Friedrich Nietzsche: Erkenntnis und Moral als Selbstaufhebung


Diplomarbeit, 2007

106 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Einleitung

I. Friedrich Nietzsche – Methodische Vorbehalte
1. Gedanken zu Nietzsches Text-Korpus
1.1 Vorbemerkungen
1.2 Zum Verhältnis von „Notizen“ und „Kompositionen“
1.3 Postulate einer philologisch-historisch fundierten Lektüre
2. Hinführung zu Nietzsches Arbeits-Stil
2.1 Nietzsches Stil: Aphorismen statt systematische Begrifflichkeit
2.2 Nietzsches Perspektivismus: Experimente statt Dogmen
2.3 Nietzsches Genealogie: „Herkunft“ statt „Ursprung“
3. Wege zur Lektüre
3.1 Nicht „Lehren“, sondern „Zeichen“
3.2 Die Liebe zur Maske
3.3 Zum eigenen Interpretationsweg
4. Zusammenfassung

II. Über die menschliche Sprache
1. Vom Ursprung der Sprache
1.1 Sprache im Vor- und Umfeld von Nietzsches Wahrheitsschrift
1.2 Die tropische Struktur der Sprache
1.3 Zur Bedeutung der Wahrheitsschrift
2. Von der Entstehung und dem Wesen der Wörter und Begriffe
2.1 Die Wortbildung
2.2 Die Begriffsbildung
3. Vom Wesen der Sprache und des Bewusstseins
3.1 Unbewusstes und Bewusstes
3.2 Die Funktion der Sprache
4. Zusammenfassung

III. Über die sprachliche Struktur von Erkenntnis und Moral
1. Von der Erkenntnis
1.1 Die Herkunft des Triebes zur Wahrheit
1.1.1 Das Pathos der Wahrheit
1.1.2 Die ersten Gesetze der Wahrheit
1.2.. Wesen und Wert der Wahrheit
1.2.1 Was ist Wahrheit?
1.2.2 Vom Wert und der Funktion der Wahrheit
1.2.3 Von der Tragik und der Leidenschaft der Erkenntnis
1.3.. Sprache und Erkenntnis – Resümierende und weiterführende Gedanken
1.3.1 Zusammenfassung
1.3.2 Von der Philosophie der Grammatik
2. Von der Moral
2.1.. Der Ursprung der Sittlichkeit der Sitte
2.1.1 Vom Schuldner- und Gläubiger-Verhältnis
2.1.2 Von der Schuld und dem schlechten Gewissen
2.2. Die Herkunft und das Wesen der moralischen Vorurteile
2.2.1 Von der Moralisierung des schlechten Gewissens
2.2.2 „Gut und Böse“ – „Gut und schlecht“
2.2.3 Vom asketischen Ideal
2.3. Sprache und Moral – Resümierende und weiterführende Gedanken
2.3.1 Zusammenfassung
2.3.2 Das Sichbewusstwerden der Verführung der Sprache

IV. Über die sprachliche Selbstaufhebung von Erkenntnis und Moral
1. Selbstaufhebungen als Denkfigur
1.1. Selbstaufhebung der Erkenntnis
1.2. Selbstaufhebung der Moral
2. Selbstaufhebungen und die Konsequenzen
2.1. Zur Aktualität der Diagnose
2.2. Von der Diagnose zu den Prognosen
2.2.1 Selbstaufhebung als „Selbstauflösung“
2.2.2 Selbstaufhebung als „Selbsterhebung“
3. Fazit: Selbstaufhebung als Metamorphose

Nachwort

Abkürzungen

Literatur

Träumen

Vorwort

Krankheit ist jedes Mal die Antwort, wenn wir an unsrem Rechte auf unsre Aufgabe zweifeln wollen, – wenn wir anfangen, es uns irgendworin leichter zu machen. Sonderbar und furchtbar zugleich! Unsre Erleichterungen sind es, die wir am härtesten büssen müssen! (KSA 2, 373 f. – MA II: Vorrede 4)

Einleitung

Das gewagte Vorhaben, sich in einer Arbeit über Friedrich Nietzsche mit den Bereichen Sprache, Erkenntnis und Moral auseinanderzusetzen, mündet bald in der Einsicht, dass den eigenen (und fremden) Anforderungen dabei nie Genüge getan werden kann. Zu jedem der drei Themen liegt gründlich aufbereitetes Material in schier unerschöpflichem Ausmaß vor. Eine genauere Betrachtung führt jedoch auch zum Ergebnis, dass sich diese drei Themen-Komplexe an vielen Stellen berühren und einander bedingen. Der Fokus richtet sich dabei hauptsächlich auf die Sprache, denn Erkenntnis und Moral manifestieren sich letztlich sprachlich. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit soll darauf gerichtet sein, wie sich die sprachliche Strukturiertheit von Erkenntnis und Moral im Werk Friedrich Nietzsches manifestiert. Die Betrachtungen darüber beschränken sich dabei vor allem auf Nietzsches frühe Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn (1873), sowie auf seine späte Streitschrift Zur Genealogie der Moral (1887).

Die Beschäftigung mit diesen einzelnen Themen führte bei mir während meiner Recherchen oft zur ernüchternden Erkenntnis, dass es während eines solchen Prozesses immer wiederkehrend vonnöten ist, sich von bereits gewonnenen Überzeugungen und Meinungen zu verabschieden, um sich auf Neues einzulassen. Dazu trugen nicht nur die unzähligen, teils widersprüchlichen Texte Nietzsches, sondern vor allem auch die kaum überschaubare Menge an Sekundärliteratur bei. Sobald ich mich in vermeintlichen Sicherheiten zu wiegen glaubte, merkte ich, Gefahr zu laufen, schon vorgefertigten Meinungen und Theorien zu erliegen und dadurch letztlich nichts für mich Wesentliches zu verstehen. Eine weitere, darauf aufbauende Einsicht, dass „nichts zu verstehen“ oder „falsch zu verstehen“ einem redlichen Zugange zum Werk Nietzsches eher entsprechen könnte als vermeintlich „richtiges Verstehen“, trug im Laufe dieses Prozesses auch nicht immer zu einer Verringerung der Komplexität bei.

Aus diesem Grund stelle ich am Anfang meiner Arbeit ausführliche methodische Vorüberlegungen an, die eine Annäherung an das Phänomen Nietzsche erleichtern sollen. Dazu gehören Gedanken zu seinen Schriften, zu seinem Arbeitsstil sowie – darauf aufbauend – zu den Möglichkeiten, wie sich die Leserschaft mit einem derartig komplexen und facettenreichen Werk auseinandersetzen kann. Ohne methodische Vorentscheidungen läuft eine Abhandlung stets Gefahr, sich in Oberflächlichkeiten und ungewollten Widersprüchen zu verlieren.

Im zweiten Kapitel widme ich mich Nietzsches Gedanken zur menschlichen Sprache, die den gelernten Philologen vor allem zu Beginn seines philosophischen Schaffens zu beschäftigen schienen. Der Bedeutung Nietzsches Sprachkritik für sein gesamtes Denken wurde lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Heute scheint man sich einig darüber zu sein, dass seine sprachkritischen Gedanken für seine erkenntnis- und moralkritischen Überlegungen von erheblicher Bedeutung sind. Deshalb untersuche ich im dritten Kapitel Nietzsches Überlegungen zum Ursprung, Wesen sowie zur Funktion von Erkenntnis und Moral. Dabei stelle ich vor allem deren sprachliche Struktur in den Mittelpunkt meiner Untersuchungen.

Im abschließenden vierten Kapitel behandle ich unter den Aspekten des zuvor Dargestellten die so genannten Selbstaufhebungsfiguren bei Nietzsche. Ich werde dabei der Frage nachgehen, inwieweit die Theorie, dass alle endgültigen Interpretationen des Lebens, die einen absoluten Anspruch erheben, zum Scheitern verurteilt sind, sich aus den Texten Nietzsches herauslesen lässt, und welche Konsequenzen sich aus den verschiedensten Interpretationen einer solchen „Theorie“ für das praktische Leben ergeben könnten. Damit möchte ich auch kurzsichtigen Betrachtungsweisen entgegenwirken, die der Philosophie einen für die Lebens-Praxis irrelevanten Status zuschreiben.

Die Grenzen, auf die man im Laufe solcher Überlegungen immer wieder stößt, machen auf der einen Seite zwar die menschliche Kontingenz sichtbar, sie motivieren auf der anderen Seite aber auch zum Weiterfragen. Philosophie sollte sich weiterhin das Vorrecht bewahren, Fragen stellen zu dürfen, denn interessantes Fragen verstrahlt oft mehr Glanz als voreiliges Antworten. „Die Grenzen der Vernunft begreifen – das erst ist wahrhaft Philosophie...“ (KSA 6, 238 f. – AC 55).

