Urbanus Rhegius - Von Leibeigenschaft und Knechtheit


Seminararbeit, 2008

39 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Zur Person des Urbanus Rhegius

2. Die historischen Zusammenhänge
2.1. Die Problematik in Augsburg in der Zeit des Bauernkrieges
2.2. Die historische Einordnung der Quelle Exkurs: Leibeigenschaft und „Göttliches Recht“ - zwei zentrale Begriffe im Bauern­krieg

3. Formale Fragen an die Quelle
3.1. Überblick - Inhaltliche Darstellung und Gliederung

4. Interpretation
4.1. Christliche und weltliche Freiheit
4.2. Rhegii Obrigkeitsverständnis
4.3. Leibeigenschaft und Knechtschaft
4.4. Zwischenbilanz
4.5. An die christlichen Herren
4.6. Beendigung der Leibeigenschaft?

5. Auswertung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Urbanus Rhegius gehört wohl zu den weniger bekannten Persönlichkeiten der Refor­mationszeit. Gerhard Uhlhorn[1] charakterisiert seine Bedeutung für die Reformation in Deutschland so, daß „er zwar nicht in der eigentlichen Bildung des Dogma, aber in der Ausbildung desselben für die Gemeinden Großes geleistet hat.“[2] Martin Luther verweist auf ihn (und die hier behandelte Schrift) in seiner Schrift „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ von 1525 im dritten Artikel auf Rhegi­us als einen guten Freund[3]. Grund genug, um sich einmal genauer mit einer Schrift die­ses Theologen der frühen Reformationszeit zu befassen, zumal er als Theologe aus der „zweiten Reihe“, die dazu beitrug, daß „[...] die Reformation zu einer breitenwirksamen kirchlichen und gesellschaftlichen Erneuerungsbewegung [...][4] wurde, seinen Teil in Süd- und Norddeutschland geleistet hat.

Urbanus Rhegius gehört zujenen Persönlichkeiten der Kirchengeschichte, deren Le­ben und Wirken hinter den „großen“ Namen wohl eher ein Schattendasein führen. Dabei trittjenes Phänomen zutage, daß vielleicht so manche Persönlichkeit in der Geschichte getroffen hat. War sie ihren Zeitgenossen eine sehr wohl bekannte und geschätzte Grö­ße, gerät sie im Laufe der Zeit nahezu in Vergessenheit. Dabei war Rhegius in gebilde­ten Kreisen sehr bekannt und geschätzt.[5] Reformatorisch gesinnt, verstand er sich als Vorkämpfer der lutherischen Lehre.[6] In der Literatur wird er, mit wenigen Ausnahmen, kaum verhandelt. Zugängliche Darstellungen sind rar. Die meisten stammen aus der Zeit vor 1900. Ein Zugang zu seinen Werken selbst ist mit wenigen Ausnahmen ebenso schwierig.

Diese Arbeit wird sich mit einer Quelle befassen, die sich mit einem damals sehr ak­tuellen und brisanten Thema beschäftigt. Das Land ist von Unruhe und Veränderung ge­prägt. Mit der Reformation werden Forderungen laut, die breite Massen der Bevölke­rung erreichen. Viele verbinden sie mit eigenen Forderungen, die neben den religiösen Reformen auch politische und soziale Reformen im Reich beinhalten. Freiheit, wie sie im Evangelium beschrieben wird, soll in die persönliche Freiheit und Gleichheit umge­setzt werden. Verbunden mit schwelenden Konflikten zwischen Bauern und Oberen ist die Forderung nach der Abschaffung der Leibeigenschaft, begründet auf das „Göttliche Recht“, die zentrale Forderung, auf die Rhegius reagiert.

