Vom Rand zur Mitte?

Der Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern 2006 aus der Perspektive von organisatorischer Strukturierung und Wählertypologie


Seminararbeit, 2009

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Der Wahlerfolg aus der Perspektive der organisatorischen Strukturierung
1.1 „Sozial geht nur national“: ideologische Strukturierung
1.1.1 Das „Aktionsprogramm“
1.1.2 Wahltaktische Präferenzen
1.2 „Wir packen an“: organisatorische und externe Strukturierung
1.2.1 „Kampf um die Köpfe“: Aufbau, Mitgliederstruktur und Führungspersonen
1.2.2 „Kampf um die Parlamente“: Die Arbeit in den Kommunalparlamenten
1.2.3 “Kampf um die Straße”: Öffentlichkeitswirksame Aktionen
1.2.4 „Kampf um den organisierten Willen“: Verhältnis zur freien Szene und zur DVU

2. Der Wahlerfolg aus der Perspektive der Wählertypologie
2.1 Wahl aus Protest: Relative Deprivation und soziale Integration
2.2 Wahl aus Überzeugung: Rechtextremes Einstellungspotential

Fazit

Einleitung

Am 17. September 2006 gelang einer rechtsextremen Partei zum ersten Mal in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns der Einzug in den Schweriner Landtag.[1] Wenn auch die Analyse der NPD als einer „in vielen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns weiterhin [...] virtuelle[n] Partei“[2] mit Sicherheit zutreffend ist, so ist es ihr doch gelungen, zumindest in Ostvorpommern und Westmecklenburg ein vergleichsweise dichtes Netzwerk von Parteifunktionären und freien Kräften zu etablieren, sodass weder die enorme Mobilisierungskampagne im Wahlkampf noch der anschließende Erfolg für aufmerksame Beobachter der rechtextremen Szene überraschend eintrafen. Aus Sicht der Wahlforschung hingegen musste das Ergebnis von 7,3 Prozent der Zweitstimmen ein Problem darstellen, da die Nationaldemokraten bei keiner vorangegangenen Landtagswahl ein besseres Resultat als 1,1 Prozent erzielen konnten.[3] Im Vergleich mit allen anderen zur Wahl angetretenen Parteien verzeichnete die NPD den höchsten Zweitstimmenzuwachs in Bezug auf die Landtagswahl 2002. Wie erklärt sich diese überproportionale Divergenz? Was hat die Partei unternommen, um in zunehmendem Maße „nicht nur für Protestwähler attraktiv“[4] zu sein, sondern vielmehr eine latente Ebene von „Überzeugungstätern“[5] zu erschließen?

In dieser Arbeit widme ich mich der Frage nach internen und externen Faktoren aus der Perspektive der NPD und ihrer Wählerschaft, die den Wahlerfolg lang- und kurzfristig begünstigten. Dazu liegen dem ersten Teil, im Rahmen einer Darstellung der ideologischen und internen Strukturierung der Nationaldemokraten, die wichtigsten Maßnahmen der NPD in Ausrichtung auf die Landtagswahl 2006 zugrunde. Im zweiten Teil werde ich mich bemühen, ausgehend vom Interaktionsmodell Jürgen Falters, eine möglichst konkrete Typologie der NPD-Wählerschaft in Mecklenburg-Vorpommern auf der Grundlage von zwei der wichtigsten Erklärungsmodelle rechtextremer Wahlentscheidungen – der Theorie realistischer Gruppenkonflikte und relativer Deprivation – zu entwerfen.

1. Der Wahlerfolg aus der Perspektive der organisatorischen Strukturierung

Im Folgenden werden mir die von Richard Stöss definierten „Erfolgsbedingungen des organisierten Rechtsextremismus“[6] zur Analyse des Wahlerfolges dienlich sein. Nach Stöss seien neben politischer Kompetenz und Glaubwürdigkeit sowie innerer Geschlossenheit der Partei sowohl „attraktive programmatische Alternativen“ als auch populäre Führungspersonen und eine hinreichende Medienpräsenz notwendige Bedingungen für einen Wahlerfolg rechtsextremer Parteien.

1.1 „Sozial geht nur national“: ideologische Strukturierung

1.1.1 Das „Aktionsprogramm“

Die im „Aktionsprogramm zur Landtagswahl 2006“ vom NPD-Landesverband aufgeführten Themenspektren entsprechen im Wesentlichen denen des 1997 verabschiedeten Parteiprogramms des Bundesverbandes. Danach reichen die Themen von materialistischen Politikfeldern wie „Arbeits- und Strukturpolitik“ bis hin zur eher postmaterialistisch konnotierten „Kulturpolitik“. Jedoch ist auffällig, dass die Landespartei ihre Forderungen viel stärker an sozialpolitischen Postulaten – zuungunsten des vom Bundesprogramm stark akzentuierten Geschichtsrevisionismus[7] – ausrichtet, was offensichtlich der sozioökonomisch schwierigen Lage des Bundeslandes und somit den überwiegend materiellen Prämissen der Wählerschaft geschuldet ist.

