Kinderarmut in Schweden und Deutschland. Ein Vergleich


Hausarbeit, 2008

68 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Hintergrund
1.2 Zielsetzung

2 Begriffliche Grundlagen
2.1 Der Begriff Armut
2.2 Armutskonzepte
2.2.1 Absolute vs. relative Armut
2.2.2 Transitorische vs. strukturelle Armut

3 Ursachen für Armut
3.1 Allgemeine Ursachen für Armut
3.2 Personengruppenbezogen Armutsgründe
3.3 Ursachen der Kinderarmut

4 Konsequenzen von Armut

5 Kinderarmut in Europa
5.1 Relevante Daten
5.2 Sozialpolitische Rahmenbedingungen
5.3 Die Offene Methode der Koordinierung – ein geeignetes Instrument zur europaweiten Bekämpfung von Kinderarmut?

6 Deutschland
6.1 Relevante Daten
6.2 Sozialpolitische Rahmenbedingungen
6.3 Instrumente der Familienpolitik
6.3.1 Unterstützung durch Geldleistungen
6.3.2 Unterstützung durch Sachleistungen
6.4 Konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut: Der Nationale Aktionsplan
6.5 Mögliche Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut

7 Schweden
7.1 Relevante Daten
7.2 Sozialpolitische Rahmenbedingungen
7.3 Instrumente der Familienpolitik
7.3.1 Unterstützung durch Geldleistungen
7.3.2 Unterstützung durch Sachleistungen
7.4 Konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut: Der Nationale
Aktionsplan

8 Schlussfolgerungen

9 Fazit/ Ausblick

Literaturverzeichnis

Monographien

Aufsätze

Internetquellen

Abbildungen

Tabellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kinderarmut in Industrieländern

Abbildung 2: Veränderung der Kinderarmut 1995-2005

Abbildung 3: Sozialschutzausgaben in Prozent des BIP, 2000 und 1990

Abbildung 4: Sozialschutzausgaben in Prozent des BIP, 2001

Abbildung 5: Ist Armut ein geerbter oder erworbener Zustand? Nach Altersgruppen

(EU27)

Abbildung 6: Top 5 Gründe warum Menschen arm sind oder aus der Gesellschaft ausgegrenzt (subjektive Armut)

Abbildung 7: Geburtenziffern im europäischen Vergleich, 1980 und 2005

Abbildung 8: Kinderarmutsquoten im Vergleich mit den Gesamtarmutsquoten in der

EU-15 (%), 2003

Abbildung 9: Prozentsatz der Bevölkerung, die von Armut bedroht sind, nach Sozialtransfers, und Prozentsatz der Bevölkerung, die von dauerhafter Armut bedroht sind, 2001 (Erhebungsjahr)

Abbildung 10: Sach- und Barleistungen für Familien 2000, in % des BIP

Abbildung 11: Anteil der Barleistungen für Familien (in % an den gesamten

Sozialleistungen)

Abbildung 12: Kinderarmut in der EU-15 vor und nach kinderbezogenen Einkünften, Sozialleistungen sowie Sozialleistungen und Steuervergünstigungen

Abbildung 13: Der Einfluss von Steuern und Transferleistungen auf die Kinderarmutsquote

Abbildung 14: Kinder- und Altersarmut im Vergleich, 2001

Abbildung 15: Sozialleistungen nach Funktionsgruppen in Prozent der

Gesamtleistungen, 2001

Abbildung 16: Gewünschte und ausgeübte Erwerbsmuster von Paarhaushalten mit

Kindern unter 6 Jahren, 1998

Abbildung 17: Kinderarmutsquoten in Deutschland, 1991 bis 2001 (60%-Median)

Tabellenverzeichnis

Abbildung 18: Armutsquoten nach Altersgruppen (Westdeutschland), 1973-1998; Armutsschwelle: 60% vom Median des Nettoäquivalenzeinkommens; neue OECD-

Skala

Abbildung 19: Armutsquoten nach Altersgruppen, 1997-2004; in % der Bevölkerung; Armutsschwelle: 60% vom Median des Nettoäquivalenzeinkommens (Datenbasis: SOEP)

Abbildung 20: Gruppenspezifische Armutsquoten nach Haushaltstypen (Westdeutschland), 1973-1998; Armutsschwelle 60% vom Median des Nettoäquivalenzeinkommens; neue OECD-Skala

Abbildung 21: Öffentliche Ausgaben für Familen in % des BIP, 1998

Abbildung 22: Verteilung von Steuern und Transfers unter Altersgruppen, Deutschland (Gesamtbevölkerung)

Abbildung 23: Verteilung von Steuern und Transfers unter Altersgruppen, Deutschland (Bevölkerung mit einem Einkommen von 50% Median-Einkommen)

Abbildung 24: Anteil der schwedischen Kinder, die bedarfsgerechte Unterstützung erhalten und/oder in Haushalten mit niedrigem Einkommen leben

Abbildung 25: Anteil der in Armut lebenden Kinder nach familiärem Hintergrund

Abbildung 26: Verteilung von Steuern und Transfers unter Altersgruppen, Schweden (Gesamtbevölkerung)

Abbildung 27: Verteilung von Steuern und Transfers unter Altersgruppen, Schweden (Bevölkerung mit einem Einkommen von 50% Median-Einkommen)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Das Wohlergehen von Kindern im europäischen Vergleich

Tabelle 2: Indikatoren zur Familienpolitik in Europa

Tabelle 3: Instrumente der Familienpolitik Deutschland/Schweden

Tabelle 4: Kinderbetreuungsangebot in Deutschland, 2002

Tabelle 5: Kinderbetreuungsangebot in Schweden, 2004

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Hypothese, dass die Instrumente der schwedischen Sozialpolitik besser geeignet sind, zur Bekämpfung von Kinderarmut beizutragen, als es die Maßnahmen der deutschen Sozialpolitik vermögen.

