Nestroy als Psychologe

Eine Betrachtung der Possen "Der Zerrissene" und "Das Haus der Temperamente" unter psychologischen Aspekten


Hausarbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 „Der Zerrissene“
2.1 Die Figur des Kapitalisten Herr von Lips
2.2 Die Figur der Jungfer Kathi

3 „Das Haus der Temperamente“
3.1 Die Figur des Barbiers Schlankel
3.2 Die Figur des Stubenmädchens Isabella

4 Schlussbetrachtung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit Nestroys Possen „Der Zerrissene“ und „Das Haus der Temperamente“. An ihnen soll exemplarisch der psychoanalytische Gehalt seiner Arbeit untersucht und der Frage nachgegangen werden, inwiefern Nestroys Charaktere Stereotype sind, die in einem belustigenden Verwirrspiel mit Situationskomik zur bloßen Erheiterung des Publikum dienen oder ob der österreichische Dichter anhand dieser Darstellungen mehr aufzeigen kann. Der Forschungsstand über Nestroys Werke hält sich noch in Grenzen. In der Vergangenheit wurde er von der Forschung teilweise vergessen oder nur verunglimpft und kritisiert und er erst in den letzten Jahrzehnten wird er wieder neu entdeckt.[1] Ob diese Missbilligung gerechtfertigt ist oder ob sich hinter Nestroy mehr verbirgt, als es zuerst den Anschein machen mag, soll ebenfalls mit dieser Arbeit gezeigt werden.

Dazu werden im Folgenden die männlichen Figuren näher betrachtet, die von Nestroy selbst gespielt wurden und den Geist des Autors am adäquatesten widerspiegeln. Darüberhinaus werden noch die weiblichen Rollen der Kathi in der „Der Zerrissene“ und die der Isabella in „Das Haus der Temperamente“ dargestellt.

2 „Der Zerrissene“

2.1 Die Figur des Kapitalisten Herr von Lips

Nestroys Posse „Der Zerrissene“ stellt den reichen, jungen Mann Herr von Lips in den Mittelpunkt des Geschehens, der aufgrund seines Reichtums keinerlei Verpflichtungen im Leben, aber dadurch auch keine Erfüllung hat. Er ist bis zum Ende seiner Tage mit allem Materiellen versorgt und braucht somit keinem Beruf nachzugehen. Sein Leben besteht nur aus Vergnügungen wie Feiern, Tanzen oder Reisen, was ihn allerdings nicht ausreichend befriedigt. Wie der Titel schon ausdrückt, handelt es sich bei Lips um einen „Zerrissenen“, da sein sprunghafter Charakter nie lange bei einer Sache verweilen kann und er selbst nicht weiß, was er will. Konzipiert und gespielt wurde die Rolle des Herrn von Lips von Nestroy selbst und den Gegenpol dazu stellte Nestroys beständiger Partner Wenzel Scholz als Schlosser Gluthammer dar.[2]

