Der Mythos einer mordenden Mutter in Euripides' "Medea"


Hausarbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1,3

Tom Kräplin (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum antiken Drama

3. Beschreibung der Hauptfiguren
3.1. Medea
3.2. Jason

4. Not oder Rache? - Das Motiv zum Mord

5. Der Plan

6. Die Tat

7. Die Darstellung des Kindermords in anderen Werken
7.1. Klinger 1815
7.2. Wolf 1996
7.3. Vergleich Klinger und Wolf

8. Die Kinder als Opfer eines Rituals?

9. Schlussbemerkung

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im 5. Jahrhundert vor Christus erschuf der griechische Tragödiendichter Euripides ein Drama, welches von einem Mythos lebt. Als Anhänger der sogenannten „neuen“ Theorien (zum Beispiel die Begründung zur Erschaffung einer Religion durch den Menschen), unter anderem vertreten durch Protagoras, Prodikos und Anaxagoras, ließ Euripides auch in seinen Werken etwas Neues mit einfließen. Somit änderte der um 480 v. Chr. geborene Athener gerne den Mythos, um in seiner tragischen Dichtung eigene Voraussetzungen für sein Drama zu konstruieren. So wird in seinem Werk die Frau allgemein und speziell Medea zur unerschrockenen, bewunderten und ungewöhnliche Taten vollbringende Figur. Dies geschah in einer Zeit, in der die Anschauung der Welt sich wandelte und die Machtmetropole Athen an Stärke verlor. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass Euripides von Feinden umgeben war, denen die innovativen Gedanken des antiken Tragikers und Dichters missfielen. In einer Sage überbracht, zerriss eine Meute des Königs Archelaos aus Pella den Autor im Jahre 406 vor Christus.1

In der Handlung der „Medea“ von Euripides ist Medea verzweifelt und verärgert zugleich, nachdem sie die Nachricht des Königs Kreon erhielt, Korinth verlassen zu müssen. Sie fragt nach dem Grund ihrer Verbannung aus Korinth und erfährt daraufhin, dass ihre magischen Aktivitäten dem Königreich Unheil brächten. Untertänig akzeptiert Medea die Instruktion des korinthischen Herrschers und bittet gnädig, sich noch einen Tag in der Stadt aufhalten zu dürfen, um - so ihr Vorwand - ihre Flucht planen zu können. Tatsächlich aber verfolgt Medea den Rachemord an der Königstochter, dem König und Jason. Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Jason ist Medea fest entschlossen ihre Tat zu vollbringen. Der Chor, bestehend aus 15 Kolcherinnen, steht ihr bei und unterstützt ihr Vorhaben. Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem Medea auch die Kinder umbringen will. Der Entschluss zur Tat oder das Unterlassen jener, reißt Medea hin und her. Dann tötet Medea die Königstochter und den König. Zu spät erkennt Jason die Bedrohung seiner Söhne durch deren Mutter und muss entsetzt zusehen, wie die triumphierende Medea mit ihren eigenhändig ermordeten Söhnen auf einem Drachenwagen davon schwebt. Ihre Schadenfreude ist groß und sie ist stolz auf ihren Sieg über die Ungerechtigkeit, die ihr Jason angetan hat.

In dieser Arbeit wird der stattfindende Kindesmord näher untersucht. Nach einer Beschreibung der Hauptfiguren wird der Frage nachgegangen, ob Medea ihre Kinder aus Not oder Rache umbrachte. Einen weiteren Betrachtungspunkt bildet die Planung des Mordes und dessen Umsetzung. In Komparation der Darstellungen des Kindesmordes in den Werken „Medea in Korinth“ von F.M. Klinger (1815) und „Medea. Stimmen“ von C. Wolf (1996) sollen eventuelle Parallelen aufgezeigt beziehungsweise Unterschiede herausgestellt werden, die durch unterschiedliche Wiederaufnahme dieses Themas existieren. Hierzu zählen etwa die Beweggründe zum Mord. In wie weit Rituale Euripides‘ „Medea“ beeinflussten, wird im letzten Abschnitt nachgegangen.2

2. Zum antiken Drama

Das Drama nahm in der Antike eine ganz besondere, literarische Stellung ein. Neben der Epik und Lyrik galt das Drama als die exzellenteste Form von Literatur. Euripides ist ein Vertreter der altgriechischen Dramatik. Eine Tragödie, so P. Dimitropoulos, Gräzist an der Volkshochschule Greifswald, ist eine „Darstellung einer Übertreibung“ und sie hat etwas mit „Abartigem“ (Überschreitung des Maßes) zu tun. Um eine zeitnahe Definition für die Tragödie geben zu können, zitiere ich eine neue Übersetzung von Arbogast Schmitt:

