Die Lebensweise mitteleuropäischer Ameisenarten. Erläuterungen zur Haltung in Formikarien


Examensarbeit, 2006

77 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Allgemeines über Ameisen
2.1. Zusammensetzung und Größe von Ameisenvölkern
2.2. Evolution und Stellung der Ameisen im Reich der Insekten
2.3. Anatomie und Verwandtschaftsgruppen

3. Entstehung und Entwicklung von Ameisenstaaten
3.1. Besonderheiten bei staatenbildenden Insekten
3.2. Fortpflanzung, Schwärmen und Begattung
3.3. Arten der Koloniegründung
3.4. Vom Ei zur erwachsenen Ameise
3.5. Ameisenkasten und deren Entstehung
3.6. Ameisenvölker im Jahreszyklus

4. Nestbau
4.1. Nestbiologie, Nestökologie und Hygiene
4.2. Nesttypen

5. Das Gesellschaftsleben der Ameisen
5.1. Ist der Ameisenstaat eine Monarchie?
5.2. Grundlagen des Zusammenlebens
5.2.1. „Grundgesetz“ des Handelns: Das Erbgut
5.2.2. Arbeitsteilung
5.2.3. Kommunikation
5.3. Krieg, Frieden und Feinde der Ameisen
5.4. Sozialparasitismus
5.5. Ameisengäste - Myrmecophile

6. Das Sinnesleben der Ameisen
6.1. Sinnesorgane
6.2. Orientierung

7. Ernährung des Ameisenvolkes
7.1. Ernährungsstrategien

8. Ameisen im Biologieunterricht und deren Haltung in Formikarien
8.1. Grundlagen
8.2. Formikarien
8.3. Ameisenhaltung im Rahmen dieser Arbeit
8.4. Rechtliche Grundlagen des Ameisenschutzes
8.5. Ameisen im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen
8.6. Die Popularität von Ameisen und deren Haltung sowie ihre ökologische Bedeu- tung in Deutschland
8.7. Ausgewählte Mitteleuropäische Ameisenarten und verschiedene Aspekte in Be- zug auf deren Haltung

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Unter den staatenbildenden Insekten haben die Ameisen eine besondere Rolle, da sich viele außergewöhnliche Phänomene nur bei diesen Tieren beobachten lassen. Ihre Le- bensweise ist in vielerlei Hinsicht einzigartig und gleichzeitig außergewöhnlich vielfältig. Welche andere Insektenfamilie bedient sich beispielsweise der „Viehzucht“ oder „Skla- venhaltung“? Diese Examensarbeit widmet sich den mitteleuropäischen Ameisenarten und soll einen Einblick in ihre Lebensweise bieten. Dazu werden alle wichtigen Zusammen- hänge in Bezug auf Anatomie, Entwicklung, Nestbau, Gesellschaftsleben, Sinnesorgane und Ernährung erläutert. Die ersten Kapitel bieten eine Einführung in die wichtigsten De- tails über Ameisen, folgend wird die Haltung dieser Tiere behandelt, die besonders in jüngster Zeit in Deutschland an Popularität gewonnen hat. Es wird ein kleiner Einblick in die Anschaffung und Einrichtung von Formikarien geboten und die wichtigsten Kriterien zur erfolgreichen sowie artgerechten Ameisenhaltung erläutert. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Bedeutung des Themas „Ameisen“ im Biologieunterricht an allgemein- bildenden Schulen eingegangen. Es werden mögliche thematische Schwerpunkte und Her- angehensweisen zur Unterrichtsvorbereitung behandelt und die Vorteile eines Ameisenfor- mikariums in der Schule verdeutlicht. Die Arbeit endet mit der Vorstellung von einigen bei Ameisenhaltern beliebten Ameisenarten und beschreibt einige artspezifische Verhal- tensweisen sowie wichtige Details zur Fütterung.