I. Friedrich Nietzsche – Methodische Vorbehalte

1. Gedanken zu Nietzsches Text-Korpus

1.1 Vorbemerkungen

Nach über hundert Jahren Nietzsche-Forschung liegen uns heute nicht nur seine veröffentlichten Werke und gesammelten Nachlassnotizen in übersichtlicher Form vor, wir können auch auf unzählige Fragmente, Notizen, Manuskripte, Briefe und sonstige Vorträge des wirkmächtigen Denkers Friedrich Nietzsche zurückgreifen. Es gibt wohl keinen anderen Philosophen des 19. Jahrhunderts, über den wir heute besser Bescheid wissen als über ihn (unter den erhaltenen Aufzeichnungen befinden sich sogar Briefe vom 5 1/2-jährigen Nietzsche)1. Zudem können wir uns auch auf ein gründlich aufbereitetes, biographisches Material in großem Ausmaß stützen.2

Nietzsche wäre heute wohl über das ungebrochen anhaltende Interesse an seiner Person und seinem Schaffen überrascht und erfreut, denn er hat Zeit seines Lebens darunter gelitten, dass seine Werke sich nur eingeschränkter Beliebtheit erfreuten. Während seiner eigenen publizistischen Tätigkeit von 1871 bis 1888 wurden diese wenig gekauft und gelesen. Erst mit dem geistigen Zusammenbruch Nietzsches 1889 und mit der darauf folgenden „Vermarktung“ seiner Person und seiner Schriften durch seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche stieg das Interesse an ihm und seinen Werken allmählich.3 Im 20. Jahrhundert, so lässt sich heute rückblickend festhalten, hat wohl kaum ein Philosoph mehr Einfluss auf die verschiedensten Felder des geistigen Lebens, wie etwa Philosophie, Psychologie, Soziologie, Musik, Bildende Kunst etc., ausgeübt als Nietzsche. Tatsache bleibt allerdings auch, dass Nietzsche für ideologische und politische Zwecke in höchstem Maße missbraucht und benutzt wurde. Ein Grund dafür liegt unter anderem in einer unreflektierten und unseriösen Verwendung seiner von ihm selbst unveröffentlichten Notizen, die zu zahlreichen Verzerrungen und Fehlinterpretationen führte.4

Aus diesem Grund ist für jede Nietzsche-Interpretation die Grundsatzfrage vorab zu klären, welchen Stellenwert man Nietzsches Nachlass beimessen soll, denn damit verknüpfen sich relevante Vorentscheidungen darüber, wie Nietzsche zu lesen ist.5 Dazu muss auch etwas zu Nietzsches Arbeitsweise gesagt werden: Nietzsche trug ständig, auch oft während seiner Spaziergänge, seine Aufzeichnungen in Notizbücher ein. Diese schrieb er dann später in größere Hefte ab. Wenn er dann zur Abfassung eines Werkes kam, konnte er es deshalb oft sehr rasch vollenden, weil er sich darauf vorbereitet hatte (ohne den Ausgang seiner literarischen Arbeit im Voraus zu wissen).6 In einem ersten Schritt möchte ich nun ein Licht auf das Verhältnis zwischen Nietzsches „durchkomponierten Werken“7 und seinen Nachlassnotizen werfen. Dafür eignet sich zuerst ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der Nietzsche-Edition. 8

1.2 Zum Verhältnis von „Notizen“ und „Kompositionen“

Heute sind wir in der glücklichen Lage, dass uns nahezu alle bekannten Texte Nietzsches vorbildlich dokumentiert zur Verfügung stehen. Dies verdanken wir in erster Linie Giorgio Colli und Mazzino Montinari, den Herausgebern der kritischen Gesamtausgabe der Werke und des Nachlasses (KGW), sowie der 1975 erstmals erschienenen, kritischen Gesamtausgabe der Briefe (KGB). Zuerst wurde die Ausgabe nur in französischen und italienischen Verlagen geplant, doch schon 1967 erschien der erste deutsche Werkband der KGW. Zuvor war die Geschichte der Nietzsche-Edition jedoch auch von Manipulationen und Textfälschungen bestimmt.

Bereits zu Lebzeiten versuchte Nietzsche erfolglos, das Interesse an seinen Werken ab 1886 neu zu entfachen, indem er sie mit Einleitungen und Vorworten versah und als „Neuausgaben“ bezeichnete. Nach seiner Erkrankung und Entmündigung gründete Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche 1894 das Nietzsche-Archiv und beanspruchte alle sachlichen und rechtlichen Entscheidungsbefugnisse über die Veröffentlichungen. Um das Interesse am Werk ihres Bruders aufrecht zu erhalten, veröffentlichte das Nietzsche-Archiv Nietzsches Schriften in Form von Gesamtausgaben, Einzelausgaben sowie Teilveröffentlichungen, unter anderem auch in diversen Zeitschriften. Dabei wurde mit seinen Texten oft sehr leichtfertig umgegangen. Ein Beispiel für einen unsachgemäßen Umgang mit Nachlasstexten ist die nach Nietzsches Tod veröffentlichte Textkompilation Der Wille zur Macht. Diese, beruhend auf philologisch völlig unhaltbaren Texteingriffen (Kürzungen, Neuzusammenstellungen etc.), wurde in der späteren (philosophischen) Rezeption fälschlicher Weise sogar zu Nietzsches „eigentlichem Hauptwerk“ hochstilisiert. Heute besteht der einhellige Konsens, dass derartige Systematisierungsversuche als wissenschaftlich unkorrekt zu bewerten sind. Fest steht, dass Nietzsche mit seinen Gedanken stets lange gerungen hat, bis er sie in die endgültige Form brachte und veröffentlichte. Allein diese Tatsache verlangt schon nach einer Grenzziehung zwischen seinen durchkomponierten Werken und den Notizen, was natürlich die Mindestanforderung mit sich bringt, dass seine Nachlasszitate klar als solche gekennzeichnet werden müssen.9

Für das Interpretieren von Nachlass-Zitaten möchte ich somit resümierend auf folgende, zu beachtende Besonderheiten hinweisen: Die Nachlass-Ausgabe führt uns vor Augen, dass es sich hier nicht ausschließlich um „Fragmente“ von Abhandlungen, sondern lediglich um Notizen handelt, die Nietzsche zunächst für sich selbst gemacht hatte. Die Nachlass-Zitate erhalten Material für Nietzsche selbst und nicht für die Leserschaft.10 Die uns heute zur Verfügung stehenden Nachlass-Notizen mit all ihren Korrekturen und Ergänzungen können sehr wohl eine ausgezeichnete Hilfe bei der Erschließung des Sinns von Nietzsches durchkomponierten Werken sein, mehr vermögen sie jedoch nicht. Deshalb sollten die Nachlass-Notizen stets auf die abgeschlossenen Texte bezogen werden, in die sie transformiert wurden, bzw. als verworfene oder bewusst zurückgelassene Texte11 behandelt werden.12

1.3 Postulate einer philologisch-historisch fundierten Lektüre

Die Beachtung des Verhältnisses zwischen Nietzsches Nachlass und seinen veröffentlichten Werken gilt also als eine wichtige Vorbedingung für einen korrekten Zugang zu seinen Texten. Der bereits oben erwähnte Mazzino Montinari fordert in seinem 1982 erschienenen Buch Nietzsche lesen alle Leserinnen und Leser zu einer kritischen Lektüre der Philosophie Nietzsches auf, die „noch nicht alle ihre Früchte hat reifen sehen.“13 Er widmet sich in seiner Aufsatz-Sammlung u. a. der grundlegenden Frage, inwiefern die kritische Gesamtausgabe KGW uns zu einer Annäherung an Nietzsches Gedankenwelt und zu einer „angemessenen“ Lektüre Nietzsches verhelfen vermag. Dabei streicht er drei m. E. wichtige Aspekte hervor: 14

Die KGW stellt jedes Werk Nietzsches als die jeweilige philosophische Ausformung bestimmter Gedankengänge aus einer bestimmten Zeit seines Lebens und Schaffens hin.

Dadurch ermöglicht sie dem Leser und der Leserin, die Entstehungsgeschichte der Werke unter Berücksichtigung von Nietzsches bereits geleisteten Vorarbeiten in Form von Notizen u. Ä. näher und besser zu verstehen. Bei Nietzsche ist kein Wort oder Interpunktionszeichen zufällig. Montinari fordert die Leserschaft auf, dies stets geduldig zu berücksichtigen, damit sie reicher, aufmerksamer aber auch misstrauischer (gegenüber sich selbst und gegenüber Nietzsche) wird.

Indem die KGW Nietzsches Werke in eine innere Beziehung zum Nachlass setzt, wirft sie ein schärferes Licht auf seine eigene Entwicklung. Wie schon oben ausgeführt, stehen seine Werke und sein Nachlass meist in ergänzender und erklärender Beziehung zueinander. Nietzsche hat seine Gedanken stets bewusst durchkomponiert, notiert, eventuell wieder verworfen oder neu aufgegriffen. Deshalb konnte er seine Werke dann sehr oft in einem relativ kurzen Zeitraum fertig stellen.

Die KGW bringt Nietzsche, vor allem durch Erschließung seiner Quellen, in einen fruchtbaren Zusammenhang mit seiner historischen Vor-, Mit- und Nachwelt. Nietzsche beschäftigte sich in seinen Werken in erster Linie mit Fragen und Themen seiner eigenen Zeit. Deshalb bedarf es auch einer genaueren Auseinandersetzung mit den Personen, mit denen er in Kontakt war, sowie mit Strömungen, Denkweisen und Einflüssen seiner Zeit, ohne ihn dadurch zu „historisieren“.

