Deutsche Monokultur

Die Vorstellung von sprachlicher Einheit im soziokulturellen, politischen und historischen Kontext


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: A


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Kleine Geschichte der Standardisierung des Deutschen

III. Vorstellungen von Einheit in Sprache, Kultur und Nation

IV. Normverstöße und ihre Sanktionen

V. Deutsch als plurizentrische Sprache und die Globalisierung

VI. Literaturangaben

I. Einleitung

Die deutsche Kulturpflanze wird seit mehreren Jahrhunderten unter dem Stern ihrer Sprache sorgsamer Pflege unterzogen, wobei ihre „Auswüchse“ zielstrebig klein- und breit-getreten werden, um dem Ganzen ein gesundes Wachsen und Gedeihen zu ermöglichen. Jahr für Jahr wird nach gleichem Anbauschema gepflanzt und geerntet, und es liegen die Anfänge der Kultivierung der deutschen Sprache in beinahe grauer Vorzeit, als weder Duden die rech-te Schreibweise noch Luther den rechten Glauben in der Volkssprache predigten. Auf der Suche nach den Voraussetzungen für die entstehende Nachfrage nach bestimmten sprachli-chen Normen stellt diese Arbeit dar und analysiert, welche Bedingungen zur Etablierung von Standards beigetragen haben. Die These lautet, dass Sprache eines der Felder ist, auf dem kulturelle Konflikten ausgetragen werden und dass sprachliches Handeln bestimmte Interes-senverhältnisse widerspiegelt. Eine der Hauptstrategien hierbei ist die Konstruktion idealer-weise organisierter, geschlossener und homogener Einheiten, deren Einfluss nach außen (soft power) besonders auf unorganisierte Strukturen wirkt und nach innen Identifikationsmög-lichkeiten anbietet.

Kapitel 1 zeichnet die Schritte in der Entwicklung eines „Standarddeutsch“ nach, die von unterschiedlichen Bevölkerungsteilen zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher und soziokultureller Absichten vorangetrieben wurde. In einem historischen Überblick über die wesentlichen Stufen der Standardisierung der deutschen Sprache wird der Schwerpunkt auf die Mittel der Standardisierungsbemühungen, die sprach-kulturellen Auswirkungen und die dahinterstehenden politischen und ökonomischen Mächte gelegt.

In Kapitel 2 wird in die Vorstellung von sprachlicher Einheit der Kontext der Nati-onswerdung Deutschland und das Bild einer „Kulturnation“ miteinbezogen, in denen jeweils mit ähnlichen Strategien kultureller Hegemonie und Bildung von Einheiten Macht zu fokus-sieren und Legitimation zu begründen versucht wurde. Die Vorstellung einer politischen Gemeinschaft wird im Falle Deutschlands besonders über eine imaginierte Leser- und Sprachgemeinschaft transportiert.

Die Konstruktion eines kulturellen Standards verläuft prinzipiell kaum ohne Gegen-bewegungen oppositioneller Interessen, Ablehnung von Standards und unbewusste oder schlicht unintendierte Verstöße gegen die geschaffene Norm, weswegen in Kapitel 3 auf die „Normvergehen“ und Verstöße gegen den Standard eingegangen wird, besonders unter Hin-blick auf die Sanktionsmechanismen und Kritik an dem „schlechten“ Sprachgebrauch (Sprachverfallsthese).

Im letzten Kapitel wird ein Über- und Ausblick auf alternative Vorschläge und Kon-zepte gegeben, die die versimplifizierenden Idee von „Standarddeutsch“ sowohl unter geo-graphischen, politischen, historischen und linguistischen Gesichtspunkten einer kritischen Prüfung unterziehen. Die von Humboldt formulierte Kongruenz einer Nation und einer Sprache mit der daraus folgenden Annahme von Sprachkritik als direkter Ausdruck von Kul-turkritik wird dabei auf ihrer Brauchbarkeit im Zeitalter der Globalisierung untersucht.

