Die Naturzustandsfiktion bei Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau und deren Bedeutung für ihre politische Philosophie


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung: Die Frage nach der Herrschaftslegitimation

II. Theorie des Gesellschaftsvertrages
II.I. Allgemeine Struktur des Gesellschaftsvertrages
II.II. Die Konzeption Hobbes'
II.III. Die Konzeption Rousseaus

III. Naturzustandstheorie
III.I. Die Beschreibung des Naturzustands bei Hobbes
III.II. Die Beschreibung des Naturzustands bei Rousseau
III.III. Philosophische Anthropologie
III.IV. Das Hobbessche Menschenbild
III.V. Das Rousseausche Menschenbild

IV. Plausibilität der Naturzustandskonzeptionen
IV.I. Kritik des homo homini lupus
IV.II. Kritik des bon sauvage

V. Schlussbemerkung

VI. Bibliographie:

I. Einleitung: Die Frage nach der Herrschaftslegitimation

Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau haben auf die Grundfrage der politischen Philosophie „Was legitimiert die Herrschaft von Menschen über andere Menschen“ eine neue Antwort gegeben, wodurch traditionelle Erklärungen des Problems (zum Beispiel die antike Auffassung, dass der Stärkere über den Schwächeren herrschen soll)[1] hinfällig wurden. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Theorie des Gesellschaftsvertrages von Hobbes und Rousseau systematisch darzustellen und kritisch zu erörtern. Im Mittelpunkt meines Interesses werden dabei die Beschreibung des Naturzustandes und die damit verbundenen anthropologischen Voraussetzungen stehen. Es soll aufgezeigt werden, wie unterschiedliche Menschenbilder Hobbes und Rousseau zu derselben Lösung des Problems (Gesellschaftsvertrag) führen und warum die beiden Theorien trotz ihrer scheinbaren Ähnlichkeit große Differenzen aufweisen. Abschließend werden die Naturzustandskonzeptionen Hobbes' und Rousseaus auf ihre Plausibilität geprüft und einer Kritik unterzogen.

II. Theorie des Gesellschaftsvertrages

Die Theorie des Gesellschaftsvertrages wird manchmal als Friedenswissenschaft bezeichnet, denn sie hat vor allem zum Ziel, die Bedingungen für die Sicherung beständigen Friedens zu bestimmen. Wie bereits angedeutet, stellt der Gesellschaftsvertrag eine neue Variante der Herrschaftslegitimation dar. Die Verfasser des Vertrages sind davon ausgegangen, dass der Mensch kein zoon politikon ist[2], sondern dass die Vergesellschaftung der Menschen erst durch souveräne Macht (Staat) erreicht werden kann. Die Annahme, dass die Menschen nur künstlich in die Gesellschaft integriert werden können, stellt den Ausgangspunkt für den Gesellschaftsvertrag dar. Um präziser sagen zu können, was er ist, müssen zunächst seine allgemeine Struktur dargestellt und die Schlüsselbegriffe wie „gesellschaftlicher Zustand“ und „Naturzustand“ erläutert werden.

II.I. Allgemeine Struktur des Gesellschaftsvertrages

Die Menschen im Naturzustand, also in einem vorpolitischen Zustand, in dem es keinen Staat und keine Gesellschaft gibt, charakterisieren sich durch ihre Unfähigkeit, miteinander (friedlich) zu leben. Dieser Annahme werden sowohl von Hobbes, als auch von Rousseau anthropologische Voraussetzungen zugrunde gelegt.

Die politische Macht, die Einrichtungen des Staates und die Souveränität des Herrschers werden dadurch legitimiert, dass der Übergang vom Naturzustand in den gesellschaftlichen Zustand für jeden Einzelnen profitabel bzw. vernünftig ist. Damit der gesellschaftliche Zustand möglich ist, müssen die Menschen von der Notwendigkeit, in diesen einzutreten, überzeugt sein. Formal gesehen ergibt sich der gesellschaftliche Zustand aus dem Gesellschaftsvertrag. Die beiden Philosophen liefern zahlreiche Argumente dafür, warum es vorteilhaft sein sollte ihn zu schließen.

