Analyse des Verhältnisses zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther anhand von Briefwechseln


Hausarbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Beginn der Beziehungen zwischen Erasmus und Luther
2.1 Erster indirekter Briefkontakt
2.2 Erster direkter Briefkontakt

3. Erasmus Rolle während der immer stärker zunehmenden Differenzen zwischen Luther und der katholischen Kirche

4. Der Bruch mit Luther
4.1 Erasmus Versuche des Beibehalts einer neutralen Rolle
4.2 Endgültiger Bruch mit Luther

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit wird sich damit beschäftigen, wie sich das Verhältnis zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther gestaltete. Zu diesem Zweck werden unter anderem die Briefwechsel der beiden analysiert, und in einen historischen Kontext gesetzt werden. Die Hausarbeit beginnt dazu bei dem ersten schriftlichen Kontakt der beiden gegen Ende des Jahres 1516, und endet mit der Veröffentlichung des gegen Luther gerichteten Werks „Gegen den freien Willen“ im Jahre 1524, bzw. vielmehr nach den Beurteilungen der Nachwirkungen dieses Werks, welche sich bis circa 1534 hinziehen.

Erasmus war der bedeutenste europäische Humanist der damaligen Zeit. Er war weiterhin eine der wichtigsten Instanzen in Sachen Glaubensfragen. Damit war Erasmus sowohl für die Reformer, als auch für die Anhänger der alten kirchlichen Ordnung ein elementar wichtiger Ansprechpartner. Es sind daher viele Briefwechsel mit den verschiedensten Persönlichkeiten der damaligen Zeit von ihm geführt worden. Die meisten Korrespondenzen davon sind glücklicherweise auch erhalten geblieben. Die Quellenlage ist somit als sehr gut zu bezeichnen.

Die Tatsache, dass Erasmus ständig versuchte eine gewisse Neutralität zu wahren, um so bei der Lutherfrage eine Art Vermittlerrolle zwischen den Reformern und den Anhängern der alten kirchlichen Ordnung einzunehmen, wird sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausarbeitung ziehen. Jedoch ist hier anzumerken, dass es hierzu in der Forschung zwei entgegengesetzte Tendenzen gibt. So ist beispielsweise Paul Kalkoff ein Verfechter der These, dass Erasmus ganz bewusst diese neutrale Rolle einnahm, während ihm Johan Huizinga entgegenhält, dass Erasmus von ihm „zu Unrecht als eine psychologische Einheit“[1] betrachtet werde.

Erasmus hatte es jedoch ganz und gar nicht leicht, seine neutrale Rolle zu wahren. Ständige Versuche der beiden konkurrierenden Seiten ihn zu einer klaren Stellungsnahme zu bewegen, mussten stets von ihm geschickt umkurvt werden. Erasmus war, wie es Stefan Zweig formulieren würde, „in einen der wildesten Ausbrüche nationalreligiöser Massenleidenschaft herabgerissen“[2] worden.

Erasmus begrüßte durchaus relativ viele von Luthers Ideen, die schließlich häufig an das humanistische Gedankengut anknüpften. Jedoch war ihm dessen Vorgehen fast grundsätzlich zu radikal. Erasmus war an einer langsamen Verbesserung der Verhältnisse durch eine Humanisierung der Erziehung interessiert.[3] Luther wollte tendenziell eher eine Art von religiöser Revolution. Eben dieser Zwiespalt trug entscheidend dazu bei, das Verhältnis der beiden immer mehr zu verschlechtern.

Zuletzt ist einleitend anzumerken, dass zwar sehr viele wissenschaftliche Publikationen über das Verhältnis zwischen Erasmus und Luther angefertigt wurden, diese aber oftmals einen religiös wertenden Standpunkt einnehmen. So weist beispielsweise Heinz Holeczek darauf hin, dass viele Katholiken Erasmus vorwerfen, er habe „das Ei gelegt, welches Luther ausbrütete“[4]. Die Protestanten hingegen hätten „in ihrer Substanz alles aus seinen Schriften erlernt“[5], und Erasmus trotzdem angegriffen, da dieser kein loyaler Anhänger der Reformation gewesen sei. Die vorliegende Hausarbeit setzt sich deshalb das Ziel, das Verhältnis zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther aus einer neutralen Perspektive zu betrachten.

