Ethische Herausforderungen in der neueren Medizin

Töten oder Sterbenlassen?


Seminararbeit, 2006

18 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Die Situation
1.2 Ziel der Arbeit

2. Begriffsklärungen
2.1 Aktive und direkte Sterbehilfe
2.2 Indirekte Sterbehilfe
2.3 Passive Sterbehilfe
2.4 Beihilfe zum Suizid
2.5 Sterbebegleitung

3. Die Situation in den Nachbarländern
3.1 Niederlande
3.2 Belgien
3.3 Schweiz
3.4 Nordeuropäische Länder

4. Organisationen in Deutschland
4.1 DIGNITAS
4.2 Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben
4.3 Hospiz-Bewegung
4.4 Das christliche Verständnis

5. Diskussion
5.1 Passive Sterbehilfe
5.2 Indirekte Sterbehilfe
5.3 Aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid
5.3.1 Nur ein gradueller Unterschied?
5.3.2 Die Frage der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit
5.3.3 Mangelnde Palliativmedizin und Betreuung
5.3.4 Das Vertrauensverhältnis Arzt-Patient
5.3.5 Das Dammbruchargument

6. Resümee

7. Literatur

1. Einleitung

1.1 Die Situation

In den letzten Jahrzehnten hat die Medizin beträchtliche Fortschritte gemacht. Viele Jahrhunderte lang stand der Arzt relativ ohnmächtig vielen Krankheiten gegenüber und eine seiner wichtigsten Aufgaben war es dann, die Patienten zu trösten. Mit dem Fortschritt der Anästhesie und der Chirurgie änderte sich langsam die Situation. Es wurde eine immer bessere Diagnostik wie die Röntgen-Technik oder die Computertomographie entwickelt, die Entwicklung von Impfstoffen und Antibiotika schritt voran, vor allem aber die immer mächtigere Intensivmedizin gaben dem Mediziner ungeahnt neue Möglichkeiten. Heute ist man in der Lage schwerste Krankheiten und Verwundungen zu heilen, aber auch das Leben des schwerkranken und sterbenden Menschen für lange Zeit aufrecht zu erhalten.[1]

Mit dieser Zunahme der Möglichkeiten stellen sich neue Fragen. Bei den immer höher steigenden Kosten für die Medizintechnik muss die Entscheidung getroffen werden, wohin die begrenzten Finanzen fließen. Diese ökonomischen Entscheidungen bringen zwangsläufig auch ethische Fragen mit sich. Welche Medizin mit wie viel Geld unterstützt wird, hängt dann vom Menschenbild der Entscheider ab. Und heute und wahrscheinlich noch viel mehr in der Zukunft, wird die Frage, welche Therapie für welche Menschen bezahlt wird, eine Rolle spielen.

Aber noch vielmehr als die finanziellen Aspekte, beherrscht die Frage nach Sinn und Zweck der sogenannten „lebensverlängernden Maßnahmen“ die Diskussion. Zu den Zeiten, als die Mediziner nur sehr begrenzt Leben retten und verlängern konnten, war es selbstverständlich, dass alles medizinisch Mögliche ausprobiert wurde, um Leben zu retten. Selten wurde der Sinn der medizinischen Unternehmungen in Frage gestellt.[2]

Doch heute hat sich die Situation geändert. Es stellt sich sehr wohl die Frage, ob es dem Menschen bei schweren Erkrankungen und großen Schmerzen nicht gestattet sei, sich diesen durch einen schnellen Tod zu entziehen. Es geht, so argumentieren die Befürworter, um eine Sterbehilfe: Der Todeskampf wird abgekürzt, Todesqualen werden erleichtert, der Tod wird „sanft“ gemacht. Kann der Tod nicht vom leidenden Menschen eingelöst werden? Ist es dem unheilbar Kranken nicht vergönnt, dass sein Leiden verkürzt wird? Es wird ja auch von „Erlösung“ gesprochen, wenn das Not und Elend eines Kranken ein Ende nimmt. Kann die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens hier nicht doch verantwortlich verfügbar gemacht werden?