2. Allgemeines über Ameisen

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 13-25; KIRCHNER 2001: 9-15; SCHWENKE 1985: 7- 11; HÖLLDOBLER 1995: 1-14; SEIFERT 1996: 9, 10)

Ameisen gehören zur Gruppe der Insekten, die in ihrer Artenzahl alle anderen Tier- gruppen um ein vielfaches überschreiten. Während es beispielsweise weltweit ca. 8500 Vogelarten und 5500 Säugetierarten gibt, so ist eine Zahl von 1 Million Insektenarten un- gleich größer. Ca. 10 000 davon sind Ameisenarten, von denen etwa 100 Arten in Mittel- europa auftreten. Umgerechnet sind also 1% der Insektenarten Ameisen und nur 1% dieser Ameisenarten kommt in Mitteleuropa vor. Wenn man sich näher mit den Ameisen be- schäftigt, so wird einem schnell klar, dass ihr primärer Lebensraum in den Tropen zu fin- den ist.

Wenn man diese Auflistung näher betrachtet, so scheinen die Ameisen zunächst gar nicht so stark vertreten zu sein, was jedoch nur in Bezug auf die Artenanzahl gilt. Man darf sich hiervon nicht täuschen lassen, denn was unter ökologischen Gesichtspunkten viel mehr ins Gewicht fällt ist die Zahl der Individuen. In dieser Hinsicht stehen die Ameisen ganz oben, da es nicht nur außergewöhnlich viele Ameisennester gibt, sondern in diesen Nestern auch gleichzeitig Tausende und manchmal sogar Millionen Tiere. Die Ursache hierfür ist, dass alle Ameisenarten staatenbildend sind, was sie in Kombination mit der ho- hen Nestanzahl nahezu allgegenwärtig macht. Die soziale Lebensweise teilen sie bei- spielsweise mit einigen Wespen- und Bienenarten ebenso wie mit den Termiten der tropisch geprägten Länder. Im Unterschied zu den Bienen und Wespen jedoch sind sie weitaus zahlreicher vertreten, da auf einen Wespen- oder Bienenstaat Tausende Ameisen- staaten kommen. Dieses auch als eusozial bezeichnete Staatenleben findet man außer bei den Menschen nur noch bei den staatenbildenden Insekten, was in vielerlei Hinsicht mehr als erstaunlich ist. Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen- und In- sektenstaaten ist viel nachgedacht worden, worauf ich später noch genauer eingehen wer- de.

Ihre äußerst effektive Lebensweise und Anpassungsfähigkeit haben die Ameisen zur erfolgreichsten Gruppe aller Insekten gemacht, sie sind von den tropischen Urwäldern bis zum Polarkreis und selbst in den Wüsten vertreten.

2.1. Zusammensetzung und Größe von Ameisenvölkern

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 13-25; KIRCHNER 2001: 13-15; SCHWENKE 1985: 8- 11; HÖLLDOBLER 1995: 1-25; SEIFERT 1996: 24-29)

Wenn man in der freien Natur Ameisen begegnet, dann sind dies in der Regel Ar- beiterinnen, die die große Masse einer Ameisenkolonie ausmachen. Generell kann man diese Tiere als sterile Töchter einer oder mehrerer eierlegender Königinnen betrachten. Der Ameisenstaat ist also wie auch der Bienenstaat eine Mutterfamilie, die Männchen ha- ben nicht Teil an der Gemeinschaft des Volkes. Ameisenvölker können über verschiedene Anzahlen von fruchtbaren Weibchen verfügen, man unterscheidet hierbei zwischen Mono- gynie, Oligynie und Polygynie. Monogyne Völker, z.B. der Schwarzgrauen Wegameise Lasius niger, verfügen über eine einzelne Königin, oligyne Völker wie z.B. die der Ross- ameise Camponotus ligniperda bekommen ihren Nachwuchs durch einige wenige Köni- ginnen. Bei polygynen Ameisenarten, wie beispielsweise der Kahlrückigen Waldameise Formica polyctena, können gar einige hundert bis einige tausend Königinnen für die Eiab- lage zuständig sein. Die fruchtbaren weiblichen Tiere erfüllen also für den Staat eine wichtige Rolle, die den Fortbestand der Kolonie sichert. Aus diesem Grund findet man die Königin(-nen) nur sehr selten, z.B. beim Wechsel der Nestortes, außerhalb des Nestes.

