Der Europäische Traum im Zeitalter der Globalisierung


Hausarbeit, 2006

21 Seiten, Note: A


Leseprobe


„Wir leben in einer Welt mit neuen Gefahren, aber auch mit neuen Chancen. Wenn es der Europäischen Union gelingt, zu einem handlungsstarken Akteur zu werden, dann besitzt sie das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Bedrohungen wie auch zur Nutzung der Chancen zu leisten. [...] Damit würde sie zu einem wirksamen multilateralen System beitragen, das zu einer gerechteren und sichereren Welt führen würde.“ (Solana 2002)

Unsere klassischen Vorstellungen von der Welt und theoretischen Ideale bewei-sen in immer offentsichtlicherem Maße ihre Unzulänglichkeit: Internationale Politik in einfachen, eindeutigen und vorhersagefähigen Modellen zu erklären, kann angesichts der zunehmenden Komplexität der Welt nicht als Ideal aufrecht erhalten werden. Eben-so geraten die Vorstellungen von Fortschritt, Kausalität und Nationalstaat ins Getriebe der Globalisierung. Noch immer herrscht ein lautes Stimmengewirr um die Frage, was Globalisierung eigentlich ist, welche Auswirkungen sie auf den Menschen hat und wie sich Gesellschaft und Politik unter ihren Bedingungen gestalten lassen.

Seit sich das Modellrepertoire der Politikwissenschaft des letzten Jahrhunderts in seiner Anwendbarkeit auf aktuelle Vorgänge überlebt hat, streiten neuen Ansätzen wie die Theorie komplexer Systeme, soziologischer Konnektionismus und Interdependenz-theorie mit den hartnäckigen Resten älterer Theorien um die Erklärungshoheit in puncto Postmoderne mit ihren Begleiterscheinungen Vielstimmigkeit, gegenseitiger Abhängig-keit, Vernetzung, Austausch und Beschleunigung. Wie es dazu kommen konnte, lässt sich besonders an der Genese und dem noch zur Debatte stehenden Untergang des Nationalstaats ablesen. Seine Rolle hat sich eindeutig im mit dem Vormarsch der Globali-sierung verändert, jedoch herrscht Uneinigkeit über das Ausmaß.

Ausgangsthese dieses Essays ist, dass der Nationalstaat seine herausragende Position als Hauptakteur der internationalen Politik aufgeben muss, um den neuen Heraus-forderungen der Vernetzung, Migration, Terrorismus und der dadurch verschärften Konkurrenz von Werten, Religion, Kulturen und Regionen gerecht zu werden. An seine Stelle tritt ein Geflecht von Entscheidungsträgern, Akteuren und Teilautoritäten, die miteinander agieren müssen, um legitime Entscheidungen zu produzieren. Davon aus-gehend wird die Frage diskutiert, ob und inwiefern Prinzipien und Konzept der Europäischen Union eine mögliche, noch auszuformulierende Antwort auf die drängenden Fragen der Gegenwart und Zukunft darstellen könnten.

Unter „Staat“ wird hier der moderne Nationalstaat verstanden, der im Gegensatz zu seinen Urahnen des römischen und des Feudalstaates über die drei Charakteristika Staatsvolk (Nation), Staatsmacht (Souveränität) und Staatsgebiet (Territorium) definiert wird. (vgl. Schubert 2006) Während die beiden letzteren ältere Konzepte sind, die ihren Ursprung bis ins Mittelalter zurückverfolgbar ist, ist die Idee der Nation als Staatenbil-dungsprinzip jüngeren Datums. Die Nation wurde ursprünglich als dem absoluten Herr-scher entgegengesetzte geistige Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Nationalbe-wusstsein und gegenseitiger Solidarität verstanden. (vgl. Schulze 1994: 111) Konkreti-siert wurde dies durch Hinzufügen weiterer Merkmale wie Ethnie, Sprache, gemeinsa-me Kultur, Gebräuche, Geschichte und Zukunft etc. geknüpft – Begriffe, die an sich die Idee von exakter Trennbarkeit eher in Frage stellen als unterstützen, aber in ihrer drastischen Vereinfachung die Identitätsbildung in Nationen unterstützten.

Wie sehr dieses Ideal mehr konstruiert als in der Realität vorfindbar ist, belegt die Existenz von Vielvölkerstaaten wie Russland und von Staaten ohne einheitliche Sprache wie der Schweiz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Warum konnte sich der Nationalstaat dennoch flächendeckend auf der Welt durchsetzen? Schließlich ist die auf Staaten basierende Weltordnung keineswegs „genuin“ oder das Endziel der Geschichte, sondern nur eine Option, deren Erfolg darin begründet lag erfolgreich war, weil sie die Bedürfnisse ihrer Zeit am besten befriedigen konnte.

Das Grundprinzip der Nationalstaatsbildung im 18. und 19. Jahrhundert war gegenseitiger Ausschluss, (vgl. Buelens 1999: 91) da sich entlang der Trennlinien der Nationen die zu homogenen „Einheiten“ ausgerufenen Nationalstaaten etablierten, de-ren entscheidende Dichotomie die von Innen und Außen war. Identität wurde durch Gleichheit und Homogenität gestiftet, die Kontakte mit den Nachbarn auf die Grenzge-biete kanalisiert und die politischen Berührungspunkte auf Staatsmänner und Gesandte beschränkt.