Die Schrift,, Von Leibaygenschaft oder knechthait, wie sich Herren und aygen leut christlich halten sollend, Bericht aus göttlichen Rechten zu Augsburg gepredigt durch Urban Rhegius “, die Gegenstand dieser Arbeit sein soll, ist Zeugnis seiner Auseinan­dersetzung mit diesem Thema. Die Person Urbanus Rhegius wird in seiner Zeit vorge­stellt. Da er relativ unbekannt ist, werde ich dies etwas ausführlicher machen, als dies vielleicht sonst in einer Arbeit üblich ist. Es scheint mir aber zum Verständnis der Quel­le nützlich zu sein. Ich werde dann auf die historischen Zusammenhänge eingehen, in der die Quelle entstanden ist. Hilfreich wird dabei ein Einblick in die Problematik der Anliegen der Aufständischen zur Zeit des Bauernkrieges in Hinsicht auf die Situation in der Reichsstadt Augsburg sein, um dann die Quelle historisch konkret einzuordnen. Ein Exkurs über zentrale Forderungen im Bauernkrieg wird letzte erhellende Informationen geben, die für die Interpretation der Quelle nützlich und notwendig sind. Nach inhaltli­cher Darstellung und Gliederung folgt die Interpretation der Quelle nach inhaltlichen Gesichtspunkten. An einigen Stellen werden, wenn auch zugegebenermaßen recht kur­ze, Vergleiche zu Luther gezogen, die auf die geistige Nähe und Verbundenheit Rhegii zu ihm in theologischen Gesichtspunkten hinweisen sollen. Ein ausführlicher Vergleich dieser beiden Theologen zur Sache wäre Thema einer eigenen Arbeit. Am Ende werden die Ergebnisse der Interpretation im Gesamtzusammenhang dieser Arbeit betrachtet, um die Position Rhegii gegenüber den Aufständischen deutlich zu machen.

Worte oder Passagen aus Zitaten, die für den heutigen Leser nicht direkt erkennbar oder verständlich sind, werden in den Fußnoten übersetzt[7].

1. Zur Person des Urbanus Rhegius

Urban Rieger wurde 1489 im schwäbischen Langenargen am Bodensee als Sohn des Priesters Konrad Rieger geboren. Er besuchte die Lateinschule in Lindau und studierte später in Freiburg im Breisgau. Hier lernte er Johann Eck kennen, mit dem er bis 1520 eine enge Freundschaft hegte und dessen theologische Positionen ihn lange beeinfluss­ten[8], und erwarb 1510 den Grad des Baccalaureus. 1512 folgte Rhegius Eck nach Ingol­stadt und erwarb dort eine humanistische Bildung,[9] zudem prägte ihn die kritische Hal­tung der Universität zur alten Scholastik[10]. 1516 promovierte er zum Magister Artium[11] und arbeitete in humanistischen Zirkeln mit.[12] Von nun an nennt er sich Urbanus Rhegi­us.[13] Im Jahr darauf wurde Rhegius durch Kaiser Maximilian I. zum poeta et orator lau- reatus erhoben.[14] Über seine theologische Ausbildung ist indes wenig bekannt. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass er stark von Eck beeinflusst war, jedoch mehr zum Humanismus tendierte, und in Ingolstadt mit seinen theologischen Studien be­gann.[15]

Rhegius’ Übergang zur Reformation ist fließend. Seine erste theologische Schrift über die priesterliche Würde von 1518 entspricht noch voll und ganz dem kirchlichen Bild von Priester- und Papsttum des Mittelalters und steht in scholastischer Tradition.[16] Die inzwischen ausgebrochenen Auseinandersetzungen mit Luther können als sicher be­kannt vorausgesetzt werden.[17] Stand Rhegius Zwingli und seinen Auffassungen deutlich positiv gegenüber, hegte er gegen Luther zunächst eine schroffe Ablehnung.[18] Die refor- matorische Wende Rhegii ist wohl im Jahr 1520 zu suchen. Die genauen Beweggründe sind leider nicht bekannt. Ist er zu Beginn des Jahres noch ganz auf der Seite Ecks, so richtet bereits im März desselben Jahres der Konstanzer Domherr Botzheim in einem Brief an Luther ausdrücklich Grüße von Rhegius aus, gleichwohl hier vornehmlich eine Hinwendung zu Luther zu sehen ist, die den Beginn eines längeren Prozesses kennzeich­net.[19] Im November des Jahres 1520 wird der ein Jahr zuvor in Konstanz zum Priester geweihte Rhegius Domprediger in Augsburg.[20] Pflichtgemäß verlas er die Bulle Exsurge Domine gegen Luther, doch widerspricht ihr Inhalt seiner inneren Haltung, wie eine sei­ner zeitnahen Dichtungen belegt.[21] In die Kritik geriet er infolge seiner Fronleichnam­spredigt, zugleich die erste unter seinem Namen veröffentlichte reformatorische Schrift, 1521, in der er scharf das Ablasswesen kritisierte, was im Herbst zu seiner Entlassung führte.[22] In den folgenden zwei Jahren prägte er wesentlich sein reformatorisches Profil aus.[23] Rhegius studierte intensiv Luthers Schriften, die wesentlich sein theologisches Profil, besonders auch den Begriff von der christlichen Freiheit und das Schriftverständ­nis mitbestimmen werden, obgleich er seine theologische Eigenständigkeit wahrt, was sich besonders darin zeigt, dass er im Abendmahlsstreit mit Zwingli eine vermittelnde Position einnimmt.[24] Ab 1522 ist er ganz ein Anhänger Luthers. Seine Predigertätigkeit in Langenargen und Hall in Tirol[25] waren wenig erfolgreich. Bald wurde er vertrieben und kehrte 1524 nach Augsburg, wo die reformatorische Bewegung inzwischen Fort­schritte gemacht hatte[26], zurück, wo er wieder als Prediger im Auftrag des Rates wirk­te.[27] Süddeutschland war inzwischen durch die Bauernunruhen bewegt, die auch Aus­wirkungen in Augsburg hatten. Mit seinem Wirken wandte er sich nun sozialen Fragen Zu[28]

