Thomas von Aquin: Summa Theologica - Sind 'lex aeterna' und 'lex naturalis' identisch?


Seminararbeit, 2009

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Thomas’ Aristotelesrezeption

3. Legeshierarchie
3.1 Lex aeterna – Bedeutung und Funktion
3.2 Lex naturalis – Bedeutung und Funktion
3.3 Zum Verhältnis von lex aeterna und lex naturalis

4. Schlussfolgerungen

5. Literatur

1 Einleitung

In der Summa Theologica vereint Thomas von Aquin seine Offenbarungskonzeption mit der praktischen Philosophie des Aristoteles. Er versucht zwischen christlicher Lehre und weltlichem Recht, bzw. einer mehr und mehr von der Vernunft dominierten Welt zu vermitteln. Sein Ziel ist es, sowohl die monarchische Ordnung als auch den Machtanspruch von Kirche und Papst zu legitimieren.1 Gemäss Thomas’ Lehre gibt es, im Sinne der aristotelischen Teleologie, ein letztes Ziel, einen Endzweck für den Menschen. Für Thomas ist dies ein geoffenbarter Endzweck, das religiöse Heil, welches im Jenseits liegt. Gleichwohl kann der Mensch im Diesseits als letztem weltlich erreichbaren Ziel das Gemeinwohl realisieren. Zur Erreichung beider Ziele müssen Bedingungen seitens des Staates geschaffen werden. Sowohl Staatsaufgaben, als auch die Rolle und Verantwortung des Monarchen lassen sich dabei letztlich dem einen Endzweck der Seligkeit unterstellen und sind nur insoweit förderlich, als sie der Erreichung dieses letzten Ziels dienen. Auf dem Hintergrund dieser Teleologie lässt sich auch Thomas’ hierarchischer Rechtsbegriff verstehen. Die sogenannte Legeshierarchie soll den göttlichen Willen im Sinne einer Kaskade in das irdische Reich transportieren resp. das Gesetz soll, nebst der göttlichen Gnade, den Menschen ein Vehikel hin zu Gott bieten.2 Die Aufgabe des Gesetzes liegt in der Herstellung einer auf das Endziel angelegten Ordnung.3 Das Gesetz ist auf das menschliche Handeln gerichtet.4 Es werden dabei vier Stufen unterschieden: Ewiges Gesetz (lex aeterna), natürliches Gesetz (lex naturalis), göttliches Gesetz (lex divina) und menschliches Gesetz (lex humana).

Wieso es diese vier Gesetzesstufen braucht, ist in der Literatur umstritten. Erstens ist unklar, wieso zusätzlich zur lex aeterna, welche als ewiges Gesetz, als höchste Vernunft selbst dezidiert göttlich ist, noch ein weiteres göttliches Gesetz in Form der lex divina nötig ist.5 Zweitens wird eingewendet, dass das natürliche mit dem ewigen Gesetz doch weitgehend identisch ist. Drittens bestehen Unklarheiten hinsichtlich der Über- oder Unterordnung der lex divina gegenüber der lex naturalis.

Diese Arbeit möchte sich dem zweiten Einwand widmen und die Frage beantworten, ob lex aeterna und lex naturalis als identisch erachtet werden können.

Im ersten Teil wird auf Thomas’ Aristotelesrezeption eingegangen. Hier interessiert der Einfluss auf die erkenntnistheoretische Position bei Thomas. Im zweiten Teil werden die Begriffe lex aeterna und lex naturalis, sowie deren Funktionen erläutert. Ebenso wird das Verhältnis von lex aeterna und lex naturalis erörtert. Der dritte und letzte Teil widmet sich schliesslich der Beantwortung der eingangs gestellten Frage.

2 Thomas’ Aristotelesrezeption

In der Mitte des 12. Jh. wird das Gesamtwerk des Aristoteles im Abendland bekannt und verbreitete sich schnell. Thomas rezipiert nicht nur die Ethik des Aristoteles, resp. die teleologische Auffassung, dass sämtliches menschliches Handeln zielgerichtet auf einen Endzweck (das Gute) und dabei die Vernunft dessen Richtschnur ist. Er nimmt ebenso die Erkenntnislehre des Aristoteles auf und legt dessen Grundprinzipien seinem eigenen Denken zugrunde.6 Der Höhepunkt aller Erkenntnis ist nach Thomas die Gottesschau (viso dei).7

Der Erkenntnisprozess gliedert sich nach Aristoteles in drei Erkenntnisprinzipien: Das aktive Vernunftprinzip (intellectus agens), das erkannte Objekt (noeton), sowie der Intellekt (passives Vernunftprinzip).8 Die sinnliche Wahrnehmung ist nach Aristoteles Grundvoraussetzung des Erkentnisprozesses. Resultat des Erkenntnisprozesses ist das Erfassen des Wesens des Erkannten im Sinne von Allgemeinbegriffen.9 Erkenntnis kommt zustande, in dem das aktive Prinzip intelligible Formen des erkannten Objekts abstrahiert und das passive Vernunftprinzip damit informiert.10

