Globale Gerechtigkeit

Theorien Globaler Gerechtigkeit – Texte von John Rawls und Amartya Sen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Erster Teil: Politische Gerechtigkeit
I.1 Politische Gerechtigkeit - Begriffsdeutung
I.1.1 Das Kooperationsmodell
I.1.2 Das Konfliktmodell (Kontraktualismus)
I.1.3 Rawls Gerechtigkeitstheorie
I.2 Globalisierung – Begriffsdeutung

II. Zweiter Teil: Globalisierung und politische Gerechtigkeit
II.1 Textanalyse
II.1.1 John Rawls’ Theorie einer Globalen Gerechtigkeit – nach „The Law of Peoples“ (1999)
II.1.2 Amartya Sens Theorie einer Globalen Gerechtigkeit. Jenseits internationaler Gleichberechtigung

III. Konklusion

IV. Quellenverzeichnis

Einleitung

Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt müssen von weniger als einem Dollar pro Tag leben. Weitere 2,7 Milliarden haben weniger als zwei Dollar pro Tag zum Überleben. Die Armut in den Entwicklungsländern geht jedoch weit über die Einkommensarmut hinaus. Sie bedeutet auch, jeden Tag mehr als eineinhalb Kilometer zu Fuß laufen zu müssen, bloß um Wasser und Brennholz zu beschaffen; sie bedeutet auch, an Krankheiten zu leiden, die in den reichen Ländern schon vor Jahrzehnten ausgerottet wurden. Jedes Jahr sterben elf Millionen Kinder, die meisten unter fünf Jahren und mehr als sechs Millionen von ihnen an vermeidbaren Ursachen wie Malaria, Durchfall und Lungenentzündung und damit an den Folgen absoluter Armut.[1]

Angesichts des Hungers und der Armut, die auf der Welt allgegenwärtig sind, haben verschiedene Philosophen Theorien und Thesen entworfen, die sich damit beschäftigen, wie man das Armutsproblem lösen könnte.

Dabei geht es vor allem um Fragen der Gerechtigkeit. Der gerechten Verteilung der materiellen aber auch sozialen Güter, die weltweit zur Verfügung stehen. Aber die Diskussion beschäftigt sich auch mit der gerechten Verteilung von Rechten, Pflichten und Freiheiten.

Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit dem Hunger- und Armutsproblem in moralphilosophischer Hinsicht. Im Speziellen soll die Debatte um die Verteilungsgerechtigkeit in globaler Hinsicht näher beleuchtet werden. Die Diskussion um distributive Gerechtigkeit zwischen den Nationen und ihren Institutionen ist seit einiger Zeit im Zentrum des philosophischen Geschehens. Die Stimmen nach Standards und Regeln, die über die nationalen Gesetze hinausgehen, werden immer lauter und zahlreicher. Geregelt werden muss oder soll das Interagieren der Nationen miteinander, aber auch der Institutionen, die keinem Nationalstaat allein unterstehen. Und darüber hinaus bleiben noch die Konzerne und sonstige ökonomische Subjekte, die weltweit auftreten. Welche Regeln oder Normen sind für diese zu definieren?

Es soll erörtert werden, inwiefern Gerechtigkeit global gelten kann, was es für Standards geben soll und welche Rolle Nationalstaaten und Institutionen in diesem Kontext spielen.

Der erste Teil widmet sich der Analyse des Gerechtigkeitsbegriffs und der Globalisierung, während der zweite Teil John Rawls Verständnis des globalen Gerechtigkeitsbegriffs mit der Theorie Amartya Sens in Beziehung setzt und in der Folge abschließend beurteilt.

I. Erster Teil: Politische Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist eines der ältesten Themen der Philosophie. Schon in der Antike haben Philosophen nicht nur beschrieben, was sie für die Idee oder den Begriff der Gerechtigkeit hielten; sie haben auch Theorien des gerechten Handelns entworfen und gehofft, dass die Politik ihnen folgt. Bis in die Neuzeit hinein hielt sich diese Erwartung der politischen Philosophie: Noch im 18. Jahrhundert stand die Idee der Gerechtigkeit im Mittelpunkt einer Philosophie der Politik, die sich als normative Disziplin verstand. Im 19. Jahrhundert wurde jedoch die Auffassung vorherrschend, die Theorie der Politik solle sich auf die Beschreibung und Analyse des politischen Handelns und seiner Bedingungen und Formen beschränken. Diese Auffassung entsprach der Emanzipation der politischen Wissenschaft von der Philosophie, die Max Weber besiegelte, und bestimmt den Politikbegriff der Sozialwissenschaften bis heute. John Rawls hat ihr indessen vor dreißig Jahren eine Theorie der Gerechtigkeit entgegengestellt, die die philosophische Diskussion über das Verhältnis von Gerechtigkeit und Politik neu belebte. Rawls Theorie, die der Politik explizit normative Vorgaben macht, markiert den Beginn einer Renaissance der klassischen politischen Philosophie, die sich gleichzeitig von den empirischen Sozialwissenschaften löst.

Die Debatte um die politische Gerechtigkeit soll nun näher erläutert werden.