Kinderarmut charakterisiert die Armut von Personen eines bestimmten Altersrahmens1 und ist längst kein Phänomen der Entwicklungsländer mehr, sondern auch in Industrieländern zu einem ernst zu nehmenden Problem geworden (vgl. Abb. 1). So ist sie inzwischen auch auf internationaler Ebene ein beständig diskutiertes Thema, und ihre Bekämpfung zu einer der zentralen Aufgabenstellungen der Sozialpolitik geworden (Strengmann-Kuhn 2006: 439). Gemäß einer regelmäßig für die OECD-Länder durchgeführten Studie der UNICEF ist die Zahl der in von Armut betroffenen Lebensverhältnissen lebenden Kinder von 1995 bis 2005 in 17 der untersuchten Staaten angestiegen, während nur in sieben der OECD-Länder ein Absinken zu verzeichnen ist (vgl. Abb. 2) (UNICEF 2005: 5).2 Auch auf EU-Ebene wird „die Erhebung der Beseitigung von Kinderarmut und der sozialen Ausgrenzung von Kindern in den Rang einer Schwerpunktaufgabe“ verstärkt (Rat der EU 2005: 6-7). Die Zahl der in den vergangenen Jahren erfolgten Veröffentlichungen zeigt auch für Deutschland die zunehmende Brisanz der Thematik.3 Vor allem die Veränderung der Armutsstruktur in den vergangenen Jahrzehnten, zu Gunsten der Älteren und zugleich zu Lasten von Familien und Kindern ist als ursächlich für diese Entwicklung anzusehen. Aber auch die Priorisierung der Bekämpfung von Kinderarmut auf EU-Ebene, basierend auf der Tatsache, dass Kinder sich nicht selbst aus einer solchen Notlage befreien können, haben diese Entwicklung begünstigt. Besondere Dringlichkeit kommt der Bekämpfung von Kinderarmut darüber hinaus aufgrund einer Zahl von gesellschaftlichen Folge- und vor allem Langzeitwirkungen zu, da die weitere Entwicklung und mögliche Chancen sich aus der Lebenslage in der Kindheit ergeben. Letztlich sind auch die Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit von Kindern ein weiterer Grund, die Bekämpfung voranzutreiben.

1.1 Problemstellung und Hintergrund

Nachdem zunehmend auch Industrieländer von hoher Kinderarmut betroffen sind, ist die eine neue Dringlichkeit in der Bekämpfung respektive Beseitigung derselben zutage getreten.

Besonders beunruhigend ist dabei zudem die Tatsache, dass die durchschnittliche Armutsrate der Bevölkerung vergleichsweise weniger stark und schnell ansteigt als die der Kinder. Aber auch die Tatsache, dass besonders Kinder, die bei Alleinerziehenden oder in Großfamilien leben, von Armut betroffen sind und dies in der Regel auch länger bleiben, bedarf besonderer Beachtung. So sind auf EU-Ebene lediglich in Schweden und Deutschland Kinder, die in Großfamilien leben, nicht stärker von einem Armutsrisiko betroffen als in anderen Familienformen (vgl. EC 2008: 20). Doch auch Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind besonders stark und zunehmend von Armut betroffen (vgl. UNICEF 2005: 5 und Butterwegge 2000: 150 ff.). So erreichte der Anteil der von Armut gefährdeten Kinder, die in Migrationsfamilien und in erwerbslosen Haushalten leben in Deutschland rd. 55-60%, in Schweden 45-50% (EC 2008: 65).

Auch auf EU-Ebene ist die „Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung“ – auch und vor allem mit Bezug auf Kinder – durch Art. 118 Abs. 2 des Amsterdamer Vertrages seit 1999 als wichtige Zielsetzung der Sozialpolitik definiert (vgl. EG 1997). Um den Zielsetzungen dieser politischen Agenda im Sinne einer Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Armut gerecht zu werden, wurden seitens der EU-Mitgliedsländer sog. ‚Nationale Aktionspläne’ entwickelt. Diese bilden zugleich die Grundlage des ‚Aktionsprogramms der Gemeinschaft zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung 2002-2006’, das dem Ziel folgt, „die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen bis 2010 erheblich zu senken“4.

Insbesondere die Befürchtungen möglicher langfristiger Wirkungen, aber auch ein Gefühl der Betroffenheit und des Mitgefühls, kennzeichnen den Umgang mit Kinderarmut in der Gesellschaft.5

Ergänzend zu den unterschiedlichen Problemlagen oder aber auch teilweise ursächlich dafür, sind unter anderem die verschiedenen Vorstellungen darüber, wie und in welchem Umfang Kinder betreut werden sollten. Diese wiederum sind eng verknüpft mit der jeweiligen Kultur und dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft (Veil 2003: 12). 1.2 Zielsetzung

Ziel dieser Arbeit ist es, die Wirkungen der sozialpolitischen Maßnahmen von zwei europäischen Ländern zu untersuchen, mit denen versucht wird, Kinderarmut einzudämmen bzw. zu vermeiden. Verglichen werden Deutschland, bevölkerungsstärkstes Land der EU-25 und Schweden, das flächenmäßig knapp ein Drittel vor Deutschland liegt (BMAS 2007: 4). Als weiterer Auswahlfaktor wurde das Wohlergehen herangezogen, das in Deutschland als konservativ geprägtem Wohlfahrtsstaat im Vergleich zu Schweden als sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat deutlich geringer ausfällt (vgl. Tab. 1). Doch auch die Indikatoren der Familienpolitik bilden einen Anhaltspunkt zum Vergleich beider Länder, so ist bspw. die Geburtenrate in Deutschland im Vergleich deutlich geringer als in Schweden, die Sozialausgaben beider Länder sind jedoch vergleichbar (vgl. Tab. 2). Als weiterer Indikator für die Auswahl dieser Länder wurde die vergleichbare Kaufkraft je Einwohner beider Länder herangezogen.6

2 Begriffliche Grundlagen

2.1 Der Begriff Armut

Armut als solche existiert nicht als einheitliche wissenschaftliche Kategorie, es gibt vielmehr historische, aber auch empirische Orientierungen, die jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen (vgl. Dietz 1997: 16 f.).

Aus ökonomischer Sicht bezeichnet Armut grundsätzlich einen Mangel, insbesondere an grundlegenden Gütern des täglichen Lebens, wie bspw. Lebensmittel, Unterkunft, Bekleidung oder soziale Absicherung (vgl. Brodbeck 2005: 59).

In der sozialökonomische Betrachtungsweise wird Armut als Zustand schwer wiegender sozialer Benachteiligung definiert (vgl. Reinhold 2000: 32 ff.). Während ökonomische Konzepte ausschließlich eine mangelnde Versorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen als Indikator für Armut heranziehen, thematisiert die soziokulturell ausgerichtete Sicht ebenso nicht-materielle Bedürfnisse und deren Befriedigung.7 Kinderarmut bezeichnet die ökonomische Armut von Kindern. Als Kinder werden in diesem Zusammenhang von der Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres angesehen.

Vom Begriff der Armut zu unterscheiden ist das Armutsrisiko, welches die Gefahr, in Armut zu geraten, ausdrückt.

