Max Webers Bewertung eines sozialistischen Wirtschaftssystems


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitendes

2. Begriffliche Festlegung des Sozialismus und des Kapitalismus

3. Voraussetzungen und Merkmale des modernen Kapitalismus nach Weber
3.1. Haushalten und Erwerben
3.2. Zu Webers Sozialismusbegriff
3.3. Webers ökonomische Sichtweise eines sozialistischen Systems
3.3.1. Verkehrswirtschaft und Planwirtschaft
3.3.2. Formale und materiale Rationalität
3.3.3. Das Rationalitätsdefizit des modernen Sozialismus
3.4. Webers Bewertung des sozialistischen Wirtschaftssystems

4. Zusammenfassung/ Abstract

Literaturverzeichnis

1. Einleitendes

Das Gesamtwerk des Soziologen Karl Emil Maximilian Weber (1864 – 1920) sowie die Sekundärliteratur zu Person und Werk ist beinahe bibliotheksfüllend und sehr komplex. Erhebt man den Anspruch, einen kleinen Teil des Großen Ganzen verstehen und nachvollziehen zu wollen, kommt man schnell vom Hundertsten ins Tausende, nicht zuletzt dank Webers Art, stets konsekutiv definierend und typisierend vorzugehen. Bei der Bearbeitung des Themas dieser Arbeit wurden v.a. Webers Werke Wirtschaft und Gesellschaft, Wirtschaftsgeschichte und seine politische Rede Der Sozialismus als Primärliteratur herangezogen. Gegenstand der Untersuchung ist Webers politökonomische Position zum Sozialismus und dem sozialistischen Wirtschaftssystem. Wie sieht seine Position überhaupt aus, weshalb wird ihm in bezug auf seine „sozialistische Gesinnung“ Ambivalenz und Relativismus vorgeworfen?

Und weshalb ist nach Weber eine kapitalistische Wirtschaftsordnung rationaler als eine sozialistische Planwirtschaft, welche er als „irrational“ einstuft? Um diesen Fragenkomplex zu beantworten, sollen ad hoc Webers Sozialismusbegriff sowie seine Sichtweise eines sozialistischen Systems dargestellt werden. Um seinen Ausführungen zum Sozialismus folgen zu können, ist es unumgänglich, Webers Kapitalismusbegriff gegenüberzustellen, zumal Weber einen kapitalökonomischen Status quo konzediert.

Weiter wird auf seinen Rationalitätsbegriff eingegangen, um zu klären warum Weber die sozialistische Wirtschaftsordnung als irrational und restriktiv bezeichnet.

Abschließend soll in Webers Bewertung des sozialistischen Wirtschaftssystems die Frage geklärt werden, warum er für den Sozialismus eine Diskreditierung befürchtet und dennoch das kapitalistische System bevorzugt.

2. Begriffliche Festlegung des Sozialismus und des Kapitalismus

Der Sozialismus als politische Weltanschauung zielt darauf ab, eine solidarische Gesellschaft zu schaffen, in der die Grundwerte Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden.

Er entstammt dem aufklärerischen Denken und ist u.a. den Prinzipien der Französischen Revolution verpflichtet. Er wendet sich gegen die einseitige Überhöhung individueller Freiheitsrechte und die Verabsolutierung des Privateigentums. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen des Sozialismus, doch der Grundgedanke – die Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen – trug wesentlich zu seiner internationalen Verbreitung bei.

Sozialismus als Begriff kommt im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf und wird mit nicht-kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen verbunden, in denen genossenschaftliche, gesellschaftliche oder staatliche Eigentumsverhältnisse vorherrschen.

Einen rapiden Aufschwung erhält der Sozialismus in der Zeit der Industrialisierung, in der er zur Bewegung gegen die massenhafte soziale Verelendung und die Ausbeutung der Arbeiterschaft wird. National und kulturell entstehen unterschiedliche Varianten des Sozialismus, so entwickelt sich bspw. in Deutschland eine breite Arbeiterbewegung, die sowohl eine starke gewerkschaftliche Interessenvertretung als auch eine politisch prägende Organisation (SPD) gegenüber dem autoritären Staat hervorbringt. (Schubert/ Klein 2006: 277-278). Im Gegensatz zum Sozialismus hat im Kapitalismus der Faktor Kapital im Vergleich zu anderen Wirtschaftsfaktoren eine überproportionale Bedeutung. Die Grundlagen sind eine Eigentumsordnung, die die freie Verfügung über das Privateigentum schützt, ferner ein durch staatliche Ordnung gesichertes, gleichwohl von staatlichen Eingriffen weitgehend freies Wirtschaftssystem auf der Basis des Marktmechanismus und der Selbststeuerung durch Angebot und Nachfrage. Die daraus resultierenden enormen Kapitalanhäufungen führen bis heute zu politischen und sozialen Auseinandersetzungen (Schubert/ Klein 2006: 155).