Ameisenkolonien bestehen also aus einer oder mehreren eierlegenden Königinnen und einer schwankenden Zahl an Arbeiterinnen. Neben diesen Individuen findet man in Mitteleuropa zu den Schwärmzeiten zusätzlich unterschiedliche Anzahlen an männlichen und weiblichen geflügelten Geschlechtstieren. Diese verlassen während der artspezifi- schen Schwärmzeit das Nest, um sich im Hochzeitsflug zu paaren und neue Völker zu gründen. Weiterhin findet man in Ameisennestern verschiedene Jugendstadien der Amei- sen, die in Form von Eiern, Larven und Puppen vorliegen. Diese werden als sog. Brut be- zeichnet und sind z.B. bei den Waldameisen während der Aktivitätsperiode vom Frühjahr bis Herbst zu finden. Bei den Weg- und Knotenameisen können sie auch zusammen mit dem Staat überwintern. Zusammenfassend findet man also in Ameisenstaaten permanent eine oder mehrere begattete, eierlegende Königinnen, verschiedene Anzahlen von un- fruchtbaren Arbeiterinnen und periodisch männliche und weibliche geflügelte Ge- schlechtstiere sowie Eier, Larven und Puppen.

In Bezug auf die Größe von Ameisenvölkern herrscht eine große Vielfalt, manche Staaten sind so klein, dass man sie kaum als solche bezeichnen kann. Die Völker der Schmalbrustameisen beispielsweise bestehen aus nicht mehr als 200 Individuen. Die Mehrheit der mitteleuropäischen Ameisenarten bilden Völker, die nicht selten aus einigen tausend Ameisen bestehen. Es treten jedoch auch wesentlich größere Volksstärken mit 10 000 bis 100 000 Individuen auf, wie z.B. bei verschiedenen Waldameisenarten (vgl. KIRCHNER 2001: 14).

2.2. Evolution und Stellung der Ameisen im Reich der Insekten

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 25-29; KIRCHNER 2001: 11, 12; SCHWENKE 1985: 8- 11; HÖLLDOBLER 1995: 1-14)

Unter den Ameisen existiert keine Art, die noch nicht ein vollständig ausgebildetes Staatenleben entwickelt hat. Es fehlt also an Vorstufen, die Hinweise auf die Evolution dieser hoch entwickelten Lebensgemeinschaften geben könnten. Um ihre evolutionäre Entwicklung dennoch nachvollziehen zu können, hilft ein Blick auf ihre Stellung im Reich der Insekten (Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Stellung der Ameisen im Reich der Insekten (aus: Gösswald 1985: 25)

Es gibt Ameisenfunde in fossilem Harz aus der Kreidezeit, die beweisen, dass Ameisen in ihrer jetzigen Form bereits vor 135 Millionen Jahren existiert haben. Die Insektenstaaten sind unabhängig voneinander in verschiedenen Zweigen des Insektenreiches entstanden. Am ältesten sind hierbei die Termiten. Sie werden oft fälschlicherweise wegen ihrer wei- ßen Färbung als „Weiße Ameisen“ bezeichnet, aber sowohl ihre Verwandtschaft als auch ihre Lebensweise ist sehr verschieden. Ameisen haben sich erst viel später entwickelt und gehören zoologisch gesehen zu den Hautflüglern (Hymenoptera), zu dieser Insektenord- nung gehören auch die Bienen, Wespen und Hummeln.

2.3. Anatomie und Verwandtschaftsgruppen

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 26-30; KIRCHNER 2001: 16-24; SCHWENKE 1985: 11- 16; http://www.ameisenhaltung.de/ameisen/anatomie/: 10.09.2005; PAUL 2001: 79-87; SEIFERT 1996: 10-17)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Dorsalansicht einer Ameise (aus: http://www.ameisenhaltung.de/ameisen/anatomie/ : 10.09.2005)

Ameisen gehören, wie bereits erwähnt, zu den Insekten (insectus = eingeschnit- ten), was darauf hindeutet, dass der Kör- per in eine Anzahl ringförmiger Abschnitte, die sog. Segmente, unterteilt ist (Abb. 2). Diese werden in die drei großen Körperteile Kopf, Brust (Thorax) und Hinterleib (Gaster) unterteilt (vgl. SEIFERT 1996: 10).

Während der Kopf aus mehreren Körper- ringen nahezu nahtlos verschmolzen ist, sind die Brustabschnitte deutlich unter- scheidbar. Die Brust der Ameisen trägt drei Beinpaare, weshalb die Insekten auch als „Sechsbeiner“ (Hexapoda) be- zeichnet werden. Sie unterscheiden sich darin beispielsweise von den Spinnen, die 8 Beine besitzen und daher auch nicht den In- sekten zugeordnet werden. Der Hinterleib ist mit der Brust durch eine stielförmige Brücke verbunden (Petiolus), die bei der verwandtschaftlichen Gruppierung eine besondere Rolle spielt.