Mit dem Wiener Kongress 1815 setzte sich der Nationalstaat endgültig als do-minantes Strukturprinzip durch – und das oftmals entgegen der proklamierten Grenzen von Ethnie, Sprache, Religion, Gebräuchen und Geschichte. Dies belegt, dass der Na-tionalstaat kein „natürliches“ Gebilde, sondern ein Funktionsprinzip ist, das bestimmte gesellschaftliche, politische, ökonomische und philosophische Probleme lösen muss, die sich in der Zeitkonstellation der beginnenden Moderne stellten. Der Nationalstaat ist elementar mit der Vorstellung von Kausalität, Linearität, Identität und Legitimität ver-bunden – eben jenen Prinzipien, die auch konstitutiv für die Moderne sind. (vgl. Green-feld 2004: 40-45)

Kausalität ist in der staatenbasierten Weltordnung die Vorstellung, dass eine bestimmte staatliche Aktion eine beabsichtigte Wirkung erzielt. Hieraus leitet sich überhaupt die Begründung zur Handlung für einen Staat ab, da er davon ausgeht, dass sein Handeln bewirkt, dass er seine Interessen durchsetzen und seine Ziele erreichen kann. Ein Beispiel wäre die Anfang des 19. Jahrhunderts akzeptierte Idee, Krieg zu füh-ren, um das eigene territoriale Gebiet und damit die eigene Macht zu erweitern – eine Rechnung, die nur solange aufgeht, wie der Nutzen die Kosten übertrifft.

Linearität bezieht sich besonders, aber nicht ausschließlich auf die Idee eines Geschichtsprogressivismus verbunden mit der Legitimation der Gegenwart durch nach-träglichen Interpretation aller historischen Ereignisse in Hinblick auf ihre Auswirkun-gen. Geschichte wird als linearer, zielgerichteter und nicht umkehrbarer Fortschritt der Menschheit verstanden.

Identität meint das Bestreben der Herstellung von nationalen Einheiten, die der Identifikation mit der eigenen Gruppe oder Nation dienen und Differenzen und damit verbundenes Konfliktpotential auf die Peripherie verlagern. Die stetig wachsende Bevölkerung in der Neuzeit verbunden mit einer wachsenden Mobilität vervielfältigt die Interaktionspunkte mit anderen Kulturen, Sprachen, Gesellschaften und Religionen – kurz: dem „Anderen“, dem gegenüber ein abgegrenztes „Eigenes“ konstituiert und verteidigt wird.

Legitimität bezieht sich auf die Autorisierung der Staatsführung, sowohl das Innere betreffende Entscheidungen zu fällen als auch die Repräsentation der Nation nach außen und Aufgaben wie internationale Beziehungen, Verteidigung und Handel zu übernehmen. Die Legitimität leitet sich im Gegensatz zum Mittelalter nicht von göttli-cher Bestimmung ab, sondern bezieht sich in der Regel auf die Nation, ohne zwingend durch demokratische Prozesse erfolgen zu müssen.

Sobald die Idee des auf Territorialität und Nation begründeten Staates sich nicht zuletzt auch durch den europäischen Imperialismus als mehr oder weniger alternativlo-ses Konzept in der Welt durchgesetzt hatte, (vgl. Opello 2994: 191) wurde er der leitende Akteur der internationalen Politik. Inzwischen und entgegen ihrem Ursprung lassen sich die beiden Begriffe Nation und Staat austauschbar verwenden (vgl. Opello 2004: 2­3) und bezeichnen ein Funktionsgebilde, das vor allem die Aufgabe von Konfliktumver-teilung entlang von durch Nationen konstruierten Identitätsgrenzen übernimmt.

Bereits die ausklingende Moderne sah sich vor eine Herausforderung gestellt, die sie zwar einerseits als solche erkannte, andererseits jedoch als in nicht mehr ihren Zuständigkeitsbereich gehörig deklarierte und die Verantwortung, damit angemessen umzugehen, auf die nachfolgende Generation übertrug: Komplexität.

Komplexität ist das grundlegende Strukturprinzip, das sich gegenseitig in einer Vielzahl von Entwicklungen in den verschiedensten Lebensbereichen der Menschen widerspiegelt: Menschen informieren sich über Ereignisse aus dem entferntesten Win­kel der Welt, studieren im Ausland, kaufen Produkte aus Fernost, stellen Arbeiter aus Süd- und Osteuropa ein, haben Angst vor illegaler Immigration aus Afrika, telefonieren über Internet mit Freunden und Verwandten in aller Welt, fliegen zum Einkaufen nach London und zum Baden nach Spanien, radikalisieren zu Terroristen, haben Patenkinder in Afrika, protestieren gegen in der arabischen Welt gegen dänische Karikaturen, bezahlen wegen amerikanischer Militäreinsätze mehr für Öl, versuchen sich gegen Textilien aus China zu schützen, erklären sich solidarisch mit Opfern von Terroranschlägen in fremden Ländern, arbeiten und zahlen Steuern im Ausland, wählen europäische Partei-en, spenden für Hilfsorganisationen, sehen die globale Dimension von Klimawandel und Umweltverschmutzung, geraten über ihre Religion in bittere Konflikte und können sich in einer Handvoll verschiedener Sprachen unterhalten.

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Details

Titel
Der Europäische Traum im Zeitalter der Globalisierung
Hochschule
Georgetown University  (German Department)
Veranstaltung
Europa und Amerika
Note
A
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V127391
ISBN (eBook)
9783640347605
ISBN (Buch)
9783640347896
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische, Traum, Zeitalter, Globalisierung
Arbeit zitieren
Anna Milena Jurca (Autor:in), 2006, Der Europäische Traum im Zeitalter der Globalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127391

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