Während der Sozialismus für Karl Marx und Friedrich Engels vornehmlich die Rolle einer Übergangsphase zwischen Klassengesellschaft bzw. Kapitalismus und klassenloser Gesellschaft bzw. Kommunismus hatte (Marx/ Engels 2002: 76-78), war dieser für Max Weber ein zwar veränderlicher, doch fester Bestandteil seiner Grundüberlegungen. Um seinen Ausführungen zum Sozialismus folgen zu können, ist es unumgänglich, Webers Kapitalismusbegriff gegenüberzustellen, zumal Weber einen kapitalistischen Status quo konzediert: „Und heute werden, im Gegensatz zum größten Teil der Vergangenheit, unsere Alltagsbedürfnisse kapitalistisch [...] gedeckt“ (Weber 1991: 239). Im Folgenden wird auf den modernen Kapitalismusbegriff Webers eingegangen.

3. Voraussetzungen und Merkmale des modernen Kapitalismus nach Weber

„Kapitalismus ist da vorhanden, wo die erwerbswirtschaftliche Bedarfsdeckung einer Menschengruppe auf dem Wege der Unternehmung stattfindet, gleichviel um welchen Bedarf es sich handelt“ (Weber 1991: 238). In Wirtschaft und Gesellschaft hebt Weber hervor, dass nicht jeder Erwerb als solcher bereits „Unternehmung“ zu nennen sei, sondern erst dann, wenn sich dieser Erwerb an der Kapitalrechnung orientiere (Weber 1972: 51).

Von Kapital lasse sich „nur für den reden, dem das Darlehen Gegenstand seines Erwerbsbetriebes [Banken bestimmter Art] bildet, sonst aber nur von ‚Geldleihe‛“ (Weber 1972: 51). Das Ziel kapitalistischer Erwerbsbetriebe ist Geld und dessen Vermehrung.

Begrifflich geht Weber von einem allgemeinen, historisch unspezifischen Kapitalismus aus: „Während Kapitalismus verschiedener Form uns in allen Perioden der Geschichte entgegentritt, ist Deckung der Alltagsbedürfnisse auf kapitalistischem Wege nur dem Okzident[1] eigen und auch hier erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gegebene.“ (Weber 1991: 239).

Den modernen Begriff präzisiert er anhand eines Zustandes, bei welchem die privaten Unternehmer die ökonomische Bedarfsversorgung sichern. Kauf- und Lohnverträge dieser Unternehmer beschaffen ihnen die sachlichen Betriebsmittel, Beamte sowie Arbeitskräfte, um auf eigenes ökonomisches Risiko und durch erhofften Profit Güter herstellen zu lassen, die auf dem Markt zu verkaufen sind. Das Risiko, durch den Produktabsatz soviel Gewinn machen zu können, dass dadurch eine Versorgung der Güterbedürftigen gewährleistet ist, wird als „Anarchie der Produktion“ bezeichnet (Weber 1995: 84-85).

Aufgrund der Tatsache, dass die Privatwirtschaft mit privater bürokratischer Organisation sowie mit der Trennung des Arbeiters von den Betriebsmitteln verbunden ist, beherrsche diese ein Gebiet, das bis dahin noch nie vorkam: Den Prozess der „gewerblichen Produktion“ (Weber 1995: 86) als Merkmal des modernen, okzidentalen Kapitalismus. Als allgemeine Voraussetzung für das Bestehen dieses neuzeitlichen Kapitalismus gilt eine „ rationale Kapitalrechnung als Norm für alle großen Erwerbsunternehmungen, die sich mit Alltagsbedarfsdeckung befassen “ (Weber 1991: 239). Diese Kapitalrechnung setzt wiederum die „Möglichkeit der ausschließlichen Orientierung der Bedarfsdeckung an Marktchancen und an Rentabilität “ (Weber 1991: 240) voraus. Weiter fasst Weber zusammen, dass nur der Kapitalismus [im Vergleich zu früheren Kulturepochen, nicht im Vergleich zum Sozialismus] rationale Arbeitsorganisationen und eine Aufhebung der Schranken zwischen Binnenwirtschaft und Außenwirtschaft kenne. Und nur der moderne okzidentale Kapitalismus kenne die unternehmungsweise Organisation der Arbeit und den Staat im modernen Sinn mit gesatzter Verfassung, Fachbeamtentum und Staatsbürgerrecht (Vgl. Weber 1991: 269-270).