2. Die historischen Zusammenhänge

2.1.Die Problematik in Augsburg in der Zeit des Bauernkrieges

Der Beginn der zweiten Wirksamkeit Rhegii in Augsburg fällt in die Zeit des deut­schen Bauernkrieges. Der Rat der Stadt Augsburg beauftragte ihn, die Stelle des ausge­wiesenen Franziskanermönches Johann Schilling in der Barfüßerkirche zu übernehmen. Schillings Predigt von der christlichen Freiheit wandte sich gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit und kirchliche Praxis. Er verlangte darin auch, dass die christliche Freiheit in die weltliche Freiheit zu übersetzen sei. Darüber hinaus vertrat er eine Art „Gemeinschaftseigentum“ und eine städtische Demokratie, deren Entscheidungsgewalt über der des Rates stehe. Seine antiklerikalen und sozialrevolutionären Äußerungen sprachen vornehmlich die Ärmeren der Stadt an, für die er zu einer Art Hoffnungsträger wurde, mit dem sie den Gedanken an eine Reformation in Kirche und Gesellschaft ver­banden. Leider fehlen für eine genaue Analyse Schillings die Quellen, es lässt sich aber vermuten, dass er einen sehr groben Begriff von christlicher Freiheit hatte[29], den auch Luther in seinen Schriften zur Sache bekämpft. Infolge seiner Verkündigung kam es in der Stadt zu Ausschreitungen und Bilderstürmen. Diese Stelle barg also ein gewisses so­ziales Spannungspotential. Hier vollzieht sich eine entscheidende Wende in Rhegius’ Wirken als reformatorisch gesinnter Theologe und Prediger. Erstmals wird er in den Prozess sozialer und rechtlicher Veränderung hineingezogen. Die Botschaft von der christlichen Freiheit verband sich auch in Augsburg mit antiklerikalen Ressentiments, Kritik an den Herrschaftsverhältnissen und mit der sozialen Unzufriedenheit der einfa­chen Bürger, die starke Sympathien für die Aufständischen hatten.

Um Unruhen und Aufstände zu vermeiden ließ der Rat der Stadt Schilling durch den zuständigen Franziskaner-Provinzial abberufen, was wiederum dessen Anhänger auf den Plan rief, die ihren „evangelischen Prediger“ zurück forderten. Der Kunstgriff des Rates war es, Rhegius für den Predigtdienst an dieser Predigtstätte zu gewinnen, der schon vor seinem Weggang von Augsburg in gutem Kontakt zur höheren Bürgerschaft stand[30]. Nun erfüllte dieser freilich in keiner Weise die Erwartungen der Anhänger Schillings, weder inhaltlich, noch rhetorisch, zumal er als Günstling der Oberschicht gelten musste. Nicht nur das Rhegius nicht so derb wie sein Vorgänger predigte, seine Predigt „[...] konzentrierte sich auf die Vermittlung der evangelischen Rechtfertigungsbotschaft von der allein im Glauben zu ergreifenden grundlosen Anerkennung des sündigen Menschen durch Gott.“[31] Er vertrat wie Luther die Auffassung, dass die notwendigen institutionel­len und strukturellen Änderungen sich daraus ergeben würden.[32] Revolutionäre Neigun­gen und grundlegende Gesellschaftskritik waren ihm fremd. Der Glaube bringt seine Frucht im Tun der Liebe. Über eine Predigt, die überdies von vielen Störungen begleitet wurde, kam er in der Barfüßerkirche nicht hinaus.

