Schriftstellertagebücher: Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch"


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Reisen in der Literatur
2.1 Funktionen des Reiseberichtes
2.2 Literarische Aspekte des Reisens

3. Über das Tagebuch
3.1 Kennzeichen des Tagebuchs
3.2 Motivation und Funktion des Tagebuches

4. Heinrich Bölls Ästhetik des Humanen

5. Das "Irische Tagebuch" - wirklich ein Tagebuch?
5.1 Übereinstimmungen und Abweichendes
5.2 Das "Irische Tagebuch" als Formfiktion

6. Fazit

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Schriftstellertagebücher sind biographische Selbstzeugnisse der besonderen Art; sie ermöglichen nicht nur - wie eigentlich alle Tagebücher - einen tiefen Einblick in das Seelenleben und die Gedankenwelt seiner Verfasser, sie machen möglicherweise auch die Arbeitsweise eines Schriftstellers transparent, zeigen, wie sich der Autor einem neuen Werk über Materialsammlung, Ideenausarbeitung, Entwürfen von Skizzen und ersten Schreibversuchen nähert. Das "Irische Tagebuch" ist hingegen kein reines Schriftstellertagebuch, jedenfalls fällt es insofern aus der Reihe der im Seminar behandelten Tagebücher heraus, als es keine Aufzeichnungen über einen längeren Zeitraum hinweg enthält, sondern nur den Zeitabschnitt einer Reise umfasst.

Zur Entstehungsgeschichte: Im Jahr 1954 kam Heinrich Böll zum ersten Mal nach Irland. Er hielt sich dabei hauptsächlich an der Ostküste auf, besonders in der Hauptstadt Dublin. Drei Jahre später besuchte er die Insel ein zweites Mal, diesmal mit Frau und Kindern. Die fünfköpfige Familie bewohnte einige Zeit ein angemietetes Haus an der eher menschenarmen, öden Westküste im County Mayo. Im selben Jahr erschien auch, auf Anregung seines Freundes Karl Korn, das "Irische Tagebuch" (vgl. BÖLL 2004; S. 4 f.). Insbesondere die in ihm enthaltenen Landschaftsportraits haben in der Folge viele Deutsche dazu animiert, es dem Autor gleich zu tun und die "grüne Insel" für sich zu entdecken. Bei allem Sinn für die soziale Realität macht Böll im "Irischen Tagebuch" aber auch deutlich, wie sehr ihm die Insel und seine Bewohner ans Herz gewachsen sind. Naturwüchsigkeit und Armut der Iren hebt er von dem allmählich wachsenden Wohlstand der damaligen Bundesrepublik und ihren gesellschaftlichen Veränderungen ab (vgl. PREUSS 1977; S. 244).

In seiner Funktion als Reisebericht steht das "Irische Tagebuch in einer langen literarischen Tradition. Im folgenden Kapitel wird es darum gehen, das Themenfeld 'Reiseliteratur' näher zu betrachten, seine Funktionen sowie besondere literarische Aspekte herauszuarbeiten.

Ganz offensichtlich stellt das "Irische Tagebuch" eine Sonderform des (Schriftsteller-) Tagebuchs dar. Dennoch muss es, unter Verweis auf seinen Titel, möglich sein, formale Merkmale eines Tagebuchs im herkömmlichen Sinne auch hier identifizieren zu können. Dazu werden zunächst in Kapitel 3 genau diese Merkmale vorgestellt. Interessant erscheint aber vor allem die Tatsache, woraus denn dieser Sonderstatus resultiert; aus diesem Grund werden in Kapitel 5 die Abweichungen und Besonderheiten herausgehoben.

In diesem Zusammenhang scheint es bedeutsam, sich auch einmal dem Schriftsteller Heinrich Böll und insbesondere seiner Selbstauffassung als sozial engagierter Autor zuzuwenden. Ein Blick auf sein, in den "Frankfurter Vorlesungen" erläutertes, literarisches Programm kann hilfreich sein, im "Irischen Tagebuch" Qualitäten aufzuspüren, die ansonsten unter der Folie eines bloß tagebuchartigen Reiseberichts verborgen bleiben würden.