Zusammenfassend kann einhergehend mit Montinari resümiert werden, dass die kritische Gesamtausgabe „eine philologisch-historisch fundierte Lektüre der Werke Nietzsches [ermöglicht], die als Voraussetzung jeder philosophischen Interpretation gelten muss.“15

In der Vergangenheit haben Rezeptionen und Arbeiten über Nietzsche den vorangegangenen Überlegungen wenig Beachtung geschenkt. Daraus resultierten häufig fehlgeleitete Interpretationen, übereifrige Systematisierungsversuche und voreilige Deutungen seiner Schriften. Dies geschah teilweise durch eine weltanschaulich motivierte Vermarktung seiner Person und Werke durch seine Schwester, zum anderen Teil durch ein „In-Dienst-Nehmen“ seiner Schriften für diverse Ideologien, vor allem für die des Nationalsozialismus. Man kann hierbei getrost – so ist man sich heute größtenteils einig – von einem Missbrauch seines Gedankengutes sprechen.16 Es wurde offenbar übersehen – ob bewusst oder unbewusst –, dass gerade Nietzsche immer wieder vor übereilter Nachfolge und Auslegung seiner Person und somit seiner Texte und Gedanken warnte. Mit einer besonders poetischen Warnung an seine

Leserinnen und Leser möchte ich endlich auch Nietzsche selbst zu Wort kommen lassen und diese ersten methodischen Vorüberlegungen beenden:

Vademecum – Vadetecum. Es lockt dich meine Art und Sprach, Du folgest mir, du gehst mir nach? Geh nur dir selber treulich nach: – So folgst du mir – gemach! Gemach! (KSA 3, 354 – FW: „Scherz, List und Rache“ 7)

2. Hinführung zu Nietzsches Arbeits-Stil

2.1 Nietzsches Stil: Aphorismen statt systematische Begrifflichkeit

Nachdem ich in einem ersten Schritt das Verhältnis von Nietzsches Nachlassschriften zu seinen durchkomponierten Werken erörterte, möchte ich mich in einem weiteren Schritt Nietzsches Schreibstil zuwenden. Im Laufe der Zeit vollzog sich dabei ein bemerkenswerter Wandel. Seine frühen Werke, wie etwa Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) oder Unzeitgemäße Betrachtungen (1873-1876), fasste er noch in Form von Abhandlungen ab. Die 1878 veröffentlichte Schrift Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister markierte einen Bruch in seinem Stil. Von diesem Zeitpunkt an verfasste er seine Bücher für einige Zeit in so genannten Aphorismen, er selbst bezeichnete diese oft als „Sentenzen“ oder „Maxime“.17 Nietzsche selbst betrachtete diese Schreibweise als adäquates Ausdrucksmittel seiner eigenen „Freigeisterei“, welches sich bewusst gegen alles Traditionelle und Festgeschriebene stellt.18

Die Wahl dieser Gattung dürfte von Nietzsches intensiver Rezeption der französischen Moralisten, allen voran La Rochefoucauld, und des Sprachphilosophen Georg Christoph Lichtenberg angeregt worden sein, die er durch seinen engeren Freund Paul Rée19 näher kennen lernte. Noch im Frühjahr 1876 hatte Nietzsche vor, weitere umfangreiche Abhandlungen in Form seiner UB abzufassen, doch allmählich wuchs seine Skepsis gegen eine zu starre Begrifflichkeit, und in Nietzsche reifte anscheinend allmählich der Verdacht, dass der „Wille zum System“ gar „ein Mangel an Rechtschaffenheit“ (KSA 6, 63 – GD: Sprüche und Pfeile 26) sein könnte. 20 Nach der Veröffentlichung von MA löste Nietzsches neuer Stil bei seinen Freunden größtenteils Verstörung und Unverständnis aus. Man warf ihm vor, dass er sich zu sehr von Rée beeinflussen hätte lassen. Nietzsche hingegen beharrte immer wieder darauf, dass dieser Wandel seiner literarischen Ausdrucksform nur ein Resultat seines eigenen, inneren Entwicklungsprozesses sei.21

Es stellt sich nun die Frage, welche Momente sich für diesen Wandel seiner Schreibform als ausschlaggebend erweisen. Einerseits entspricht der aphoristische Schreibstil Nietzsches Skepsis gegenüber einem widerspruchsfreien, systematischen Denken. Andererseits entspricht die Wahl dieser Gattung gleichzeitig den Aporien, in die sich Nietzsches Philosophie mit der In-Frage-Stellung ihrer Bedingungen begibt: Mit der Reflexion seiner sprachlichen, grammatikalischen Bedingtheit wendet das Denken sich kritisch gegen sich selbst. Schließlich tritt Nietzsche mit seinem Stil auch an seine Leserinnen und Leser heran, indem er von ihnen aktives und selbstständiges Weiterdenken verlangt:22 „Ein Aphorismus, rechtschaffen geprägt und ausgegossen, ist damit, dass er abgelesen ist, noch nicht ‚entziffert’; vielmehr hat nun erst dessen Auslegung zu beginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung bedarf“ (KSA 5, 255 – GM: Vorrede 8).

Der Aphorismus soll zum einen also die innere Gedankenwelt des Autors zum Ausdruck bringen, andererseits soll dem Leser und der Leserin genügend Interpretationsspielraum gelassen werden. Eine Bedingung dafür liegt in der Unvollständigkeit des Aphorismus, was von Nietzsche selbst als das Hauptkennzeichen seiner Art des Schreibens bezeichnet wird.23

Das Unvollständige als das Wirksame. – [...] so ist mitunter die reliefartig unvollständige Darstellung eines Gedankens, einer ganzen Philosophie wirksamer, als die erschöpfende Ausführung: ,man überlässt der Arbeit des Beschauers mehr, er wird aufgeregt, das, was in so starkem Licht und Dunkel vor ihm sich abhebt, fortzubilden, zu Ende zu denken und jenes Hemmnis selber zu überwinden, welches ihrem völligen Heraustreten bis dahin hinderlich war. (KSA 2, 161 f. – MA I, 178)

Form und Inhalt stehen bei einem Aphorismus miteinander in Bezug, und so „ verweist ein Aphorismus, aufgrund seiner wesentlichen Unvollständigkeit, auf ein Ganzes, zu dem das jeweils Gesagte bzw. nur Angedeutete ‚fortzubilden’ ist.“24 Trefflich schreibt Nietzsche dazu in der Götzendämmerung, dass es sein „Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder Andre in einem Buche sagt, - was jeder Andre in einem Buche nicht sagt...“ (KSA 6, 153 – GD: Streifzüge eines Unzeitgemässen 51). In seinen aphoristischen Texten kann man auch von keiner Einheitlichkeit sprechen. Einerseits begegnen uns in diesen Texten sowohl Poesie und Prosa, andererseits sind Sprüche, Parabeln, Essays etc. bunt durcheinander gemischt. Deshalb kann man bei Nietzsche anstatt von einem Aphorismus als einheitliche, literarische Form durchaus von einer „ Kombination unterschiedlichster ‚Gattungen’“25 sprechen.

Nach den im aphoristischen Stil abgefassten Werken MA, M und FW ändert sich wiederum sein Schreib-Stil (man denke nur an die eindrucksvollen Reden seines Zarathustras). In seinen späteren Werken kehrt er wieder zu seiner ursprünglichen Form der Abhandlung zurück, ohne jedoch seine aphoristische Schreibweise deswegen ganz aufzugeben. Nietzsche selbst äußert sich über seine „Kunst des Stils“ rückblickend in Ecce homo (1888/89) und stellt darin fest, „dass die Vielheit innerer Zustände bei [ihm] ausserordentlich ist“ und dass es bei ihm „viele Möglichkeiten des Stils“ (KSA 6, 304 – EH: Warum ich so gute Bücher schreibe 4) gäbe.26

2.2 Nietzsches Perspektivismus: Experimente statt Dogmen

Es gibt gute Gründe dafür, Nietzsches verschiedenste, literarische Strategien als Versuche dahingehend zu lesen, viele Perspektivenwechsel zu ermöglichen und durchzuspielen. Insbesondere die aphoristische Schreibweise sowie der von Nietzsche allgemein vorgeführte Methodenpluralismus kann als ästhetische Umsetzung seines perspektivischen Denkens begriffen werden.27

Der Mensch kann laut Nietzsche mit seinem zur Verfügung stehenden Erkenntnisapparat die Welt immer nur „subjektiv“ und „perspektivisch“ wahrnehmen bzw. auslegen. Deshalb verwirft Nietzsche die Möglichkeit einer subjektunabhängigen, objektiven Erkenntnis, denn das würde bedeuten, sich die Welt „ohne Vorstellung vor[zu]stellen“ (KSA 9, 431 – N 1880/81, 10 [D82]). „Objektivität“ könne nur derartig angestrebt werden, indem möglichst viele verschiedene Perspektiven bei der Bewertung eines Sachverhalts Berücksichtigung finden. Objektivität im Sinne von Wertneutralität hält Nietzsche weder für erreichbar noch für wünschenswert, da menschliches Erkennen immer interessegeleitet und schöpferisch sei bzw. sein solle28:

Es giebt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches „Erkennen“; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser „Begriff“ dieser Sache, unsre „Objektivität“ sein. (KSA 5, 365 – GM III: 12)

Der so genannte Perspektivismus ist also ein zentrales Prinzip der Darstellung von Nietzsches Gedanken und eine entscheidende Kategorie seiner Vorstellung von Erkenntnis. Jedes erkennende Wesen erfasst von der Realität immer nur seinen spezifischen Ausschnitt, der ihm als Ganzes erscheint. Der Perspektivismus ist insofern „ nur eine complexe Form der Spezifität “ (KSA 13, 373 – N 1888, 14 [186]), und gehört unvermeidlich zu jedem Wesen. Begriffe wie „Welt“ und „Wirklichkeit“ sind nur Ausdruck einer individuellen, perspektivischen Einstellung, und somit ist alles Erkennen an Perspektiven gebunden.29