Um innerhalb der Familie der Ameisen zwischen verschiedenen Verwandtschafts- gruppen zu unterscheiden, wird der Stiel zwischen Brust und Hinterleib (Petiolus) genutzt, der ursprünglich zum Abdomen gehört. Bei der überwiegenden Anzahl der heimischen Ameisenarten besteht dieser Stiel aus einem Glied. Man kann vier große Unterfamilien unter den europäischen Arten erkennen (vgl. SCHWENKE 1985: 15).

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Abbildung 3: Umriß je einer Arbeiterin der 4 Ameisen-Unterfa- milien: A Urameisen, B Drüsenameisen, C Schuppenameisen, D Knotenameisen (aus: Schwenke 1985: 15)

Die Urameisen (Ponerinae), deren Hinterleib eine auffällige Einbuch- tung zwischen dem 1. und dem 2. Segment nach dem Petiolus auf- weist (Abb. 3A).

Die Drüsenameisen (Dolichoderi- nae), dessen Hinterleib aus vier Segmenten besteht (Abb. 3B).

Die Schuppenameisen (Formici- nae), deren Hinterleib aus fünf Segmenten besteht (Abb. 3C).

Die Knotenameisen (Myrmicinae), deren Stiel aus zwei Gliedern be- steht (Abb. 3D).

Von diesen vier Unterfamilien sind die Ur- und die Knotenamei- sen stechend, während die Drüsen- und Schuppenameisen beißend sind. Diese vier Ameisen-Unterfa-milien sind in Mitteleuropa mit 2-19 Gattungen und 2-52 Arten vertreten (Tab. 1).

Tabelle 1: Anzahl an Arten in den vier Unterfamilien der Ameisen (aus: Schwenke 1985: 14)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Urameisen sind die kleinste Unterfamilie mit nur zwei einheimischen Arten. Ihr Name wird aus ihrer urtümlichen Form des Staatenlebens abgeleitet. Auch die Drüsenameisen bilden eine relativ kleine Unterfamilie mit nur vier bei uns vertretenen Arten. Sie wurden nach ihrer besonderen Giftdrüse benannt, die im Gegensatz zu anderen Ameisenarten ein besonders aromatisch riechendes Gift produziert. Die Schuppenameisen sind die arten- reichste Unterfamilie, die ihren Namen einer aufrechten Schuppe am Stielglied verdanken (siehe Abb. 3C). Die Knotenameisen sind in sehr viele Gattungen unterteilt, was sich durch die vielfältigen Lebensweisen dieser Unterfamilie erklären lässt.

Wie bereits erwähnt findet man in Ameisenstaaten zwei verschiedene Arten von weiblichen Tieren, zum einen die Königinnen (Gynomorphe) und zum anderen die Arbei- terinnen (Ergatomorphe), die sich in einer Reihe von Merkmalen anatomisch unterschie- den. Die wichtigsten seien hier kurz erwähnt (vgl. KIRCHNER 2001: 19, 20):

- Königinnen sind in der Regel größer als ihre Arbeiterinnen, bei primitiven Arten wird dieser Größenunterschied nicht so deutlich.
- Junge Königinnen haben – außer bei einigen wenigen Arten – zunächst Flügel, die sie nach der Begattung abwerfen. Arbeiterinnen haben im Gegensatz dazu niemals Flügel.
- Die Eierstöcke sind bei den Königinnen voll entwickelt und funktionsfähig, was sich im Vergleich zu den Arbeiterinnen in einem größeren Hinterleib äußert. Die Fortpflan- zungsorgane der Arbeiterinnen sind hingegen stark zurückgebildet und nicht zur Eiab- lage fähig.
- Arbeiterinnen müssen im Ameisenstaat viele Aufgaben erfüllen, was sich bei ihnen in jenen Gehirnbereichen auswirkt, die für das Sozialleben bedeutsam sind. Sie haben also offensichtlich ein teilweise höher entwickeltes Gehirn als die Königinnen, die „nur“ reproduktive Funktion hat.