2. Beginn der Beziehungen zwischen Erasmus und Luther

2.1 Erster indirekter Briefkontakt

Gegen Ende des Jahres 1516 bekam Erasmus einen Brief von einem gewissen Georg Spalatin.

Spalatin war Bibliothekar und Sekretär Friedrichs, des Kurfürsten von Sachsen. Der Brief sprach Erasmus in einem sehr ehrerbietigen und huldigenden Schreibstil an. Zweck des Briefes war es, Erasmus die These eines jungen Augustinermönchs mitzuteilen, welcher der Ansicht war, dass Erasmus bei der Erklärung des Paulus den Begriff Justitia nur ungenau erfasst habe, und dadurch die Erbsünde von Erasmus zu wenig berücksichtigt werde.[6]

Es ging in dem Schreiben also um eine theologische Fragestellung. Luthers Name wird in Spalatins Brief nicht genannt, er wird von ihm als unbekannter Augustinermönch bezeichnet.[7]

Da Luther in seiner Argumentation Erasmus Thesen zur Rechtfertigung durch den Glauben kritisierte[8], berührte dieser Brief bereits gegen Ende des Jahres 1516 „das Zentralproblem, in dem sich später die beiden gegenüberstehen werden“[9]. Gemeint ist hier die Frage nach der Freiheit bzw. nach der Unfreiheit des menschlichen Willens. Eben dieses Zentralproblem ist ein nicht zu unterschätzender Grund für die Unterschiede in den Lehren des Erasmus, beziehungsweise Luthers. Schließlich beruht der gesamte Humanismus auf dem Grundgedanken, dass der Mensch ein freies Wesen ist.

Erasmus schenkte dem Brief allerdings wenig Aufmerksamkeit, wohl auch weil er sehr viele Zuschriften dieser Art bekam. Spalatin bekam keine Antwort, und später behauptete Erasmus gar, den Brief nie erhalten zu haben.[10] So schreibt Erasmus am 29. Mai 1519 an Spalatin: „Bisher habe ich keine Briefe von Dir bekommen, weder von Dir persönlich noch im Namen des erlauchten Fürsten.“[11]. Er fügt auch eine mögliche Erklärung für den Verlust des Briefes an, und verweist darauf, dass „die Feinde der edlen Studien darauf [lauern] Briefe abzufangen“[12]. Kalkoff weist darauf hin, dass Erasmus diese Aussage wahrscheinlich vor dem Hintergrund einer versuchten Parteinahme der Wittenberger tätigte.[13] Man sieht also, dass Erasmus um seine Neutralität zu wahren, auch vor kleinen Notlügen nicht zurückzuschrecken schien.

2.2 Erster direkter Briefkontakt

Am 28. März 1519 wandte sich Martin Luther nun erstmals direkt und persönlich an Erasmus:

„Ich spreche so oft mit dir und du mit mir, Erasmus, unsere Zierde und unsere Hoffnung, und wir kennen einander noch nicht. (…) Darum, mein Erasmus, du liebenswürdiger Mann, anerkenne, wenn es dir gefällt, auch diesen kleinen Bruder in Christo, der dich sicherlich bewundert und dir zugetan ist, der im übrigen um seiner Unwissenheit willen nichts verdiente, als unbekannt in einem Winkel begraben zu liegen.“[14]

Huizinga merkt an, dass Luther mit „diesem etwas bäurisch schlauen und halb ironischen Brief“[15] einen Annäherungsversuch unternahm, um Erasmus auf seine Seite zu ziehen, beziehungsweise zumindest herauszufinden, wie Erasmus über ihn denkt. Schließlich war Erasmus eine bedeutende Persönlichkeit, mit großem Einfluss auf Wissenschaft und Bildung. Luther hätte Erasmus nur zu gerne als Fürsprecher gewonnen.

Luther hatte im Vorfeld mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen am 31. Oktober 1517 bereits für viel Wirbel gesorgt, und Erasmus musste nun aufpassen, nicht von einer der beiden Parteien vereinnahmt zu werden. Luther hatte durch die Veröffentlichung seiner Thesen den Unmut der katholischen Kirche auf sich gezogen, welche nun auf eine schnelle Verurteilung Luthers drängte. Er stand jedoch unter dem Schutz Friedrichs der Weisen von Sachsen. Also forderte die päpstliche Kirche die Auslieferung oder Vertreibung Luthers.

