Sexuelle Sozialisation – die Notwendigkeit von Sexualpädagogik in Kindertagesstätten


Hausarbeit, 2008

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Sexualität und Sexualpädagogik
1.1. Definition von Sexualität
1.2. Kindliche Sexualität im Vergleich zu erwachsener Sexualität
1.3. Sexualpädagogik: ein Überblick
1.4. Themen der Sexualpädagogik

2. Sexuelle Sozialisation im Kindesalter
2.1. Sexuelle Sozialisation im ersten Lebensjahr
2.2. Sexuelle Sozialisation im zweiten und dritten Lebensjahr
2.3. Sexuelle Sozialisation im vierten bis zum sechsten Lebensjahr
2.4. Die Bedeutung des Körpers für die Identitätsentwicklung

3. Sexualpädagogik in Kindertagesstätten
3.1. Kindliche Sexualität im Kindergartenalltag
3.2. Sexualität als Bildungsthema in Kindertagestätten
3.3. Sexualfreundliche Erziehung im Kindergarten – der Weg geht über die Erzieherinnen
3.4. Auswertung des Sexualpädagogisches Projekt „Der kleine Unterschied“ in der Kindertagesstätte Frechdachs

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Sexualpädagogik im Kindergarten ist noch immer ein sensibles Thema. Während in den letzten Jahren die Sexualerziehung und -aufklärung in den Schulen eine breite Basis gefunden hat und auch im Elternhaus eine steigende Tendenz zu beobachten ist, wird diesen Themen bei Kindern im Kindergartenalter nur eine untergeordnete Rolle zugestanden.

Doch die Entwicklung der Sexualität beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule. Der Mensch ist von Geburt an ein sexuelles Wesen und demzufolge haben auch Kinder eine Sexualität. Diese darf jedoch nicht mit der von Erwachsenen gleichgesetzt werden.

Der erste Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich mit der Definition von Sexualität und versucht eine Abgrenzung zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität herzustellen. Des Weiteren wird kurz auf die Entwicklung der Sexualpädagogik in der neueren Geschichte und die ihr heute zugeordneten Themenbereiche eingegangen.

Um sich die Notwendigkeit einer kindlichen Sexualpädagogik und sexualfreundlichen Erziehung in Kindertagesstätten bewusst zu werden wird sich der zweite Teil der Arbeit mit der sexuellen Sozialisation im Kindesalter beschäftigen. Am bekanntesten ist sicherlich die von Freud vorgenommene Einteilung zur psychosexuellen Entwicklung des Kindes in Form von drei Phasen: die orale Phase im 1.Lebensjahr, die anale Phase im 2. Lebensjahr und die phallisch-genitale Phase vom 3. bis 6. Lebensjahr. Ausgehend von dieser Einteilung werde ich die sexuelle Sozialisation der Kinder beschreiben.

Diese Ergebnisse als Grundlage beschäftigt sich der abschließende Teil der Arbeit mit Sexualpädagogik in Kindertagesstätten. Betrachtet werden hier die kindliche Sexualität im Alltag, die Notwendigkeit Sexualität als Bildungsthema in Kindertagesstätten umzusetzen und die Rolle der Erzieherinnen. Weiterhin wird ein Einblick in ein sexualpädagogische Projekt in einer Jenaer Kindertagestätte gegeben.

1. Sexualität und Sexualpädagogik

1.1. Definition von Sexualität

Sexualität zu definieren ist mühsam, da sie zuviel Widersprüchliches, zuviel an Bewusstem und Unbewusstem beinhaltet, zuviel an Irrationalem darin behaftet ist. Eine äußerst treffende jedoch für wissenschaftliche Zwecke ungeeignete Definition stammt von der amerikanischen Sexualtherapeutin Offit: „Sexualität ist was wir daraus machen. Eine teure oder eine billige Ware, Mittel zur Fortpflanzung, Abwehr gegen Einsamkeit, eine Form der Kommunikation, ein Werkzeug der Aggression (der Herrschaft, der Macht der Strafe und der Unterdrückung), ein kurzweiliger Zeitvertreib, Liebe, Luxus, Kunst, Schönheit, ein idealer Zustand, das Böse oder das Gute, Luxus oder Entspannung, Belohnung, Flucht, ein Grund der Selbstachtung, eine Form von Zärtlichkeit, eine Art der Regression, eine Quelle der Freiheit, Pflicht, Vergnügen, Vereinigung mit dem Universum, mystische Ekstase, Todeswunsch oder Todeserleben, ein Weg zum Frieden, eine juristische Streitsache, eine Form, Neugier und Forschungsdrang zu befriedigen, eine Technik, eine biologische Funktion, Ausdruck psychischer Gesundheit oder Krankheit oder einfach eine sinnliche Erfahrung.“ (Sielert 2005a, S.37 zit.n. Offit 1979, S.16)

Viele Definitionen von Sexualität lassen sich nicht auf Kinder übertragen. Ein entscheidender Faktor fehlt: Kinder können sich nicht fortpflanzen, d.h. ihre Sexualität dient nicht der Fortpflanzung, was ebenso für Homosexuelle oder alte Menschen gilt. Das würde bedeuten, dass Kinder, da sie sich nicht fortpflanzen können auch keine Sexualität haben.

