Nachfrageorientierte Politik

Warum die aus Gemeinwohlperspektive suboptimale Gemeinsame Agrarpolitik nicht angemessen reformiert wird


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Hinführung zur Thematik

2. Das (Gefangenen)Dilemma der GAP
2.1 Ebene: Interessenvertreter – Politik
2.2 Ebene: Politik – Wähler
2.3 Ebene: Wähler – Politik
2.4 Ebene: Staaten –EU
2.5 Gefangenendilemma

3. Vetospieler
3.1 Vetospieler-Theorie
3.2 Die starke Stellung der Bauernverbände
3.3 Vetospieler der GAP auf deutscher und europäischer Ebene
3.4 Einflussnahme von DBV und COPA
3.5 Ausbleiben von Reformen

4 Gründe für die Verzögerung von Reformen
4.1 „war-of-attrition“ im Kontext der GAP
4.2 “uncertainty-of-net-benefits” im Bezug auf die Reformierung der GAP

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1. Hinführung zur Thematik

„Nach wie vor ist die Behauptung eines Marktversagens Grundlage der europäischen Agrarpolitik. Schaut man sich ihre Entwicklung näher an, ist Staats- und Politikversagen wahrscheinlicher“ (Rieger 1999: 15).

Das vorangegangene Zitat formuliert eine häufig aufkommende Kritik an der Gemeinsamen Agrarpolitik (im Folgenden: GAP) der EU. Während Vertreter der Agrarinteressen gerne mit der besonderen Situation der Landwirtschaft, auf welche nachfolgend nur kurz eingegangen wird, argumentieren um die immensen EU-Agrarausgaben zu rechtfertigen, sollen in dieser Arbeit politikökonomische Erklärungen angeführt werden. Zunächst jedoch einige Anmerkungen zur Argumentation und Bedeutung der GAP. Zu Beginn der GAP 1958 ging es darum die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmittel zu sichern. Als dieses Ziel erreicht war, wurden von Seiten der Agrarfunktionäre Argumente angeführt welche die Landwirtschaft als „Hauptopfer der Luftverschmutzung“ (Heereman 1988: 407) sahen, und es war die Rede davon, dass große Flächen des EU-Raumes in „naturbenachteiligten Gebieten“ (Ribbe 2001: 37) lägen und die Landwirtschaft von den „ungleichen Wettbewerbsbedingungen“ (Maisack 1995: 45) existenziell bedroht sei. Zudem wurde vielfach auf die schwierige Situation der Landwirtschaft, als Teil des primären Sektors, im Zuge des Strukturwandels verwiesen (vgl. Heinze 1992: 14). Kurz gesagt, wurde die Argumentation der Zeit angepasst, wobei das Ziel dasselbe blieb: möglichst hohe Subventionen für die Landwirtschaft. Dass die Lobbyarbeit der Agrarverbände bis heute erfolgreich war zeigen die folgenden Zahlen.

Im Jahr 2005 machten die Ausgaben im Rahmen der GAP 45,5 % des gesamten EU-Haushaltes aus. Der überproportionale Anteil der GAP am EU-Haushalt wird des weiteren dadurch verdeutlicht, dass lediglich 3,4 % der EU-Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig waren, und diese wiederum nur 2 % des EU-BIP erwirtschafteten (vgl. Zandonella 2007: 47). Während die zu Beginn produktionsgebundenen Subventionen in den siebziger Jahren zu den als „Butterberge“ und „Milchseen“ titulierten Überschüssen führte (vgl. Giering 2006), stellten sich auch die einkommensorientierten Zahlungen in der Folge als ineffektiv heraus. Vielmehr erwies sich die neue Politik der Direktzahlungen als einkommensneutral. Das Ziel der Einkommenssteigerung konnte trotz immenser Ausgaben nicht erreicht werden (vgl. Sobania 2003: 224 f.). Da Reformen trotzdem ausblieben liegt ein Politikversagen nahe.

Diese Schlussfolgerung lässt sich zudem unter zur Hilfenahme von einigen politikökonomischen Theorien, welche den Großteil dieser Arbeit einnehmen, erhärten. So liefert zum Beispiel die Betrachtung der GAP-Reformbestrebungen unter dem Aspekt des Gefangenendilemmas aussagekräftige Argumente für das resultierende

Kollektivhandlungsproblem. Des Weiteren bietet das komplexe
Entscheidungsfindungssystem der EU Interessenvertretern eine Vielzahl an Möglichkeiten der Einflussnahme. Dieser Einfluss soll im Folgenden derart beleuchtet werden, dass deutlich wird, inwieweit Agrarfunktionäre die Rolle eines Vetospielers innehaben, wenn es auf EU-Ebene um Reformen der GAP geht. Hierfür gilt es im Verlauf der Arbeit zentrale Aspekte der Vetospieler-Theorie zu benennen. Abschließend sollen weitere theoretische Aspekte, welche zur Verzögerung bzw. zum Ausbleiben von Reformen ursächlich sein können, auf die GAP-Reformbestrebungen Anwendung finden. Untersucht werden der „war-of-attrition“, sowie „uncertainty-about-net-benefits“.