Luther schlug in einem Brief an Friedrich den Weisen vom 19. November 1518 vor, sich „dem schiedsrichterlichen Urteil der vier angesehensten Universitäten“[16] zu unterwerfen.

Da Erasmus auch eine rege briefliche Korrespondenz mit dem Augustiner Johann Lang führte, welcher wiederum einen engen Kontakt zu Martin Luther pflegte, wusste Luther, dass ihm Erasmus offen gegenüberstand und durchaus Sympathien für ihn hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint nun der oben zitierte Brief Luthers an Erasmus vom 28. März 1519 in einem neuen Licht. Luther wusste zumindest ansatzweise durch Johann Lang, wie Erasmus über ihn dachte. Und er nahm mit diesem Brief einen Anlauf, um Erasmus als Aushängeschild für sich zu gewinnen. In diesem Zusammenhang weist Stefan Zweig darauf hin, dass „der parteilose Mensch für die Parteimenschen die wichtigste und beste Flagge sei“[17].

Doch Luther scheiterte mit seinem Vorhaben, denn Erasmus nahm seinen Brief als Anlass, um „sich augenblicklich zurückzuziehen“[18]. Luther hatte von Erasmus ganz einfach zu viel verlangt.

So wandte sich Erasmus am 14. April 1519 an Luthers Beschützer, Friedrich den Weisen von Sachsen. Hier schreibt Erasmus unter anderem, dass ihm Luther „vollkommen unbekannt“ sei, aber jeder der ihn kenne „sein Leben billige“.[19] Erasmus schließt diesen Brief mit einigen Worten, die für eine durchaus positive Grundeinstellung zu Luther sprechen, und die Luthers Anhängern, die auf Erasmus Unterstützung hofften, gefallen mussten: „Wie es im übrigen Aufgabe deiner Erlaucht ist, die christliche Religion in frommer Weise zu schützen, so ist es klug, nicht zu gestatten, dass ein Unschuldiger, solange Du Schutzherr der Gerechtigkeit bist, unter dem Vorwand der Frömmigkeit irgendwelcher Gottlosigkeit preisgegeben wird“[20].

Am 30. Mai 1519 wandte sich Erasmus dann schließlich erstmals persönlich an Martin Luther. Huizinga weist darauf hin, dass dieser Brief als eine Art Leitartikel zu verstehen sei, mit dem Erasmus die Öffentlichkeit über seine Meinung zur Lutherfrage bekannt machen wolle.[21] Erasmus eröffnet den Brief wie folgt: „Herzlichen Gruß, in Christus geliebtester Bruder. Dein Brief war mir sehr willkommen, er verriet Schärfe des Geistes und ein christliches Herz. Mit Worten könnte ich nicht sagen, welchen Sturm Deine Bücher hier hervorgerufen haben. Noch immer lässt sich der vollkommen falsche Verdacht nicht ausrotten, dass man meint, Deine Schriften seien mit meiner Hilfe geschrieben, ich sei der Bannerträger dieser Partei, wie sie sagen. Sie glaubten eine Handhabe bekommen zu haben, die guten Wissenschaften zu unterdrücken […] Ich habe bezeugt, daß Du mir vollkommen unbekannt bist, ich Deine Bücher noch nie gelesen habe; infolgedessen missbillige und billige ich nichts.“[22]

Erasmus war zu diesem Zeitpunkt noch in Löwen ansässig, und von den dortigen Theologen wurde das Gerücht gestreut, dass Luther seine Schriften mit Erasmus Unterstützung geschrieben habe. Erasmus stellt klar, dass er sich geschickt von der Pflicht entzogen hat einen Kommentar über Luthers Thesen abzugeben, indem er einfach angab seine Bücher nicht gelesen zu haben. In anderen Briefen kritisierte er zudem indirekt die Gegner Luthers. Man kann also sagen, dass er unter Beibehaltung seiner neutralen Rolle sehr viel für Luther getan hat.

