt, sondern welche, eingebettet in ein normatives Gesellschaftssystem, sich beispielsweise in „ungleichen Machtverhältnissen“ äußert.[16]

Bei genauerer Untersuchung und Eingrenzung des Gewaltbegriffs trifft man auf ein Phänomen, welches in der Forschung als so genannte „perspektivische Divergenz“ [17] hinsichtlich der Beurteilung von Gewalttaten bezeichnet ist. Während ein Gewaltakteur sein Verhalten in einem speziellen Kontext als angemessen beurteilen würde, evoziert das Handeln des Agierenden beim geschädigten Opfer möglicherweise ein Gefühl der Unangemessenheit, Vermeidbarkeit oder auch Verurteilungswürdigkeit.[18] Somit ist jede Form von physischer oder psychischer Gewalttätigkeit grundsätzlich als ein Gewaltakt zu sehen, ganz gleich ob dieser als Notwehr, legitime Rache o.ä. seine, möglicherweise auch im historischen oder soziokulturellen Kontext, Legitimation bzw. auch Angemessenheit ableitet. In diesen Zusammenhang lässt sich auch sehr anschaulich der so genannte „zweckrationale Einsatz“ von Gewalt einordnen. Dabei ist die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen von Bedeutung.[19] Ein historisch gesehen aktuelles Beispiel für den zweckrationalen Einsatz von Gewalt stellen die Gewaltanwendungen innerhalb von Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten in afrikanischen Gesellschaften dar, bei denen unter dem Deckmantel nationaler oder auch weltanschaulicher Zielsetzungen das ökonomische Leitmotiv der materiellen Bereicherung geradezu prototypisch handlungsleitend voran steht.[20] Oder auch in dem von mir behandelten Bereich der Gewaltausprägungen innerhalb der lateinamerikanischen Geschichte wird man fündig. So ist die globale Geschichte nach 1945 geprägt von ideologischen Systemkonflikten, die mit einem allumfassenden, weltweiten Gültigkeitsanspruch auftraten und in diesem Zusammenhang versuchten, Herrschaftsansprüche linker wie rechter Provenienz auszubauen und zu festigen. Somit degradierte man Lateinamerika zum „Spielfeld“ machtpolitischer Hegemonieansprüche innerhalb des Kalten Krieges. Die Gründung der „Organisation Amerikanischer Staaten“ in Bogotá, Kolumbien, stellt beispielsweise eine Komponente der amerikanischen, antikommunistischen Sicherheitspolitik dar. Aber ebenso gab es Systeme, die aus reinem politischem Kalkül heraus unterstützt wurden.[21]

[...]


[1] Vargas Llosa, Mario: Lituma en los Andes, Barcelona 2006, S.68.

[2] Heitmeyer, Wilhelm: Gewalt - Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt am Main 2004.

[3] Vargas Llosa, Mario: Lituma en los Andes, Barcelona 2006.

[4] Bemerkung: Bei meiner Betrachtung wird aufgrund des aktuellen Forschungsstandes vorausgesetzt, dass die im Werk Vargas Llosas thematisierten Gewalterdarstellungen zwar keine direkte Widerspiegelung abgeschlossener Realitäten darstellen, jedoch im Kontext der peruanischen Volksgeschichte durchaus denkbar sind. vgl. Krennerich (2004)

[5] Welzer, Harald: Täter – Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 2008.

[6] Wolfrum, Edgar: Globale Geschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2007, S.13ff.

[7] Rössner, Michael: Lateinamerikanische Literaturgeschichte, Stuttgart 2007, S.257, 322, 466.

[8] Krennerich, Michael: Politische Gewalt in Lateinamerika, Frankfurt am Main 2004, S.18f, 102.

[9] Schwind (1990), S.36.

[10] Tillmann (1997), S.16.

[11] Heitmeyer (2004), S.21.

[12] ebd. , S.22.

[13] Baumann (1995), S.20.

[14] ebd. , S.61.

[15] Vargas Llosa (2006), S.117.

[16] Galtung (1975), S.12.

[17] Heitmeyer (2004), S.28.

[18] Otten/Mummendey (1999), S.128.

[19] Heitmeyer (2004), S.50f.

[20] Elwert (1997), S.87f.

[21] Wofrum (2007), S.150.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Gewalt im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2
Autor
Jahr
2009
Seiten
14
Katalognummer
V130627
ISBN (eBook)
9783640393923
ISBN (Buch)
9783640394234
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewalt, Gewöhnungsprozess, Mario Vargas Llosa, Lituma en los Andes
Arbeit zitieren
Florian Fromm (Autor:in), 2009, Gewalt im Kontext eines kontinuierlichen Gewöhnungsprozesses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130627

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