Die Grundintention von Nietzsches Perspektivismus liegt in der Verhinderung von Absolutsetzungen. Jeder Versuch einer Fixierung und Dogmatisierung von „Wahrheiten“ wird durch den Perspektivenwechsel ad absurdum geführt. Wenn Nietzsche allerdings die Perspektivenvielfalt als Erkenntnisbedingung benennt, so kann man mit dem Nietzsche-Interpret Claus Zittel auch weiterfragen, ob er dadurch nicht selbst wieder einen Meta-Standpunkt einnimmt, von dem aus er erst die Beschränktheit der Perspektiven beschreiben kann.30

Schlussendlich lässt sich ausgehend vom Perspektivismus auch noch eine Gedankenbrücke zu Nietzsches „Experimentalphilosophie“ schlagen. Ich möchte nur kurz darauf eingehen, weil sie uns u. a. wesentliche Zugänge zum Verständnis seiner methodischen und stilistischen Arbeitsweise ermöglicht. Nietzsche sieht darin für den Menschen keinen anderen Ausweg, als „künstlerisch mit verschiedenen Perspektiven und Weltinterpretationen vorurteilsfrei zu experimentieren, wobei jene als die ‚richtige’ bzw. ‚gerechte’ bezeichnet werden kann, die für einen speziellen Lebensentwurf die geeignete ‚Sinnmotivation’ für die Verwirklichung seiner Zwecke bietet.“31 Der Grundgedanke, „dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe“, lässt Nietzsche „ fröhlich leben und fröhlich lachen “ (KSA 3, 552 f. – FW 324). Er bietet für ihn einen Ausweg aus der tragischen Grundeinsicht, dass unser „Trieb zur Erkenntnis“ stets ein letztlich Unerfüllter bleiben wird.

2.3 Nietzsches Genealogie: „Herkunft“ statt „Ursprung“

Eine von Nietzsche bei der Betrachtung eines Phänomens sehr oft gewählte Perspektive ist die der Genealogie. Damit bezeichnet man „eine Erzählung, die ein kulturelles Phänomen zu erklären versucht, indem sie beschreibt, wie es entstanden ist, wie es hätte entstehen können oder wie man sich seine Entstehung ausmalen könnte.“32 Die historisch-genealogische Methode findet sich bereits in Nietzsches früher Schrift WL. Nietzsches „historische Philosophie“ wird in seiner späteren Moralphilosophie, besonders in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral zum Hauptwerkzeug seines Denkens und seiner Moral-Kritik.

Nietzsche verzichtet konsequent auf eine Begründung von sozialen und kulturellen Phänomenen, er legt sein Augenmerk verstärkt auf deren Entstehungsgeschichte. Eine weitere Grundvoraussetzung scheint bei ihm darin zu bestehen, dass es für ihn keine lineare Geschichte mit einem Anfang und einem Endziel gibt: „Ehemals suchte man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man auf seine göttliche Abkunft hinzeigte: diess ist jetzt ein verbotener Weg geworden, denn an seiner Thür steht der Affe (KSA 3, 53f. – M 49).

Schon in der Vorrede zur GM gibt Nietzsche grundlegende Einsichten in seine genealogischen Arbeitsmethoden. Eine Begründung für diese Vorgangswiese bleibt er jedoch schuldig, weil es (für ihn) keinen Standpunkt außerhalb der Perspektive gibt. Nietzsche beschreibt in der Einleitung seinen persönlichen Werdegang als Beispiel für die Entwicklung seines Verständnisses von Moral und Ethik. Damit scheint er uns als Leserinnen und Leser indirekt aufzufordern, uns von ihm als Lehrer abzuwenden, und uns unseren eigenen, ganz anderen Zufälligkeiten in unserem Leben zuzuwenden. Denn jeder Mensch kann nur für sich selbst autonom werden, indem er zurückblickt und am Leitfaden persönlicher Erfahrungen rekonstruiert, wie man zur individuellen Person geworden ist, die man ist. Aus dieser persönlichen Erkenntnis gilt es dann, laut Nietzsche, Konsequenzen für einen radikalen Neubeginn zu ziehen.

[U]nter welchen Bedingungen erfand sich der Mensch jene Werthurtheile gut und böse? und welchen Werth haben sie selbst ? [...] Darauf fand und wagte ich bei mir mancherlei Antworten, ich unterschied Zeiten, Völker, Ranggrade der Individuen, ich spezialisirte mein Problem, aus den Antworten wurden neue Fragen, Forschungen, Vermuthungen, Wahrscheinlichkeiten: bis ich endlich ein eignes Land, einen eignen Boden hatte (KSA 5, 249f – GM: Vorrede 3).

Eine für Nietzsche immer wieder angestrebte „Umwertung der Werte“ kann weder systematisch nach einem allgemeinen Schema noch von jemandem stellvertretend für einen anderen vorangetrieben werden. Damit muss sich jeder selbst auseinander setzen.33 So schreibt Nietzsche rückblickend in seinem autobiografischen Werk Ecce home. Wie man wird, was man ist über seine GM, dass er diese nicht als philosophische Abhandlung verstanden wissen wolle, sondern als „entscheidende Vorarbeiten eines Psychologen für eine Umwertung aller Werte“ (KSA 6, 353 – EH 6).

Nietzsche konfrontiert uns also nicht mit einer linear laufenden Geschichte, sondern vielmehr mit einem Komplex geschichtlicher Fragen, Verfahren und Zufällen.34 Am Beispiel der Strafe warnt Nietzsche in der GM davor, eine erst später übernommene Funktion als Ursache der Entstehung zu postulieren. Die Herkunft muss mit der späteren Funktion nicht unbedingt etwas zu tun haben. Nietzsche vermeidet also genetische Fehlschlüsse und untergräbt alle teleologischen Konstruktionen, die vom Ursprung zum Ziel führen möchten.35

Das Neuartige an der genealogischen Methode kann darin gesehen werden, dass es Nietzsche nicht mehr primär darum geht, logische Fehler oder Widersprüche einer von ihm abgelehnten Lehre oder Moralvorstellung aufzuzeigen, sondern bloß verborgene Vorurteile aufzudecken, welche Überzeugungen und Argumente erst bedingen und hervorbringen.36 Weitere erwähnenswerte Aspekte über die genealogische Methode hat Michel Foucault in einem Aufsatz über Nietzsche in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts herausgearbeitet.37 Hierin geht es Foucault u. a. um den verschiedenen Gebrauch der Wörter „Ursprung“ und „Herkunft“ bei Nietzsche.38 Foucault weist darauf hin, dass Nietzsche zumindest gelegentlich die Suche nach dem „Ursprung“ ablehnt, da dies eine Suche nach dem „‚was schon war’, nach dem ‚es selbst’ eines mit sich übereinstimmenden Bildes“39 sei, eine Suche sozusagen nach einer nicht feststellbaren, letzten Identität. Nietzsche, so streicht Foucault hervor, geht es hingegen um etwas ganz anderes, nämlich darum, dass „es hinter allen Dingen ‚etwas ganz anderes’ gibt: nicht ihr wesenhaftes und zeitloses Geheimnis, sondern das Geheimnis, daß sie ohne Wesen sind oder daß ihr Wesen Stück für Stück aus Figuren, die ihm fremd waren, aufgebaut worden ist.“40 Deshalb meint Foucault, dass der Begriff Herkunft den eigentlichen Gegenstand der Genealogie besser beschreibt als Ursprung, denn die Analyse der Herkunft führt uns erst zu den unzähligen, zufälligen, scheinbar belanglosen Ereignissen, die zu den heutigen Verhältnissen geführt haben.41

Zusammenfassend erscheint es mir wichtig, noch einmal auf die verschiedensten Komponenten der historisch-genealogische Methode hinzuweisen: Erstens schärft sie den Blick für das Zufällige und scheinbar Belanglose, zweitens zersetzt sie im Licht des neu entdeckten Materials standardisierte Lesearten der Vergangenheit, und drittens ermuntert sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunftsgeschichte.42 Die nächste Komponente kann dann m. E. nur mehr eine Pragmatische sein. Indem sie scheinbar Unveränderbares und Ewiges als bloße Konstrukte entlarvt, fordert sie implizite dazu auf, sich dagegen aufzulehnen und entsprechend zu handeln.

3. Wege zur Lektüre

Die beiden ersten Abschnitte haben schon gezeigt, dass Nietzsches Texte hohe Anforderungen an seine Leserschaft stellen. Unzählige Widersprüche und Ambivalenzen in seinen Schriften fordern uns immer wieder zu radikalen Fragestellungen, zur engagierten Auseinandersetzung mit seinen Gedanken, aber auch zur Loslösung von Vorurteilen heraus. So möchte ich mich jetzt in einem dritten Schritt diesen Widersprüchen und Ambivalenzen widmen und der Frage nachgehen, welche Anforderungen Nietzsche an seine Leserschaft stellt, wie bzw. ob man ihn überhaupt verstehen kann, und wie unter diesen Voraussetzungen ein Herangehen an seine Texte möglich wird.