Der Brief geht wie folgt weiter: „Man solle auch erwägen, ob es gut sei, vor dem gewöhnlichen Volke Dinge preiszugeben, die besser in Büchern widerlegt oder zwischen Gebildeten verhandelt würden, zumal man einstimmig das Leben des Verfassers rühme. […] Soweit wie möglich halte ich mich neutral, um desto mehr dem Wiederaufblühen der Wissenschaft nützlich zu sein. Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang.“[23]

Hier kritisiert Erasmus, dass der Streit nicht unter den Gebildeten, sondern vor dem gewöhnlichen Volk ausgetragen werde. Diese Kritik wendet sich somit an beide beteiligten Parteien. Er kritisiert zudem Luthers drastische Vorgehensweise. Erasmus stellt hier auch ausdrücklich klar, dass er neutral bleiben will, und mehr als Vermittler zwischen den Reformern und den Anhängern der römisch-katholischen Ordnung auftreten will.

Gegen Ende des Briefes schreibt Erasmus noch: „ Es empfiehlt sich mehr, laut gegen die aufzutreten, die die päpstliche Autorität missbrauchen, als gegen die Päpste selbst, ich glaube so muß man es auch bei den Königen machen. Die Schulen soll man nicht sowohl verachten, als sie zu vernünftigeren Studien zurückzurufen. Bei Dingen, die so fest eingewurzelt sind, daß man sie nicht plötzlich aus den Herzen reißen kann, muß man lieber mit beständigen und wirksamen Argumenten disputieren als schroffe Behauptungen aufstellen. Giftige Streitereien gewisser Leute sollte man mehr verachten als widerlegen.“[24]

Erasmus macht Luther hier Vorhaltungen, dass er lieber gegen die missbräuchliche Verwendung der päpstlichen Autorität vorgehen solle, als gegen die Päpste selbst. Jedoch ist die Kritik an Luther hier so schwach ausgeprägt, dass der Verdacht, dass Erasmus Luther unterstützte nur verstärkt wurde.[25]

Anhand dieses Abschnitts wird zudem sehr deutlich, dass Erasmus einen langsam voranschreitenden Reformprozess wünschte. Erneut kritisierte er Luther für seine drastische und schnelle Vorgehensweise. Er stimmte Luther also in vielen Punkten zu, wünschte sich aber eine andere und vor allem langsamere Umsetzung der Reformen.

[...]


[1] Huizinga, Johan: Erasmus. S.161.

[2] Zweig, Stefan: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. S.15.

[3] Vgl. Jensma, Goffe: Erasmus von Rotterdam 1469-1536. S.20.

[4] Holeczek, Heinz: Erasmische Reform und Reformation. S.58.

[5] Ebd. S.58.

[6] Vgl. Huizinga, Johan: Erasmus. S.157f.

[7] Vgl. Kalkoff, Paul: Erasmus, Luther, und Friedrich der Weise. S.10.

[8] Vgl. Vgl. Huizinga, Johan: Erasmus. S.158.

[9] Kalkoff, Paul: Erasmus, Luther, und Friedrich der Weise. S.85.

[10] Vgl. Huizinga, Johan: Erasmus. S.158.

[11] Köhler, Walter (Hrsg.): Erasmus von Rotterdam. Briefe. S.244.

[12] Ebd. S.244.

[13] Vgl. Kalkoff, Paul: Erasmus, Luther, und Friedrich der Weise. S.19.

[14] Huizinga, Johan: Erasmus. S.160.

[15] Ebd. S.160.

[16] Kalkoff, Paul: Erasmus, Luther, und Friedrich der Weise. S.21f.

[17] Zweig, Stefan: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. S.97.

[18] Huizinga, Johan: Erasmus. S.161.

[19] Köhler, Walter (Hrsg.): Erasmus von Rotterdam. Briefe. S.232.

[20] Ebd. S.234.

[21] Vgl. Huizinga, Johan: Erasmus. S.162.

[22] Köhler, Walter (Hrsg.): Erasmus von Rotterdam. Briefe. S.245.

[23] Ebd. S.245f.

[24] Ebd. S.246f.

[25] Vgl. Bainton, Roland H.: Erasmus. Reformer zwischen den Fronten. S.151f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Analyse des Verhältnisses zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther anhand von Briefwechseln
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Geschichte)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V129621
ISBN (eBook)
9783640360994
ISBN (Buch)
9783640360697
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Verhältnisses, Erasmus, Rotterdam, Martin, Luther, Briefwechseln
Arbeit zitieren
Philip Beihofer (Autor:in), 2007, Analyse des Verhältnisses zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther anhand von Briefwechseln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129621

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