Die biblische Didaktik

Anregung für den Religionsunterricht in einer Situation religiöser Vielfalt?


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort – Muss die Bibel im Mittelpunkt stehen?

1. Bibeldidaktik – Wie und Weshalb?
1.1. exemplarische Möglichkeiten der Bibeldidaktik (nach Baldermann)
1.1.1.a.Psalmen
1.1.1.b.Wundergeschichten
1.2. Typen biblischen Unterrichtes (nach Berg)
1.3. Zwischenfazit zur Bibeldidaktik

2. Religiöse Pluralität im Religionsunterricht
2.1. Der Schüler in einer religiös vielfältigen Gesellschaft
2.2. Aufgaben, Ziele und Fragen für einen interreligiösen Religionsunterricht

3. Moderner Religionsunterricht und Bibeldidaktik im Einklang?
3.1. Ein Anwendungsversuch (Primarstufe)

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis
5.1. Fachspezifische Nachschlagewerke
5.2. Bibeldidaktik
5.3. Interreligiöser / Interkultureller Religionsunterricht
5.4. Digitale Literatur

0. Vorwort – Muss die Bibel im Mittelpunkt stehen?

„Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“1 fragte Hans-Bernhard Kaufmann auf einer Tagung in Loccum, Oktober 1966. Er stellte diese Frage und seine darauf folgenden Thesen zu einer Zeit auf, da man die religionsdidaktischen Konzepte, wie schon so häufig im 20. Jahrhundert, diskutierte und weiter zu entwickeln suchte. Über allen Konzepten stand die Frage, ob den Religion überhaupt lehrbar sei2; wie sie bereits Richard Kabisch von 1910 an mehrfach formuliert hatte3. Kaufmann selbst vertrat schließlich die Ansicht, die biblischen Texte sollten nicht mehr solch eine zentrale Position innehaben, wie sie ihnen bis dahin in der Evangelischen Unterweisung und den hermeneutischen Konzeptionen zukam. Bald hieß es:„Nicht der Schüler und die Schülerin sind von der Bibel her zu verstehen, sondern die Bibel von den SchülerInnen und deren (gegenwärtigen, vor allem aber zukünftigen) Lebenssituation her.“4 In den folgenden Jahrzehnten begann die Religionsdidaktik schließlich, dem Religionsunterricht die Bibel zu entziehen. Mit der zunehmenden (religiösen) Umstrukturierung unserer Gesellschaft verschwand die Bibel letztendlich fast vollständig aus dem Religionsunterricht, da oftmals nur noch ein geringer Anteil von Schülern am Religionsunterricht teilnehmen wollte, beziehungsweise überhaupt einen konfessionellen Hintergrund besaß. Wurde das religiöse Leben in den fünfziger und sechziger Jahren überwiegend durch katholische oder evangelische Konfession und Konfessionslosigkeit geprägt5, so nahm der Anteil weiterer Religionen wie beispielsweise dem Islam, Buddhismus oder Hinduismus am gesellschaftlichen Leben in den letzten Jahrzehnten stark zu. Dementsprechend veränderten sich auch die Ansprüche und Probleme der Schülerschaft. Dieser Situation religiöser Pluralität versuchten zuerst die Symboldidaktik und der problemorientierte, später der interreligiöse Religionsunterricht zu entsprechen. Für den heutigen evangelischen Religionslehrer müsste also durchaus ein interreligiöser Religionsunterricht das Ziel zu sein. Weshalb jedoch sollten dabei nicht auch einige, scheinbar veraltete, Konzepte wie die Bibeldidaktik behilflich sein?

Ich möchte in dieser Arbeit, ausgehend von Baldermann und Berg, zu zeigen versuchen, dass die Bibel und ein auf ihr basierender Religionsunterricht durchaus auch in einer religiös pluralen Gesellschaft eine Rolle spielen darf und diese These eingangs kurz begründen.

Wenngleich auch ständige religiöse Pluralität auf der einen Seite vorherrscht, so sollte man schließlich nicht vergessen, dass man nicht nur in Deutschland noch von einer stark christlich geprägten Kultur umgeben ist. Allerdings fehlt Schülern und Jugendlichen zunehmend das nötige Hintergrundwissen um dergleichen zu erkennen und zu verstehen. Als aktuelles Beispiel dürfte wohl durchaus der Kinofilm „The Passion of Christ“6 dienen, bei welchem ein der Bibel unkundiges Publikum durchaus Verständnisprobleme hat – ein Film über den im Feuilleton einer beinahe jeden Zeitung berichtet wurde, dem viele Zuschauer jedoch mit Unwissen entgegentreten müssen.