Gemäss Thomas findet Erkenntnis über die Sinneswahrnehmung via continuatio (Abstraktion) auf das im Einzelnen erkennbare Allgemeine statt.11 Das tätige Vernunftprinzip gehört gemäss Thomas zur mit dem Körper verbundenen Seele. Auch für Thomas nimmt Erkenntnis mit der sinnlichen Wahrnehmung ihren Anfang. Wichtig ist, dass eine solche Begründung der Erkenntnis in der sinnlichen Wahrnehmung eine Art Rückbindung von sinnlich Erfahrenem auf erste Prinzipien konstituiert.12 Der Mensch tritt durch diese Erkenntnis erster Prinzipien mit Gott in Kontakt. Er hat durch sein aktives Vernunftprinzip Teil an Gott.

Sowohl bei theoretischer wie praktischer Vernunft sind die ersten Prinzipien aus sich heraus einleuchtend und Grundlage des Erkenntnisprozesses.13 Bei den Schlussfolgerungen hingegen gibt es einen Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Der Gewissheitsgrad von Schlussfolgerungen bei der schauenden (theoretischen) Vernunft ist auf Ebene der Prinzipien wie Schlussfolgerungen derselbe.14 Bei der praktischen Vernunft nimmt der Gewissheitsgrad mehr und mehr ab, je konkreter der Gegenstand wird.15 Die höchste Gewissheit menschlichen Handelns findet sich demnach nur in dessen Prinzipien. In einzelnen Handlungen kann der Mensch jedoch irren.16

3 Legeshierarchie

Thomas unterscheidet in seiner Rechtslehre vier Stufen des Gesetzes, wobei der Begriff Gesetz mit Vernunft gleichgesetzt werden kann.17 Das ewige Gesetz (lex aeterna) ist die göttliche Vernunft, welche sich in der So-Geschaffenheit der Welt und damit auch im Menschen ausdrückt.

Das natürliche Gesetz (lex naturalis) stellt die Bedingungen der menschlichen Existenz dar, insofern sie als auf das Ziel der Seeligkeit ausgerichtet verstanden wird.18 Der Mensch hat am ewigen Gesetz Teil, insofern er vernünftig handelt. So ist das natürliche Gesetz Massstab des Guten und Richtigen, in ihm zeigt sich die lex aeterna in der Welt.19

Das menschliche Gesetz (lex humana) ist vom Menschen positiv gesatztes Recht und insofern verbindlich, als es gerecht resp. im Einklang mit der lex naturalis ist. Die lex divina in Form von Altem und Neuem Testament ist eine zusätzliche moralische Richtschnur für den Menschen, welche wegen der Unvollkommenheit der menschlichen Natur nötig ist. Die Legeshierarchie ist als Kaskade zu verstehen, bei welcher die nächst untere Stufe je eine Konkretisierung der vorherigen darstellt.

3.1 Lex aeterna – Bedeutung und Funktion

Das ewige Gesetz kann als Vernunft Gottes verstanden werden. Bei der Beantwortung der Quaestio 91, 1 gibt Thomas an, dass das ewige Gesetz sogar ganz mit Gott gleichgesetzt werden kann.20 Gott ist sowohl Plan21 als auch Gesetz.22 Insofern er Plan ist, ist er auch Wahrheit.23 Von ihm leiten sich alle übrigen Gesetze qua Teilhabe her.24 Alle Geschöpfe, ob vernunftbegabt (Mensch) oder nicht (Tier), werden vom ewigen Gesetz geregelt und bemessen.25 Insofern haben alle Wesen am ewigen Gesetz teil.26 Teilhabe ist zweifach möglich: ein Gesetz kann in der Weise des Erkennens oder der Weise von Tun und Erleiden dem ewigen Gesetz

[...]


1 Gröscher/Dierksmeier/Henkel/Wiehart (2000) 89.

2 Lohmann (2001) 177.

3 Marti (2008) 56.

4 S. Th. I-II 91, 1. (Antw.): „Gesetz ist, wie gesagt (90, 1), nichts anderes als eine Weisung der auf das Tun gerichteten Vernunft im Herrscher [...].“ und S. Th. I-II 93, 1.: „Gesetz aber besagt Lenkung von Tätigkeiten in Hinordnung auf das Gemeingut (90, 2).“