2. Reisen in der Literatur

Um eine Reise, ums Reisen überhaupt geht es immer wieder in der Literatur. Marian Stepien versteht unter Reise eine Bewegung im realen Raum und in einer realen Zeit (vgl. STEPIEN 1982; S. 99). Es gibt keine Reise, ohne dass man an einem Ort verweilen und ohne dass man sich über große Entfernungen hinweg mit verschiedenen Verkehrsmitteln bewegen würde. Genau diese Aspekte klingen schon im ersten Satz von Heinrich Bölls "Irischem Tagebuch" an: "Als ich an Bord des Dampfers ging, sah ich, hörte und roch ich, dass ich eine Grenze überschritten hatte; (...)." (vgl. BÖLL 2004; S. 9) Jede Reise ist aber auch, neben aller in ihr enthaltener örtlicher und zeitlicher Bewegung, durch ein festes, unbewegliches Element gekennzeichnet, nämlich durch Abfahrt und Rückkehr, die beide auf einen nicht verschiebbaren Punkt verweisen, den man mit Begriffen wie Vaterland, Heimat oder Zuhause umschreiben könnte. Somit ist die Reise mehr als nur ein bloßer Wechsel des Ortes, denn sie setzt den Reisenden stets in Beziehung zu dem Ausgangspunkt und verlangt ein Zurückkehren dorthin (vgl. STEPIEN 1982; S. 99). Zielloses Umherirren und Nomadisieren ohne Aussicht auf Heimkehr und ohne Absicht heimzukehren ist demnach nicht als Reise zu betrachten, genauso wenig wie ein erzwungener Ortswechsel, bei dem eine Rückkehr erschwert oder unmöglich gemacht wird, was für Existenzen im Exil oder Verbannungen zutrifft. Nicht Zwang sondern freie Wahl muss eine Reise motivieren, und zwar in der Aussicht und Hoffnung auf positive Eindrücke (vgl. STEPIEN 1982; S. 100).

2.1 Funktionen des Reiseberichtes

Berichte, die eine Reise dokumentieren, kennt man seit langer Zeit. In erster Linie dienten sie dazu, die während der Fahrten gewonnenen Informationen über neu entdeckte Gebiete festzuhalten. Diese Aufzeichnungen waren von großem praktischen Nutzen für diejenigen, die weitere Erkundungsfahrten unternehmen wollten und die sich so über die Topographie der Orte, die dort lauernden Gefahren und mögliche Schätze und Reichtümer informieren konnten. Von Berichten dieser eher utilitaristischen Art heben sich die literarischen Reiseberichte ab, deren Anliegen es nicht ist, unbekannte Welten zu entdecken und bislang weiß gebliebene Flecken auf der Landkarte zu füllen, vielmehr erzählen sie vom Aufenthalt in fremden Ländern.

Es lassen sich mehrere Funktionen der Reiseberichte unterscheiden: die informative Funktion wird von jenen Reiseberichten erfüllt, in denen Informationen etwa über die Eigentümlichkeiten der kennengelernten Regionen, über Begegnungen mit interessanten Menschen oder über Baudenkmäler und Kunstschätze vermittelt werden, in denen wichtige Ereignisse mitgeteilt werden, die der Verfasser erlebt oder vernommen hat und die er für berichtenswert hält (vgl. STEPIEN 1982; S. 102). Die publizistische Funktion steht bei solchen Reiseberichten im Vordergrund, in denen der Autor politische oder soziale Themen zur Sprache bringt, die aus während der Reise gemachten Beobachtungen hervorgegangen sind. Nicht selten werden die beobachteten Fakten mit denen des Heimatlandes kontrastiert und so Unterschiede oder Ähnlichkeiten herausgearbeitet (vgl. STEPIEN 1982; S. 103). Die kulturelle Funktion tritt dann in den Vordergrund, wenn sich das Hauptaugenmerk des Verfassers auf die Darstellung oder Erwähnung von Kulturzeichen in Gestalt von Kathedralen, Grabmälern, Ortsnamen oder literarischen Werken richtet, die ohne entsprechendes historisches Wissen, ohne Bildung und Assoziationsvermögen dem Leser unbekannt bleiben müssten (vgl. STEPIEN 1982; S. 104). Alle hier unterschiedenen Funktionen können natürlich in ein und demselben Text vorkommen, möglicherweise aber in verschiedener Gewichtung. Das trifft auch auf Bölls "Irisches Tagebuch" zu, das, nach einer ersten Einschätzung, vor allem Merkmale der ersten beiden Kategorien enthält.