Nietzsche selbst äußert sich in seinen Schriften wiederholt dazu, wie er gerne verstanden werden möchte. Allerdings lassen sich auch diese „Lektüre-Anweisungen“ keinesfalls auf einen Nenner bringen. Auffallend oft liest man aber bei ihm – wie schon am Ende des ersten Abschnittes erwähnt –, man möge sich nicht von seiner Art und Sprache verlocken lassen und man solle sich stets selber treulich nachgehen! (Vgl. KSA 3, 354 – FW: „Scherz, List und Rache 7“). Als Grundanforderung – soviel sei vorweg genommen – scheint er von seiner Leserschaft das eigenständige Mit- und Weiterdenken zu erwarten, ähnlich einer „Goldschmiedekunst und –kennerschaft des Wortes “, die „langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen“ lehrt. Schließlich verlangt er von seinen „geduldigen Freunden“ vor allem eines: „ [L]ernt mich gut lesen!“ (KSA 3, 17 – M: Vorrede 5).

3.1 Nicht „Lehren“, sondern „Zeichen“

Der Gesichtspunkt des Zeichens kann ein erster Ausgangspunkt sein, wie man mit Nietzsches Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen umgehen kann. Diesen Interpretationsraster vertritt u. a. der Nietzsche-Kenner Werner Stegmaier, dessen Konzept nun kurz folgt. Nietzsche selbst erwartete nicht, dass er so bald „verstanden“ würde, er hielt es sogar für prinzipiell unwahrscheinlich: „Wer Etwas von mir verstanden zu haben glaubte, hat sich Etwas aus mir zurecht gemacht, nach seinem Bilde, [...] wer Nichts von mir verstanden hatte, leugnete, dass ich überhaupt in Betracht käme.“ (KSA 6, 300 – EH: Warum ich so gute Bücher schreibe 1). Nietzsche geht also nicht vom Verstehen, sondern vom Nicht-Verstehen aus.43 Ausgangspunkt dieser Überlegung ist eine irritierend widersprüchlich wirkende Notiz aus seinem Nachlass:

Es ist schwer verstanden zu werden. [...] Man soll seinen Freunden einen reichlichen Spielraum zum Missverstehen zugestehen. Es dünkt mich besser mißverstanden als unverstanden zu werden: es ist etwas Beleidigendes darin, verstanden zu werden. (KSA 12, 50 f. – N 1885/87, 1 [182]).

Nietzsche stellt einmal die Möglichkeit der Eindeutigkeit des Verstehens grundsätzlich in Frage, ja er findet es sogar beleidigend, verstanden zu werden. Für Nietzsche bedeutet es „etwas Beleidigendes“, wenn die Leserschaft die Gedanken des Autors dadurch zu verstehen meint, dass sie diese Gedanken mit den ihren gleichsetzt. So stimmt sie ihm zwar zu, aber zugleich verletzt sie ihn durch diese Gleichsetzung, denn Nietzsche besteht streng auf die Verschiedenheit seiner Erfahrungen und Erlebnisse.44 Deshalb will er „seinen Freunden“ einen „Spielraum zum Missverstehen“ zugestehen. Jemandem etwas „zugestehen“ heißt, eine andere Meinung gelten zu lassen, die man selbst nicht für richtig hält. Ein Spielraum wiederum ist einerseits zwar durch Regeln oder Gegebenheiten begrenzt45, andererseits kann man sich in ihm auch nach eigenen Spielregeln verhalten.46

In so einem Spielraum schreibt Nietzsche, und stellt man sich als Rezipient einmal darauf ein, so kann man keinesfalls erwarten, seine Schriften eindeutig verstehen zu können. Das Entscheidende dabei besteht meiner Ansicht nach darin, dass Nietzsche seine Absicht nicht in Gestalt einer Lehre ausdrückt, sondern in Form seines schriftstellerischen Stils.47 Würde er dies in Form einer Lehre ausdrücken, so wäre diese – wie Stegmaier treffend formuliert – „eine widersprüchliche Lehre von der Unmöglichkeit der Lehre“48. Nietzsche legt es mit seinen Schriften also auf kein einheitliches, sondern auf ein vielfältiges Verständnis an, mit dem Hauptziel, seine Leserschaft auf die Individualität ihres Denkens aufmerksam zu machen. Das erreicht er durch seinen Gebrauch der Zeichen als Zeichen, denen er bewusst Deutungsspielräume (Spielräume zum Missverständnis) zugesteht. Dadurch ermöglichen diese Zeichen erst individuelle Kommunikation unter den Individuen.49 Betrachtet man Nietzsches Werk vor diesem Hintergrund, so lassen sich die Widersprüche und Ambivalenzen in seinen Schriften nicht nur erklären, sie lösen sich dadurch auch auf.

Die Bedeutung der Zeichen rückte für Nietzsche im Laufe seines Schaffens immer mehr in den Mittelpunkt seines Philosophierens. Demnach erscheint uns nicht nur die Welt als eine „Oberflächen- und Zeichenwelt“, die im Bewusstwerden zu einer „grosse[n] gründliche[n] Verderbnis, Fälschung“ und „Veroberflächlichung“ (KSA 3, 593 – FW 5, 354) führt, auch unsere eigenen Gedanken können wir demnach nur als Zeichen verstehen, nämlich als ein weiteres Zeichen in einer Zeichenwelt.

Es geht ihm aber nicht nur um die individuelle Auslegung innerhalb eines Spielraumes, sondern auch um die Zeichen-Setzung selbst. Jeder Mensch besitzt laut Nietzsche diese Fähigkeit in einem unterschiedlichen Grad. Er bezeichnet dies als Macht der Zeichengabe, über die vor allem große Schriftsteller und Philosophen50 verfügt hätten bzw. verfügen. Nietzsche rühmt dabei u. a. besonders den römischen Dichter Horaz51, der mit seiner Sprache ein Maximum an Sinnwirkung mit einem Minimum an Zeichen erreicht hätte.52 Diese Macht der Zeichensetzung traut sich Nietzsche auch selbst zu: „ Gut ist jeder Stil, der einen inneren Zustand wirklich mittheilt“ und Nietzsche glaubt bei sich, „die vielfachste Kunst des Stils überhaupt, über die je ein Mensch verfügt hat“ (KSA 6, 304 – EH: Warum ich so gute Bücher schreibe 4) entdeckt zu haben.

3.2 Die Liebe zur Maske

Eine besondere Ausformung dieser „Kunst des Stils“ äußert sich offenbar darin, dass Nietzsche seinen eigenen Namen in seinen Werken selbst immer wieder durch fremde Namen ersetzt, und dass er diese wechselnden „Pseudonyme“ selbst wieder aufdeckt:53 So schreibt Nietzsche etwa rückblickend auf Richard Wagner in Bayreuth: „[A]n allen psychologisch entscheidenden Stellen ist nur von mir die Rede, – man darf rücksichtslos meinen Namen oder das Wort ‚Zarathustra’ hinstellen, wo der Text das Wort Wagner gibt.“ (KSA 6, 314 – EH: GT 4) Nietzsche vergleicht seine Vorgangsweise mit Sokrates Rolle in den platonischen Dialogen: „Dergestallt hat sich Plato des Socrates bedient, als einer Semiotik für Plato.“ (KSA 6, 320 – EH: Die Unzeitgemässen 3) Nietzsche verwendet den Ausdruck Semiotik dabei nicht etwa für irgendeine Zeichenlehre, sondern für den Gegenstand, also für das Zeichen. Damit bestimmt Nietzsche eine Rede insgesamt als Zeichen, die auf etwas anderes verweisen soll, was in dieser Rede in ihrem Wortlaut nicht zum Ausdruck kommt. Genau aus diesem Grund soll eine solche Rede deshalb nie wörtlich genommen werden.54

Warum Nietzsche derartig vorgeht, wurde schon im vorigen Abschnitt dargelegt und kann folgendermaßen zusammengefasst werden: „Jeder tiefe Denker fürchtet mehr das Verstanden-werden, als das Missverstanden-werden.“ (KSA 5, 234 – JGB 290) Und einen Aphorismus zuvor gibt Nietzsche in diesem Zusammenhang grundlegende Einblicke in sein Philosophie-Verständnis, wenn er schreibt, dass für ihn „[j]ede Philosophie“ immer nur „eine Vordergrunds-Philosophie“ ist. „Jede Philosophie verbirgt auch eine Philosophie; jede Meinung ist auch ein Versteck, jedes Wort auch eine Maske.“ (KSA 5, 234 – JGB 289) Nietzsche wechselt seine Masken ständig, hinter einer Maske scheinen sich unzählige, weitere Masken zu verbergen und außer diesen Masken scheint es nichts zu geben.55 Nietzsches eigene Aufdeckung dieses Maskenspieles, besonders in seinen rückblickenden Aufzeichnungen, trägt aber nicht dazu bei, den Zustand einer ursprünglichen Eindeutigkeit wieder herzustellen, das würde auch nicht im Geringsten in seinem Sinne liegen. Vielmehr entfernt sich die Leserschaft durch das Bewusstwerden der verschiedensten Masken immer weiter von der Möglichkeit, Nietzsches Denken als Einheit in den Griff zu bekommen.56

In Nietzsches Texten begegnen uns die verschiedensten Masken: Wanderer, Reisende, Schatten, Einsiedler, Abenteurer, Löwe, Eroberer usw. In diesen Gestalten hat Nietzsche wohl seinen berühmten Ausspruch „Alles, was tief ist, liebt die Maske“ (KSA 5, 57 – JGB 40) zur Entfaltung gebracht.57 Ihm geht es vor allem darum aufzuzeigen, dass zu einem Menschen mehrere Personen gehören, die jeweils gewisse Charaktereigenschaften zusammenfassen und bündeln. Jeder Mensch hat demnach verschiedenste Rollen zu spielen, die man heute als „soziale Rollen“ bezeichnen würde. Nietzsche bezieht sich dabei wohl auf den ursprünglichen Wortsinn des Wortes „persona“58 als „Maske“ im antiken Theater. Die „Maske“ ist bei Nietzsche somit ein Ausdruck für die Vielgestaltigkeit des komplexen Menschen.59

3.3 Zum eigenen Interpretationsweg

Unter Berücksichtigung der verschiedensten Überlegungen der vorigen Kapitel über Nietzsches Denken und Schreiben steht jede Leserin und jeder Leser letztendlich vor der Frage, welchen Weg sie oder er beschreiten soll, um der Vielschichtigkeit und Komplexität Nietzsches Denken wenigstens ansatzweise gerecht zu werden. Besonders Nietzsches hermeneutische Grundthese, wonach es „keine ‚richtige’ Auslegung“ (KSA 12, 39 – N 1885/86, 1 [120]) gibt, spricht gegen voreilige Antworten auf diese Frage, und sie zeigt gleichzeitig die Schwierigkeit dieses Unterfangens. Trotzdem möchte ich nun kurz einige mögliche Wege (und nicht durchkomponierte Modelle) erläutern und schließlich meinen Eigenen darlegen.

