Der Begriff FLEDERMAUS im französischsprachigen Raum

Analyse einzelner Versprachlichungen dieses Konzepts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Crapaud-volant / bot-volant
2.1 Metaphorische Similarität + konzeptuelle Kontiguität
2.2 Kotaxonomische Similarität + konzeptuelle Kontiguität
2.3 Kotaxonomische Similarität bzw. kohyponymische Übertragung

3. /tiñaũs/
3.1 tinea ‚Motte’
3.1.1 tinea ‚Motte’ + (g)aüs ‚Eule’
3.1.2 tinea ‚Motte’ + caüs ‚Waldkauz’, ‚Dohle’
3.1.3 tinea ‚Motte’ + aüs ‚toison’
3.2 tinea ‚Grind’, ‚Kopfgrind’
3.2.1 tinea ‚Grind’, ‚Kopfgrind’ + (g)aüs ‚Eule’
3.2.2 tinea ‚Grind’, ‚Kopfgrind’ + caüs ‚Waldkauz’, ‚Dohle’
3.2.3 tinea ‚Grind’, ‚Kopfgrind’ + aüs ‚toison’

4. C hauve-souris / souris-chauve
4.1 frz. chauve < lat. calvus ‚kahl’, ‚glatzköpfig’, ‚leer’
4.2 Volksetymologie: fränk. cava ‚Dohle’ > spätlat. calva > nfrz. chauve

5. Souris-chaude, chaude-souris
5.1 Volksetymologie
5.2 Konzeptuelle Kontiguität (chaude)
5.3 Metaphorische Similarität (chaude)

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit widmet sich der Analyse einzelner Versprachlichungen des Konzepts Fledermaus im französischsprachigen Raum. Gerade die romanischen Sprachen weisen nämlich, wie Emil Eggenschwiler in seiner Abhandlung über „Die Namen der Fledermaus auf dem französischen und italienischen Sprachgebiet“ herausgearbeitet hat, eine ganze Fülle an eigenen Versprachlichungen dieses Konzepts auf.[1] Eggenschwiler, dessen Werk für das gesamte in dieser Arbeit verwendete Sprachmaterial herangezogen wurde, kommt am Ende seiner Untersuchungen zu dem Schluss, dass in Frankreich hauptsächlich die drei Typen chauve-souris, ratapenada und souris- bzw. ratte-volante (unter anderem auch in der Verbindung mit -volage, -uliva sowie -voloira) vertreten sind.[2] Des Weiteren finden sich, allerdings weniger weit verbreitet, Versprachlichungen wie zum Beispiel pissoratto, crapaud- bzw. bot-volant, /tiñaũs/ usw.[3]

Im Rahmen dieser Arbeit kann allerdings nur einer kleinen Auswahl an Versprachlichungen Rechnung getragen werden. Zunächst soll unter Punkt 2 auf crapaud-volant bzw. bot-volant eingegangen werden und anschließend unter Punkt 3 auf die semantisch äußerst interessante Form /tiñaũs/. Unter Punkt 4 wird dann schließlich die in Frankreich gängigste Form chauve-souris behandelt werden und den Abschluss unter Punkt 5 bildet die Analyse der Form souris-chaude bzw. chaude-souris. Vordergründig soll bei der Analyse dabei der Frage nachgegangen werden, wie sich die jeweilige Versprachlichung entwickelt haben könnte bzw. welche Assoziationsmuster der jeweiligen Versprachlichung des Konzepts Fledermaus zugrunde liegen könnten. Die jeweils in Frage kommenden Erklärungsansätze für die einzelnen Versprachlichungen sollen dabei akribisch untersucht werden.