II. Kleine Geschichte der Standardisierung des Deutschen

Der Bedarf eines sprachlichen Mindeststandards offenbarte sich erstmals, als Han-delskaufleute der Hanse ab dem 14. Jahrhundert auf die Versorgung mit verlässlichen Nach-richten über Handelsangelegenheiten angewiesen waren, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Frühneuniederdeutsch, die erste Standardversion deutsche Sprache im norddeutschen Raum, war daher entschieden von dem Sprachgebrauch der ungefähr 70 bis 80 Hansestädte geprägt und schlug sich beispielsweise in Handelsdokumenten, Kanzleibriefen und Gesetzes-texten nieder (Young/Gloning, 2004, S. 175-176). Die Verständlichkeit von Kaufmannsbrie-fen und Handelsnachrichten über die Region ihres Ursprung hinaus wurde durch die Über-einkunft über die Grundlagen des Kommunikationswerkzeuges gewährleichstet – eine zu-nehmend standardisierte Ausdrucksform wurde notwendig, und zwar sowohl was Sprache als auch die Genre betreffend, in denen sie sich artikulierte. Eines dieser Genres, die aus den zunehmend regelmäßigen Handelskorrespondenzen der Hanse entstanden, war die Zeitung, die ab 1609 mit zunächst wöchentlicher Regelmäßigkeit in Erscheinung trat. Mit dem Nie-dergang des wirtschaftlichen Einflusses der Hanse wurde auch das von ihr gebrauchte Nie-derdeutsche zur Dialektform zurückgedrängt.

Von einer ganz anderen Seite erfuhr die deutsche Sprache ab dem Jahre 1522 eine deutliche Aufwertung gegenüber dem Lateinischen, das seit fast anderthalb Jahrtausenden mit der katholischen Kirche verbunden war: Luthers Bibelübersetzung in die „Volkssprache“ und die Positionierung und Abgrenzung des protestantischen Glaubens gegenüber dem Ka-tholizismus. Dies hatte eine religionspolitisch motivierte Aufwertung der deutschen Sprache und eine sich in den darauf folgenden Jahrhunderten verstärkenden Ablehnung von lateini-schem Einfluss zur Konsequenz. Stilistisch und lexikalisch zielte Luther mit seiner Überset-zung auf sowohl das Ziel breiter Verständlichkeit als auch feierlicher Kanzelrhetorik ab (Stolt, 1983, S. 13-16) – ein intellektuelles Unterfangen, das der deutschen Volkssprache den Zugang zum religiösen Diskurs eröffnete und damit ihre kulturelle Bedeutung verstärkte, während es dem Protestantismus zur Etablierung eines mächtigen Gegenpols zum Katholi-zismus verhalf.

Im gesellschaftlich-kulturellen Bereich zeichnete sich eine weitere Entwicklung ab, die die Tendenz zur Standardisierung der deutschen Sprache unterstützte: Schrittweise wur-de, zunächst in Norddeutschland unter Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1717 und schließlich 1763 für Preußen durch Friedrich den Großen bestätigt, eine allgemeine Schulpflicht einge-führt. Obwohl diese sich in Sachsen erst 1835 durchsetzen konnte – wohlgemerkt zum Trotz der lauten Forderung der Aufklärung nach genereller Schulpflicht – erforderte die Alphabeti-sierung der Bevölkerung eine Vereinheitlichung der Bildungsgrundlage Sprache und unter- stützte gleichzeitig durch eine breitere Lesefähigkeit die Produktion von Texten in Zeitun-gen, Zeitschriften und Büchern. Schulbildung für breitere Schichten und eine zunehmende Lesefähigkeit in der Gesellschaft vergrößerten die Nachfrage an Zeitungen, was das Entste-hen einer Massenpresse in der Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beförderte (Nail, 1995, S. 1663-1664).

Besonders das Bildungsbürgertum nutzte Ausdrucksformen wie das Genre des Brie-fes und eine eigene Vorstellung von Sprachverwendung als Mittel, sich im kulturellen und gesellschaftlichen Kosmos zu positionieren und zu etablieren. Dazu gehörten auch Gesell-schaften zur Sprachpflege, die größtenteils vom Bildungsbürgertum getragen wurden (Gardt, 1985, S. 336-337). Im Repertoire ihrer Ideen waren die Grundannahme von Sprache als Trä-ger von Kultur inklusive moralischer und politischer Überzeugungen und die Idee der Eig-nung von Sprache zur Erziehung und Bildung dominant. Die Selbstidentifikation dieser Be-völkerungsschicht über das kulturelle Gut Bildung, auch in Abgrenzung zum Adel, aber vor allem zu unteren Klassen, spielt teilweise bis heute in der oberen Mittelschicht eine Rolle.