2.2.DÍe historische Einordnung der Quelle

Es sind „die Sturmjahre der Reformation“, die in die „Katastrophe des Bauernkrie­ges“ münden.[33] Lutherisches Gedankengut hatte sich ungeordnet und in recht unter­schiedlicher Ausprägung ausgebreitet. In vielen Orten gab es noch überhaupt keine gere­gelten Verhältnisse. So stellten die Leute beispielsweise vielfach ihre Abgaben ein, wes­halb der Pfarr- und Schulbetrieb vielerorts verfiel, oder verachteten die Predigt der Pfar­rer und gingen nunmehr ihre eigenen Wege[34].

Zunächst ist festzustellen, dass die Stadt Augsburg am Rande des Aufstandsgebietes von den Unruhen nur mittelbar betroffen war. Die sich seit dem Frühsommer 1524 vom Schwarzwald her ausbreitenden Aufstände und Zusammenschlüsse erreichten aber auch das Augsburger Umland. Zu Beginn des Jahres 1525 entstanden in Oberschwaben inner­halb weniger Wochen drei mächtige Bauernbünde: der Baltringer Haufen, die Vereini­gung der Bodenseebauern und die der Allgäuer Bauern. Die Vereinigungen verbreiteten sich sehr schnell und vergrößerten sich. „Am 19. März 1525 standen von Constanz bis Augsburg und Ulm an 100000 Bauern unter Waffen.“[35] Viele Augsburger sympathisier­ten mit ihnen. Mit seinen Kaufleuten und Handelshäusern gehörte Augsburg zu den rei­chen Städten. Jedoch ist auch hier zu beobachten, was auch für den Rest des Reiches gilt, nämlich, dass der steigende Wohlstand der Einen zu Lasten der einfachen Bevölke­rung geht, was eine Reihe von Einschränkungen der bisherigen Rechte mit sich bringt, Abhängigkeitsverhältnisse verstärkt sowie erhöhte Abgabenforderungen beinhaltet. Wie unter der bäuerlichen Landbevölkerung gärte es auch hier, obgleich die Stadt nicht in den Krieg hineingezogen wurde[36], so also auch Rhegius nicht. Die Lage musste für Augsburg aber dennoch ernst erscheinen.

Es ist eine sehr unruhige Zeit. Vielerorts erheben sich die Bauern und andere Bürger des einfachen Standes bis hin zum niederen Adel, um für das „Alte Recht“ zu kämpfen, bald geht es um das „Göttliche Recht“. Die Ursache für die Aufstände ist freilich nicht allein die Reformation[37], doch liefert sie einige Impulse, so zum Beispiel die Rede von der christlichen Freiheit, die mit der Forderung nach persönlicher Freiheit verbunden wird, und die Berufung auf die Heilige Schrift, die als das ,,Göttliche Recht “ in An- Spruch genommen wird, was nun zur Untermauerung und Durchsetzung der Forderun­gen herangezogen wird. In den Forderungen der Reformation sah man die eigenen For­derungen nach politischen, sozialen und religiösen Reformen bestätigt.

Gegen einen solchen Gebrauch wendet sich nicht nur Rhegius. Auch andere promi­nente Theologen der Reformation sind zu nennen, z. B. Luther mit seiner „Ermahnung zum Frieden “, Melanchton mit „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artickel der Bauernschaft“ oder Johannes Brenz mit „ Von gehorsam der underthon gegen irer oberkait“. Die seit dem 15. Jahrhundert immer wieder aufkommenden bäuerlichen Er­hebungen mehren sich jetzt mehr und mehr, besonders in Süddeutschland.[38] Eine we­sentliche Forderung der Bauern war die Abschaffung der Leibeigenschaft unter Beru­fung aufjenes „Göttliche Recht“. Die Aufstände häufen sich in den Jahren 1524/25.[39] In kurzer Zeit steht fast das ganze süddeutsche Gebiet bis nach Thüringen im Aufstand, der von April bis Juli 1525 in die blutige Phase bis zur Niederschlagung tritt.[40]

Exkurs: Leibeigenschaft und „Göttliches Recht“ - zwei zentrale Begriffe im sogenannten Bauernkrieg

Die Ursachen und die Entstehung des Bauernkrieges sowie die Ziele der Aufständi­schen im Einzelnen zu verhandeln ist hier nicht der Ort. Es genügt an dieser Stelle auf die einschlägige Literatur zu verweisen. Ich will hier nur auf zwei, für diese Arbeit wichtige Punkte, hinweisen, nämlich die Forderung nach der Durchsetzung des „Göttli­chen Rechts“ und die Abschaffung der Leibeigenschaft[41]. Die Sache wird hier nur äu­ßerst knapp umrissen, da ich mich auf für die Quelle wichtigen Dinge beschränke.