Eingeführt wird Lips in der ersten Szene des ersten Aktes durch seine Bediensteten, die bereits auf sein zerrissenes Gemüt hinweisen.[3] In der fünften Szene tritt er dann selbst in einem Ritornell auf, was typisch für ein Stück Nestroys ist, da er seine Schlüsselfiguren immer durch ein Lied vorstellt (12f.). In diesem werden antithetisch Beispiele für die Gemütsbewegungen beschrieben, zwischen denen die Figur beständig schwankt und die ihn zu einem „Zerrissenen“ machen. In dem anschließenden Monolog wird gezeigt, dass Lips keinen Ausweg aus seiner Situation sieht, da keine Form des Lebens, weder reich noch arm, ihm zusagt. Da ihm keine Gefahr droht, betrachtet er alles mit absoluter Gleichgültigkeit, aus der er es nicht schafft, sich selbst zu befreien. Sehr treffend ist die Metapher des „kleinen Buben“, dem ein „paar Braker“ gegeben werden, wenn er gereizt ist, obwohl ihm nichts fehlt (13). Er selbst handelt wie ein kleiner, verzogener Junge, der sich in Kürze an seinem neuen Spielzeug langweilt und daraufhin ein neues und aufregenderes haben will, solange bis keine Steigerung mehr möglich ist. Da er durch seinen Reichtum auf kein Vergnügen verzichten muss und stets all seinen Launen und Trieben nachgehen kann, langweilt ihn dies schnell. Der eigene Vergleich mit einem solchen „kleinen Buben“ zeigt, dass Lips sich seiner Situation durchaus bewusst ist. Allerdings gibt es bei ihm niemanden mehr, der ihn durch einfache Erziehungsmethoden wie ein paar kleine Schläge in die Realität zurück holen kann. Er sagt selbst, dass nur eine höhere Macht, das Schicksal, ihm wieder den Wert und Sinn des Lebens vor Augen führen könnte (13). Doch trotz dieser scharfsinnigen Außenansicht auf die eigene Person bemerkt Lips nicht, dass er nach dieser Selbstanalyse nur einen Schritt weiter gehen müsste, um sich selbst aus seinem Zwiespalt zu befreien. Denn nicht nur ein Schicksalsschlag könnte ihm zeigen, dass es im Leben mehr gibt als eine „unerträgliche Stereotypigkeit“ der Natur (15). Er selbst müsste dazu nur über seine bequeme und luxuriöse Umgebung hinaussehen.

Letzten Endes ist Lips aber trotz allem keine tragische Figur, da er mit dem typischen Humor und Sarkasmus Nestroys ausgestattet ist. Er nimmt nichts ernst, selbst mit dem Tod wir hier nur gespielt (13). Er sieht sich selbst, seine Mitmenschen und die gesamte Umgebung aus einer kritischen Distanz, weswegen er nicht in tiefgreifende Depressionen oder Melancholie abgleitet. Auch dies ist eine charakteristische Eigenschaft für eine Nestroy-Rolle. Die Figuren des kritischen Beobachters, die Nestroy selbst spielte und schon beim Schreiben des Stückes auf sich selbst zuschnitt, tritt den anderen als überlegen gegenüber und stammt meist aus einer sozial schwächeren Schicht[4]. Lips hingegen gehört dem oberen Teil der Gesellschaft an und ist somit Teil des Standes, an dem Kritik geübt wird. Trotzdem beobachtet er mit scharfem Blick und bringt mit einigen Worten und knappen Anspielungen die Schwächen und Fehler seiner Mitbürger auf den Punkt. Oft kommt die Geldgier und der Neid der Menschen zur Sprache, wie etwa bei seinem Wortspiel „nachschießt“ – „vorschießt“ (14). Hier beschreibt er die Reaktion von betrogenen Ehemännern, die anstatt ihre Ehre zu rächen, den reichen Nebenbuhler um Geld beten. Gleichzeitig wird hier auch die Verstellung der Menschen gezeigt, die sich selbst verraten, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Falsche Ideale und übertriebener Pathos werden so pointiert dargeboten. Ein solches Beispiel findet sich auch bei der Entlarvung von Madame Schleyers Wohltätigkeitsball als reine Farce zur persönlichen Bereicherung (17f.). Lips bringt dies mit den Worten. „ […] jetzt brauchen Sie nur noch die Gäste mit dem Ball zum besten zu halten, so ist allgemeines Bestes erzweckt“ auf den Punkt (18f.). Madame Schleyers Verstellung und ihr vorgespieltes Leid als Witwe wird ebenfalls sofort erkannt. Mit einem Wortwitz weist Lips auf ihre eigenen moralischen Verwerfungen und ihre niederen Gelüste hin (19). Da Madame Schleyer diese Anspielung nicht einmal bemerkt, wirkt Lips überlegen und enthüllend. Sie selbst wird dadurch von ihrer moralisch hochmütigen Stellung als leidende, vom Schicksal gebeutelte Witwe gestoßen. In diesem Stück wird der Selbstbetrug wird mit kurzen, prägnanten Sätzen dargestellt. Menschen, die nur ihres Vermögens wegen beachtet werden, sehen nicht den wahren Grund hinter der Zuneigung anderer Menschen, sondern bilden sich ein, dies läge an ihrem Äußeren oder an ihrem Charakter, anstatt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen (22).