Die Tragödie ist also Nachahmung einer bedeutenden Handlung, die vollständig ist und eine gewisse Größe hat. In kunstgemäß geformter Sprache setzt sie die einzelnen Medien in ihren Teilen je für sich ein, lässt die Handelnden selbst auftreten und stellt nicht in Form des Berichts geschehende Handlungen dar. Durch Mitleid und Furcht bewirkt sie eine Reinigung eben dieser Gefühle. (Aristoteles 2008, S. 9)

Auch zum Zwecke des pädagogischen Nährwertes, wurden Tragödien geschrieben. Aus ihnen ist eine Moral ableitbar, die zur Erziehung der Menschen gedacht ist. Exemplarisch könnte bei „Medea“ von Euripides ein pädagogisches Extrakt mit „Bleibe deinem Partner treu“ umschrieben werden. Kern einer Tragödie ist die (Aussprache: át ). Sie ist die „Vergeltung für die Überschreitung des Maßes und beschreibt die fruchtbaren Momente in einer Tragödie“, so Dimitropoulos. Auf eine „Freveltat“ (Gemoll 2006, S. 144) muss unbedingt eine Strafe zur „Wiederherstellung des richtigen Maßes“ (Dimitropoulos an Kräplin 2009a) folgen. Euripides, ein Sonderling der antiken Dramatik, scheute sich nicht vor einer Herausforderung mit dem Publikum. Dieses wird vor allem dadurch unterhalten, weil es sich mit dem Inhalt identifiziert und Verknüpfungen zwischen Anthropologie und Rationalität herstellt. Die Teilnahme des Publikums am Geschehen regt also zur Unterhaltung an und nicht die bloße Darstellung durch Schauspieler auf der Bühne oder die Figuren im Text.3

Dass diese Verknüpfung des Anthropologischen mit dem rationalen dem Publikum Unterhaltung bereitet, ist kein Nebeneffekt des Tragischen, sondern Resultat der Publikumsteilnahme (m é thexis, ), welche die Kombinationen von Jammer und Schaudern entfacht, sowie der Reinigung (k á tharsis, ), die das Gefühl der Erlösung erzeugt (Dimitropoulos an Kräplin 2009b).“

Der auf der Insel Salamis (südlich von Attika) geborene Athener war wenig beliebt, denn der Theaterbesucher war sehr aufgebracht durch seine inszenierten Werke. Im Mittelalter war die Aufführung von Theaterstücken verboten, nicht zuletzt deswegen, weil die enthaltenen erzieherischen Maßnahmen in antiken Werken, der christlichen Kirche widerstrebten und diese das alleinige Recht auf die Moralverkündigung - basierend auf der Bibel - für sich in Anspruch nahm.

3. Beschreibung der Hauptfiguren

3.1. Medea

Medea ist eine gebürtige Kolcherin. Ihr Name könnte mit dem Wortstamm „med“ Verbindungen zur Medizin herstellen (Vgl. Otten 2005, S. 50) und die Eigenschaft einer Heilerin vermuten lassen. Sie ist die Tochter des Königs Aietes, dessen Vater der Sonnengott Helios ist. In der Mythologie bedeutet ihr Name „die Wissende“ (Vgl. Grant/Hazel 2008, S. 273-75) und Medea wird eindeutig als Zauberin erwähnt. In Euripides‘ Werk wird sie einerseits als selbstmitleidige und sentimentale Person (Vgl. V. 983) dargestellt, andererseits auch als äußerst stark und selbstbewusst (Vgl. V. 1352). Verschiedene Charaktere treten hervor von denen „Medea einmal diesen, dann jenen [Z]ug [zeigt]“ (Glaser 2001, S. 26). Dadurch erhält sie eine vielseitige Persönlichkeit, die von äußerster Menschlichkeit bis hin zur abscheulichen Brutalität reicht. So bezeichnet sie ihre Söhne als „unselige Brut“ (V. 114), zeigt sich schadenfroh nachdem der Bote ihr die Nachricht über den Tod der Königstochter und des Königs überbringt, worauf sie antwortet, dass er ihr „die schönste Botschaft [bringt]“ (V. 1101). Die Flucht aus Kolchis, um Jason heiraten zu können, bereut sie und vor allem fühlt sie sich von Jason im Stich gelassen, da dieser die Königstochter heiratet. Die Amme erwähnt eine „grausame Art“ (V. 103) Medea und weist daraufhin, dass „ihr Gemüt Unrecht nicht ertragen“ (V. 38) kann. Tückisch und schlau sowie lästig und töricht sind Eigenschaften, die Kreon Medea zuschreibt (Vgl. V. 288, 335 und 339). Während ihrer Pläne zum Mord wird sie zudem zu einer Lügnerin. Etwa bei der Szene als sie sich versöhnlich mit Jason gibt, was vermutlich wiederum planmäßig gespieltes Verhalten ist, und die Braut als Geschenk nichts „Verächtliches“ (V. 935) empfangen wird.