Den Haufen gemein war das Ziel der Durchsetzung des „Göttlichen Rechts“, d. h. man beruft sich auf die Heilige Schrift als lebens- und gesellschaftsgestaltendes Prin- zip.[42] Sie fordern ihr Recht auf sozialem, politischem und religiösem Gebiet, weil und wie es dem Evangelium direkt zu entnehmen ist.[43] Die gegnerische Seite hingegen sieht in den Forderungen der Bauern oft Treuelosigkeit und Ausdruck unchristlichen Verhal­tens, das dem göttlichen Gesetz gerade entgegensteht - sie sieht darin gerade einen Ver­stoß gegen das göttliche Gebot, das im Spätmittelalter identisch ist mit dem natürlichen Recht. Ein Aufstand gegen die Obrigkeit gilt im Spätmittelalter als Verstoß gegen dieses Recht, also auch gegen die göttliche Ordnung. Freilich haben die Bauern nach diesem auch Rechte. Die Obrigkeit aber durch eine andere zu ersetzen, kann und darf nur Gott[44] - eine Position, wie sie auch Luther und Rhegius vertreten. Allerdings führen die Bauern jetzt Forderungen auf das göttliche Recht zurück, die im althergebrachten nicht veran­kert sind, so z. B. das Recht auf freie Wahl und Absetzung des Pfarrers.[45] Es ist ein Übergang vom „göttlich natürlichen Recht“ zum „göttlich evangelischen Recht“ im Zu­sammenhang mit der reformatorischen Predigt zu beobachten. In der Aufrichtung des Wortes Gottes erhofft man sich, daß notwendig die sozialen, politischen und religiösen Reformen unmittelbar folgen,[46] wozu auch die Forderung der persönlichen Freiheit unter Berufung auf die christliche Freiheit zählt. Dies widerspricht freilich den Auffassungen der Luther nahestehenden Theologen. Eine Beibehaltung des status quo zwischen Obrig­keit und Untertanen verstößt nach Auffassung der Aufständischen diesem „göttlichen Recht“ und hat darum keine Daseinsberechtigung mehr. Die gewaltvolle Umsetzung wollen die Bauern in erster Linie nicht, sondern vielmehr das Einlenken der Obrigkeit. Gewalt ist die letzte der Möglichkeiten.[47]

Zu den Zielen gehörte die Abschaffung der Leibeigenschaft. Diese Forderung erhob sich auch bei den Augsburger Bauern gegenüber ihrem Bischof.[48] Damit verbunden war die Abschaffung der Todfallabgabe und der Heiratsbeschränkungen sowie die Freiheit, zujagen und zu fischen.[49] Dies wird, wie Die Zwölf Artikel im dritten Artikel zeigen, als eine der Forderungen des „Göttlichen Rechts“ betrachtet.[50] Mit den Artikeln wird der Anspruch erhoben, Dinge zu benennen, die nicht mit der Heiligen Schrift, dem „Göttli­chen Recht“, übereinstimmen und darum diesem gemäß geändert werden müssen. Es ist das erklärte Ziel, „das sye dise schmach des wort gotes auffheben“[51] wollen. Demnach stehe die Leibeigenschaft im Widerspruch zur Heiligen Schrift, wobei besonders ein Widerspruch zum Erlösungswerk Christi gesehen wird. Die Forderung ist klar zu formu­lieren: Jede Bedrückung, jedes Gesetz, so auch die Leibeigenschaft, muss sich an der Schrift messen und in ihr begründet sein - alles andere wäre hinfällig und unchristlich. In Frage gestellt wird dabei nicht die staatliche Obrigkeit, sondern die Tatsache, dass ein Mensch das Eigentum eines Anderen sein kann; die persönliche Freiheit wird gefordert und dies mit dem Evangelium begründet. Bestätigt und unterstützt sahen sie ihre Forde­rungen in den Erkenntnissen der Reformation, was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, dass die Memminger Bundesordnung[52] an namhafte reformatorische Theologen zur Be­gutachtung gesandt wird. Erschwerend mag in den Städten hinzukommen, dass sich hier der reformatorische Freiheitsbegriff mit dem religiös begründeten Gedanken der städti­schen Freiheit verband.[53] Da viele Augsburger, wie erwähnt, mit den Bauern sympathi­sierten, musste die Situation für die Stadt bedrohlich erscheinen. Der Rat der Stadt konnte seine Bürger nur mit Mühe auf seiner Seite halten und eine Verbindung von Bauern und Städtern verhindern[54]. Die Untertanen des Augsburger Bischofs hingegen schlossen sich bis Mitte Februar 1525 dem Aufstand an.[55] In dieser angespannten Lage hält Rhegius eine Predigt über Röm 13,1-10, die als Grundlage unserer Quelle dient, die nun näher betrachtet werden kann. (Exkurs Ende)