1.2 Ziel der Arbeit

Die skizzierten Fragen und Themen fordern die Moraltheologie und die Ethik. Denn neben den wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen ist und wird es eben immer wichtiger diese sozialen, gesellschaftlichen und ethischen Faktoren der Medizin zu thematisieren. So versucht sich diese Arbeit der Frage „Töten oder Sterbenlassen?“, die sich im Zusammenhang mit der neueren Medizin als ethische Herausforderung am Ende des Lebens oder im Fall einer schweren Krankheit stellt, zu stellen.

2. Begriffsklärungen

In der Diskussion um die Frage des Sterbens wimmelt es von unterschiedlichen Begriffen: Euthanasie, aktive und passive Sterbehilfe, Sterbebegleitung, Beihilfe zum Suizid, Lebens­beendigung, usw. werden oft in verwirrender Form verwendet. Da die Begriffe oft unsachgemäß Verwendung finden, soll zuerst eine Definition der wichtigsten Begriffe für diese Arbeit durchgeführt werden. Gleichzeitig soll jeweils kurz erörtert werden, wie das Recht der Bundesrepublik Deutschland dazu steht.

2.1 Aktive und direkte Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist allgemein definiert als die gezielte Verkürzung des Lebens, um das Leid und den Schmerz zu lindern. Der Arzt oder auch andere befähigte Menschen greifen bei der aktiven Sterbehilfe absichtlich mit Maßnahmen ein, die zur Beschleunigung des Sterbens führen.[3] Dabei wird der Tod durch Tabletten, Spritzen, Infusionen, etc. herbeigeführt. Aktive Sterbehilfe wird auch direkte Sterbehilfe genannt. Sie ist in Deutschland verboten und wird unter Strafe auch dann verfolgt, wenn sie mit ausdrücklicher Zustimmung des Kranken durchgeführt wird.[4] Dieses juristische Verbot gilt selbst dann, wenn ein selbstbestimmungsfähiger Schwerkranker sich den Tod mit dem Ziel der Beseitigung von unerträglichen Schmerzen wünscht.[5]

2.2 Indirekte Sterbehilfe

Der Begriff der indirekten Sterbehilfe hingegen wird dann verwendet, wenn einem kranken Menschen ärztlich verordnete Medikamente gegeben werden, die der Bekämpfung des Schmerzes dienen und dabei der beschleunigte Eintritt des Todes nicht angezielt, aber in Kauf genommen wird. Die Schmerzmittel werden also – und dies ist der entscheidende Aspekt - nicht zur zeitlichen Verkürzung des Lebens, sondern zum Mindern des Leids eingesetzt. Die ist rechtlich zulässig, da der Arzt nicht nur in der Pflicht steht, Leben zu erhalten, sondern auch Schmerzen zu lindern.[6]

2.3 Passive Sterbehilfe

Die passive Sterbehilfe wiederum kennzeichnet sich dadurch, dass auf lebensverlängernde Behandlungen bei einer unheilbaren Krankheit verzichtet wird. Sie setzt rechtlich das Einverständnis des Kranken voraus und ist juristisch zulässig.[7] So sieht die Bundesärztekammer diese Art der Sterbehilfe als möglich an, wenn „die Krankheit irreversibel oder die trau­matische Schädigung infaust[8] verläuft und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird“[9].

Der Arzt verhält sich gegenüber dem biologischen Sterbeverlauf passiv. Dazu gehört, dass er mögliche Behandlungsmaßnahmen gegen die Grundkrankheit unterlässt, sie nicht fortsetzt oder abbricht. Er verhält sich aber nicht grundsätzlich passiv, sondern gibt dem Kranken Beistand, bzw. sollte dem Kranken durch palliative oder menschliche Bemühungen Beistand leisten.[10]

2.4 Beihilfe zum Suizid

In der Diskussion um „Töten oder Sterbenlassen“ spielt auch der Suizid und die Beihilfe dazu eine Rolle. Dabei ist der Suizid als eine bewusste und willentlich angestrebte Selbsttötung[11] durch eine bestimmte zielgerichtete Handlung ge­kenn­zeichnet. Als wichtiges Kriterium zur Beihilfe zum Suizid ist zu nennen, dass der Suizident bis zuletzt die freie Entscheidung über Leben und Tod behält. Er muss stets die Möglichkeit besitzen, Nein zu sagen und den geplanten Suizid jederzeit abbrechen können.[12] Dementsprechend ist es kein Suizid, wenn ein Kranker eine möglicherweise lebensrettende Handlung ablehnt und damit seiner Krankheit einen tödlichen Ausgang freien Lauf lässt.