Zu berücksichtigen gilt es aber auch, dass Medea eine Frau und Ausländerin ist. Gezielt hat Euripides in seinem Drama dieses Faktum mit einfließen lassen: „Euripides war bekannt für seine Vorliebe, Unkonventionelles im Mythos zu finden, tragisch zu gestalten und philosophisch-anthropologisch auszulegen“ (Dimitropoulos an Kräplin 2009b). Medea als Ausländerin, die dann von dem Mann verlassen wird, für den sie ihr eigenes Land verließ, ist eine solche Gestaltung einer tragischen Situation. Die Unterdrückung, die Medea bei Euripides erfährt, ist groß, denn sie ist „kein Mann und keine Griechin“ (Ebd. 2009b).

3.2. Jason

Jason der heldenhafte Grieche und Anführer der Argonauten hat einen Namen, der sich in bewundernswerter Weise ebenfalls auf die griechische Entsprechung für „Heilen“ etymologisch zurückführen lässt (Vgl. Otten 2005, S. 49). Er ist ein Mann, der sich in allem selbst verteidigt und sich nie im Unrecht sieht. Er sorgt für das Wohlergehen (Vgl. V. 454) seiner Familie. Medea sieht Jason als einen Verlierer: „Du Memme - denn mit diesem Namen, kann ich nur / Hinfort dich nennen, mit der Feigheit schwerstem Schimpf“ (V. 459-60) und sieht in ihm einen mutlosen Mann. Als „unedel“ (V. 84) bezeichnet die Amme Jason, nachdem sie die Untreue Jasons zu Medea erfuhr.

4. Not oder Rache? - Das Motiv zum Mord

Eine der zentralsten Fragen bei der Auseinandersetzung mit dem Medea-Mythos ist, weshalb ermordet eine Mutter ihre eigenen Kinder, die sie gebar, aufzieht, behütet und beschützt und über alles liebt? Ist es möglich, dass eine Frau ihre Söhne liebte, wenn sie diese umbringt? In der Literaturwissenschaft haben sich etliche Autoren mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei ermittelte man unterschiedliche Motive zum Kindermord. An dieser Stelle sollen zwei zentral diskutierte Ausgangspositionen aufgegriffen werden. Geschah der Mord aus Not oder Rache? E. Bethe spricht von einer „Zwiespältigkeit der Begründung des Kindermordes“ (Bethe zitiert nach Otten 2005, S. 361). In den differenten Auslegungsmöglichkeiten des Tatmotivs sieht Bethe einen Mangel des euripidischen Werkes. W. H. Friedrich spricht von Not, wohingegen H. Erbse und U. Hübner von einem Racheplan ausgehen. Nach Friedrich sind die Kinder bereits in einem Mord verwickelt, als sie der Königstochter, im Auftrag der Mutter, das vergiftete Geschenk überbringen. Das Misstrauen der Feinde von Medea kann sie nur dadurch überwinden, indem sie ihre Kinder opfert. Denn es ist offensichtlich, dass die Korinther bemerkt haben, von wem dieses Geschenk überreicht wurde und wer dafür büßen wird. Medea muss ihre Kinder selbst umbringen, um sie davor zu bewahren, dass sie „nicht der Rache der Korinther“ (Otten 2005, S. 362) ausgeliefert sind. Es ist also eine Notlage in der sich Medea befindet und durch die Friedrich den Mord begründet sieht

[...]


1 Vgl. „Nachwort“ in Euripides: Medea. Stuttgart: Reclam 2006.

2 Die Ausführungen dieses Kapitels basieren auf ein persönliches Gespräch mit Dr. phil. Panagiotis Dimitropoulos vom 14.03.2009 sowie einen Brief vom 20.03.2009.

3 Vgl. Dimitropoulos an Kräplin 2009b

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Mythos einer mordenden Mutter in Euripides' "Medea"
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Germanistik + Institut für Musikwissenschaft + Institut für Volkskunde)
Veranstaltung
Medea. Rezeption eines antiken Stoffes in Theater, Musik und Film. + Brauch und Ritual
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V129031
ISBN (eBook)
9783640380091
ISBN (Buch)
9783640380183
Dateigröße
6039 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Euripides, Medea, Kindermord, Kindsmord, Jason, Klinger, Wolf, Christa, Vergleich, Medea in Korinth
Arbeit zitieren
Tom Kräplin (Autor:in), 2009, Der Mythos einer mordenden Mutter in Euripides' "Medea", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129031

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