II.II. Die Konzeption Hobbes'

In der Konzeption Hobbes’ ist der Naturzustand ein Kriegszustand, in dem das Leben der Menschen durch gegenseitigen Konflikt bestimmt ist und die Selbsterhaltung den höchsten Wert hat.[3] Da es keinen Staatsapparat gibt, sind die Menschen nicht durch staatliche Gewalt beschränkt – sie verfügen deshalb über absolute Handlungsfreiheit. Diese wird allein durch das natürliche Recht bestimmt (das Recht aller auf alles)[4] und führt nach Hobbes unweigerlich zu brutalem Konflikt, den er als Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes) bezeichnet.[5] Da der Naturzustand mit ständiger Todesgefahr verbunden ist, ist es für jeden Einzelnen von Vorteil, aus diesem herauszutreten. Ein Verlassen dieses Zustandes ist dank bestimmter Naturgesetze möglich, die für jedermann durch die Vernunft einsehbar sind. Zuallererst muss der Einzelne die Bereitschaft und den Willen haben nach Frieden zu streben; wenn die anderen es ebenfalls tun, dann soll er auf sein Recht auf alles verzichten und geschlossene Friedensverträge einhalten (pacta sunt servanda). Der Gesellschaftsvertrag als eine besondere Form der zwischenmenschlichen Übereinkunft setzt voraus, dass jeder Einzelne auf seine natürlichen Rechte verzichtet und sich einer höchsten Staatsgewalt, dem „Leviathan“ (d.h. dem sterblichen Gott) unterwirft. Die errichtete Herrschaft ist auf den Frieden und das Wohl des Volkes verpflichtet und ist deshalb gerechtfertigt, weil sie sich aus einem gültigen Vertrag ergibt. Die Untertanen dürfen dem Souverän keinen Widerstand leisten und der Staat besitzt das Gewaltmonopol (Absolutismus). Das Gewaltmonopol bezieht sich auf alle Lebensbereiche, einschließlich derjenigen des Glaubens (Hobbes betont in seiner Vorstellung des idealen Staates die Vorzüge einer Staatsreligion); dem Souverän ist auch die Anordnung präventiver Zensur erlaubt, und er hat zudem den vollen Einfluss auf das Gerichtswesen. Hobbes geht davon aus, dass der Souverän allein über die Wahrheit bestimmen soll, und dass die Unbeschränktheit seiner Macht der beste Garant für das Fortbestehen des Rechtsstaates ist.[6]

Es ist charakteristisch, dass der Vertrag nur zwischen den Untertanen geschlossen wird, nicht zwischen den Untertanen und dem Souverän. Der Souverän darf nicht abgesetzt, kritisiert oder strafrechtlich verfolgt werden. Die Herrschaft wird erst dann nichtig, wenn sie den Frieden nicht mehr garantieren kann (eben um des Friedens willen wird sie etabliert).

II.III. Die Konzeption Rousseaus

Während in der Konzeption Hobbes' die Furcht vor dem Tode die Menschen zum Übergang in den gesellschaftlichen Zustand veranlasst, ist das Rousseausche Argument für den Gesellschaftsvertrag von ganz anderer Art. Bei Rousseau ist der Mensch im Naturzustand nicht wie bei Hobbes ständiger Lebensgefahr ausgesetzt, sondern bleibt von den Bedrohungen seitens anderer weitgehend verschont. Rousseau setzt nämlich voraus, dass der Mensch im Naturzustand überwiegend allein lebt.

Im Zuge der Vergesellschaftung wird die Selbstliebe des Menschen (amour de soi) zur Eigenliebe (amour propre). Unter Bedingungen knapper werdender Ressourcen (Naturkatastrophen) kommt es dann zu zwischenmenschlichen Konflikten. Der Mensch bildet mit der Zeit Sprache und Vernunft aus, fängt an sich mit seinen Mitmenschen zu vergleichen, erwirbt Eigentum, weshalb eine Arbeitsteilung notwendig wird, usw. Auf diesem Wege ergeben sich Unterschiede zwischen Obrigkeit und Untertanen, und der Mensch, der von Natur aus frei und glücklich ist (dies ist ein großer Unterschied im Vergleich zu Hobbes), wird so zum Sklaven der Gesellschaft. Rousseau schreibt dazu: „Der Mensch wird frei geboren, und überall liegt er in Ketten“.[7]

Die durch die Gesellschaft entartete Natur kann nach Rousseau nicht mehr wiederhergestellt werden; eine Rückkehr zum Naturzustand ist nicht möglich. Freiheit und Friede können nur im Rahmen der Demokratie erlangt werden. Gerade die Freiheit bildet den zentralen Begriff bei Rousseau – er ist nämlich der Meinung, dass sie jedem Menschen innewohnt und unveräußerlich ist. Diese Annahme ist der Ausgangspunkt für den Gesellschaftsvertrag, der kein Unterwerfungsvertrag sein darf (wie es bei Hobbes der Fall ist). Bei Rousseau gibt es im gesellschaftlichen Zustand keine „übergeordnete“ Instanz (Leviathan), sondern der Souverän wird durch das aus den einzelnen Menschen als Mitgliedern bestehende Gemeinwesen gebildet.[8] Die Souveränität äußert sich im allgemeinen Willen (volonté générale), der ein „beständiger Wille aller Glieder“ ist.[9] Der allgemeine Wille gilt als Maßstab für die Legitimität der Herrschaft; er allein kann das Mitbestimmungsrecht der Bürger und ihre Freiheit im Staat garantieren.[10]