2. Crapaud-volant / bot-volant

Altfranzösisch bo, bot (‚Kröte’) stammt von germanisch bautan in der Bedeutung ‚stoßen’, ‚schlagen’. Französisch crapaud (‚Kröte’) hat sich aus altfranzösisch crapon bzw. grapon in der Bedeutung ‚gekrümmte Hand’ entwickelt, welches wiederum auf fränkisch krappo bzw. germanisch krappa in der Bedeutung ‚Haken’, ‚Klammer’ zurückgeführt werden kann. Bei letzterem kann von einer metaphorischen Similaritäts-Relation der Designate Haken und Kröte ausgegangen werden. Das Konzept kröte weist nämlich mit dem Konzept haken bzw. klammer dahingehend eine Similarität auf, dass die Kröte einerseits hakenförmige Zehen besitzt[4] und andererseits dass das Paarungsverhalten der Kröten, welches sich in einer Art Umklammerung vollzieht, dem Klammer-Aspekt Rechnung trägt. Die Versprachlichung der Kröte, die auf einer Similarität der beiden Konzeptbereiche haken-kröte beruht, ist also durch die Heranziehung einer Metapher entstanden. Im folgenden soll nun analysiert werden, in welcher Beziehung das Konzept kröte und das Attribut volant zum Konzept fledermaus steht, wobei sich drei mögliche Assoziationsrelationen anbieten.

2.1 Metaphorische Similarität + konzeptuelle Kontiguität

Zwischen den beiden Konzeptbereichen fledermaus-kröte besteht eine metaphorische Similaritäts-Beziehung zum einen auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes (sie besitzen beide ein abstoßendes Gesicht und umhüllt von ihren Flügeln wirkt die Fledermaus genauso nackt wie die Kröte)[5] und zum anderen auf Grund des schlechten Rufes, den beide im Volksmund haben. Beide Tiere wurden zum Beispiel lange Zeit als Hexentiere angesehen, deren Gestalt sich die Hexen des Nachts bedienten, um ihrer Umwelt Schaden zuzufügen.[6] Während man der Kröte nachsagt, dass sie giftig sei und ein Körperkontakt mit ihr in jeglicher Form zu bösartigen Geschwülsten führe[7] bzw. ein Kontakt mit ihrem Blut sogar das Ausfallen der Haare zur Folge habe,[8] geht man bei der Fledermaus von dem Aberglauben aus, dass ein Kontakt mit ihr oder ihrem Kot Grind erzeuge bzw. dass ihr Urin Kahlheit hervorrufe.[9] So wie der Fledermaus nachgesagt wird, dass sie Blut sauge, sagt man der Kröte nach, sie sauge den Kühen die Milch aus.[10] Ebenso werden beide mit der Geisterwelt in Verbindung gebracht und in manchen Regionen geht man sogar davon aus, dass die Seelen Verstorbener, die ein sündhaftes Leben geführt haben, in diesen Tieren stecken.[11] Beide Tiere sollen jedoch auch als entsprechend verarbeiteter Talisman dem jeweiligen Träger Glück im Spiel verschaffen[12] und beide werden als Schutzamulett an Türen genagelt, um Unheil abzuhalten.[13] Es findet sich im Volksmund eine ganze Fülle an Parallelitäten zwischen diesen angeblich unheilbringenden Tieren, die hier jedoch nicht alle genannt werden können. An dieser Stelle muss allerdings noch hinzugefügt werden, dass für die Form crapaud auch zutreffen könnte, dass der „Haken- bzw. Klammeraspekt“ bei der Versprachlichung im Vordergrund gestanden hatte und somit ein metaphorischer Vergleich zwischen einem Haken und einer Fledermaus gezogen worden ist. Während ihrer Ruhephasen hängt sich die Fledermaus nämlich ähnlich einem Haken in ihrem Unterschlupf auf bzw. „klammert“ sie sich mit ihren Füßen an einen Balken, Ast oder ähnliches. Ungeachtet der Tatsache, worin man eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Konzepten sieht, handelt es sich in den beiden beschriebenen Fällen um eine metaphorische Similaritäts-Beziehung, die durch eine prototypische Eigenschaft der Fledermaus ergänzt wurde, nämlich dem Sem [+ flugfähig]. Bei volant, welches auf lateinisch volare mit der Bedeutung ‚fliegen’ zurückzuführen ist, handelt es sich laut einer Bezeichnung von Peter Koch um eine Charakterisierung über „‚äußere’ Kontiguitäten, also (vermeintliches) Wissen über frames, in die die Fledermaus typischerweise hineingehört“.[14] Die Fledermaus kann folglich also dem frame fliegen zugeordnet werden. Als Fazit lässt sich festhalten, dass den Versprachlichungen des Konzepts fledermaus als crapaud-volant bzw. bot-volant die Assoziationsmuster metaphorische Similarität (Fledermaus-Kröte) + konzeptuelle Kontiguität (fliegen) zugrunde liegen.