Auch der platonischen Freundschaft werden solche trivialen Beweggründe unterstellt. Lips Freunde werden als parasitäre Heuchler entlarvt, die ebenfalls nur nach eigenem Vorteil und Vergnügen aus sind. Sie nutzen ihre Beziehung zu Lips, um selbst ihrem hedonistischen Leben und ihren Feiern nachgehen zu können (14). Der Hausherr findet allerdings keine Erfüllung in diesem lustreichen Lebensstil der Reichen, da er durch seinen kritischen Blick und seine Selbstreflexion dies als Selbstbetrug und Täuschung erkennt. In den Worten „[…] so leer is weder mein Kopf noch mein Herz, daß ich Stallungen draus machen möcht“ wird deutlich, wie gering er das Leben seiner Standesgenossen schätzt (18). Letztendlich führt dies auch zum inneren Zweispalt der Figur, da er aufgrund seines räsonierenden Charakters einer solchen niederen Lebensführung abgeneigt ist und eine profane Befriedigung der Triebe nicht als ausreichend empfindet. Er erwartet mehr vom Leben, findet aber selbst keine Möglichkeit, es befriedigend zu gestalten. So schwankt er zwischen einfachen Vergnügen und der Suche nach etwas Höherem hin und her. Ein weiteres Beispiel des Selbstbetruges bietet außerdem Lips Freund Sporner, der zwanghaft versucht die englische Art zu kopieren und sich selbst dadurch aufzuwerten. Doch Lips reißt auch hier mit einigen Worten die Maske der Verstellung herunter (18). Auf die Spitze getrieben wird dies noch dadurch, dass Lips sich selbst etwas vorspielt, obwohl ihm genau bewusst ist, dass es sich dabei um eine bloße Farce handelt. Auch ist hier wieder Lips überlegende Haltung zu erkennen, in der er das Verhalten der Menschen analysiert, um sie dann bloß zu stellen. Denn „[…] um aber mit Vorsatz sich selbst für ein‘ Narren zu halten, muß man sich selbst an G’scheitheit übertreffen.“ (23f.). Gleichzeitig karikiert er übertriebenen Pathos, mit dem die Menschheit sich und anderen etwas vorspielt, um die eigene Person und ihr Handeln als bedeutend und wichtig erscheinen zu lassen. Durch theatralische Ausrufe wie „[…] der Atem stockt! […] Leben oder Tod!“ (24) zieht Lips diese Verstellung und Wichtigtuerei ins Lächerliche.

[...]


[1] Rommel, Otto: Nachwort, in: Der Zerrissene. Posse mit Gesang in drei Akten. Stuttgart, 1959. S.77.

[2] Rommel, Otto: Nachwort, in: Der Zerrissene. Posse mit Gesang in drei Akten. Stuttgart, 1959. S.85.

[3] Nestroy, Johann: Der Zerrissene. Posse mit Gesang in drei Akten. Stuttgart 1959, S.5.

[4] Mautner, Franz H.: Nestroy. in: Johann Nestroy Komödien. Ausgabe in sechs Bänden. Hrsg. von Franz H. Mautner. Bd.I. Frankfurt/ M. 1979. S. XVI.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Nestroy als Psychologe
Untertitel
Eine Betrachtung der Possen "Der Zerrissene" und "Das Haus der Temperamente" unter psychologischen Aspekten
Hochschule
Universität Stuttgart
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V130370
ISBN (eBook)
9783640365357
ISBN (Buch)
9783640365586
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nestroy, Psychologe, Eine, Betrachtung, Possen, Zerrissene, Haus, Temperamente, Aspekten
Arbeit zitieren
Christine Schulz Blank (Autor:in), 2009, Nestroy als Psychologe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130370

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