Ein möglicher Ansatz wäre der Versuch einer Systematisierung seiner Schriften, wie ich es im Kapitel 1.2. anhand der Textkompilation Der Wille zur Macht kurz demonstriert habe. Aus heutiger Sicht scheinen derartige Versuche aber weder möglich noch wünschenswert. Gegen eine systematische Reduktion seiner Philosophie sprechen vor allem seine aphoristische Schreibweise und die Vielfalt seiner Masken, sowie natürlich der damit verbundene formale und inhaltliche Perspektivismus. Systematisierungsversuche bringen auch leicht die Gefahr mit sich, ideologisch missbraucht zu werden.

Eine weitere Vorgangsweise wäre der lose, oberflächliche Umgang mit seinen einzelnen Büchern, Texten und Zitaten. Diesen Weg hätte Nietzsche wahrscheinlich keinesfalls gut geheißen, allerdings erscheint ein solcher Zugang auch nicht als illegitim, denn Nietzsche ermutigt seine Leserschaft ständig, sie möge sich ihre eigenen Wege suchen und seinen Intentionen nicht nachkommen. Schon frühe Nietzsche-Exegeten haben davor gewarnt, Nietzsche wörtlich zu nehmen oder zu dogmatisieren: So konstatierte Karl Jaspers beispielsweise, dass es immer noch wahrer sei, an alten Dogmatismen festzuhalten, als die Gedanken Nietzsches zu dogmatisieren60, und Thomas Mann vermerkte gar: „Wer Nietzsche ‚eigentlich’ nimmt, wörtlich nimmt, wer ihm glaubt, ist verloren“.61 Allein schon der politische Missbrauch seiner Schriften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dürften ihnen Anlass zu solchen Aussagen gegeben haben. Diesen Warnungen vor unüberlegten Vereinnahmungen schließt sich auch M. Montinari an.62 Letztendlich erscheint mir ein „inflationärer“ Gebrauch seiner Argumente oder Zitate oft nicht mehr als die Projektion der eigenen Gedanken und Theorien auf ihn. Unausgereift finde ich diesen Weg deshalb, weil er bloß eigene Gedanken mit Worten von Nietzsche unterstreicht, aber keine wirkliche, persönliche Horizonterweiterung mit sich bringt.

Ein dritter Weg könnte über die Autorintention zur Interpretation von Nietzsches Texten führen. So fordert er selbst oft dazu auf – wie etwa in der Maske des Zarathustras – ihn zuerst zu verlieren, um sich selbst zu finden, und er vermerkt weiters, dass er erst dann wiederkehren wird, „ wenn ihr mich Alle verleugnet habt“ (KSA 6, 261 – EH: Vorwort 4).63 Entscheidet sich nun angenommen jemand für diese von Nietzsche vorgeschlagene Methodik, seinen Intentionen vorerst nicht zu folgen, gerät diese(r) trotzdem in ein Dilemma: Das „Verleugnen“ seiner Philosophie mit der Konsequenz der individuellen Auslegung scheint zwar eine durchaus angemessene Weise zu sein, mit Nietzsche und seinen Texten zu philosophieren, letztendlich unterwirft man sich aber gerade damit, ihm nicht zu folgen, wieder seiner Autorität.

Schließlich möchte ich noch auf die Möglichkeit einer werkimmanenten Auslegung seiner Schriften hinweisen. Das Gelingen eines solchen Unterfangens setzt allerdings außerordentlichen Überblick und umfangreiche Kenntnisse über das Werk und die Person Nietzsches voraus. Obwohl die Auseinandersetzung mit Nietzsche in den letzten Jahrzehnten von einem wahren Boom getragen wurde, dürfte es nur wenige „Nietzscheaner“ geben, die diesen Anforderungen gerecht werden. Schon aus diesem Grund würde ich die Verwendung dieser Methode für diese Arbeit als etwas anmaßend betrachten, auch in Bezug auf die Gefahr, sich im Netz von Querverweisen und Detailvergleichen zu verfangen.

Die soeben aufgezeigten Wege zu einer Nietzsche-Lektüre ließen sich noch länger fortsetzen und ergänzen, sie erheben keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Ich möchte nun aber versuchen, einen eigenen Weg zu Nietzsches Texten zu beschreiten. Nietzsche leistete u. a. wichtige Vorarbeiten zu sprachphilosophischen und hermeneutischen Konzepten des 20. Jahrhunderts. In Auseinandersetzungen mit verschiedenen Überlegungen zur Hermeneutik64 stieß ich u. a. auf die Gedanken von Paul Ricoeur, der etwa 100 Jahre nach Nietzsche eine Hermeneutik verfasste, die sich m. E. auch auf Nietzsche anwenden lässt: Ricoeur versteht unter „Aneignung“ eines Textes, dass „die Interpretation eines Textes sich in der Selbstdeutung eines Subjekts vollendet, das sich von da an besser versteht“65. Dafür, und das ist der entscheidende Punkt, muss man sich aber von der ursprünglichen Intention des Autors bzw. der Autorin verabschieden. Interpretieren heißt „den Denkweg einschlagen, der vom Text [Hervorhebung von J. P.] eröffnet wird“, und die „Absicht des Textes“ ist hierbei nicht „die angebliche Intention des Autors, [oder] das vom Schriftsteller Erlebte“.66

Ricoeur vollzieht hier eine Akzentverschiebung vom Verstehen des Autors bzw. der Autorin hin zum Verstehen der Welt des Werkes. Eine Projektion der Subjektivität des Lesers bzw. der Leserin auf die Lektüre soll damit verhindert werden.67 Demnach will Ricoeur die Fähigkeiten der Leserschaft erweitern, denn die Referenz des Werkes ist der individuelle Entwurf einer neuen Welt. Dieses Modell einer Interpretation bezieht Ricoeur sowohl auf einen Text als auch auf eine einzelne Metapher.68 Paul Ricoeur macht sich somit nicht nur für den Wert einer auszulegenden Metapher stark, sondern er will auch das Recht auf Mehrdeutigkeit eines Textes geltend machen. Somit gibt es für ihn nicht die eine eindeutig richtige Interpretation eines Textes.69

Ich erachte diesen hermeneutischen Zugang gerade für eine kritische Nietzsche-Lektüre für sinnvoll, da es sich hierbei weder um die Aneignung vermeintlich allein gültiger Meinungen einer anderen Person (die des Autors) handelt, noch um die Rechtfertigung der eigenen Gedanken durch Projektion auf den Autor.70 Andererseits wird dadurch das andere Extrem einer beliebigen, rein auf existenzielle Gegebenheiten beruhenden Auslegung vermieden.

Texte und Metaphern ermöglichen es, sich selbst besser und somit auch die Welt besser und immer neu zu verstehen. Folgenden Aspekt darf man hier aber auch nicht außer Acht lassen: Wenn Texte Welten und infolge dadurch die Leserschaft formen, kann dies auch gefährlich werden, vor allem wenn es um vermeintliche Absolutsetzungen geht. Paradoxklingenderweise erscheint mir aber gerade auch dieselbe Methode als ein geeignetes Mittel, solche Absolutsetzungen aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken. Das setzt natürlich einen Grundwillen voraus, den ich, in leicht abgeänderter Form zu Nietzsche, als „intellektuelle Redlichkeit“ bezeichnen würde.71

4. Zusammenfassung

Bevor man sich mit einer bestimmten Thematik näher auseinandersetzt, müssen einmal grundsätzliche Voraussetzungen geschaffen und methodische sowie inhaltliche Bedingungen abgeklärt werden. Dies setzt mitunter ein gezieltes, teils nicht wenig mühsames Recherchieren voraus, ohne das allerdings das Schaffen von eigenen, für die Arbeit relevanten „Spielräumen“ nicht gelingen kann. Nicht zuletzt deshalb erschienen mir eine etwas ausführlichere Annäherung an Nietzsches Text und an seinen Arbeitsstil sowie ein Überblick über mögliche Lektüremöglichkeiten als unverzichtbare Voraussetzungen für ein Weiterarbeiten an und mit seiner Philosophie. So möchte ich die für mich wichtigsten Punkte aus dem einleitenden Kapitel noch einmal kurz zusammenfassen:

In einem ersten Schritt versuchte ich einen kleinen Überblick über Nietzsches Schriften, deren Textgestalt sowie den Zusammenhang zwischen seinen Nachlassnotizen und den so genannten durchkomponierten Werken zu geben. Auf Grund intensiver, philosophiegeschichtlicher Forschungen der letzten Jahrzehnte gelten seine Arbeitsmethoden, Quellen und Denkweisen als in hohem Umfang erschlossen. Resultierend daraus sollte bei der Beurteilung seiner Schriften eine klare Grenzziehung zwischen seinen „Notizen“ und „Kompositionen“ erfolgen. Weiters herrscht in der heutigen Nietzsche-Forschung die fast einhellige Meinung, dass jeglichen Systematisierungsversuchen seiner Werke von Anfang an eine Absage zu erteilen ist.