2.2 Armutskonzepte

Armut als solche ist nach Meinung einiger Autoren weniger als Ursache, sondern vielmehr als Ergebnis sozialstaatlicher Entwicklungen anzusehen. Sie definiert sich demnach über die von sozialstaatlicher Seite gewährten Unterstützungen (Dietz 1997: 16). Die auf EU-Ebene am häufigsten herangezogenen Indikatoren zur Messung von Armut und sozialer Ausgrenzung stützen sich zumeist auf einen monetären Ansatz. In einer erweiterten Herangehensweise schlägt Eurostat ein Konzept vor, bei dem die in den Indikatoren subsumierten Informationen abgerundet werden durch die Betrachtung „absoluterer“ Messgrößen, basierend auf verschiedenen Dimensionen („ökonomische Anspannung“, „unfreiwilliger Mangel an Gebrauchsgütern“ und „Wohnen“) (vgl. dazu ausführlich Eurostat 2005).

2.2.1 Absolute vs. relative Armut

Versteht man Armut als Lebenslage, deren Folgeerscheinung soziale Ausgrenzung sein kann, bedarf es, um diese zu begreifen, auch ihrer Bestimmung. Es existieren verschiedene Ansätze zur Messung von Armut. Als wichtigstes Abgrenzungsmerkmal dienen dabei die Begriffe der absoluten und relativen Armut. Geht man davon aus, dass Armut eine absolute Größe ist, bedarf es entsprechender Maßstäbe. Geht es eher darum, die relative Position armer Menschen zu verbessern, spricht man von relativer Armut (vgl. Lachmann 1994, Bd. 1: 36).

Absolute Armut bezeichnet ein „Leben am äußersten Rand der Existenz“, von dem Menschen betroffen sind, die „in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen“ (Singer 1994: 279). Die sog. ‚absolute Armutsgrenze’ ist eng an den Begriff absoluter Armut angelehnt; sie ist definiert als Einkommens- oder Ausgabenniveau, welches den betroffenen Menschen eine erforderliche Ernährung und den Erwerb lebensnotwendiger Bedarfsartikel des täglichen Lebens nicht mehr ermöglicht (vgl. Huster 1996: 22 und Gabriel/Holtmann 2005: 80). Als absolut arm gelten nach der Definition der Weltbank Menschen, die über weniger als 1 USD (Kaufkraft) pro Tag verfügen können.8 Von absoluter Armut sind nach aktuellen Schätzungen rd. 2 Milliarden Menschen betroffen, was ca. 23% der gesamten Weltbevölkerung entspricht (Worldbank: 9).

Während absolute Armut eher in sog. ‚Entwicklungsländern’ vorzufinden ist, wird die in industrialisierten Gesellschaften auftretende Armut im Allgemeinen als relative Armut bezeichnet. Das Konzept der relativen Armut stellt nicht auf allein auf die physische Existenz ab, sondern vielmehr auf soziale Ungleichheit und bezieht über Aspekte des materiellen Wohlstands hinaus auch soziale und kulturelle Faktoren ein (vgl. Benz 2004: 98). Definiert ist sie jedoch als Einkommensarmut und bemisst sich am Durchschnittseinkommen der Gesellschaft. Während auf internationaler Ebene eine Armutsgrenze von 50% des jährlichen Netto-Äquivalenzeinkommens zugrunde gelegt wird (vgl. etwa alte OECD-Skala), gilt auf Ebene der EU als arm bzw. von Armut bedroht, wer über weniger als 60% des Durchschnittseinkommens verfügt (Destatis 2006: 5).

Kinderarmut bezeichnet demnach die relative Einkommensarmut von Personen unter 18 Jahren.

2.2.2 Transitorische vs. strukturelle Armut

Es gibt nicht nur hinsichtlich der Intensität, sondern auch bezüglich der Dauerhaftigkeit verschiedene Erscheinungsformen von Armut. Dabei unterscheidet man zwischen vorübergehender (transitorischer) und andauernder (struktureller) Armut. Bei transitorischer Armut wird davon ausgegangen, dass sich diese im Zeitablauf wieder ausgleicht, indem sich Zeiten, zu denen die Grundbedürfnisse befriedigt werden können und solche, zu denen dies nicht der Fall ist, einander abwechseln. Als Indikator wird hier vor allem die Dauer des Sozialhilfebezugs zu Grunde gelegt (Huster 1996: 25 f.). Wie Abb. 5 verdeutlicht, wird auf EU-Ebene nach subjektiver Betrachtung deutlich eher eine (vorübergehend) erworbene Armut angenommen.

Gehört eine Person jedoch zu einer gesellschaftlichen Randgruppe, deren Mitglieder insgesamt von Armut betroffen sind, ist von einer strukturellen Armut auszugehen. Dieser sog. ‚Teufelskreis der Armut’, der besonders häufig in Elendsvierteln vorzufinden ist, setzt Ursachen für Armut 6 sich in der Regel auch in nachkommenden Generationen fort (vgl. Butterwegge et al. 2003: 223). Aber auch der familiäre Hintergrund spielt im Zusammenhang mit sog. ‚verfestigter Armut’ eine besondere Rolle (vgl. dazu ausführlich Groh-Samberg 2007: 177).

Insgesamt bedarf es aber bei der Armutsbekämpfung aber auch der Berücksichtigung der sog. ‚verdeckten’ Armut, die sich auf Personen bezieht, die zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung hätten, dieser aber aus unterschiedlichen Gründen nicht geltend machen. Man spricht daher auch von der ‚Dunkelziffer der Armut’ (vgl. Butterwegge 2000: 227).

3 Ursachen für Armut

3.1 Allgemeine Ursachen für Armut

Wenngleich eine Vielzahl verschiedener Theorien existiert, die sich mit den möglichen Ursachen von Armut beschäftigt, kann man doch grundsätzlich zwischen soziologisch orientierten Ansätzen, die vor allem auf die Ursachenforschung abzielen, und der reinen Armutsforschung, deren Ziel die Unterstützung der Betroffenen ist, unterscheiden.

Es kann ferner unterschieden werden zwischen länderbezogenen und personengruppen-bezogenen Ansätzen. Da diese Arbeit auf die Untersuchung einer bestimmten Personengruppe abstellt und sich ferner die untersuchten Länder nicht elementar in ihren geographischen und demographischen Bedingungen unterscheiden, soll an dieser Stelle nur auf mögliche Ursachen der Armut einzelner (Personen)gruppen einer Gesellschaft eingegangen werden.9

3.2 Personengruppenbezogen Armutsgründe

Die personengruppenbezogene Herangehensweise ist vor allem durch strukturelle Theorien geprägt, die gesellschaftliche Strukturen als Begründung für Armut begreifen. Demnach wären gesellschaftliche Veränderungen ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Armut.