Ein weiterer Beweggrund für diesen Rückgriff auf die Bibeldidaktik ist jener, dass ich während meinem Hospitationspraktikum an zwei Grundschulen die Erfahrung machen durfte, welche Wirkung das Lesen und Erzählen biblischer Geschichten auch noch auf heutige Kinder und Jugendliche bewirken kann, die doch zumeist durch Rundfunk, Fernsehen und Computer eine ganz andere Medienkompetenz erlangt haben, als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren.

1. Bibeldidaktik – Wie und Weshalb?

Die Bibel – ein Bestseller der Seinesgleichen sucht, die Quelle christlichen Theologie ist und somit auch einen der wichtigsten Bestandteile christlicher Kultur darstellt. Über Jahrhunderte prägten biblische Texte die Lebens- und Erfahrungswelten der Menschen. Also auch die von Kindern und Jugendlichen. Dennoch ist wohl nur noch selten anzunehmen, dass sich die meisten Jugendlichen heutzutage wirklich bewusst sind, inwiefern sie in ihrem Alltag auf christliche Bräuche und biblische Geschichte stoßen. Die Bibel nimmt scheinbar keine Rolle mehr in ihrer Umwelt ein.7 Häufig wirken die Texte schwer und unverständlich, die Erzählungen spielen sich in einer Gesellschaft ab, deren Aufbau und Gepflogenheiten scheinbar nichts mit der heutigen Zeit zu tun haben. Horst K. Berg macht verschiedene Gründe dafür aus, dass die Bibel und biblischer Religionsunterricht über eine längere Zeit kaum noch als „Lebensorientierung“ wahrgenommen wurden – Erfahrungsverlust, Relevanzverlust und Effektivitätsverlust.8 Erfahrungsverlust, also die Bibel nur noch als Textkorpus denn als Traditionsgut zu betrachten, ist hier wohl der problematischste Aspekt. Das Buch steht im Schrank, wird aber nicht gelesen. Relevanz- und Effektivitätsverlust sind dessen direkte Folge. Durchaus unterstützt wurde dieses Problem dadurch, dass die Bibel etwa seit Kaufmanns Thesen Ende der sechziger Jahre zunehmend aus dem Religionsunterricht verschwand. In der Praxis machte Ingo Baldermann jedoch die Erfahrung, dass Schülern insbesondere bei der Arbeit mit Psalmen die Möglichkeit gegeben werden kann, Alltagserfahrung und Gefühle auszudrücken, ohne sich vor Mitschülern bloßzustellen (nähere Ausführungen unter Punkt 1.1.1.a). Er spricht von „der eigenen Didaktik der Bibel“9, und vom „Vorsprung der Bibel“10 gegenüber den meisten anderen Büchern und begründet diesen Vorsprung zumeist durch die Besonderheiten biblischer Sprache.

Sicherlich gilt dabei stets aber auch, Bibeltexte differenziert zu betrachten und dementsprechend im Unterricht zu verwenden. So sind beispielsweise viele Psalmen oder Gebetstexte in zumeist klaren, eindeutigen und daher auch Kindern verständlichen Worten geschrieben. Bei vielen anderen Texten hingegen bedarf es durchaus einiger Mühe und Vorarbeit, um sie zu verstehen. Dieses ist dann häufiger der Fall bei Erzählungen, Gleichnissen oder Gesprächen, deren (historischer) Kontext erst mit dem Schüler erarbeitet werden muss, damit er die Tragweite des Geschehens verstehen kann.11 Hierbei wird von Baldermann verlangt, auf historisch-kritische Exegese zurückzugreifen12 und andere Texte außerhalb der Bibel hinzuzuziehen. Ziel der Bemühungen ist es letztlich, Schülern die Möglichkeit zu offenbaren, die Bibel als ein Buch des Lernens und des Lebens zu erfahren.13