2.2 Kotaxonomische Similarität + konzeptuelle Kontiguität

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass, wenn eine sogenannte „folk taxonomy“ bzw. „folk category“ zugrunde gelegt wird,[15] zwischen den beiden Konzeptbereichen kröte und fledermaus eine kotaxonomische Similaritäts-Beziehung bestehen könnte, denn sowohl die Fledermaus als auch die Kröte sind dämmerungs- und nachtaktive Tiere.[16] Somit könnten die beiden Konzepte dem gemeinsamen Oberbegriff nachtaktive tiere zugeordnet werden, dessen Kohyponyme bzw. Kotaxonyme sie dann darstellen würden.[17] An dieser Stelle wird auf Andreas Blank verwiesen, der in seiner Abhandlung über die „Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen“ die beiden Konzepte maus und maulwurf in eine nicht-wissenschaftliche Taxonomie kleine feldtiere einordnet.[18] Verglichen mit dieser Kategorisierung scheint eine Kategorisierung als nachtaktive Tiere nicht allzu abwegig. Bei dieser Möglichkeit liegen also den Versprachlichungen des Konzepts fledermaus als crapaud-volant bzw. bot-volant die Assoziationsmuster kotaxonomische Similarität (Fledermaus-Kröte) + konzeptuelle Kontiguität (fliegen) zugrunde.

2.3 Kotaxonomische Similarität bzw. kohyponymische Übertragung

Crapaud-volant und bot-volant sind auch Bezeichnungen für die Nachtschwalbe (auch „Ziegenmelker“ genannt)[19] und in einigen Gebieten des französischsprachigen Raumes so wie zum Beispiel in Nordostfrankreich und in Wallonien bezeichnen sie sowohl die Nachtschwalbe als auch die Fledermaus.[20] Da die Fledermaus seit der Antike[21] bis in die frühe Neuzeit hinein[22] als zu den Vögeln gehörig galt, kann sie ebenso wie die Nachtschwalbe dem Wortfeld vogel zugeordnet werden (eine Unterordnung unter den Oberbegriff Nachtaktive Tiere bzw. Nachtaktive Vögel wäre hier natürlich auch möglich). Beide Konzepte stellen also Hyponyme eines gemeinsamen Hyperonyms dar und somit kann wieder von einer kotaxonomischen Similaritäts-Beziehung gesprochen werden bzw. wäre in diesem Fall sogar die Möglichkeit einer kohyponymischen Übertragung der Nachtschwalbe auf die Fledermaus in Betracht zu ziehen (zumindest in jenen Gebieten, in denen crapaud-volant und bot-volant die Bezeichnung für beide Tiere darstellt). Da crapaud-volant und bot-volant in der Bedeutung ‚Nachtschwalbe’ deutlich weiter verbreitet sind als in der Bedeutung ‚Fledermaus’, ist die Annahme berechtigt, dass wahrscheinlich die Bezeichnung Nachtschwalbe auf die Fledermaus übertragen wurde und nicht die Bezeichnung Fledermaus auf die Nachtschwalbe.[23] Die Versprachlichung des Konzepts Fledermaus als crapaud-volant bzw. bot-volant in der Bedeutung ‚Nachtschwalbe’ hat sich hier also auf Grund einer kotaxonomischen Similaritäts-Beziehung vollzogen bzw. in manchen Gebieten sogar auf Grund einer kohyponymischen Übertragung.