Die strukturellen Theorien wiederum untergliedern sich in eine Vielzahl unterschied-licher Herangehensweisen.

So stellt bspw. Lewis als Vertreter der sog. ‚ Kultur der Armut ’ darauf ab, dass angeeignete Lebensweisen von Denk- und Handlungsmustern geprägt sind, die generationenübergreifend weitergegeben werden. Ferner zeichnet sich diese Kultur der Armen dadurch aus, dass eine umgehende Bedürfnisbefriedigung angestrebt wird, was zugleich impliziert, dass Bedürfnisse nicht zurück gestellt werden, von denen zu einem späteren Zeitpunkt profitiert werden könnte. In die eigene Bildung und Ausbildung und auch in die der Kinder wird demnach kaum oder gar nicht investiert. Folglich ist auch die nachfolgende Generation mit den gleichen geringen Mitteln und Fähigkeiten ausgestattet und lebt damit in Armut. Einzig ein Eingriff von außen scheint hier ein geeignetes Mittel, um Armut entgegenzuwirken (Palentien 2004: 36). Dieses von Lewis entwickelte Konzept wurde später auf die USA und andere westliche Industrieländer übertragen, dem Ansatz folgend, dass eine höhere Wertschätzung der Gegenwart gegenüber der Zukunft einen Verfall der Familie zur Folge haben wird, was wiederum eine ungünstige Sozialisation der Kinder armer Personen mit sich bringt (Vgl. dazu ausführlich Moynihan 1965).

Des Weiteren wird Diskriminierung als eine mögliche Ursache für die Armut bestimmter Personengruppen angesehen. Diese kann direkter Natur sein, wenn bspw. aufgrund ethnischer Herkunft oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht der Zugang zu monetären Mitteln beschränkt ist. Weit häufiger findet sich heutzutage jedoch die indirekte Diskriminierung, die sich bspw. auf einem bestimmten Habitus begründet. Diese Definition mittelbarer Diskriminierung findet sich auch auf EU-Ebene wieder, wonach der bloße Anschein für eine Annahme von Benachteiligung herangezogen wird (vgl. EU 2000: Art. 2 Abs. 2).

Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut können aber auch durch Verschiebungen in der wirtschaftlichen Struktur hervorgerufen werden. Diesem Ansatz folgt die ‚ Theorie des wirtschaftlichen Strukturwandels ’. Sie besagt, dass der Wandel hin zu einer Informationsgesellschaft zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen gering Qualifizierter in das Ausland führt (Lemke/Hermeier 2006: 18). Gleichzeitig wird festgestellt, dass das Bildungsniveau der Bevölkerung keine entsprechende Steigerung hin zu mehr Qualifikation erfährt (vgl. NZZ Online 2006). Die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Geringqualifizierten im Vergleich zur Quote bei den Akademikern im Zeitablauf stützt diese These einmal mehr (vgl. IAB 2007: 18).10 Daraus abgeleitet führt geringere Qualifikation zu höherer Arbeitslosigkeit und in der Folge zu einer steigenden Armutsquote (vgl. Butterwegge/Klundt 2002: 330).11 Aus Abb. 6 wird deutlich, das auch als subjektiv empfundene Ursache für Armut Langzeitarbeitslosigkeit über alle Bevölkerungsgruppen hinweg als stärkster Einflussfaktor gesehen wird.

Eine weitere Sicht auf Armut wagt der Sozialdarwinismus , der auf die Angepasstheit der in einer Gesellschaft lebenden Individuen abstellt. Während dabei gut angepassten Individuen attestiert wird, dass sie es einmal ‚weit bringen’, wird den Armen unterstellt, sich aufgrund ihrer schlechten Angepasstheit in Armut zu befinden (Kessl et al. 2007: 111). Darüber hinaus stellt der Sozialdarwinismus auf Intelligenz als wichtigen Einflussfaktor auf Armut oder Reichtum einer Person ab. Diese These hat in weiteren Untersuchungen zu stark abweichenden und somit nicht eindeutig belegenden Ergebnissen geführt.12

Eine weitere Theorie konstatiert, dass Arme unter erlernter Hilflosigkeit leiden, was aufgrund ihrer Lebensumstände dazu führt, dass sie die Relevanz persönlicher Entscheidungen nicht hinreichend wahrnehmen. Insbesondere in unteren Schichten werden häufiger negative Erfahrungen gemacht, was zu Resignation führt, Handlungskompetenzen werden nicht wahrgenommen (Salentin 2002: 56).

3.3 Ursachen der Kinderarmut

Während Erwachsenen die Verantwortung für ihre Armut häufig selbst zugeschrieben wird, ist diese Argumentation für Kinder nicht haltbar. Als ursächlich für Kinderarmut werden vielmehr strukturelle Zusammenhänge sowie die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, angesehen. Aber auch bestimmte Ereignisse können als Auslöser für einen sozialen Abstieg sorgen oder diesen unterstützen. Insgesamt sind Kinder von den vorgenannten Ursachen wie bspw. dem wirtschaftlichen Strukturwandel (Globalisierung) und der zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft ebenso, aber viel stärker betroffen als ihre Eltern, da sie kaum bzw. keinen Einfluss auf ihre eigene Lebenslage haben.

Auf internationaler Ebene stellt die UNICEF-Studie aus dem Jahr 2005 eine wichtige Referenz hinsichtlich der Kinderarmut in Industrieländern dar. Sozialpolitik, soziale Trends und der Arbeitsmarkt werden dabei als Schlüsselbereiche für die Zahl der von Armut betroffenen Kinder herausgestellt (vgl. UNICEF 2005). Hinsichtlich der Sozialpolitik weist die Studie einen positiven Zusammenhang zwischen der Höhe der staatlichen Sozialleistungen und dem Anteil von Armut betroffener Kinder nach. So leben in Ländern, die weniger als 5% ihres BIP für Sozialleistungen aufwenden, mehr als 15% der Kinder in Armut, während Länder mit einer unter 10% liegenden Kinderarmutsquote 10% und mehr ihres BIP aufwenden (UNICEF 2005: 20 f.). Vgl. dazu auch die Abb. 3 und 4.