In einem nächsten Schritt habe ich auf einen Wandel in Nietzsches Schreibstil hingewiesen. Im Laufe seiner schriftstellerischen Tätigkeit bediente er sich vermehrt Aphorismen oder „Sentenzen“. Zum einen wendet sich ein Aphorismus gegen ein widerspruchsfreies, systematisches Denken, zum anderen lädt der Autor damit die Leserschaft gleichzeitig zum eigenständigen Mit- und Weiterdenken ein. Damit bringt Nietzsche selbst nicht nur immer wieder verschiedenste Perspektiven zum Ausdruck, er scheint auch seine Leserschaft zu einer multiperspektivischen Betrachtungsweise der Welt zu ermutigen. Ein für Nietzsche typisches Werkzeug ist die historisch-genealogische Methode, mit der die Herkunft verschiedenster, kultureller Phänomene mit all ihren teilweise (scheinbar) belanglosen Begleiterscheinungen aufgezeigt wird.

Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse habe ich mich im dritten Kapitel der Frage zugewandt, wie man Nietzsches Postulat, ihn gut lesen zu lernen, entsprechen kann: Die Erkenntnis, dass man Nietzsches Werke in einem ersten Schritt nicht als Lehre im Sinne eines wortwörtlichen Verstehens seiner Gedanken betrachten sollte, sondern sie als Zeichen verstehen und interpretieren muss, sehe ich als besonders wichtig an. Nietzsche selbst hatte sich stets gegen eine ihm nachfolgende Jüngerschaft gewehrt. So befreiend dieser erste Schritt für mich war, so führte er mich zunächst dennoch in eine Sackgasse. Dadurch, dass ich meinen eigenen Weg wählte, folgte ich damit letztlich erst wieder Nietzsches Anweisungen. So versuchte ich in einem zweiten Schritt einen Umweg über das hermeneutische Konzept von Ricoeur zu gehen, und mich auf einem anderen Weg Nietzsches Texte zu nähern.

Egal welche hermeneutische Methode gewählt wird, jede(r) wird wahrscheinlich immer wieder vor neue Fragen, Probleme und Herausforderungen gestellt werden. Selbst der von mir gewählte „ricoeursche Weg“ lässt sich im Endeffekt nicht immer geradlinig beschreiten, da eine genauere Beschäftigung mit dem Denken und den Texten Nietzsches immer schon ein Vorverständnis seiner Welt erfordert. Trotzdem möchte ich in dieser vorliegenden Arbeit auf Nietzsches Texte so unvoreingenommen wie nur möglich zugehen. Kleine Verweise auf von mir vermutete Autoren-Intentionen hinter gewissen Texten von Nietzsche mögen dennoch – schon rein aus Verständnisgründen für die Leserinnen und Leser dieser Arbeit – hin und wieder erlaubt sein.

II. Über die menschliche Sprache

Der österreichische Sprachtheoretiker Fritz Mauthner (1849-1923) hat bereits 1890 auf die grundlegende Bedeutung Nietzsches Sprachkritik für dessen gesamtes Philosophieren hingewiesen. Zu dieser Zeit wurden Nietzsches Werke erst langsam populär, und vieles von ihm, beispielsweise die von Nietzsche selbst nie veröffentlichte Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne72, wohl das aus heutiger Sicht bedeutendste Schriftstück seiner Sprachkritik, war noch gar nicht veröffentlicht.73 In der Zeit nach Mauthner traten die sprachphilosophischen Ansätze in der Auseinandersetzung mit Nietzsches Denken fast völlig zurück. Man bediente sich bei der Erforschung und Bestimmung des Aussagecharakters seiner Schriften meist nicht sprachtheoretischer sondern erkenntnistheoretischer Modelle, vor allem Nietzsches eigener Methodik des Perspektivismus. Erst seit etwa Mitte des letzten Jahrhunderts interessiert sich die Nietzsche-Forschung wieder zunehmend für seine sprachtheoretischen Ansätze und unterstreicht dabei immer wieder deren elementare Bedeutung für Nietzsches Metaphysikkritik und seine philosophischen Konzepte von Erkenntnis und Wahrheit.74

In diesem Kapitel möchte ich mich zuerst mit den Denkprozessen und Reflexionen des frühen Nietzsche über den Ursprung bzw. über die Herkunft sowie über Funktion und Wesen der menschlichen Sprache auseinandersetzen. Dabei wird ebenso das Verhältnis zwischen Sprache und Bewusstsein beleuchtet. Mein Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf seine Wahrheitsschrift, die so etwas wie ein vorläufiger Endpunkt eines frühen, intensiven Nachdenkprozesses über die Sprache zu sein scheint. Das Thema Sprache zieht sich aber, besonders im Zusammenhang mit seiner Erkenntniskritik, durch sein ganzes philosophisches Schaffen. Deshalb sollen die Ergebnisse des II. Kapitels Ausgangspunkt und Rahmen für meine anschließenden Untersuchungen in Kapitel III über den Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis sowie von Sprache und Moral sein.

[...]


1 Vgl. Figl, Johann: Art. Jugendschriften (1852-1869) I. Manuskriptbestand, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 62–67, hier: 62 f.

2 Der Nietzsche-Kenner Werner Stegmaier geht sogar davon aus, dass es keinen Philosophen gibt, von dem wir mehr gründlich aufbereitetes, biographisches Material besitzen als von Nietzsche. Vgl. Stegmaier, Werner: Nietzsches Philosophie der Kunst uns seine Kunst der Philosophie. Zur aktuellen Forschung und Forschungsmethodik, in: NS 34 (2005) 348–374, hier: 348 f.

3 Vgl. Meyer, Katrin: Art. Geschichte der Nietzsche-Editionen, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 437–440, hier: 437 f.

4 Vgl. Ruckenbauer, Hans-Walter: Gesetzgeber-Künstler-Eroberer. Zur Hermeneutik der Existenz bei Friedrich Nietzsche, in: Wessely, Christian (Hg.): Kunst des Glaubens – Glaube der Kunst. Der Blick auf das ‚unverfügbare Andere’. FS für Gerhard Larcher [zum 60. Geburtstag], Regensburg: Pustet Verl. 2006, 147–165, hier: 148.

5 Vgl. Zittel, Claus: Art. Nachlaß 1880–1885 I., in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 138–142, hier: 138.

6 Vgl. Montinari, Mazzinio: Nietzsche lesen, Berlin / New York: de Gruyter 1982, 6.

7 Ich möchte deshalb von „durchkomponierten Werken“ und nicht von „veröffentlichten Werken“ sprechen, weil Nietzsche einige Werke, wie z. B. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne druckreif fertig stellte, ohne sie selbst zu veröffentlichen.

8 Vgl. Meyer, Nietzsche-Editionen, 437–440.

9 Vgl. Ruckenbauer, Gesetzgeber, 148 f.

10 Vgl. Stegmaier, Kunst, 351.

11 Beispielsweise hat sich Nietzsche in seinen Notizbüchern intensiv mit der so genannten „kosmologischen Bedeutung seiner Lehre von der „ewigen Wiederkunft“ auseinander gesetzt, diese jedoch der Öffentlichkeit nie Preis gegeben. Vgl. Skirl, Miguel: Art. Ewige Wiederkunft, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 222–230, hier: 230.

12 Vgl. Stegmaier, Kunst, 352.

13 Montinari, Nietzsche lesen, 1.

14 Vgl. ebd., 3–7.

15 Ebd., 4.

16 Vgl. Gerlach, Hans-Martin: Art. Politik (Faschismus, Nationalsozialismus, Sozialdemokratie, Marxismus), in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 499–509, hier: 501 f.

17 Vgl. Lanfranconi, Aldo: Nietzsches historische Philosophie, Stuttgart / Bad Cannstatt: frommann-holuboog 2000 (= Quaestiones 7), 128.

18 Vgl. ebd., 16.

19 Rées Werke, vor allem Der Ursprung der moralischen Empfindungen (1877) übten großen Einfluss auf Nietzsches Moralphilosophie aus. Aus verschiedensten Gründen kam es im Laufe der Jahre zu einem Zerwürfnis zwischen Nietzsche und seinem langjährigen Freund, sowohl in persönlicher als auch in denkerischer Weise. Vgl. Treiber, Hubert, Art. Freunde, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 35–49, hier: 44–46.

20 Vgl. Ruckenbauer, Hans-Walter: Moralität zwischen Evolution und Normen. Eine Kritik biologischer Ansätze in der Ethik, Würzburg: Königshausen & Neumann 2002 (= Würzburger wissenschaftliche Schriften, Reihe Philosophie, Bd. 308), 59 f.