Der Zweck des Gesellschaftsvertrages (contrat social) wird von Rousseau folgendermaßen bestimmt: „Was der Mensch durch den Gesellschaftsvertrag verliert, ist seine natürliche Freiheit und ein unbegrenztes Recht auf alles [...], was er erreichen kann; was er erhält ist die bürgerliche Freiheit und das Eigentum an allem, was er besitzt“.[11] Rousseau hat die Gefangenschaft der Menschen im Staat bemerkt und sie mit seiner Annahme, der Mensch sei von Natur aus frei, konfrontiert. Die bestehenden Verhältnisse seiner Lebenszeit dienten ihm dabei als Vorlage. In seiner Konzeption werden diese Verhältnisse als das Resultat des so genannten contrat des riches (Vertrag der Reichen) interpretiert. Dieser im Discours sur l’inégalité beschriebene Vertrag hat mit dem Gesellschaftsvertrag, der den Menschen Freiheit und Frieden gewährleisten soll, nichts gemeinsam. Er ist Ausdruck der sozialen Ungleichheit und Unterdrückung, die gerade erst durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrages behoben werden können.

[...]


[1] Vgl. hierzu die Ansicht des Sophisten Thrasymachos: „Ich behaupte nämlich, das Gerechte ist nichts anderes als der Vorteil des Stärkeren“ – Platon, Der Staat, I 338 C = 78 A 10.

[2] „Anthropos zoon politikon physei estin“ (der Mensch ist von Natur aus ein politisches Wesen) – Aristoteles, Politik 1253 a2.

[3] Hobbes, Thomas: Leviathan, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996, S. 104.

[4] Das allgemein geltende Recht auf alles ist praktisch ein Recht auf nichts, weil dessen Inanspruchnahme durch den Einzelnen automatisch das Recht aller anderen aufhebt.

[5] Hobbes versteht unter dem Begriff „Krieg“ nicht nur die tatsächlichen Kriegshandlungen, sondern auch die Kriegs haltung selbst. Er schreibt: „Krieg besteht […] in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf hinreichend bekannt ist“ – Hobbes, Thomas: Leviathan, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996, S. 104.

[6] Vgl. dazu ein Kommentar zu der These might makes right in: Rapaczynski, Andrzej: Nature and Politics. Liberalism in the Philosophies of Hobbes, Locke, and Rousseau, Cornell University Press, New York 1987, S. 18.

[7] Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, in: Ders., Politische Schriften I, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1977, S. 61.

[8] „Rousseau […] denkt die Autorschaft des Einzelnen unvermittelt und präsentisch. Der Einzelne gilt nicht bloß als Autorisierender der Gesetze, denen er unterworfen ist, er ist der Autor dieser Gesetze“ – Adam, Armin: Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel, Verlag Alber, Freiburg 1999, S. 119.

[9] Der Begriff volonté générale ist bei Rousseau etwas vage und bleibt bis heute Gegenstand heftiger Debatten. Russell bezeichnet die Doktrin des allgemeinen Willens als „obscure“ und schlägt als deren bestmögliche Interpretation Folgendes vor: „To say that the general will is always right is only to say that […] it must represent the largest collective satisfaction of self-interest possible to the community“ - Russell, Bertrand: History of Western Philosophy, Routledge Classics, Abingdon 2006, S. 635.

[10] Bei Hobbes dagegen zählt nur der Wille des Herrschers (d.h. sein Wille gilt als der Wille aller).

[11] Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, in: Ders., Politische Schriften I, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1977, S. 61.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Naturzustandsfiktion bei Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau und deren Bedeutung für ihre politische Philosophie
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Einführung in die Politische Philosophie
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V128079
ISBN (eBook)
9783640341283
ISBN (Buch)
9783640338412
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Naturzustand, Rousseau, Hobbes, Krieg aller gegen alle, Gesellschaftszustand, Gesellschaftstheorie, Politische Philosophie
Arbeit zitieren
Adam Galamaga (Autor:in), 2007, Die Naturzustandsfiktion bei Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau und deren Bedeutung für ihre politische Philosophie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128079

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