2.2 Literarische Aspekte des Reisens

Die Reise ist ein altbekanntes literarisches Phänomen und vielgestaltig im Hinblick auf seine Ausdrucksformen: man kennt die Abenteuer- oder Eroberungsreise, die Forschungs- oder Bildungsreise, die Reise um die Erde oder in ihr Inneres, zum Mond, ins Weltall, in die Unterwelt, ins eigene Ich oder über das Bewusstsein hinaus - um nur einige wenige zu nennen (vgl. BLEICHER 1981; S. 3). Die gesamte Literatur, die mehr oder weniger vom Reisen handelt oder Reisen thematisiert, darf allerdings nicht als einheitlicher Komplex verstanden werden, denn es lassen sich sehr wohl verschiedene Aspekte voneinander abgrenzen. Als erstes wäre die Reise als literarisches Strukturelement zu nennen, was vor allem auf die epische Struktur zutrifft. Als Beispiel hierfür mag Homers Odyssee gelten (vgl. BLEICHER 1981; S. 3). Außerdem ist Reisen eines der häufigsten literarischen Themen, doch keineswegs in einem metaphorischen Sinne, wie es zum Beispiel der Begriff vom Leben als Reise nahe legt. Gemeint ist die konkrete Reise als Bestandteil der literarischen Handlung.

Da es viele verschiedene Arten des Reisens gibt - etwa die Kolonialreise, die Künstlerreise, Wanderungen, Entdeckungsfahrten u. ä. - , führt dies auch zu verschiedenen Formen der Aufzeichnung, die der jeweiligen Reiseart angepasst sind: hier wären die Skizze, der Brief, die reine Beschreibung, das Handbuch, Novelle und Roman und schließlich auch das Tagebuch zu nennen. Die Aufzeichnungen sind also gattungs- und genreübergreifend (vgl. BLEICHER 1981; S. 4). Das ständige Wechseln der Orte und die damit verbundene permanente Variation der Eindrücke verlangt - so Thomas Bleicher - einen eigenen Schreibstil, der additiv und assoziativ sein soll, der Raum für Improvisationen lässt und trotzdem eine Kohärenz der einzelnen Episoden schafft (vgl. BLEICHER 1981; S. 4). Natürlich stellt sich auch die Frage nach dem Schreibenden, dem Verfasser und Reiseschriftsteller. Zu klären ist, ob es sich bei dem Reisenden in der Literatur um den Autor selbst handelt und ob er nachträglich das beschreibt, was er bei einer eigenen Reise erlebt hat, ob er sich in einen anderen Reisenden hineinversetzt oder ob er ihn nur erfindet (vgl. BLEICHER 1981; S. 5). Von Bedeutung ist auch die Situation des Reisens selbst. Vorurteile, Erwartungen, Vorkenntnisse, bestimmte Vorstellungen vom Reiseland bestimmen maßgeblich und bereits im Vorfeld einer Reise die Wahrnehmung. Die Konfrontation mit dem tatsächlich Vorgefundenen, dem zunächst Fremden, der kontrastive Vergleich während und besonders nach der Reise können nicht nur zu einer veränderten Anschauung des Reiseziels, sondern auch zu einer Distanzierung vom individuellen wie nationalen Selbstbild führen (vgl. BLEICHER 1981; S. 5). Gerade dieser letzte Punkt ist von Wichtigkeit in Zusammenhang mit dem "Irischen Tagebuch" und verdient genauere Betrachtung. Die schriftlich festgehaltenen Erlebnisse und Inhalte einer Reise können einerseits dazu führen, dass der Reisende (bzw. der Autor, sofern sie identisch sind) sich durch sie selbst verändert, andererseits verleiten sie dazu, in ihnen Elemente des Vertrauten und heimatlichen darin zu erkennen. Eine der Hauptfunktionen von Reiseliteratur besteht demnach im Kontrast von Heimat und Fremde (vgl. BLEICHER 1981; S. 6).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Schriftstellertagebücher: Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch"
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Seminar: "Schriftstellertagebücher"
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V129201
ISBN (eBook)
9783640343669
ISBN (Buch)
9783640344031
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schriftstellertagebücher, Heinrich, Bölls, Irisches, Tagebuch
Arbeit zitieren
Sebastian Körtels (Autor:in), 2004, Schriftstellertagebücher: Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129201

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