Ein weiterer Faktor war die Bemühung um das formal „richtige Deutsch“, sichtlich unter anderem an dem Bestreben der Vereinheitlichung der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum. Zunächst an einzelne „Sprachautoritäten“ wie Adelung geknüpft, der mit sei-nem Grammatisch-Kritischen Wörterbuch einen ersten Wegweiser schuf, war die erste Richtlinie dieser Art die von Duden, die 1901 durch die staatliche Rechtschreibkonferenz in Berlin für verbindlich erklärt wurde und seitdem, zumindest bis zum Jahr 1996, als die He-gemonie des Duden über die korrekte Orthographie mit der staatlichen Rechtschreibreform offiziell ein Ende nahm, über das „Recht und Unrecht“ inder deutschen Sprache bestimmte.

Während Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts die deutsche Sprache auf der internationalen Bühne der Naturwissenschaften als Lingua Franca mit allen für Verständi-gung notwendigen Standards gepflegt wurde, ist sie in dieser Funktion in den letzten 60 Jahren vom Einfluss des Englischen abgelöst worden, was manchen Forschern „reichlich Anlass zur Nostalgie“ (Ammon, 1991, S. 22) bietet. Obwohl noch immer für ihre internationale Be-deutung unter Berufung auf ihre Sprecherzahl normativ argumentiert wird, insbesondere für ihre Stellung im europäischen Rahmen (Ammon, 2002, S. 19), ist die Debatte über ein „Standarddeutsch“ längst im 21. Jahrhundert angekommen.

Es lässt sich im Kontext der Globalisierung argumentieren, dass mittlerweile eine neue Stufe von Standardisierung erreicht wurde, die erstens mit dem Deutschgebrauch von Nichtmuttersprachlern wie beispielsweise Immigranten, zweitens dem Erlernen von Deutsch als Fremdsprache im Rahmen der europäischen Sprachpolitik und drittens der „Wettbe-werbsfähigkeit“ einer Sprache begründet werden kann. Für letzteres sei verwiesen auf die Normierungsbemühungen im Rahmen der Rechtschreibreform unter anderem mit der Be-gründung der leichteren Erlernbarkeit, die durch größere Regelmäßigkeit und Korrektheit erzeugt werden solle.

Das hinter diesen Argumenten stehende Interesse ist auf das Erreichen ganz ähnlicher Ziele wie die vorhergehenden Stufen von Standardisierung ausgerichtet: Die Tendenz der Sprachautoritäten ist strukturell, d.h. ungeachtet dessen, ob es sich um wirtschaftliche, machtpolitische, kulturelle oder identifikationspolitische Interessen handelt, darum bemüht, Organisierbarkeit, Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit von Sprachgebrauch und Kommu-nikation herzustellen. Dazu gehören nicht nur formale Rahmengebungen wie staatliche Rechtschreibreform, Duden-Rechtschreibregeln, Adelung’s Grammatisch-Kritisches Wör-terbuch und Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey, sondern auch die Herausbildung jour-nalistischer Stile, Lehrbücher für Deutsch, staatliche Bildungspolitik (die einheitlich gestaltet wird, um messbar zu sein) und die Dominanz bestimmter Genre in bestimmten gesellschaft-lichen Kontexten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Deutsche Monokultur
Untertitel
Die Vorstellung von sprachlicher Einheit im soziokulturellen, politischen und historischen Kontext
Hochschule
Georgetown University  (German Department)
Veranstaltung
From Monastery to Chatroom
Note
A
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V127390
ISBN (eBook)
9783640347599
ISBN (Buch)
9783640347889
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche, Monokultur, Vorstellung, Einheit, Kontext
Arbeit zitieren
Anna Milena Jurca (Autor:in), 2007, Deutsche Monokultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127390

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