Des Weiteren ermittelt die Studie einen signifikant positiven Einfluss staatlicher Sozialleistungen auf das Niveau der Kinderarmut. So fiele der Anteil armer Kinder um rd. 40% niedriger aus, als in einer rein marktgesteuerten Situation der Familien. Das besonders hohe Maß staatlicher Unterstützung in Ländern mit besonders niedriger Kinderarmut spricht dabei für sich. In Deutschland konnte durch staatliche Interventionen ein Absinken der Kinderarmut um 44% erzielt werden, was aber nur einem mittleren Wert entspricht.

Als sozialer Trend ist die in den Industrienationen sinkende Kinderzahl zu verstehen, die verbunden mit einem höheren Durchschnittsalter von Eltern generell zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation führt. Mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen einhergehend nimmt aber auch die Zahl allein erziehender Elternteile zu, deren Kinder deutlich häufiger von Armut gekennzeichnet sind als solche, die mit beiden Elternteilen aufwachsen (UNICEF 2005: 18).

Einen weiteren Schlüsselbereich für Kinderarmut stellt der Arbeitsmarkt dar. Dabei steigt nicht nur der Anteil ausgebildeter Frauen, sondern deren Berufstätigkeit nimmt darüber hinaus stetig zu. Nichtsdestotrotz schlägt sich dies nicht zwingend im Einkommen der Familien nieder, da insbesondere der Verdienst gering qualifizierter Väter deutlich abgenommen hat. Davon besonders betroffen war auch Deutschland, wo die Einkommen von Vätern in den unteren 10% der Einkommensskala in den 1990er Jahren um rd. 22,7% gesunken sind. Eine sich zunehmend verschlechternde Arbeitsmarktlage kann daher als wichtiger Faktor im Zusammenhang mit Armut angesehen werden (vgl. Butterwegge 2005: 244 f.).

4 Konsequenzen von Armut

Ein höheres Krankheitsrisiko und deutlich geringere gesundheitliche Möglichkeiten sind nur die grundlegenden möglichen Folgen von Armut. Darüber hinaus kann die Qualität des Familienlebens durch in Armut mündende Arbeitslosigkeit beeinträchtigt werden, da bspw. Eltern aufgrund der eigenen Situation nicht mehr adäquat in der Lage sind, den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden (vgl. Nietfeld/Becker 1999: 373). Dabei ist davon auszugehen, dass ein höheres Bildungsniveau eine gebührende Auseinandersetzung mit der Situation fördert (vgl. vgl. Becker 1998: 5-28 und Nietfeld/Becker 1999: 382).

Häufigste Folge eines Lebens in Armut sind eine desolate Gesundheit sowie eine verlangsamte emotionale Entwicklung. Darüber hinaus sind die schulischen Leistungen armer Kinder häufig schlechter als die ihrer Altersgenossen, was letztlich auch in einem deutlich selteneren Besuch weiterführender Schulformen mündet (vgl. AWO/ISS 2005: 5 und Butterwegge/Klundt 2002: 160 f.). Daraus resultiert auch ein deutlich geringerer Anteil Hochschulabsolventen, was sich wiederum auf die beruflichen Chancen und die spätere Erwerbstätigkeit auswirkt.

Es ist jedoch davon abzusehen, hinsichtlich der elterlichen Verantwortung für die Armut der Kinder eine einseitige Perspektive einzunehmen, da es ihnen ebenso gelingen kann, die Kinder die Folgen der Armut nur abgemildert oder gar nicht spüren zu lassen (vgl. Nietfeld/Becker 1999: 373 und Butterwegge/Klundt 2002: 329). Auf weitere mögliche Auswirkungen der Armut auf Kinder, wie bspw. für den Charakter oder die kognitive Entwicklung, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da sie nicht Kernthema dieser Arbeit sind.

5 Kinderarmut in Europa

5.1 Relevante Daten

Die Geburtenrate in der EU-25 lag im Jahr 2005 bei 1,52 Kindern je Frau im gebärfähigen Alter (vgl. Abb. 7).

Die Kinderarmutsquote in der EU-15 lag im Jahr 2003 bei rd. 16,1%, während die Armutsquote der Gesamtbevölkerung mit 14,4% deutlich darunter lag (vgl. Abb. 8). Im Jahr 2004 lebten etwa 72 Mio. Menschen in der EU-25 unter Armutsbedingungen oder waren davon bedroht, dies entspricht einem Anteil von rd. 16% gesamten Bürger/innen (Eurostat 2004: 36). Um annähernd zuverlässige Aussagen über die Lebenssituation von europäischen Kindern und Jugendlichen treffen zu können, existiert seit Mitte der 1990er Jahre das European Community Householf Panel (ECHP).13

Basierend auf den Daten des ECHP war 2003 in der EU etwa jedes 5. Kind unter 16 Jahren einkommensarm. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen EU-15 und EU-25. Verglichen mit der EU-Gesamtbevölkerung (EU-15: 17%; EU-25: 16%) weisen Kinder somit ein um ein Viertel höheres Armutsrisiko auf (Eurostat 2007: 158). Besonders hoch ist dieses für Kinder, die mit nur einem Elternteil (EU-15: 36%; EU-25: 34%) oder mit mehr als zwei Geschwistern in einer Familie mit zwei Erwachsenen leben (EU-15: 26%, EU-25: 27%). Insgesamt leben in diesen von einem Armutsrisiko am stärksten betroffenen Haushaltstypen jedoch nur 7% aller EU-25-Bürger (Eurostat 2007: 57).

Die Armutsbedrohung nach Sozialtransfers sowie der Anteil der Bevölkerung, der langfristig von Armut bedroht ist, werden in Abb. 9 verdeutlicht. Die Armutsquote der Gesamtbevölkerung nach Sozialtransfers beträgt für die EU-15 15%, für die EU-25 16%. Die langfristige Armutsbedrohung in der EU-15 beträgt 9%.

5.2 Sozialpolitische Rahmenbedingungen

Die Unterstützung von Familien findet grundsätzlich zwischen Steuersystem und Beihilfesystem statt, wobei innerhalb Europas deutliche Unterschiede in der Gewichtung und der strukturellen Ausgestaltung beider Stränge erkennbar sind (vgl. EC 2008: 177). Die Vielfalt der in den meisten Ländern genutzten Instrumente bestätigt einerseits, dass Steuervergünstigungen ergänzend zu finanziellen Beihilfen gewährt werden und umgekehrt. Andererseits impliziert eine große Zahl von Instrumenten nicht gleichzeitig ein hohes Level öffentlicher Unterstützung, zumal diese häufig auf bestimmte Personengruppen zugeschnitten sind.

Die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen haben im Jahr 2001 27,6% (EU-15) bzw. 27,3% (EU-25) betragen (vgl. Abb. 4). Dabei variieren diese zwischen den einzelnen Ländern zwischen 14,3% (Lettland) und 31,4% (Schweden). Im Jahr 2000 sind aus den gesamten Sozialausgaben in der EU-15 2,08% in Sach- und Barleistungen für Familien geflossen. Auch hier zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Ländern. Während Spanien lediglich 0,58% verausgabt, liegt der Anteil in Dänemark mehr als sechsmal so hoch (3,63%) (vgl. Abb. 10). Einer Studie der Robert Bosch Stiftung aus dem Jahr 2006 folgend, werden in der EU-15 rd. 8% der gesamten Sozialausgaben als Barleistungen für Familien gewährt. Die Anteile reichen auch hier von 3% (Spanien) bis 17% (Luxemburg) (vgl. Abb. 11)

Vor allem Familien mit Kindern partizipieren hinsichtlich ihrer finanziellen Lage an Steuervergünstigungen, mit deren Hilfe in der Mehrzahl der Mitgliedsländer eine Reduzierung der (Kinder-)Armut erreicht werden kann. Insbesondere aufgrund der häufig problematischen Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen diese Steuervergünstigungen häufig als Ersatz für ein nicht realisierbares zweites Einkommen. Aus Abb. 12 und 13 wird deutlich, dass kinderbezogene Leistungen zu einer Reduktion des Kinderarmutsrisikos beitragen. Die Abbildung verdeutlicht ferner, dass auch die nicht explizit auf Familien mit Kindern ausgerichteten Zuwendungen einen starken Effekt auf die Verhinderung von Kinderarmut haben. Während das Einkommen von Haushalten mit Kindern zu rd. 10 bis 15 v. H. aus Geldzuwendungen besteht, liegt dieser Anteil bei Haushalten mit niedrigen Einkommen deutlich höher.

Das Ziel von Sozialpolitik ist es, Armutsgefährdung sowohl in der Kindheit als auch im Alter zu reduzieren. Vergleicht man die Armutsgefährdung jüngerer und älterer Menschen, wird eine relativ starke Streuung unter den EU-Mitgliedsstaaten deutlich (vgl. Abb. 14). Daraus lässt sich ableiten, dass einzelnen Risikofaktoren in den verschiedenen Ländern eine stärkere Bedeutung zugeordnet wird (vgl. Eurostat 2007: 17).

Die meisten OECD-Länder investieren stark in die Reduktion von Kinderarmut. Zumeist erfolgt dies in Form von monetären oder anderweitigen Zuwendungen an Arbeitslose oder Menschen mit geringem Einkommen. Im Durchschnitt liegt das Resultat bei mehr als 40%, um die die marktgesteuerten Armutsraten reduziert werden, aber dieser Wert differiert stark zwischen den einzelnen Ländern. Es wird aber auf jeden Fall deutlich, dass die Länder mit besonders niedrigen Kinderarmutsquoten (Dänemark, Finnland) die marktgesteuerten Quoten mittels staatlicher Intervention um bis zu 80% und mehr reduzieren. Während bspw. in Dänemark die Kinderarmutsquote ohne staatliche Leistungen 11,8% betragen würde, wird diese durch staatliches Eingreifen um rd. 80% auf 2,4% reduziert (UNICEF 2005: 21). Wenngleich zehn der untersuchten Länder einen vergleichbaren Betrag ihres BIP für Sozialausgaben verwenden, korrelieren diese jedoch nicht automatisch positiv mit der Armutsquote. Augenscheinlich entscheidet nicht die Höhe allein, sondern vielmehr die Ausgestaltung der Zuwendungen und deren Verteilung über den Umfang von Kinderarmut (vgl. Abb. 3 und 4).

Mehr als die Hälfte der OECD-Länder hat die Ausgaben für Sozialleistungen, gemessen am BIP, in den vergangenen zehn Jahren erhöht, einige durchaus erheblich. Die deutlichsten Erhöhungen sind in den Kategorien Renten und Gesundheitswesen vorgenommen worden. Während Portugal (6,6%), Polen (6.4%), Deutschland (4,4%) und auch Großbritannien (1,8%) ihre Sozialausgaben durchaus deutlich erhöht haben, sind diese bspw. in Schweden (-2,2%), Irland (-5,0%) und den Niederlanden (-5,8%) deutlich zurückgefahren worden (vgl. Abb. 3).

Altersrenten, Hinterbliebenenversorgung und Gesundheitsversorgung machen in den meisten Mitgliedsländern den größten Anteil an den Sozialleistungen aus, wobei die Leistungsstruktur in den vergangenen Jahren nur geringfügigen Veränderungen unterworfen wurde. Unter Berücksichtigung des demographischen Wandels, aus dem heraus sich der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung noch deutlich verstärken wird und damit auch die Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgung und sozialen Diensten, bedarf es langfristiger Maßnahmen in bestimmten Politikfeldern, wie bspw. der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (vgl. Abb. 15).

Auch hinsichtlich des Kinderbetreuungsangebotes gibt es starke länderspezifische Unterschiede in Europa. Die Betreuungsquote variiert zwischen 64% in Dänemark und 4% in Österreich.

Im Rahmen der jährlichen OECD-Studie ‚Employment Outlook’ bildete im Jahr 2001 die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Schwerpunkt. Aus den evaluierten Daten lässt sich ableiten, dass ein größeres Betreuungsangebot in den einzelnen Ländern den Wunsch nichterwerbstätiger Frauen verstärkt, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Ferner zeigt sich, dass auch dem Wunsch erwerbstätiger Mütter nach einer Ausweitung ihrer Arbeitszeiten durch ein entsprechend ausgebautes Betreuungsangebot Rechnung getragen werden könnte (OECD 2001: 28). Diese Erkenntnisse wurden auch im Rahmen einer im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Jahr 2002 durchgeführten Studie aufgegriffen (vgl. dazu ausführlich Eichhorst/Thode 2002). Vgl. dazu auch Abb. 16. Um den Eltern eine Betreuung des Kindes in den ersten Lebensjahren zu ermöglichen, ohne dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, existiert für alle EU-Länder ein rechtlicher Anspruch (vgl. zu den unterschiedlichen Ausgestaltungen BMAS 2007: 22 ff.).

5.3 Die Offene Methode der Koordinierung – ein geeignetes Instrument zur europaweiten Bekämpfung von Kinderarmut?

Entwickelt in den 1990er Jahren, im Zusammenhang mit Bemühungen zur europäischen Beschäftigungsstrategie, ermächtigt die Offene Methode der Koordinierung (OMK) die Europäische Gemeinschaft über die vertraglich festgeschriebenen Kompetenzen hinaus politisch aktiv zu werden (vgl. Lampert/Althammer 2007: 470). Rechtliche Geltung hat sie durch Art. 128 EGV erlangt.14

Die OMK bietet damit für die EU-Kommission die Möglichkeit, über das ‚Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung’15 hinaus – insbesondere im Falle akuten Handlungs- bedarfs – in Politikfeldern zu agieren, die eigentlich den Mitgliedsstaaten obliegen, da sie in der Regel keiner verbindlichen Rechtsakte bedarf.16

Die OMK stellt somit sog. Soft Law dar, welches keine unmittelbar verbindliche Wirkung entfaltet. Nichtsdestotrotz kann durch die eingesetzten Instrumente eine mittelbare Wirkung hinsichtlich einer vereinheitlichten politischen Vorgehensweise in den Mitgliedsstaaten erzielt werden

Hauptziel der OMK ist es, gegenseitiges Lernen anhand einer zuvor vorgenommenen vergleichenden Gegenüberstellung nationaler Politiken zu fördern. Wesentliche Instrumente der OMK sind unverbindliche Empfehlungen und Leitlinien der Kommission an die Mitgliedsstaaten.

Offen ist diese Methode zum einen, weil sowohl die Ziele, aber auch die festgelegten Indikatoren veränderbar sind, d. h. weder Verlauf noch Resultate des Prozesses werden im Voraus bestimmt. Darüber hinaus drückt sich die Offenheit in dem Ziel aus, alle betroffenen Akteure in den Koordinierungsprozess einzubeziehen (vgl. Lampert/Althammer 2007: 471).

Die komplementären und interagierenden Bestandteile der OMK sind: die Festlegung gemeinsamer Ziele, daraus abgeleitet die Definition entsprechender Indikatoren zur Messung und Vergleichbarkeit, die Implementierung eines Berichtssystems sowie die Herausstellung von besonders wirksamen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung (sog. ‚best practice’) (vgl. Lampert/Althammer 2007: 470 f.).

Bereits im Jahr 2000 wurde – in Anbetracht der Armutslage in der EU – im Rahmen der sog. ‚Lissabon-Strategie’ das Ziel formuliert und den Mitgliedsstaaten auferlegt, die Beseitigung der Armut bis zum Jahr 2010 entscheidend voranzubringen (vgl. EU-Kommission 2007: 2). In diesem Zusammenhang wurde auch die OMK für Sozialschutz und soziale Eingliederung17 initiiert, die dazu beitragen soll, die politische Verpflichtung der Armutsbekämpfung zu bekräftigen, indem sie der EU ermöglicht, „die Mitgliedsstaaten in ihrem Streben nach einem stärkeren sozialen Zusammenhalt in Europa zu unterstützen“ (vgl. EU-Kommission 2007: 2).

Nachdem die Schritte eins und zwei bereits im Jahr 2000 in Lissabon und Nizza vollzogen wurden, findet die Implementierung ihren Ausdruck in den einzelstaatlichen ‚Nationalen Aktionsplänen’, die erstmals im Juni 2001 und seitdem im Zweijahresrhythmus einzureichen waren. Eine konkrete Festlegung der auf EU-Ebene zugrunde liegenden Hauptindikatoren (sog. ‚Laeken-Indikatoren’) erfolgte jedoch erst im Dezember 2001. Dabei dienen die NAP nicht nur der Berichterstattung in Form von Daten, sondern es sollen vielmehr nationale Prioritäten und daraus abgeleitete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung dargelegt werden (vgl. Strengmann-Kuhn 2007: 275).

Die OMK ist als wichtiges Instrument zu begreifen, das den europaweiten Kampf gegen Armut vorantreiben kann. Wenngleich sie sich bisher lediglich auf die Erfassung und Beschreibung der Armut in den einzelnen Mitgliedsstaaten konzentriert, ist dies doch ein notweniger erster Schritt hin zu europaweit vergleichbaren Indikatoren, um Ausmaße, Strukturen und Entwicklungstendenzen gegenüberstellen zu können. Nicht berücksichtigt werden bislang jedoch die Untersuchung der Ursachen und auch der Wirkungen von Armut (vgl. Strengmann-Kuhn 2007: 289).

Vor allem Kinderarmut und soziale Ausgrenzung sollten zukünftig eine stärkere Rolle innerhalb der OMK einnehmen, um ‚benchmarking’ und ‚peer review’ Prozesse auszubauen und zu festigen (vgl. Hoelscher 2004: 110 f.).

6 Deutschland

6.1 Relevante Daten

Innerhalb Europas zählt die Geburtenrate in Deutschland mit 1,34 zu den geringsten. Im Zeitvergleich ist aber nur eine geringe Abnahme innerhalb der letzten 25 Jahre zu verzeichnen. Die deutsche Geburtenrate liegt zudem deutlich unter dem EU-25-Durchschnitt (vgl. Abb. 7). Die geringe Geburtenrate in Deutschland korreliert jedoch nicht mit dem tatsächlichen Kinderwunsch deutscher Frauen, der lt. einer umfassenden Studie im Jahr 2004 bei rd. 1,8 liegt (Perspektive Deutschland 2005: Abstract).

Die Kinderarmutsquote hat im Jahr 2003 15,5% betragen, während die Armutsquote der Gesamtbevölkerung mit 13,0% darunter lag (vgl. Abb. 8). Deutschland liegt damit, wenn auch nur unwesentlich in beiden Bereichen unter dem EU-15-Durchschnitt. Die UNICEF hat eine Kinderarmutsquote von 10,2% ermittelt (vgl. Abb. 1). Diese Abweichung ist vermutlich auf ein unterschiedliches Erhebungsjahr und die Anwendung des 50%- bzw. 60%-Medians zurückzuführen. Während die Zahl der von Armut betroffenen Kinder in sieben OECD-Ländern in den vergangen Jahren gesunken ist, zählt Deutschland zu den17