Hauptanliegen des Religionsunterrichtes ist es, nicht alle Bibeltexte durchzuarbeiten, sondern die Schüler „fähig zu machen, zum Verstehen biblischer Texte“.14 Sie sollen lernen, Intention und Bedeutung von Texten wahrzunehmen und für ihr eigenes Leben umzusetzen. H.K. Berg fordert dementsprechend, Bibeldidaktik müsse Bibeltexte sinnvoll in die heutige Lebenswirklichkeit Jugendlicher transferieren. Die Kommunikationsprozesse junger Menschen mit ihrer Umwelt und deren Texten würden dabei ebenfalls gefördert, denn letztlich präsentieren die Texte „‚ein Geschehen’, das ganzheitlich anspricht und nur mit allen Sinnen aufgenommen werden kann.“15 Für die biblische Didaktik ist es am Ende weniger wichtig eine konkrete theologische Aussage zu erzielen. Die Texte sollen ihre Wirkung auf den Leser entfalten können. „Nicht der Inhalt, sondern der Prozess des Wahrnehmens steht am Anfang. Biblische Texte werden verfehlt, wenn sie als aufwendige Verpackungen für theologische Inhalte interpretiert werden, die wir auch ohne Verpackung haben können.“16

Nun ist die Bibel aber ein Buch, das sich sicherlich nicht nur mit einem einzigen Thema beschäftigt. Viel zu umfangreich ist ihr Repertoire. Dennoch scheint es für Baldermann möglich, ein übergreifendes Thema in der Bibel zu entdecken – die Hoffnung in ihren verschiedenen Formen.17 Doch um Hoffnung überhaupt irgendwie greifbar zu machen, muss der Schüler dahin gebracht, sich selbst in den Texten wieder zu finden. Den Einstieg vollzieht die Bibeldidaktik (nach Baldermann) deshalb mit den Psalmen.

1.1 exemplarische Möglichkeiten der Bibeldidaktik (Ingo Baldermann)

Ein Großteil der Arbeit Ingo Baldermanns entstand nicht nur am Schreibtisch bei theoretischen Überlegungen. Vielmehr entwickelte sich seine Bibeldidaktik aus der Schulpraxis heraus. In seinen Werken findet man meist konkrete Beispiele zu einzelnen Bibelsequenzen und Arbeitshinweise. Um die Arbeit nicht ausufern zu lassen, beschränke ich mich auf eine kurze Darstellung der Herangehensweise an Psalmen und Wundergeschichten und stelle dem die biblische Didaktik H.K. Bergs anbei, da sich meiner Ansicht nach eine moderne Didaktik nicht nur aus einer Variante erschöpfen sollte.

1.1.1.a Psalmen

Um Kindern einen Zugang zur Bibel zu ermöglichen, ist es nötig Passagen herauszusuchen, deren Worte ihnen auch geläufig sind.18 Oftmals finden wir solche in den Psalmen. Aussagen wie „Neige Deine Ohren zu mir“ (Ps 31,3), „Ich rufe, doch Du antwortest nicht“ (Ps 22,3), „Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich“(Ps 27,10), „Alle die mich sehen, verspotten mich“ (Ps 22,8) und noch viele weitere sind zu finden, deren Sprache Kindern nicht fremd ist. Aus seinen Erfahrungen schließt Baldermann, dass jüngere Schüler nicht nur bei erzählenden Texten Assoziationen zu ihren eigenen Erlebnissen und Empfindungen herstellen, sondern bereits bei kurzen Aussagen wie den genannten.19 Er stellte fest, dass Kinder allein durch den Versuch „den Psalm aus ihren eigenen Erfahrungen zu erschließen“20, erste Ansätze einer Formanalyse zeigen und diese unter der Hilfestellung des Lehrers problemlos vertiefen können. Zumeist bedeutete dies, in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit eine genauere Differenzierung der Worte, zumeist „in Worte der Angst, der Bitte und des Vertrauens“21, durch die Schüler vornehmen zu lassen. Ziel der Arbeit ist es schließlich, ihnen diese Sprache zu einer vertrauten Sprache werden zu lassen, mit Hilfe derer sie Gefühle und Bilder artikulieren können. Um auf diese Weise mit der Bibel zu arbeiten, müssen die entsprechenden Textstellen vom Lehrer jedoch sorgfältig ausgewählt und fast immer auch gekürzt, also kindgerecht aufbereitet werden.

Gewiss betreibt man dabei in der Primarstufe nur wenig Exegese oder Katechese, sondern gerät zunehmend in den Bereich emotionaler Erziehung. Doch was spräche dagegen?