[...]


[1] H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 1.

[2] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 335.

[3] WA 18, 327, Z. 9f.

[4] H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 2.

[5] Vgl. H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 8.

[6] G. Simon, Humanismus undKonfession, 103.

[7] Ich zeichne die vita des Rhegius hier in gebotener Kürze nur bis zum Jahr 1525 nach, damit sein theologisches Profil für uns deutlicher wird, was im Interesse des Verständnisses der Quelle m. E. notwendig ist. Für die Zeit danach, bis zu seinem Tod 1541 in Celle, verweise ich auf die Literatur. Ausführliche Informationen bietet hier das Werk von Gerhard Uhlhorn, Urbanus Rhegius von 1861 (Nachdruck 1968). Eine modernere, knappere findet sich bei Maximilian Liebmann, Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation S. 68-131. Liebmann bietet zudem eine vollständige Auflistung aller Schriften von Urbanus Rhegius. Ich beziehe mich ihrer klaren und knappen Darstellung wegen i. d. R. auf H. Zschoch, 7-100. Die Situation in den Jahren 1524/25 werden wegen des engen Zusammenhanges zur Quelle unter 2. verhandelt.

[8] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 11.

[9] M. Liebmann, Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation, 85ff.

[10] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 8. Zur Stellung Ecks hierzu ebd.

[11] M. Liebmann, Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation, 91f.

[12] A. a. O. 98f

[13] A. a. O. 73ff

[14] A. a. O. 99ff

[15] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 7; 13.

[16] Ebd.; H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 9.

[17] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 14; J. Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands, 19-22.

[18] A. a. O. 16-19.

[19] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 19f. H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 11; 14.

[20] H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 12. Zur schwierigen Frage seiner theologischen Promoti on ebd.

[21] A. a. O. 13f.

[22] Eine inhaltliche Darstellung der Predigt findet sich bei H. Zschoch, Reformatorische Existenz 15-24der auch auf die Abhängigkeiten von Gabriel Biel und Luther hinweist. In seiner Konzeption trägt er Luthers Deutung des Abendmahls vor, zum Teil mit Zitaten. Der Protest entzündete sich allerdings erst an der im Schlussteil der Predigt vorgetragenen Ablasskritik (H. Zschoch, 22-24).

[23] Siehe H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 44-93.

[24] A. a. O. 45.

[25] Zur besonderen Problematik der Tätigkeit des reformatorisch gesinnten Rhegius an der Heiltums- kapelle in Hall in Tirol siehe H. Zschoch, Reformatorische Existenz, 46f.

[26] Vgl. G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 55-62.

[27] Zum Phänomen, dass Prediger vom Rat der Stadt bestellt werden siehe H. Zschoch, 99.

[28] Zur theologischen Wirksamkeit zwischen den Wirkungszeiten in Augsburg siehe H. Zschoch, Re­formatorische Existenz, 44-93.

[29] A. a. O. 96. Zum folgendenvgl. 94-109. 30A. a. O. 98.

[31] A. a. O. 97.

[32] Ebd.

[33] J. Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, 35.

[34] Vgl. Martin Luther: Brief an Kurfürst Johann, 22. November 1526, WA. B 4, Nr. 1052, 133, Z 5-20.

[35] G. Uhlhorn, Urbanus Rhegius, 75.

[36] J. Maurer, Prediger im Bauernkrieg, 406.