5 Lohmann (2001) 178.

6 Böckenförde (2002) 223.

7 Pfordten (2007) 102.

8 Ebd. 21.

9 Ebd. 106.

10 Gumann (1999) 84.

11 Schulthess (2009) 10.

12 Gumann (1999) 87f.

13 S. Th. I-II 94, 2. (Antw.): „[...] beide sind nämlich aus sich einleuchtende Grundsätze.“

14 S. Th. I-II 94, 4. (Antw.): „[...] die auf die Schau gerichtete Vernunft sich vorzüglich beschäftigt mit den notwendigen Dingen, die unmöglich anders sein können, gibt es hier Wahrheit ohne Fehler in den einzelhaften Folgesätzen ebenso wie in den allgemeinen Grundsätzen.“

15 S. Th. I-II 94, 4. (Antw.): „[...] unterläuft desto eher ein Fehler, je mehr man in den Bereich des Einzelnen absteigt.“ ferner S. Th. I-II 94, 4 (Antw.): „Hinsichtlich der ins Einzelne gehenden Folgesätze der auf das Tun gerichteten Vernunft hingegen liegt weder dieselbe Wahrheit oder Rechtheit für alle vor, noch ist diese Wahrheit dort, wo sie dieselbe ist, in gleicher Weise bekannt.“

16 S. Th. I-II 94, 4. (Antw.): „Hinsichtlich der ins Einzelne gehenden Folgesätze der auf das Tun gerichteten Vernunft hingegen liegt weder dieselbe Wahrheit oder Rechtheit für alle vor, noch ist die Wahrheit dort, wo sie dieselbe ist, in gleicher Weise bekannt.“

17 S. Th. I-II 90, 1. (Antw.): „Regel und Richtmass der menschlichen Tätigkeiten ist aber die Vernunft, die erster Seinsgrund der menschlichen Handlungen ist [...] In jedweder Gattung ist nun das, was Seinsgrund ist, Richtmass und Regel für diese Gattung [...]“

18 Sivers (1969) 15.

19 Figueroa (2003) 30.

20 S. Th. I-II 91, 1 (zu 3): „Das Ziel der göttlichen Weltregierung ist jedoch Gott Selber, und sein Gesetz ist nichts anderes als Er Selbst.“

21 S. Th. I-II 93, 1 (Antw.): „Gott aber ist kraft Seiner Weisheit der Urheber aller Dinge insgesamt. Er steht diesen gegenüber wie der Künstler seinen Werken.“ ferner S. Th. I-II 93, 3 (Antw.): „Wie oben erörtert (90, 1.2), besagt Gesetz einen gewissen Plan, der Tätigkeit auf ein Ziel ausrichtet.“ ferner S. Th. I-II 93, 4 (Antw.): „Das ewige Gesetz ist [...] der Plan der göttlichen Weltregierung.“

22 S. Th. I-II 93, 1 (Antw.): „Gott regiert ferner alle Tätigkeiten und Bewegungen, die es in jedem Geschöpf gibt (I 103, 5: Bd. 8).“

23 S. Th. I-II 93, 2 (zu 3): „Der göttliche Verstand hingegen ist das Mass der Dinge; denn jedes Ding hat soviel Wahrheit, wie es dem göttlichen Erkennen nachgebildet ist (I 16, 1: Bd. 2). Deswegen ist der göttliche Verstand aus Sich Selber wahr. Und von daher ist Sein Plan die Wahrheit Selbst.“

24 S. Th. I-II 93.3 (Antw.) : „Da also das ewige Gesetz der Plan der Regierung im obersten Regenten ist, müssen alle Regierungspläne, die die untergeordneten Regenten haben, sich vom ewigen Gesetz herleiten. [...] Daher leiten sich alle Gesetze soweit vom ewigen Gesetz her, als sie an der rechtgeleiteten Vernunft teilhaben.“

25 S. Th. I-II 91, 2 (Antw.): „ Aus dem Gesagten (Art. 1) ergibt sich aber, dass alle Dinge, die der göttlichen Vorsehung unterliegen, vom ewigen Gesetz geregelt und bemessen werden.“

26 S. Th. I-II 91, 2 (Antw.): „Somit nehmen offensichtlich alle Dinge in irgendeiner Weise am ewigen Gesetz teil, insofern sie nämlich aus seiner Einprägung die Neigung zu den ihnen eigenen Handlungen und Zielen besitzen.“

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Thomas von Aquin: Summa Theologica - Sind 'lex aeterna' und 'lex naturalis' identisch?
Hochschule
Universität Zürich  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Geschichte des politischen Denkens
Autor
Jahr
2009
Seiten
12
Katalognummer
V128996
ISBN (eBook)
9783640351756
ISBN (Buch)
9783640351329
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas von Aquin, Summa Theologica, Lex aeterna, Lex naturalis, Philosophie
Arbeit zitieren
Elena Holzheu (Autor:in), 2009, Thomas von Aquin: Summa Theologica - Sind 'lex aeterna' und 'lex naturalis' identisch?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128996

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