2. Das (Gefangenen)Dilemma der GAP

Am Anfang der folgenden Untersuchung steht die Feststellung, dass „sowohl im Hinblick auf die Ziele der GAP als auch auf ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ... enorme Ineffizienzen zu konstatieren [sind]“ (Sobania 2003: 225). Strohmeier hat mögliche Auswirkungen einer Übertragung der US-Agrarreform - FAIR-Act (Federal Agricultural Improvement Reform) genannt - mit denen der damals aktuellen GAP-Reform (Agenda 2000) verglichen und mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse festgestellt, dass sich die EU gesamtvolkswirtschaftlich um 17,4 Mrd. € besser stellen könnte (vgl. Strohmeier 2005: 121). Die Gründe warum einschneidende Reformen ausbleiben sind vielfältig. So können gesamtwirtschaftlich suboptimale Handlungen für den einzelnen Akteur rational sein (vgl. Angelopoulos/Philippopoulos 2005: 2). Das hieraus potenziell folgende Dilemma kann wie folgt beschrieben werden:

ASRA [Anti-social redistributive activities] lead to a smaller national pie, so that competing social groups can end up with a larger slice of a smaller pie. The pie gets smaller because national resources are misallocated” (Angelopoulos/Philippopoulos 2005: 6)

Im Folgenden werden Interaktionen zwischen für die GAP relevanten Akteuren untersucht. Hierbei wird aufgezeigt inwieweit die Wahl der aus subjektiver Sichtweise optimalen Handlungsweise zu einem kollektiv gesehen suboptimalem Resultat führt.

2.1 Ebene: Interessenvertreter – Politik

Die Landwirtschaftsfunktionäre – in Deutschland nahezu monopolistisch im Dachverband Deutscher Bauernverband (kurz: DBV) organisiert – als Vertreter der Landwirtschaft halten den Status Quo für optimal, dessen Interessen sie vertreten. Somit haben sie ein Interesse ihre Macht zur Beibehaltung der GAP einzusetzen.

Die Politik hat wiederum ein Interesse nach Möglichkeit den Bestrebungen von mitgliederstarken Verbänden nachzukommen, soweit hierdurch kein wahlpolitischer Schaden für sie entsteht.

Folgerichtig haben beide ein rationales Interesse daran ein gemeinsames Netzwerk zum Informationsaustausch zu schaffen (vgl. Verdier 1995: 5). Im Rahmen dieses gemeinsamen Netzwerkes üben die Interessenvertreter Druck auf die Politiker aus (Putnam 1988: 434). Wirksamste Druckmittel neben der in Kapitel 1 angerissenen Argumentationsweise sind die mit den Verbänden assoziierten Wähler, sowie die Bereitstellung von Expertisen (vgl. Sobania 2003: 234).

Das aus der Verknüpfung von Politik und Interessenvertretern resultierende Dilemma besteht nicht in der Verbindung an sich, sondern in den aus der Zusammenarbeit folgenden suboptimalen Policies.

2.2 Ebene: Politik – Wähler

Vorraussetzung um Politik gestalten zu können ist eine Regierungsbeteiligung. Um diese zu Erlangen gilt es für die Parteien und Politiker eine Politik im Sinne der Stimmenmaximierung zu betreiben. Hierfür haben sie eine in der jeweiligen Verfassung festgelegte Regierungszeit, die es aus Eigennutz zu nutzen gilt (vgl. Nielsen 2005: 7). Somit findet die politische Entscheidungsfindung nicht unter dem Aspekt des Gemeinwohles, sondern der Mehrheitsfindung statt (vgl. Sobania 2003: 231). Das Resultat sind Policies mit messbaren, kurzfristigen Erfolgen (vgl. Pierson 1996: 135). Mit dieser wahlorientierten Politikgestaltung lässt sich unter anderem die Reform der GAP von produktionsgebundenen zu einkommensgebundenen Subventionen erklären. Während einkommensorientierte Zahlungen direkt bei dem Wähler ankommen, wären strukturelle Anpassung erst nach Jahren erfolgreich und selbst dann für die Wahlentscheidung nicht nachvollziehbar genug (vgl. Schmitt 1988: 150). Die gesamtwirtschaftlich irrationale GAP wurde aus deutscher Sicht noch dadurch verfestigt, dass die insgesamt zumeist positive gesamtwirtschaftliche Lage ein zu hohes elektorales Risiko im Falle von einschneidenden Reformen zur Folge gehabt hätte (vgl. Zohlnhöfer 2001: 655). Schlussendlich bleibt eine Politik die das Ziel der Wiederwahl über das Ziel der Wohlfahrtmaximierung stellt (vgl. Drazen 2000: 413 f.).

Das Dilemma in diesem Falle liegt darin, dass aus Volksvertretern, trotz rationaler Handlung, Funktionäre des Eigennutzes werden.

2.3 Ebene: Wähler – Politik

Das effektivste Mittel des Volkes, Einfluss auf die Politik zu nehmen, sind Wahlen. Da bei Wahlen jedoch nicht über einzelne Policies abgestimmt wird, können die Wähler lediglich über Parteiprogramme abstimmen. Während einer Amtszeit bleiben der Bevölkerung plebiszitäre Möglichkeiten, relativ zum Aufwand, geringen Einfluss auf die Politik zu nehmen. Da es sich bei der GAP um eine supranationale Politik handelt und die Entscheidungsfindung zwischen Organen des Nationalstaates und verschiedenen EU-Institutionen stattfindet, kommt es zu einer diffusen Verantwortlichkeit und Intransparenz (vgl. Thoroe 2000: 187). Zudem sind Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene äußerst langjährig (vgl. Nielsen 2005: 15). Hinzu kommt, dass zwar in der Summe des gesamten Bereichs der EU ein großer volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, der Anteil jedes EU-Bürgers hieran jedoch lediglich 2€ pro Woche beträgt (vgl. DBV 2007: 164).

Aus den angeführten Gründen ist es trotz überhöhter Agrarpreise und Produktionsüberschüssen für den Bürger rational, den immensen Aufwand einer Herbeiführung von Reformen nicht in Kauf zu nehmen. Downs formulierte in diesem Zusammenhang schon 1968, dass das Verhalten der Wähler „rational ignorant“ sei (vgl. Downs 1968: 210).

Schlussendlich bleibt die Feststellung, dass auch das rationale Verhalten der Bürger der volkswirtschaftlich suboptimalen Politik nicht entgegensteht.

2.4 Ebene: Staaten –EU

Auch wenn die GAP ein supranationales Politikfeld darstellt, werden die Entscheidungen in Brüssel von den Repräsentanten der Mitgliedsstaaten in den jeweiligen EU-Institutionen gemacht. Es gibt zwar Wahlen zum Europäischen Parlament, jedoch werden diese vornehmlich zur Leistungsbewertung der nationalen Regierungen benutzt (vgl. Holzinger 2005: 100). Folgerichtig handeln die Repräsentanten im Sinne des eigenen Staates, statt zum Wohle der gesamten EU. Dies gepaart mit dem Prinzip der Einstimmigkeit im Bezug auf agrarpolitische Reformen führt zu Kompromissen, welche dem EU-Gemeinwohl zuwider laufen (vgl. Koester 2000: 209).

Erneut führt individuell-rationales Verhalten zu einem Dilemma bezüglich des Gemeinwohles.

2.5 Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma geht davon aus, dass das individuell-rationales Verhalten mehrerer Akteure, mit der Absicht sich selbst bestmöglich zu stellen, jeden Akteur schlussendlich schlechter stellt.

Dieses Phänomen lässt sich im Falle der GAP beobachten. Wie gezeigt, handeln die verschiedenen Akteure individuell betrachtet rational. Jedoch ist das Ergebnis des rationalen Verhaltens insgesamt ineffizient (vgl. Drazen 2000: 414). Es besteht „[k]ein Zweifel: Verbraucher und Steuerzahler kosten die Bauern weit mehr als sie dem Sozialprodukt hinzufügen“ (Vorholz 1991: 25; vgl. Sobania 2003: 244). Nach Sobania „haben sich die anfänglichen Fehlentwicklungen im Laufe der Zeit noch verschärft und mündeten in einem immer stärkeren Dirigismus“ (Sobania 2003: 215). Im Falle des DBV geht sogar folgende Formulierung keineswegs zu weit:

“ In the end, even aggressive agents, that look as winners, may lose by finding themselves with a larger slice of a smaller pie” (Angelopoulos/Philippopoulos 2005: 1).

Das dieses Beispiel ein Kollektivhandlungsproblem zur Folge hat, wird anhand der Definition deutlich:

„...a collective action problem exists where rational individual action can lead to a strictly Pareto-inferior outcome, that is, an outcome which is strictly less preferred by every individual than at least one other outcome“ (Taylor 1987: 19).

Im nachfolgenden Kapitel gilt es aufzuzeigen inwieweit mit zunehmender Akteurszahl die Problemlösung von Kollektivhandlungsproblemen erschwert wird (vgl. Holzinger 2003: 26). Im Rahmen der GAP gilt es besonders die dominante Stellung Deutschlands, welche zu einer Ausweitung des Protektionismus des EU-Agrarsektors beigetragen hat, zu beleuchten (vgl. Koester 2000: 226).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Nachfrageorientierte Politik
Untertitel
Warum die aus Gemeinwohlperspektive suboptimale Gemeinsame Agrarpolitik nicht angemessen reformiert wird
Hochschule
Universität Hamburg  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Die politische Ökonomie der Wirtschaftsreform
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V127990
ISBN (eBook)
9783640344321
ISBN (Buch)
9783640344178
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
GAP, Agrarpolitik, DBV, Deutscher Bauernverband, Vetospieler, Gefangenendilemma, Mehrebenensystem, Verflechtungsfalle, Lobbyismus, Reformen, war-of-attrition
Arbeit zitieren
Arne Michel Mittasch (Autor:in), 2008, Nachfrageorientierte Politik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127990

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