1.1.1.b Wundergeschichten

Eine der Besonderheiten Baldermanns Bibeldidaktik ist es, nicht zu einer konkreten theologischen Aussage führen wollen. Für den Schulgebrauch der Wundergeschichten versucht er die komplexen Differenzierungen jener Texte möglichst außen vor zu lassen. Stattdessen soll eine der Bibel eigene Didaktik zur Wirkung kommen und er geht darin mit Bultmann und Dibelius einher, dass weniger die historischen Fakten bedeutend sind, denn viel mehr die „Tendenz der Erzählung, nämlich zu erweisen, daß Jesus von Nazareth der Messias bzw. der Sohn Gottes sei“.22 Wichtig wird dies beim Umgang mit den Schülern, um ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht alle Elemente von (Wunder-)Erzählungen „realistisch-konkret nehmen dürfen, sondern als Hinweis auf Wesentliches, Typisches.“23 Der Schüler soll schließlich in seiner eigenen Existenz angesprochen werden, nur muss diese Übertragung unter Mithilfe des Lehrers geschehen, anders gesagt, „es wird so erzählt, daß das damals Geschehene zum Typos [sic!] wird für das, was wir erfahren.“24 Daraus resultiert natürlich die Frage, wie dies zu bewerkstelligen sei.

[...]


1 Kaufmann, Mittelpunkt, S.79.

2 Vgl. Lämmermann, Religionspädagogik, S.8.

3 Kabisch, Richard, Wie lehren wir Religion? Göttingen 1910.

4 Lämmermann, Religionspädagogik, S.139.

5 Die religiöse Entwicklung in der DDR möchte ich hierbei außen vor lassen, da sie die Arbeit wohl zu umfangreich gestalten würde.

6 „The Passion of Christ“ von Mel Gibson (Prod.), © by ICON 2004. Zum Verhältnis Jugendlicher (Moslems) und der Gewaltdarstellung in diesem Film, kurz angerissen, siehe: Michael Lenz, Der Nagel vom Kreuz am Band, in: Berliner Zeitung vom 16.03.2004, S.8.

7 Vgl. Lähnemann, Umgang, S.245f.

8 Berg, Methoden, S.163.

9 Baldermann, Buch, S.5. Ähnlich zu finden aber auch in den meisten anderen seiner Werke.

10 Ders., Vorsprung, S.69.

11 Als Beispiel für Verständnisprobleme führt Baldermann dann häufig die Rolle der Zöllner im NT an. Ohne entsprechendem historisch-gesellschaftlichen Hintergrundwissen, werden viele Handlungen Jesu, wie das Mahl mit den Zöllnern (Mk 2,14ff) unverständlich.

12 Vgl. Baldermann, Psalmen, S.9.

13 Vgl. ders., Buch, S.10-19.

14 Ders., Vorsprung, S.79.

15 Johannsen, Bibeldidaktik, S.164.

16 Ebd., S.167f.

17 Vgl. Johannsen, Bibeldidaktik, S.168.

18 Vgl. Baldermann, Psalmen, S.26.

19 Vgl. ebd., S.37.

20 Ebd., S.39.

21 Ebd., S.39.

22 Vgl. ders., Didaktik, S.81f. (Achtung! Bei dem in der Theologischen Fakultät vorhandenem Exemplar sind die Seiten in Kapitel II stark durcheinander abgedruckt, Seitenzahlen also schwer auffindbar!)

23 Ebd., S.84.

24 Ebd., S.95.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die biblische Didaktik
Untertitel
Anregung für den Religionsunterricht in einer Situation religiöser Vielfalt?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Theologische Fakultät)
Veranstaltung
Religionspädagogisches Proseminar; Evangelische Theologie / Religionspädagogik
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V130383
ISBN (eBook)
9783640369638
ISBN (Buch)
9783640369737
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die unter Punkt 5.4 und Punkt 6 angegebene CD-ROM ist nicht beigefügt! Die dort befindlichen Dateien sind im Internet unter den jeweils angegebenen Adressen abrufbar.
Schlagworte
Didaktik, Anregung, Religionsunterricht, Situation, Vielfalt
Arbeit zitieren
Frank Hampel (Autor:in), 2004, Die biblische Didaktik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130383

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Titel: Die biblische Didaktik



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