I.1 Politische Gerechtigkeit - Begriffsdeutung

Nach Otfried Höffe versteht man unter politischer Gerechtigkeit die das politische Ordnungsgefüge betreffende Gerechtigkeit. Sie bezieht sich inhaltlich auf die Selbstregulierung freier Bürger[2]. Unter dem Stichwort der politischen Gerechtigkeit ermittelt man, unter welchen Gesichtspunkten eine Staatsordnung und deren Rechtssystem gerecht sind. Die Grundfrage hierbei ist jedoch nicht nur, wie das Rechtssystem eines Staates gerecht funktioniert, sondern auch unter welchen Gesichtspunkten ein Staat in seiner Entstehung und Existenz gerecht ist – warum gibt es überhaupt so etwas wie Staat und Recht. Immerhin wird die Freiheit der Menschen durch eine staatslegitimierende Gerechtigkeit wesentlich eingeschränkt. Hierbei gibt es zwei grundlegende, völlig verschieden zu betrachtende philosophische Richtungen: zum einen den strengen Anarchismus, der jede Art von Herrschaft und Rechtssystem ablehnt, die andere Richtung ist die des Rechts- und Staatspositivismus, der eine beliebige, organisierte Herrschaft für legitim hält. Es gibt zwei Argumentationsmuster, um dieses Dilemma zu lösen.

I.1.1 Das Kooperationsmodell

Aristoteles hält ein Kooperationsmodell für angebracht. Dieses Modell geht davon aus, dass die Menschen nicht autark leben können und wollen, sie sind auf sich gegenseitig angewiesen. Als Neugeborene sind sie auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen, und später sind die Eltern im Alter auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen. Die Fortpflanzung ist von der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau abhängig. Ebenso bedarf es in der Wirtschaft gegenseitiger Hilfe. Und schließlich darf man das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung nicht vernachlässigen. Solange diese Beziehungen auf Wechselseitigkeit beruhen, zeichnen sie sich durch einen hohen Grad an Gerechtigkeit aus.

Aristoteles sieht drei Grundbeziehungen zwischen den Menschen – Mann und Frau, Eltern und Kinder, Herr und Knecht – und aus diesen entsteht die in der Geschichte lange Zeit vorherrschende Grundinstitution, die Familie, die zugleich eine ökonomische Einheit ist: das Haus (griechisch: oikos) [erste Stufe]. Und da die Kinder ihre eigenen Familien gründen, bildet sich eine Gemeinschaft von Häusern, ein Dorf im Sinne einer Sippe [zweite Stufe]. Auf der dritten Stufe, dem Rechts- und Staatswesen, geht es nicht mehr um die Blutsbande. Die größere Sozialeinheit kann den Vorteil der Arbeitsteilung und Spezialisierung, den ökonomischen und kulturellen Gewinn, steigern. Vor allem aber werden die gemeinsame Vorstellung von Recht und Unrecht und die gemeinsame Durchsetzung stärker gewichtet. Die ein Rechts- und Staatswesen legitimierende Gerechtigkeit verbindet die Wechselseitigkeit in der Kooperation mit der Gemeinschaft von Recht und Unrecht.[3]

I.1.2 Das Konfliktmodell (Kontraktualismus)

In den Vertragstheorien geht es nicht um historische Verträge, weder um ausdrückliche noch um stillschweigende Vereinbarungen. Von Thomas Hobbes und John Locke über Jean-Jacques Rousseau und Kant bis zur neueren Wiederbelebung unter John Rawls ist der Gesellschaftsvertrag ein Gedankenexperiment zu legitimatorischen Zwecken. Sein Gegenstand ist nicht irgendeine Gesellschaft sondern die „bürgerliche Gesellschaft“ im staatstheoretischen Sinn. Drei Punkte sind wesentlich für diesen Vertrag: 1. Es steht den Beteiligten frei, sich auf ein Rechts- und Staatswesen einzulassen. Die Vertragstheorie ist eine Konsenstheorie in strengster Form, d.h. sie verlangt eine allseitige freiwillige Zustimmung. 2. Als Ursprung für die Vertragstheorie wird der Naturzustand angenommen – ein rechts- und staatsfreies Zusammenleben. Jeder hat ein „Recht auf alles“ und somit bei genauer Betrachtung kein Recht auf irgendetwas. Eine uneingeschränkte Handlungsfreiheit erweist sich also als unmöglich. Das Konfliktmodell verlangt nun, damit jeder grundsätzlich gleich behandelt wird, dass jeder auf das vorgebliche „Recht auf alles“ verzichtet und im Gegenzug entsprechende Freiheiten erhält. 3. Gemäß dem Rechtsgrundsatz „Verträge sind einzuhalten“ ist man nach Abschluss des Vertrags an ihn gebunden.

[...]


[1] http://www.un.org/Depts/german/millennium/mp-povertyfacts-g-new.pdf letzter Zugriff: 06.01.2015, 13:31

[2] Wobei ich die Ansicht vertrete, dass nicht nur Bürger als Adressaten gelten, sondern jeder Einzelne. Moralische Verpflichtungen bestehen nicht nur innerhalb der nationalen Grenzen, sondern auch darüber hinaus. Somit bezöge sich die Gerechtigkeit nicht nur auf die Strukturen einer Nation, sondern auf die bestehenden Strukturen weltweit.

[3] Vgl. Höffe 2001: 61-63.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Globale Gerechtigkeit
Untertitel
Theorien Globaler Gerechtigkeit – Texte von John Rawls und Amartya Sen
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Weltarmut und Menschenrechte
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V127860
ISBN (eBook)
9783640341115
ISBN (Buch)
9783640338801
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
global, justice, rawls, amartya, sen, politische, gerechtigkeit
Arbeit zitieren
Sven Zoeller (Autor:in), 2009, Globale Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127860

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