[37] Zu den Ursachen siehe G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 80-91.

[38] Vgl. G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 80.

[39] G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 92ff.

[40] J. Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, 57f.

[41] Der Leibherr war Herr über eine bestimmte Person, den Leibeigenen. Er war verpflichtet, diesen zu schützen. Dieser war im Gegenzug zu Abgaben in Naturalien und Arbeit verpflichtet. Mit der Leib­eigenschaft war meist die Vergabe von Land verbunden. Während ein Lehen über den Vater vererbt wurde, lief die Leibeigenschaft über die Mutter. Zur Leibeigenschaft gehörte vielfach die Beschrän­kung der Heiratsfreiheit, die vermeiden sollte, daß Kinder von Leibeigenen Leibeigene anderer Herren wurden. Die Koppelung von Lehnsrecht und Leibeigenschaft, die das Zugriffsrecht des Herrn steigert, tritt vermehrt auf. Auch kirchliche Instanzen und Städte konnten Leibherren sein. Einen Überblick über das Gesellschaftsbild und zu wirtschaftlichen Aspekten injener Zeit bietet D. Sabean, Landbesitz und Gesellschaft, S. 22f, 45f, 49-55, 86-103. Zur Problematik der Leibeigenschaft selbst siehe P. Blickle, Die Revolution von 1525, 40-50.

[42] C. Ulbrich, Oberschwaben und Württemberg, 97f. Was die Aufständischen als Inhalt des „Göttlichen Rechts“ verstanden, geben wohl am deutlichsten „Die Zwölf Artikel“ wieder. Die Berufung auf das Göttliche Recht taucht vereinzelt bereits früher auf. Der früheste Beleg findet sich in einer Ablehnung der Leibeigenschaft des Dorfes Embrach bei Zürich im Januar 1524. Ab 1525 findet sich diese Berufung bei fast allen Aufständischen, die die Abschaffung der Leibeigenschaft fordern (vgl. W. Müller, Freiheit und Leibeigenschaft, 257). Zum Begriff siehe auch G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 41-43. Franz zeigt, dass bis dato keine strenge Differenzierung zwischen „Altem Recht“ und „Göttlichem Recht“ vorliegt, sondern dass beide miteinander identifiziert wurden. Jetzt aber wird das „Göttliche Recht“ mit dem Evangelium identifiziert als „eines neuen Rechtes, an dem alles Irdische zu messen wäre“ (a. a. O. 89). Diekmannshenke weist darauf hin, dass der Begriff bei den Aufständischen mit einer Radikalisierung der Forderungen, die gegebenenfalls eine Umwälzung der gegebenen sozialpolitischen Verhältnisse fordern, beinhaltet (Vgl. H.-J. Diekmannshenke, Schlagwörter, 254-259).

[43] W. Becker, „Göttliches Wort“, „Göttliches Recht“, „Göttliche Gerechtigkeit“. Die Politisierung theologischer Begriffe?, 233.

[44] A. a. O. 239-241.

[45] A. a. O. 243f

[46] A. a. O. 244f

[47] A. a. O. 258f

[48] G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 27f, 162f, C. Ulbrich, Oberschwaben und Württemberg 100.

[49] C. Ulbrich, Oberschwaben und Württemberg, 102.

[50] Gleichwohl gab es mehrere Gründe, weshalb die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert wur­de. Der religiöse Grund war es schließlich, die sich am Ende durchsetzte.

[51] Die Zwölf Artikel, 26. Es ist hervorzuheben, dass die „Zwölf Artikel“ immer noch von einer friedlichen Lösung des Konfliktes ausgehen.

[52] Memminger Bundesordnung, 33.

[53] Vgl. B. Moeller, ReichsstadtundReformation, 10-18.

[54] P. Blickle, Die Revolutionvon 1525, 173f.

[55] G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 115.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Urbanus Rhegius - Von Leibeigenschaft und Knechtheit
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Theologische Fakultät)
Veranstaltung
Seminar "Luthers Bauernkriegsschriften"
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
39
Katalognummer
V129798
ISBN (eBook)
9783640359783
ISBN (Buch)
9783640359547
Dateigröße
574 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Urbanus, Rhegius, Leibeigenschaft, Knechtheit
Arbeit zitieren
Michael Schuft (Autor:in), 2008, Urbanus Rhegius - Von Leibeigenschaft und Knechtheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129798

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