Ländern, die einen Anstieg zu verzeichnen haben. Dieser ist mit 2,7% sogar als überdurchschnittlich anzusehen, wenn man die Jahre 2001 und 1991 vergleicht (vgl. Abb. 2). Im Jahr 2005 war damit mehr als jedes 10. Kind unter18 Jahren von Armut betroffen – dies entspricht einer Zahl von 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen. Insbesondere in Westdeutschland ist seit 1989 nahezu eine Verdopplung zu verzeichnen (1989: 4,5%; 2001: 9,8%), aber auch in Ostdeutschland ist die Kinderarmutsquote aufgrund der höheren Ausgangsbasis als deutlich zu hoch einzustufen (1991: 8,3%; 2001: 12,6%) (UNICEF 2005: 5). Aus Abb. 17 wird deutlich, dass auch im Zeitablauf 1991 bis 2001 keine signifikant positiven Entwicklungen in der Kinderarmutsquote eingetreten sind, im Jahr 2001 hat die Kinderarmutsquote vielmehr einen traurigen Höhepunkt erreicht. Ferner sind rd. 1,1 Millionen der deutschen Sozialhilfebezieher unter 18 Jahren. Kinder unter 15 Jahren damit haben eine deutlich höhere Sozialhilfequote von 8,1% (Ende 2004) im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (3,5%) (Eurochild 2007: 52 und BMAS 2005: 60). Aus Abb. 18 wird deutlich, dass im Jahr 1998 rd. 58% der unter 24-jährigen unter Armutsbedingungen gelebt haben. Abb. 19 hat eine andere Datenbasis und weist für 33,2% der unter 20-jährigen im Jahr 2004 ein Aufwachsen unter Armutsbedingungen aus. Ausgehend von Abb. 8 entspricht die Armutsquote ungefähr dem Dreifachen der Quote der Gesamtbevölkerung (vgl. Butterwegge 2003: 22).

Vergleicht man die Armutsquoten anhand des Alters oder aber des Haushaltstyps wird deutlich, dass seit den 1970er Jahren eine Veränderung stattgefunden hat: betroffen sind zunehmend Kinder und Jugendliche, während es zuvor vornehmlich Witwen mit nicht ausreichenden Hinterbliebenenbezügen waren (vgl. Butterwegge 2003: 21 und Butterwegge 2004: 419 f.). Bestätigt wurde diese Tendenz bereits, bevor sie in den ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung Eingang fand. Für diese Verschiebung der Armut hin zu den jüngeren Mitgliedern einer Gesellschaft prägte Hauser (1989) den treffenden Begriff „Infantilisierung der Armut“ (vgl. Hauser 1989: 126 und Butterwegge 2000: 7).

Zieht man den Haushaltstyp zur Interpretation der Armutsquote heran (vgl. Abb. 20), wird deutlich, dass vor allem Kinder aus kinderreichen Familien, aber auch solche, die bei allein erziehenden Eltern aufwachsen, besonders stark von Armut betroffen sind (vgl. Butterwegge 2004: 421).18 Insbesondere eine zunehmende Zahl von Sozialhilfe-empfängern bedingt die im Vergleich signifikant höheren Armutsquoten bei den Alleinerziehenden: so müssen 15,2% der Alleinerziehenden von Sozialhilfe leben, bei den Alleinerziehenden mit 2 Kindern sind es sogar 22,6%, bei 3 und mehr Kindern werden 34,0% erreicht (vgl. Butterwegge 2003: 23).

[...]


1 Als Kinder werden i. d. R. Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bezeichnet.

2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass in sechs der sieben Länder mit einer abnehmenden Kinderarmutsquote von einem vergleichsweise hohen Ausgangsniveau auszugehen ist. Nur Norwegen verzeichnet eine geringe und andauernd absinkende Kinderarmutsquote.

3 Vgl. dazu u. a. Butterwegge (2000), Butterwegge/Klundt (2003), Butterwegge et al. (2005), Hock et al. (2000), Klocke/Hurrelmann (2001), Zander (2005).

4 Siehe Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Barcelona, 15./16.3.2002, Bulletin v. 18.3.2002, Dokument PE 316.165, Punkt 24.

5 Langfristig können durch Armut aufgestaute Emotionen u. a. in Kriminalität münden. Vgl. Butterwegge et al. (2003).

6 Vgl. GfK (2007): Kaufkraft Deutschland 18.055 EUR pro Jahr (Platz 10) und Schweden 17.217 EUR (Platz 11).

7 Vgl. Heidelberger Online-Lexikon der Politik, http://www.politikwissen.de/lexikon/armut.html (04.03.2008).

8 Worldbank Overview „Understanding Poverty“, http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/TOPICS/EXTPOVERTY/0,,contentMDK:20153855~me nuPK:373757~pagePK:148956~piPK:216618~theSitePK:336992,00.html (04.03.2008).

9 Vgl. zu den strukturellen Ursachen der Armut auch Butterwegge (2000), S. 233 ff.

10 Während die Arbeitslosenquote ‚ohne Berufsabschluss’ 1975 bei rd. 5% lag, betrug sie 2005 26%, während nur 4,1% der Akademiker von Arbeitslosigkeit betroffen waren (1975: rd. 2,5%).

11 Vgl. zum Zusammenhang von Langzeitarbeitslosigkeit und Armut auch Butterwegge (2000), S. 197 ff.

12 Vgl. dazu ausführlich Herrnstein, R./ Murray, C. (1994) und Zagorsky, J. (2007).

13 Das ECHP diente von 1994 bis 2001 als Hauptdatenquelle für Erhebungen zu Einkommen, Armut und sozialer Ausgrenzung. 2003 wurde es durch die European Union-Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) ersetzt, welches in Abweichung vom ECHP nun auf einer Rahmenverordnung basiert.

14 http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12002E/htm/C_2002325DE.003301.html

15 Bindende Rechtsakte können danach nur erlassen werden, wenn die Verträge die Organe der Union ausdrücklich hierzu ermächtigen.

16 Vgl. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/com2001_0428de01.pdf

17 Vgl. dazu ausführlich http://ec.europa.eu/employment_social/spsi/the_process_de.htm (14.03.2008).

18 „Aus der Perspektive der Eltern bzw. der Familiengemeinschaft vergrößern Kinder den Einkommens-bedarf, ohne dass sichergestellt wäre, dass auch der Einkommenszufluss entsprechend steigt.“ (Hanesch et al. 2000: 274).

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Kinderarmut in Schweden und Deutschland. Ein Vergleich
Hochschule
Universität Hamburg  (Master of Arts European Studies)
Veranstaltung
Sozialpolitik in Europa
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
68
Katalognummer
V127274
ISBN (eBook)
9783640334117
Dateigröße
2013 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinderarmut, Deutschland, Schweden, Sozialpolitik, EU
Arbeit zitieren
Jean Knödel (Autor:in), 2008, Kinderarmut in Schweden und Deutschland. Ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127274

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