In Deutschland ist der Suizid, seine Anstiftung oder Beihilfe nicht strafbar. Allerdings steht in Deutschland das Fremdtötungsverbot[13] in Spannung zur Straflosigkeit der Selbsttötung. Entscheidend ist bei der straflosen Beihilfe zum Suizid, dass die Beihilfe nicht die Grenze zum „Töten auf Verlangen“ überschreitet, da diese strafbar ist.[14]

2.5 Sterbebegleitung

In Abgrenzung zum Begriff der Sterbehilfe, die sich als Begriff durchgesetzt hat, wenn es um die Erleichterung des Sterbens mit medizinischer Hilfe eines unheilbar kranken Menschen geht, wird Sterbebegleitung dann verwendet, wenn von mitmenschlicher oder seelsorgerischer Hilfe gesprochen wird.[15]

3. Die Situation in den Nachbarländern

In vielen Ländern ist wie in Deutschland die passive und indirekte Sterbehilfe erlaubt, die aktive Sterbehilfe dagegen gesetzlich verboten. Da in einigen zu Deutschland be­nach­barten Ländern relativ liberale Regelungen herrschen und diese in der Diskussion immer wieder eine Rolle spielen, soll deren Praxis hier skizziert werden.

3.1 Niederlande

In den Niederlanden wird seit den Siebzigerjahren zwar am Verbot der aktiven Sterbehilfe festgehalten, jedoch wird dem Arzt bei Einhaltung verschiedener Bedingungen quasi Straffreiheit zugesichert[16]:

- Der Patient muss im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein.
- Er muss wiederholt und freiwillig um Sterbehilfe gebeten haben.
- Er muss sich in einem Zustand unerträglichen Leidens befinden und an einer nicht therapierbaren Krankheit leiden.
- Der behandelnde Arzt muss einen zweiten Kollegen zur Konsultation hinzuziehen.
- Außerdem muss der Arzt sich selbst zur Selbstanzeige bringen.

Die Zahlen der aktiven Sterbehilfe ist in den Niederlanden in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen: Inzwischen sterben nach Schätzungen des niederländischen Ärztebundes mit ärztlicher Unterstützung etwa 20.000 Patienten jährlich.[17] Ein Problem der niederländischen System besteht dabei darin, dass die vorgeschriebene Selbstanzeige nur in etwa 60% der Fälle durchgeführt wird. Damit liegt es auf der Hand, dass eine wirksame Kontrolle nicht gegeben ist und so werden nach Birnbacher viele Kranke ohne ausdrückliches Verlangen getötet, was dementsprechend auch nicht den Behörden gemeldet wird. Zu beachten ist, dass diese Regelung nur für niederländische Staatsbürger und nicht für Ausländer angewendet werden darf.[18]

3.2 Belgien

In Belgien gestaltet sich die Situation ähnlich wie in den Niederlanden. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid als auch die aktive Sterbehilfe wird unter Beachtung von Auflagen nicht bestraft.[19] Die Möglichkeit, dass der Kranke legal um aktive Sterbehilfe bitten kann, gilt ebenfalls nicht für Ausländer, bezieht sich aber im Gegensatz zu den Niederlanden nicht nur auf körperlich Leidende, sondern auch für Menschen mit psychischen Krankheiten und bedarf keiner medizinisch ausweglosen Situation. So erlaubt das belgische Gesetz, dass auch bei Folgen eines Unfalles oder einer unheilbaren Krankheit aktive Sterbehilfe zum Einsatz kommen darf.[20]