In ihren gesundheits- und sozialpolitischen Leitlinien fordert die NPD neben der Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Infrastruktur im ländlichen Raum die Abschaffung der Praxisgebühr, eines Teils der rot-grünen Gesundheitsreform aus dem Jahr 2003, welcher der NPD vielfach als Symbol einer „historisch einmaligen Steuer- und Abgabenlast“[8] diente, gegen die sie mit plakativen Wahlkampfslogans wie „Hartz IV, Praxisgebühr, Mehrwertsteuer – jetzt reicht's!“[9] polemisierte. Eine Wahl der NPD wurde so direkt mit einer Protesthaltung gegenüber der Sozialpolitik der rot-grünen bzw. der Großen Koalition gleichgesetzt. Jegliche auf die Modifizierung des Sozialversicherungssystems ausgerichteten Maßnahmen seien per se als „Sozialabbau“ zu interpretieren: „[...] alle Reformversuche der letzten Jahre sind gescheitert. Tatsächlich sind alle 'Reformen' nur Sparprogramme zu Lasten der Bürger.“[10] Mit der primären Ausrichtung auf bundespolitisch relevante Policy-Felder (Sozialpolitik, Asylrecht) bemühte sich die NPD darum, insbesondere gegen die unter Rot-Grün verabschiedete Agenda 2010 zu polarisieren. In ihrer Ablehnung „jede[r] Privatisierung öffentlichen Eigentums“ als „Diebstahl von Volkseigentum“[11] manifestiert sich die antikaptialistisch-globalisierungskritische Abwehrhaltung der NPD gegen das „internationale Börsenkapital“[12].

Diese sozial-ökonomisch motivierte Globalisierungskritik wird von einer ethnopluralistisch-wohlstandschauvinistischen Ebene ergänzt. Unter dem Titelschema „Ausländer“ subsumiert die NPD eine Reihe von Forderungen, die einer „inländerfeindlichen 'Integrationspolitik'“[13] entgegenwirken sollen: dazu zählen ein mit sofortiger Wirkung zu realisierender „Ausländerstopp“ (die Ausgliederung erwerbsloser „Ausländer“ aus der Arbeitslosenversicherung) ebenso wie die Aufkündigung des Schengener Abkommens zur Abwehr einer „Invasion ausländischer Billigarbeiter“.[14] Solcherlei populistische Ressentiments, die „die 'soziale Frage' mit einer ausländerfeindlichen Note verbinde[n] und auf diese Weise einen anschaulichen Sündenbock für die zahlreichen Probleme moderner Gesellschaften“[15] konstruieren, versucht die NPD mittels einer für die Bewegung der Nouvelle Droite üblichen Wendung, der kulturellen Identität, zu relativieren. Die Partei begreife sich nicht als „ausländerfeindlich“; jedoch seien „soziale, kulturelle und religiöse Spannungen“ mit fortdauernder Zuwanderung unvermeidlich, weshalb eine isolationistische Integrationspolitik „durch Gleichberechtigung und Selbstbestimmung“ erstrebenswert sei.[16] Insofern steht die Wahlkampfparole „Touristen willkommen. Asylbetrüger raus!“[17] paradigmatisch für den Ethnopluralismus der NPD.

1.1.2 Wahltaktische Präferenzen

Sowohl die Gestaltung der Werbematerialien als auch das Auftreten nationaldemokratischer Akitivisten im Wahlkampf waren von einem aggressiv systemfeindlichen Grundton geprägt. So wurden die im Landtag vertretenen Parteien als „volksfeindliche Multi-Kulti-Fanatiker“[18] gegeißelt, deren Abgeordnete als „aalglatte Berufslügner“[19] verschmäht, die das Land ruiniert und „sich den Staat zur Beute gemacht“[20] hätten. Indem die NPD sich antithetisch außerhalb der „etablierten Parteien“ positioniert und gleichzeitig den Disput über „Systemalternativen“[21] zur parlamentarischen Demokratie einfordert, verleiht sie ihren Kernthesen einen kämpferisch-revolutionären Akzent, der (als Indiz einer „Formierung des Protests von rechts als soziale[r] Bewegung“[22] ) nicht zuletzt zur Motivierung der parteiexternen personalen Ressourcen (Kameradschaften) beitrug.

Mit ihrer leicht verständlichen Polemik bemühten sich die Nationaldemokraten insbesondere um die Gruppe der Jung- und Erstwählerschaft. Hierbei handelt es sich nicht zuletzt um eine Schlussfolgerung aus der sächsischen Landtagswahl 2004, bei der etwa ein Fünftel aller 18 bis 25jährigen NPD wählte und damit die Altersgruppe mit dem höchsten Wählerpotential darstellte.[23] Im ländlichen Raum wurde in großer Zahl die „Schulhof-CD“ verteilt, auf der sich Interpretationen rechtsradikaler Liedermacher befanden. Zudem versendete die Wahlkampfleitung in Anklam an alle 18 bis 20jährigen ein zweiseitiges Erstwählerflugblatt, welches u.a. Forderungen nach „Ausbildungsplätzen für alle Deutschen“ und mehr „Freizeiteinrichtungen“ enthielt.[24]