Grundlegende Merkmale sind weiterhin Marktfreiheit, d.h. Freiheit des Marktes von irrationalen Schranken des Verkehrs, rationale, d.h. im Höchstmaß berechenbare und daher mechanisierte Technik, rationales, d.h. berechenbares [judizielles] Recht sowie freie Arbeit, d.h. Personen können ihre Arbeitskraft frei auf dem Markt verkaufen (Vgl. Weber 1991: 239-240). Um den modernen Kapitalismus zu typisieren, macht Weber diesen Begriff an einem bestimmten Typus wirtschaftlichen Handelns fest, dem Erwerben. Dieser grenzt sich vom Begriff des Haushaltens ab.

Dies ist wichtig, da Haushalt und Erwerb für Weber die beiden Grundtypen aller Wirtschaft sind. In seinem Werk Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte definiert er diese beiden Grundtypen und geht dabei wie so oft konsekutiv vor. Auch diese Begriffe sind nur in ihrer reinen, idealtypischen Bedeutung konträr, so räumt Weber ein, dass diese beiden Typen durch Übergangsstufen in den Wirtschaftsordnungen Verkehrs- und Planwirtschaft miteinander verbunden sind.

3.1. Haushalten und Erwerben

Haushalt bedeutet ein Wirtschaften, das an der Deckung des eigenen Bedarfs orientiert ist, sei es des Bedarfs eines Staates, eines Individuums oder eines Konsumvereins. Erwerb dagegen heißt Orientierung an Gewinnchancen, und zwar an Tauschgewinnchancen“ (Weber 1991: 6), d.h. hierzu muss ein Geldüberschuss erwirtschaftet werden mithilfe von Kapital- bzw. Bilanzrechnung und einer Kalkulation der Tauschgewinnchancen. Der Tausch als solcher kann sowohl Naturaltausch als auch Geldtausch sein, wobei bei letzterem die „volle Orientierung des Handelns an ‚Marktchancen‛ im Sinne der Verkehrswirtschaft technisch möglich“ sei (Weber 1991: 4). Technisch meint hier Kostenkontrolle.

Die Erwerbswirtschaft orientiert sich demnach an Rentabilität und Gewinn. Der Haushalt orientiert sich lediglich am Grenznutzen, der als Maßgabe dient über die Verwendung zur Verfügung stehender Geldbeträge nach einem Wirtschaftsplan. Beiden Formen ist jedoch gemein, dass die Geldrechnung (die auch in der Planwirtschaft vorkommt, dann aber mit „Altruismus“ gepaart) abhängig ist von den Marktchancen, „d.h. dem (formell) friedlichen Kampf des Menschen mit dem Menschen“, dies bedeutet das Erstreiten von Konsensfindung, Interessenausgleich und Kompromissen. Weber fügt hinzu, dass der Geldpreis als Maßstab auf dem Markt ein „Kompromiß aus Kampfchancen“ sei, woraus sich die „formale Rationalität der Geldwirtschaft“ ergebe, welche die „höchstmögliche Rechenhaftigkeit“ der Kapitalrechnung bedeute und nicht zu ersetzen sei, auch nicht durch eine „planmäßige Naturalwirtschaft“ (Vgl. Weber 1991: 7-8). Die formale Rationalität ist demzufolge beiden Wirtschaftsformen eigen, ebenso die materiale Rationalität. Nähere Erläuterungen zur Rationalität folgen in Kapitel 3.3.2. Zuvor wird auf Webers Begriff des Sozialismus eingegangen.

[...]


[1] Dem Westen, Europa.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Max Webers Bewertung eines sozialistischen Wirtschaftssystems
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Max Weber
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V128152
ISBN (eBook)
9783640414079
ISBN (Buch)
9783640411665
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Webers, Bewertung, Wirtschaftssystems
Arbeit zitieren
Melanie Baschin (Autor:in), 2007, Max Webers Bewertung eines sozialistischen Wirtschaftssystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128152

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Max Webers Bewertung eines sozialistischen Wirtschaftssystems



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden