Adolf Eichmann als Beispiel des verlassenen Menschen im Totalitarismus


Hausarbeit, 2009

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung:

1. Zur Einordnung von "Eichmann in Jerusalem" in Hannah Arendts politische Theorie

2. Die Verlassenheit des modernen Menschen unter der totalen Herrschaft
2.1. Der Begriff "Verlassenheit"
2.2. Merkmale des verlassenen Menschen
2.3. Entstehung der Verlassenheit im totalitären System

3. Adolf Eichmann als Beispiel für den verlassenen Menschen im totalitären System
3.1. Eichmanns Werdegang als Beispiel für eine Massenexistenz im Totalitarismus
3.2. Eichmanns Weltverlust in Gestalt völliger Realitätsferne
3.3. Eichmanns Unfähigkeit, moralisch zu urteilen
3.4. Eichmanns "Kadavergehorsam"

4.Fazit

5.Literaturverzeichnis

1. Zur Einordnung von "Eichmann in Jerusalem" in Hannah Arendts politische Theorie

Kein Buch von Hannah Arendt, der großen politischen Theoretikerin des 20. Jahrhunderts, hat ein größeres Echo, eine intensivere Debatte und hasserfülltere Reaktionen hervorgerufen wie das 1963 erschienene "Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht von der Banalität des Bösen". Hatte sich Arendt bis dahin vor allem mit den Werken "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" und "Vita Activa oder Vom tätigen Leben" großen Respekt in der wissenschaftlichen Gemeinde erworben, so rief ihr neues Werk wütende Proteste hervor: Der Bericht über den Prozess gegen SS-Obersturmbannführer und maßgeblich Beteiligten an der Ermordung von Millionen Juden während des zweiten Weltkrieges maßgeblich Beteiligten, Adolf Eichmann, machte sie unter anderem wegen ihrer Einschätzung des Angeklagten als Ausdruck der "Banalität des Bösen" unter Juden und vielen Intellektuellen weltweit zur "persona non grata", selbst zahlreiche langjährige Freunde wie Gershom Scholem und Kurt Blumenfeld wandten sich von ihr ab.[1]

Doch auch durch seinen Entstehungskontext und seiner Thematik setzt sich "Eichmann in Jerusalem" von den restlichen Arbeiten Arendts ab: Arendt wohnte dem Prozess als Berichterstatterin und Kommentatorin für die amerikanische Zeitschrift "The New Yorker" bei, in der sie ihre Eindrücke auch publizierte, bevor sie als Buch erschienen. In erster Linie ist es also ein an Fakten orientiertes journalistisches Werk, das mit theoretischen Überlegungen in den anderen Werken der Autorin - über das Wesen des Menschen oder des Totalitarismus - auf den ersten Blick wenig zu tun hat. Auf den zweiten Blick jedoch lassen sich in der Tat Parallelen zwischen Thesen, die Arendt in ihrem philosophischen Werk aufstellt, und ihrer Beschreibung des Angeklagten Eichmanns feststellen. Als besonders interessant erscheint mir hierbei der Zusammenhang zwischen den Aussagen über die Verlassenheit des Menschen in der Moderne, besonders im totalitären System, und den Beobachtungen, die Arendt an Eichmann anstellt.

In dieser Arbeit möchte ich ergründen, inwieweit er als Beispiel für den verlassenen Menschen im totalitären Systems des Nationalsozialismus dienen kann. Anhand dessen möchte ich klären, inwieweit "Eichmann in Jerusalem" als empirischer Beleg für zahlreiche Thesen aus Hannah Arendts Konzept des Totalitarismus und ihren Aussagen über das Wesen des Menschen herangezogen werden kann und welche Relevanz diese Ergebnisse für weiterführende Fragen zu Arendts Werk hat. Dazu werde ich zunächst den Begriff der Verlassenheit erklären und darlegen, welche besonderen Merkmale der Mensch in der Verlassenheit aufweist und wie Verlassenheit im totalitären System entsteht. Im zweiten Schritt werde ich die Person Adolf Eichmann analysieren und die Aussagen, die Arendt über ihn trifft, mit den vorher dargestellten Charakteristika des verlassenen Menschen vergleichen. In einem Fazit schließlich werde ich die erzielten Ergebnisse bewerten, um die Eingangsfrage fundiert beantworten zu können.

Bei den für die Anfertigung der Arbeit verwendeten Werken werde ich mich ausschließlich auf Werke von Hannah Arendt selbst stützen. Dies erscheint mir sinnvoll, um zu einem eigenen, begründeten wissenschaftlichen Urteil zu kommen, statt lediglich Forschungen anderer Wissenschaftler zusammenzutragen. Besondere Bedeutung werden dabei vor allem zwei Werke Arendts haben: Bei der theoretischen Konzeption der Verlassenheit im Totalitarismus werde ich neben Passagen aus "Vita Activa" und "Das Leben des Geistes" vor allem "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" heranziehen, bei der Untersuchung des Verhaltens Adolf Eichmanns das erwähnte "Eichmann in Jerusalem".

2. Die Verlassenheit des modernen Menschen unter der totalen Herrschaft

2.1. Der Begriff "Verlassenheit"

Verlassen ist ein Mensch nach Hannah Arendt, wenn er "aus dieser Welt hinausgestoßen wird oder (...) diese gemeinsam bewohnte Welt auseinanderbricht und die miteinander verbundenen Menschen plötzlich auf sich selbst zurückwirft."[2] Verlassenheit verspürt er, wenn alle Verbindungen, die er zu seinen Mitmenschen hat, zusammenbrechen und er sich scheinbar auf nichts mehr verlassen kann. Deutlichste Auswirkung von Verlassenheit auf den Menschen ist die Unfähigkeit zu denken: Arendt folgt bei der Definition von Denken Sokrates, der es als "Zwei in einem"[3] -Sein bezeichnet: Beim Denken führt der Mensch ein Zwiegespräch mit sich selbst. Er ist somit gleichzeitig er selbst, steht aber auch in Beziehung zu sich selbst, ist also für sich. "Das Denken ist [somit] (...) etwas, das man allein tut, aber nicht einsam."[4] Folge ist eine Dualität des Denkens: Der Denkende stellt sich selbst Fragen, gibt sich Antworten und wird kritisch gegen seine eigene Argumentation. Erst durch den Kontakt mit der Außenwelt wird der Zwiespalt des Denkens aufgelöst: Er unterbricht den Denkvorgang, holt den Menschen in die Erscheinungswelt zurück und fügt die beiden Teile, in die der Denker gespalten ist, wieder zusammen. Verlassenheit unterscheidet sich daher auch von Einsamkeit: Während der Einsame noch immer mit sich selbst zusammen und damit "in Gesellschaft mit jedermann"[5] ist, hat der verlassene Mensch nicht einmal mehr Kontakt zu seinem Selbst. Daran gehen schließlich die "echte Denkfähigkeit und echte Erfahrungsfähigkeit (...) zugrunde."[6]

2.2. Merkmale des verlassenen Menschen

Der beschriebene Verlust der Denkfähigkeit hat umfangreiche Folgen: Der Mensch verliert er seine Spontanietät, die "Fähigkeit, "eine Reihe von vorne anfangen" [sic!] zu können"[7], da dies unter Umständen mit Widersprüchen zum bisherigen Verhalten verbunden ist. Diese aber glaubt der denkunfähige Mensch, sich nicht erlauben zu können. Damit ist er gezwungen, sich allein auf "den Prozess des logischen Deduzierens"[8] zu verlassen. Da sein Weltverlust den Menschen zudem "[a]n der Wirklichkeit, die keiner mehr verlässlich bestätigt, (...) mit Recht (...) zweifeln"[9] lasse, emanzipiert sich das Denken mehr und mehr von der teilweise widersprüchlichen Wirklichkeit und dem gesunden Menschenverstand, der ausschließlich in der "Sphäre gemeinschaftlicher Beziehungen"[10] funktioniere. Darüber hinaus geht dem Menschen in der Verlassenheit auch die Urteilskraft verloren: "Kritisches Denken ist nur möglich, wenn die Auffassungen aller anderen überprüfbar sind. Kritisches Denken vollzieht man (...) nicht in der Isolation von allen anderen"[11], betont Arendt. Stattdessen begnügen sich die Menschen im totalitären System damit, "an dem festzuhalten, was immer die vorgeschriebenen Verhaltensregeln zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft sein mögen."[12] An die Stelle der Denk- und Urteilsfähigkeit tritt die "Eiskälte der menschlichen Logik."[13] Der Satz "Wer A gesagt hat, muss auch B sagen"[14] wird zu seiner obersten Handlungsmaxime. Folge ist, dass der Mensch im totalitären System seinen Befehlen bis zur äußersten Konsequenz nachkommt, ohne Gewissenskonflikte zu haben.[15]

[...]


[1] vgl. Young-Bruehl Elisabeth: "Hannah Arendt - Leben, Werk und Zeit", Frankfurt a.M., 1986, S. 477-487

[2] Arendt Hannah: "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft", München 12, 2008, S. 975, im Folgenden: EU

[3] Arendt Hannah: "Vom Leben des Geistes - Band 1: Das Denken", München, 1979, S. 184

[4] ebd.

Anmerkung: Hannah Arendt scheint in den Werken "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" und "Vom Leben des Geistes" den Begriff "einsam" auf verschiedene Weisen zu verwenden: Während "einsam" in "Elemente..." der Bedeutung von "allein" im Zitat entspricht, ist "einsam" im Zitat gleichbedeutend mit "verlassen" in "Elemente...". Aus diesem Grund kommt es im Text zu einer Inkonsequenz in der Verwendung dieses Begriffes.

[5] EU, S. 977

[6] ebd.

[7] ebd., S. 969

[8] ebd., S. 975

[9] ebd.

[10] ebd., S. 747

[11] Arendt Hannah: "Vom Leben des Geistes - Band 2: Das Wollen", München, 1979, S. 210

[12] Arendt Hannah: "Zwischen Vergangenheit und Zukunft", hg. von Urusla Ludz, München, 1994, S. 145

[13] EU, S. 966

[14] ebd., S. 970

[15] vgl. ebd., S. 978

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Adolf Eichmann als Beispiel des verlassenen Menschen im Totalitarismus
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Das politische Denken Hannah Arendts
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V127961
ISBN (eBook)
9783640345250
ISBN (Buch)
9783640345090
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Einziger Kritikpunkt war die Kürze der Verlassenheits-Konzeption. Hier dürfte man bei Heidegger fündig werden.
Schlagworte
Hannah Arendt, Adolf Eichmann, Verlassenheit, Totalitarismus, Politische Theorie
Arbeit zitieren
Alexander Demling (Autor:in), 2009, Adolf Eichmann als Beispiel des verlassenen Menschen im Totalitarismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127961

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