Deshalb muss Sexualität eine andere Dimension aufweisen.

Sielert versteht Sexualität wird als Lebensenergie verstanden, die sich des Körpers bedient und aus unterschiedlichen Quellen gespeist wird. Sie drückt sich auf unterschiedlichste Weise aus und ist verschiedener Hinsicht sinnvoll. Sie dient der Fortpflanzung, beinhaltet den Lusteffekt und stiftet Beziehung. Sexualität wird eingesetzt um Anerkennung und Selbstbestätigung zu bekommen, um Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen, um Gefühle wie Liebe, Hass oder Wut auszudrücken. Sexualität hat in diesem Sinne auch eine Identitätsfunktion, ermöglicht es dem Menschen seine Persönlichkeit zu ergänzen, zusammenzuhalten und zu erhalten (vgl. Sielert 2005a, S.51). Versteht man Sexualität als positive Lebensenergie kann sie jedem Menschen zugesprochen werden, auch Kindern.

1.2. Kindliche Sexualität im Vergleich zu erwachsener Sexualität

Sexualität gehört von Anfang an zum Menschen dazu. Sie ist bereits bei Säuglingen vorhanden, indem diese ihre schmerzvolle Erfahrung des Alleinseins durch Saugen und damit lustvolle Befriedigung kompensieren.

Sie ist für die weitere Entwicklung prägend. Sie prägt den Kern des kindlichen Selbst. Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit werden von ihr beeinflusst (vgl. Sielert 2005b).

Im Gegensatz zu Erwachsenen, die hauptsächlich genital orientiert sind, sind Kinder vielseitig ansprechbar. Freud prägte den Ausdruck „polymorph pervers“, da heißt sie sind mit allen Sinnen auf der Suche nach maximaler Lustgewinnung. Körperkontakt, Saugen an der Brust, Streicheln, Berührungen aber auch angenehme Gerüche oder Laute schaffen für Kinder einen Lustgewinn. Alles was ihnen gefällt oder sie interessiert wird gelebt, entdeckt, nachgeahmt. Im Gegensatz zu Erwachsenen kennen sie zunächst keine Regeln oder Verhaltensvorschriften für gleich- oder gegengeschlechtlichen Umgang. Kindliche Sexualität ist geprägt von Spontanität, Neugier und vor allem Unbefangenheit. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist bei Kindern die Sexualität nicht auf größtmögliche Erregung oder Orgasmus gerichtet, sondern ergibt sich aus der Situation unter Einbeziehung von Körper, Geist und Seele. Der Kontakt zu anderen, zu anderen Körpern oder dem eigenen ist nicht zielgerichtet und immer ganzheitlich. (vgl. Phillips, 2005)

Kinder trennen nicht zwischen Zärtlichkeit, Genitalität und Sinnlichkeit. Sie bewerten auch die verschiedenen Genussmöglichkeiten nicht sondern nutzen alle vorfindbaren Gegebenheiten um schöne Gefühle zu bekommen. Damit ist kindliche Sexualität egozentrisch und nicht beziehungsorientiert. Ein Kind schmust und kuschelt weil es ihm gefällt und nicht weil es seine Liebe ausdrücken möchte.

Die direkte unbekümmerte Art von Kindern mit Sexualität umzugehen, irritiert Erwachsene und schafft bei ihnen Unsicherheit im Verhalten. Erwachsene werden mit der Tatsache konfrontiert, dass Kinder sexuelle Wesen sind und dass sie wichtige Aufgaben zur Entwicklung einer geschlechtlichen Identität zu entwickeln haben.

1.3. Sexualpädagogik: ein Überblick

Sexualpädagogik ist eine Aspektdisziplin der Erziehungswissenschaften. Sie erforscht nicht nur die sexuelle Sozialisation des Menschen sondern auch die zielgerichtete pädagogische Einflussnahme auf Sexualität. Damit meint also Sexualerziehung die „kontinuierliche, intendierte Einflussnahme auf die Herausbildung sexueller Motivation, Ausdrucks- und Verhaltensformen sowie von Einstellungs- und Sinnaspekten der Sexualität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.“ (Sielert 2005a, S.15)

Sexualerziehung war über die Jahrhundert hinweg von der christlichen Sicht von Sexualität und einer allgemeingültigen Moralvorstellung geprägt. Ebenso wurde sie von anderen Leitwissenschaften, insbesondere der Medizin und Psychiatrie instrumentalisiert. Inhaltlich spiegelt sich das in der Anti-Onaniekampagne im ausgehenden 18. Jahrhundert oder aber durch die Freudschen Schriften. Indem er auf die Tatsache hinwies, dass viele psychische Krankheiten auf fehlgeleiteten sexuellen Energien beruhten war die Sexualerziehung gefragt um Persönlichkeitsstörungen zu verhindern (vgl. Sielert 2005a, S. 18).