Eine weitere von der NPD eklatant umworbene Klientel bildete die Gruppe der traditionellen Nichtwähler. Damit haben die Nationaldemokraten offensichtlich die „aggressive Apathie und Entfremdung als [mögliche] Spielarten des Nichtwählens“[25] interpretiert, sofern sich die Praxis der Stimmenthaltung wie bei Eike Hennig als „Rebellion“ und „politische Entfremdung“ deuten ließe. Um dieses latente Protestpotential zu mobilisieren, wurde nach dem Prinzip „Nichtwählen wird teuer“ ein Szenario entworfen, nach dem „Wahlenthaltung kein Denkzettel, sondern Ermutigung“ für die „Etablierten“ sei, weitere Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen vorzunehmen.[26]

1.2 „Wir packen an“: organisatorische und externe Strukturierung

Das auf dem Bundesparteitag der NPD 1998 in Stavenhagen verabschiedete “Drei-Säulen-Konzept” ist vorrangig den geringen organisatorischen Ressourcen der Partei und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, jugendliche Subkulturen zu mobilisieren, geschuldet.[27] Für die strategische Konzentration auf vier gleichrangige Zielebenen – den „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Parlamente“[28] sowie den 2004 hinzugefügten „Kampf um den organisierten Willen“[29] - wird das bevölkerungsarme Flächenland Mecklenburg-Vorpommern gemeinhin als „Modellregion“ betrachtet.[30]

[...]


[1] Diese Arbeit folgt der Definition des Phänomens Rechtextremismus von Uwe Backes und Eckhard Jesse als „eine[r] antiindividualistischen, das demokratische Grundaxiom menschlicher Fundamentalgleichheit negierende Abwehrhaltung gegen [...] den demokratischen Verfassungsstaat.“ (Backes/Jesse 1996, S. 53) Nach Mudde wird die NPD als rechtsextreme, also „die 'freiheitlich-demokratische Grundordnung' komplett [zu] beseitigen“ trachtende Partei klassifiziert. (vgl. Mudde 2008, S. 12)

[2] Hubertus Buchstein, zitiert nach: Geisler 2006

[3] Vgl. Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern 2002, S. 22f.: Danach kamen die Nationaldemokraten lediglich bei den Landtagswahlen 1998 in den Genuss einer Wahlkampfkostenrückerstattung. Bei der Landtagswahl 2002 fielen sie noch einmal zurück auf ein Ergebnis von 0,8 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen.

[4] Finger 2006

[5] Gillmann 2006

[6] Vgl. Stöss 2005, S. 56f.

[7] Der Forderung nach einer „Revision der nach dem Krieg geschlossenen Grenzanerkennungsverträge“ (NPD-Bundesvorstand 2004, S. 13) wird im Aktionsprogramm kein eigenes Kapitel eingeräumt. Vielmehr arbeitet die NPD mit suggestiven Mitteln: so wird, ohne eine Begründung anzuführen, durchgehend die Bezeichnung „Mecklenburg und Pommern“ gewählt (vgl. z.B. NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 4).

[8] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 6

[9] NPD-Landesverband M-V 2006e

[10] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 3

[11] Ebd., S. 5

[12] Ebd., S. 7, zur rechtsextremen Globalisierungskritik vgl. ebenso Stöss 2004, S. 89ff.

[13] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 10

[14] Ebd., S. 11f.

[15] Brodkorb 2008, S. 189

[16] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 10

[17] NPD-Landesverband M-V 2006d

[18] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 11

[19] NPD-Landesverband M-V 2006b, S. 1

[20] NPD-Landesverband M-V 2006a, S. 8

[21] Udo Pastörs, zitiert nach: Niemann 2008, S. 33

[22] Jaschke 1992, S. 1443, vgl. hierzu auch Pfahl-Traughber 2004, S. 122f.

[23] Heinrich/Lehmann 2006, S. 71

[24] NPD-Landesverband 2006b, S. 1

[25] Hennig 1994, S. 368

[26] NPD-Landesverband M-V 2006c, S. 1

[27] Vgl. Stöss 2000, S. 123

[28] Grumke/Wagner 2002, S. 397

[29] Stöss 2005, S. 145

[30] Vgl. v.a. Pingel-Schliemann/Ohse 2007, S. 13, Brodkorb 2002, S. 73f. sowie Kleffner 2005, S. 153f.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Vom Rand zur Mitte?
Untertitel
Der Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern 2006 aus der Perspektive von organisatorischer Strukturierung und Wählertypologie
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar "Einführung in die Parteienforschung"
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V127030
ISBN (eBook)
9783640406463
ISBN (Buch)
9783640406753
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rand, Mitte, Einzug, Landtag, Mecklenburg-Vorpommern, Perspektive, Strukturierung, Wählertypologie
Arbeit zitieren
Danny Michelsen (Autor:in), 2009, Vom Rand zur Mitte?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127030

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