[...]


[1] Vgl.: Eggenschwiler, Emil: Die Namen der Fledermaus auf dem französischen und italienischen Sprachgebiet. Leipzig: Selbstverlag des Romanischen Seminars 1934.

[2] Vgl.: Ebd., S. 255.

[3] Vgl.: Ebd.

[4] Vgl.: Picoche, Jacqueline: Dictionnaire Etymologique Du Français. Paris: LE ROBERT 1979, S. 177.

[5] Vgl.: Eggenschwiler, Namen der Fledermaus, S. 34f.

[6] Vgl.: Bandini, Ditte und Giovanni: Kleines Lexikon des Hexenwesens. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999, S. 67f. und S. 123.

[7] Vgl.: Bächtold-Stäubli, Hanns: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. V. Berlin: de Gruyter 1933, Sp. 608.

[8] Vgl.: Ebd., Sp. 622.

[9] Vgl.: Bächtold-Stäubli, Hanns: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. II. Berlin: de Gruyter 1930, Sp. 1585.

[10] Vgl.: Bächtold-Stäubli, Bd. V., Sp. 609.

[11] Vgl.: Bächtold-Stäubli, Bd. II, Sp. 1591f. und Bd. V, Sp. 627.

[12] Vgl.: Bächtold-Stäubli, Bd. II, Sp. 1595f. und Bd. V, Sp. 613f.

[13] Vgl.: Eggenschwiler, Namen der Fledermaus, S. 35.

[14] Koch, Peter: „Romanische Sprachwissenschaft und diachronische kognitive Linguistik – eine Wahlverwandt- schaft?“, S. 112. In: Dahmen, Wolfgang, et al. (Hrsg.): Was kann eine vergleichende romanische Sprach- wissenschaft heute (noch) leisten? Romanistisches Kolloquium XX. Tübingen: Narr 2006, S. 101-135.

[15] Vgl.: Blank, Andreas: „Topo et al. – Onomasiologie, Semasiologie und Kognition am Beispiel der Bezeich- nungen von maus, ratte und maulwurf in der Italoromania“, S. 509. In: Zeitschrift für romanische Philo-

logie 114 (1998), S. 505-531.

[16] Vgl.: zur Kröte: http://de.wikipedia.org/wiki/Echte_Kr%C3%B6ten_(Gattung) (13.12.2008).

[17] Vgl.: Blank, Andreas: Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 43.

[18] Vgl.: Blank, Andreas: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Spra-

chen. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 208.

[19] Vgl.: Eggenschwiler, Namen der Fledermaus, S. 32f.

[20] Vgl.: Ebd., S. 33.

[21] Vgl.: Keller, Otto: Antike Tierwelt. Bd. 1 (Säugetiere). Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann 1909, S. 11.

[22] Vgl.: Geßner, Conrad: Vogelbuch. Bd. III. Übers. von Rudolf Heußlein. Frankfurt am Main: Campier 1600, S. 128.

[23] Vgl.: Eggenschwiler, Namen der Fledermaus, S. 33.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Begriff FLEDERMAUS im französischsprachigen Raum
Untertitel
Analyse einzelner Versprachlichungen dieses Konzepts
Hochschule
Universität Stuttgart  (Linguistik/Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Semantik und semantischer Wandel
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V128690
ISBN (eBook)
9783640355754
ISBN (Buch)
9783640356102
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
19 Seiten
Schlagworte
Begriff, FLEDERMAUS, Raum, Analyse, Versprachlichungen, Konzepts
Arbeit zitieren
Silke Böhm (Autor:in), 2009, Der Begriff FLEDERMAUS im französischsprachigen Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128690

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