Reformbemühungen konnten erst durch die 68 Bewegung und damit die Befreiung aus sexuellen Zwängen erreicht werden. Ab 1970 erließen Schulverwaltungen unterschiedliche Richtlinien zur Sexualerziehung. Allerdings praktizierten weder Schulen noch Jugendarbeit noch Familie Sexualerziehung. Dies änderte sich erst mit den Diskursen um Aids, sexuellen Missbrauch und die Vermarktung von Sexualität sowie das Infragestellen des Patriarchats in den 80er Jahren. 1992 wurde das „Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung“ erlassen und somit Sexualpädagogik festgeschrieben (vgl. Sielert 2005a, S.20).

1.4. Themen der Sexualpädagogik

Da Sexualität mehr ist als Genitalität beschränkt sich auch Sexualpädagogik und Sexualerziehung nicht auf Themen der Fortpflanzung oder Funktionen von geschlechtlichen Körperteilen, sondern hat verschiedene Unterthemen, die je nach gesellschaftlicher Entwicklung in unterschiedlichem Maße bedeutsam sein können. Sielert beschreibt die unterschiedlichsten Themenbereiche, die je nach gesellschaftlicher Entwicklung unterschiedliche Bedeutung haben können (vgl. Sielert 2005a, S. 26f.)

- Körper- und Sexualaufklärung
- Ethik, Moral und Wertorientierung als Bereich der sexuellen Identität
- Sprechen über Sexuelles
- Geschlechterverhältnis
- sexuelle Orientierung
- Sexualität im Spannungsfeld der Kulturen
- Sexualität und Behinderung
- Sexualität im Alter
- Sexualität und Gewalt
- Sensibilisierung der Sinne und Sinnlichkeit

2. Sexuelle Sozialisation im Kindesalter

2.1. Sexuelle Sozialisation im ersten Lebensjahr

Die Geburt als ein Erlebnis, dass der Neugeborene mit allen Sinnen erlebt, ist psychoanalytisch gesehen eine ganzheitliche Körpererfahrung die von extenziellen Gefühlen wie Angst vor dem Zerdrücktwerden oder Ersticken bis hin zum ersten Schrei und dem ermatteten Einschlafen oder dem ersten Saugen an der Brust reicht. Dabei bleibt die Sehnsucht nach der Geborgenheit, nach Sicherheit, nach verlässlicher Liebe und Wärme wie sie in der Gebärmutter vorherrschen ein Leben lang. In diesem Sinne ist es verständlich, dass Säuglinge schon in den ersten Lebensmonaten ihre körperliche Trennung von der Mutter durch Lusterfahrungen auszugleichen versuchen. (vgl. Sielert 2005a, S.101)

Sigmund Freud, der sich intensiv mit der Sexualität aus psychoanalytischer Sicht beschäftigt hat, bezeichnet das erste Lebensjahr als orale Phase. Dabei steht der Mund als zentrales Lustorgan im Mittelpunkt. Saugen an der mütterlichen Brust, aber auch an der Flasche, Nuckeln an Objekten oder den eigenen Fingern werden als lustvoll empfunden. Mit dem Mund entdeckt der Säugling die Welt und erkundet sein nahes Umfeld. Zusätzlich zur Mundregion erlebt der Säugling körperliche Zuwendung als befriedigend. Zärtlichkeiten am ganzen Körper, Nacktsein, Streicheln und Küssen befriedigen die Bedürfnisse des Kindes nach intensiver Nähe und Geborgenheit. (vgl. Wanzek- Sielert 2003, S.7)

Durch die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse erlebt der Säugling nicht nur Zärtlichkeitsgefühle sondern auch körperliche Lust durch Anspannung und Entspannung. Es erfährt so auf natürliche Weise welche Berührungen am Körper angenehm und lustvoll sind. Mit der motorischen Entwicklung reift auch die Neugier auf den eigenen Körper. So sind Säuglinge nach und nach auch in der Lage angenehme Gefühle selbst herbeizuführen. Sie entdecken wie sich Berührungen an den Gliedmaßen unterscheiden zu Berührungen im Genitalbereich. Die Reaktion der Eltern auf diese kindliche Neugier ist entscheidend für die weitere psychosexuelle Entwicklung des Kindes. Besteht für Kinder die Möglichkeit in einem zärtlichen Umfeld aufwachsen und die Gelegenheit den eigenen Körper kennen zu lernen, sich ein Bild dessen zu machen und ihre Sexualität zu entdecken, so wirkt sich dies positiv auf die gesamte Entwicklung des Kindes aus.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Sexuelle Sozialisation – die Notwendigkeit von Sexualpädagogik in Kindertagesstätten
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Veranstaltung
Erziehungswissenschaften
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
26
Katalognummer
V127024
ISBN (eBook)
9783640333776
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexualpädagogik
Arbeit zitieren
Juliane Riemann (Autor:in), 2008, Sexuelle Sozialisation – die Notwendigkeit von Sexualpädagogik in Kindertagesstätten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127024

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