3.3 Schweiz

In der Schweiz ist aktive Sterbehilfe verboten. Allerdings ist die Beihilfe zum Suizid straflos, sofern sie nicht aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgt.[21] Organisationen wie EXIT oder DIGNITAS helfen den Sterbewilligen juristisch legal bei der Beschaffung tödlicher Dosen von NaP[22] über Ärzte. Allerdings stellt in der Schweiz der Arzt das Rezept nur aus, die weitere Hilfe zum Suizid wird hingegen von medizinischen Laien ausgeführt.[23] Seit dem Jahr 2006 gibt es eine neue Entwicklung: In der Universitätsklinik Lausanne dürfen die Sterbehilfeorganisationen tätig werden, wenn ein unheilbar nicht mehr transportfähiger Kranker, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, dies wünscht.[24]

Die Vorraussetzung für die legale „Beihilfe zum Suizid“ in der Schweiz ist, dass der sterbewillige Mensch, in freier Entscheidung den letzten Schritt seines Lebens selbst ausführen kann. Das kann beispielsweise das Trinken des in Wasser gelösten tödlichen NaP oder das Aufdrehen eines Infusionshahnes sein.[25] Dabei muss jeder Suizid nach Feststellung des Todes der Polizei bekannt gegeben werden, der von der Staatsanwaltschaft überprüft wird. Im Gegensatz zu den Niederlangen scheint es – was die Sterbehilfeorganisationen betrifft - keine Unregelmässigkeiten zu geben: Jeder Fall wird gemeldet und ordentlich untersucht.

„Interessant“ ist diese Möglichkeit des Suizids auch für Ausländer, da diese Regelung und die „Hilfen“ auch für diese juristisch erlaubt sind und gegeben werden.

[...]


[1] Vgl. GORDIJN, Grenzen, 13.

[2] Vgl. GORDIJN, Grenzen, 19.

[3] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 33.

[4] Vgl. DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ, Sterbebegleitung, 46.

[5] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 39.

[6] Vgl. DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ, Sterbebegleitung, 45.

[7] Vgl. DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ, Sterbebegleitung, 45.

[8] Infaust (lat. ungünstig) wird verwendet, wenn die Vorhersage für den weiteren Krankheitsverlauf sehr ungünstig ist. Infauste Prognose bedeutet in der Regel, dass der momentane Zustand eines Patienten unheilbar ist und zum Tode führen wird.

[9] VOLLMANN, Aspekte, 42.

[10] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 32f.

[11] Der Suizid sollte nicht mit Selbstmord benannt werden. Mord wird über niedere Beweggründe definiert und dies sollte man meiner Meinung nach dem aus dem Leben scheidenden nicht unterstellen.

[12] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 48.

[13] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 41: Interessanterweise besteht nach überwiegender juristischer Auffassung auch keine Notwendigkeit, dass die aktive Tötung auf Verlangen zugelassen wird, da die erlaubte passive und indirekte Sterbehilfe nach Meinung der meisten Juristen in der Praxis weitgehend nicht ausgenutzt werden.

[14] Vgl. VOLLMANN, Aspekte, 47.

[15] Vgl. DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ, Sterbebegleitung, 45.

[16] Vgl. SCHOCKENHOFF, Töten, 459.

[17] Vgl. Widdra, Überlegungen, 1.

[18] Vgl. BIRNBACHER, Probleme, 2.

[19] Vgl. RIESER, Belgien; WIEDENMANN, Blick, 48.

[20] Vgl. FRIEDRICH, Belgien; FRIEDRICH, Sterbehilfegesetz. 3.

[21] Vgl. BLUM, Selbstbestimmung, 7.

[22] NaP ist die Abkürzung für Natrium-Pentobarbital: Nach dem Einnehmen von NaP verfällt der Mensch in einen komatösen Tiefschlaf und stirbt.

[23] Vgl. BIRNBACHER, Probleme, 2.

[24] Vgl. WIEDENMANN, Blick, 48.

[25] Vgl. BLUM, Selbstbestimmung, 16.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ethische Herausforderungen in der neueren Medizin
Untertitel
Töten oder Sterbenlassen?
Hochschule
Philosophisch-Theologische Hochschule der Pallottiner Vallendar
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V129556
ISBN (eBook)
9783640359035
ISBN (Buch)
9783640358922
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethische, Herausforderungen, Medizin, Töten, Sterbenlassen
Arbeit zitieren
Arno Hernadi (Autor:in), 2006, Ethische Herausforderungen in der neueren Medizin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129556

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