21 Vgl. ebd., 58.

22 Vgl. Stingelin, Martin: Art. Aphorismus, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 185–187, hier: 186.

23 Vgl. Lanfranconi, Philosophie, 130 f.

24 Ebd., 131.

25 Ebd., 132.

26 Michael Haar bezeichnet in seinem Nietzsche-Kommentar den Aphorismus als „großen Stil“. Er verweist dabei auf die etymologische Wurzel des Wortes „Aphorismus“: Diese stammt aus dem griechischen horízein, was soviel wie „begrenzen“ bedeutet, und aus apó, was soviel wie „weg, ab“ bedeutet. Der Aphorismus erreicht also einen möglichst weiten Horizont, der unmöglich einem einzigen, absoluten Horizont untergeordnet werden kann. Das aphoristische Schreiben führt also eine undefinierte Vielheit von Horizonten und Perspektiven ins Feld. Vgl. Haar, Michael: Nietzsche und die Sprache, in: Riedel, Manfred (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“. Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken, Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verl. 1999 (= Collegium Hermeneuticum 1), 63–75, hier: 71 f.

27 Vgl. Zittel, Claus: Art. Perspektivismus, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 299–301, hier: 300.

28 Vgl. Salehi, Djavid, Art. Subjekt, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 334 f., hier 335.

29 Vgl. Zittel, Perspektivismus, 299 f.

30 Vgl. ebd., 300: Zittel spricht sich – im Gegensatz zu einigen anderen Nietzsche-Kenner(innen) – gegen eine, seiner Meinung nach zu harmonisierend verfahrenden, transzendentalphilosophischen Auslegung von Nietzsches Perspektivismus aus.

31 Salehi, Djavid: Art. Experiment, Experimentalphilosophie, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 230–232, hier: 231.

32 Bernard, William: Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003, 38.

33 Vgl. Pieper, Annemarie: Vorrede, in: Höffe, Ottfried (Hg.): Zur Genealogie der Moral, Berlin: Akademie Verl. 2004 (= Klassiker Auslegen 29), 15–29, hier: 16 f.

32 Bernard, William: Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003, 38.

33 Vgl. Pieper, Annemarie: Vorrede, in: Höffe, Ottfried (Hg.): Zur Genealogie der Moral, Berlin: Akademie Verl. 2004 (= Klassiker Auslegen 29), 15–29, hier: 16 f.

34 Den Grundsatz seiner historisch-genealogischen Methode zeigt uns Nietzsche exemplarisch etwa in der Mitte der zweiten Abhandlung der Genealogie der Moral: „Entwicklung“ eines Dings, eines Brauchs, eines Organs ist demgemäss [...] die Aufeinanderfolge von mehr oder minder tiefgehenden, mehr oder minder von einander unabhängigen, an ihm sich abspielenden Überwältigungsprozessen, hinzugerechnet die dagegen jedes Mal aufgewendeten Widerstände, die versuchten Form-Verwandlungen zum Zweck der Vertheidigung und Reaktion, auch die Resultate gelungener Gegenreaktionen. Die Form ist „flüssig“, der „Sinn“ ist es aber noch mehr... (KSA 5, 314f. – GM II: 12).

35 Vgl. Brusotti, Marco: Art. Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887), in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 124–126, hier: 125.

36 Vgl. Hödl, Hans Gerald, Nietzsches frühe Sprachkritik: Lektüren zu „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“ (1873), Wien: WUV Univ.-Verl. 1997, 106.

37 Vgl. Foucault, Michel: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, in: Seitter, Walter (Hg.): Von der Subversion des Wissens, München: Hanser 1974 (= Hanser 150), 83–109.

38 Nietzsche verwendet an manchen Stellen in seinen Werken die beiden Wörter synonym, an anderen Stellen macht er wieder eine detaillierte Unterscheidung.

39 Foucault, Genealogie, 85.

40 Ebd., 86.

43 Vgl. Stegmaier, Werner: Nietzsches Zeichen, in: NS 29 (2000) 41–69, hier: 42.

44 Vgl. ebd., 44.

45 Vgl.: Grau, Gerd-Günther: Art. Redlichkeit, intellektuelle, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 308 f. Die Grenze ist nach Nietzsche dann erreicht, wenn es dem Autor und/oder seiner Leserschaft an „intellektueller Redlichkeit“ fehlt. Diese Redlichkeit betrachtet Nietzsche als die „letzte Tugend“. Man wird dieser Redlichkeit dann gerecht, wenn man stets nach Wissen und Erkenntnis strebt. Trotz dieses Abgrenzungsversuches verbleibt m. E. bei beinahe jeder Textinterpretation ein hermeneutischer Grenzbereich zwischen „Spielraum“ und „Beliebigkeit“.

46 Vgl. Stegmaier, Zeichen, 46.

47 Vgl. dazu auch Kap. I, 2.1.

48 Stegmaier, Zeichen, 48.

49 Vgl. ebd.

50 Nietzsche bezog sich dabei tatsächlich nur auf Männer, weshalb ich hier auf eine geschlechtergerechte Formulierung verzichten musste.

51 So schreibt Nietzsche in der Götzendämmerung über Horaz: „Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist [...] vornehm par excellence.“ (KSA 6, 155 – GD: Was ich den Alten verdanke, 1).

52 Vgl. Haar, Sprache, 72.

53 Vgl. Lanfranconi, Philosophie, 26.

54 Vgl. ebd., 29.

55 Vgl. Ruckenbauer, Gesetzgeber, 159.

56 Vgl. Lanfranconi, Philosophie 26.

57 Vgl. Ruckenbauer, Gesetzgeber, 161.

58 Lat. „persona“ = Maske, Rolle, Charakter; lat. ”per-sonare” = durchtönen. Im Antiken Theater trugen alle Schauspieler Masken und „tönten ihre Rolle“ durch diese hindurch.

59 Vgl. Christians, Ingo: Art. Schauspieler, Maske, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2000, 318–320, hier: 319.

60 Vgl. Jaspers, Karl: Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin: de Gruyter 31950, 456.

61 Mann, Thomas: Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung, Berlin: Suhrkamp 1948, 47.

62 Vgl. Montinari, Nietzsche lesen, 2 f.

63 Nietzsche beschränkt sich – ganz im Sinne seines Schreibstils – aber nicht auf eine „Lektüre-Anweisung“, sondern auf verschiedene, zum Teil auch Widersprüchliche.

64 Griech. „hermeneúein“ = auslegen, interpretieren.

65 Ricoeur, Paul: Was ist ein Text, in: ders.: Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970-1999). Übersetzt u. herausgegeben von Peter Welsen, Hamburg: Meiner 2005, 79–108, hier 99.

66 Ebd., 103 f.

67 Vgl. Ricoeur, Paul: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik, in: ders.: Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970-1999). Übersetzt u. herausgegeben von Peter Welsen, Hamburg: Meiner 2005, 109– 134, hier: 128 f.

68 Vgl. ebd., 130.

69 Die Beliebigkeit eines Textes ist für Ricouer auch nicht unendlich, denn man kann nur so weit interpretieren, so lange der Text etwas hergibt. Interpretationen sind damit offen, aber nicht beliebig. Das Kriterium für die Interpretation ist dabei die Texttreue, die eine intensive Beschäftigung mit dem Text voraussetzt.

70 Diese Methode wende ich an, wenn es also um Auslegungen von längeren Texten, Sentenzen bzw. Metaphern geht. Differenzieren muss man dann, wenn es darum geht aufzuzeigen, was Nietzsche z. B. unter einer „Metapher“ versteht. Hier muss man, um evt. begrifflichen „Missverständnissen“ vorzubeugen, doch wieder auf Begriffserläuterungen des Autor zurückgreifen, da es gegebenenfalls seit Nietzsches Zeit auch zu (kultur- und sozialbedingten) Bedeutungsverschiebungen bei diversen Begriffen gekommen sein kann.

71 Jeder Rezipient und jede Rezipientin steht natürlich trotzdem immer in einem hermeneutischen Zirkel mit dem Autor oder der Autorin, indem durch diverse Lektüren von Primär- und /oder Sekundärliteratur ein gewisses Vorverständnis aufgebaut wird. Das scheint mir aber kein Widerspruch gegen die Anwendung von Ricoeurs Methode zu sein – sondern im Gegenteil – Voraussetzung. Je intensiver man sich mit einem Autor / einer Autorin beschäftigt, desto leichter erscheint es mir oft, Distanz von ihm / von ihr zu gewinnen.

72 Ich möchte dieses Werk im Folgenden kurz als Wahrheitsschrift (bzw. mit der gängigen Abkürzung WL) benennen.

73 Vgl. Hödl, Sprachkritik, 13 f.

74 Vgl. Behler, Ernst: Nietzsches Sprachtheorie und der Aussagecharakter seiner Schriften, in: NS 25 (1996) 64–85, hier: 65 f.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Friedrich Nietzsche: Erkenntnis und Moral als Selbstaufhebung
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
106
Katalognummer
V127959
ISBN (eBook)
9783640335671
ISBN (Buch)
9783640335220
Dateigröße
862 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich, Nietzsche, Erkenntnis, Moral, Selbstaufhebung
Arbeit zitieren
Johann Platzer (Autor:in), 2007, Friedrich Nietzsche: Erkenntnis und Moral als Selbstaufhebung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127959

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