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Abbildung 4: Die wichtigsten Organe und Drüsen einer Ameise (aus: http://www.ameisenhaltung.de/ameisen/anatomie/ : 10.09.2005)

Betrachtet man die inneren Organe der Ameisen, so ist besonders der Kropf (siehe Abb. 4 [14]) interessant. Die- ser „Sozialmagen“ speichert den überwiegenden Teil der aufgenommenen Nahrung, um ihn später an andere Ko- loniemitglieder durch Her- vorwürgen (Regurgitieren) weiterzugeben. Er dient also nur als kurzfristiger Futter- speicher, der nicht für den eigenen, sondern für den fremden Bedarf genutzt wird. Weiter- hin verfügt der Ameisenkörper über verschiedenste Drüsen, die u.a. Verdauungssekrete, Futtersäfte, Wehrsekrete, Botenstoffe und Hormone produzieren. Besonders diese Drüsen zeigen, dass der Organismus der Ameisen auf ein Gemeinschaftsleben ausgelegt ist.

3. Entstehung und Entwicklung von Ameisenstaaten

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 26-32; KIRCHNER 2001: 16-24; SCHWENKE 1985: 11- 16; HÖLLDOBLER 1990: 143-179)

Es wurde bereits über die grobe Zusammensetzung von Ameisenvölkern gespro- chen, nun geht es um deren Entstehung und Entwicklung. Wie alle staatenbildenden Insek- ten unterliegen auch die Ameisenstaaten einigen Besonderheiten, die nur bei dieser Tier- gruppe vorzufinden sind, was folgend genauer erläutert wird. Weiterhin wird das Thema der Fortpflanzung sowie die unterschiedlichen Entwicklungsstadien von Ameisen behan- delt, ebenso wie die Entstehung neuer Ameisenstaaten.

3.1. Besonderheiten bei staatenbildenden Insekten

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 26-32; KIRCHNER 2001: 16-24; SCHWENKE 1985: 11- 16)

Staatenbildende Insekten unterschieden sich in vielen Punkten von den solitären, also einzeln lebenden, Insekten. Soziale Insekten gelten erst dann als eusozial, wie z.B. die Ameisen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

- Brutpflege durch mehrere Individuen,
- eine reproduktive Arbeitsteilung,
- Überlappung von mindestens zwei Generationen.

Dies bedeutet, dass sich mehrere Individuen um die Brut eines anderen Individuums küm- mern, es gibt fruchtbare (Königin) und unfruchtbare Weibchen (Arbeiterin) und das Mut- tertier lebt mit ihren Töchtern zusammen. Bei den solitär organisierten Insekten hat das Weibchen nach erfolgter Eiablage in vielen Fällen ihre Aufgabe erfüllt, eine wie bei den eusozialen Insekten ausgeprägte Sorge um den Nachwuchs tritt zumindest in dieser Form nicht auf. Jedoch kann auch hier teilweise Brutpflege beobachtet werden, wie u.a. bei den Wanzen (Heteroptera). Bei der Art Tingidae gargaphia beispielsweise beschützt das Mut- tertier ihre Jungen, indem sie sich Freßfeinden in den Weg stellt. Oft verliert sie dabei ihr Leben, hält aber den Feind solange auf, bis sich die Jungen verstecken können. Bei den staatenbildenden Insekten verbrauchen die Jugendstadien der Nachkommen grundsätzlich Arbeitskraft. Dies scheint zunächst ein Nachteil zu sein, erweist sich jedoch bei genauerer Untersuchung als vorteilhaft. Die Gefahrenunterschiede während der Reifung bis zum aus- gewachsenen Insekt sind zwischen diesen beiden Lebensweisen beträchtlich! Bei den sich zweigeschlechtlich fortpflanzenden solitären Insekten sterben durchschnittlich 98 % wäh- rend der Reifung zum fortpflanzungsfähigen Insekt ab. Diese Sterbequote ist von verschie- densten Faktoren wie z.B. Insektenart und Umweltsituation abhängig und regelt im unge- störten Naturhaushalt das Artengleichgewicht (vgl. GÖSSWALD 1985: 32).

Ameisenstaaten haben zunächst den Vorteil mehrjähriger Eiablage, was bei solitär lebenden Insekten eher selten auftritt. Bei einigen Arten, z.B. bei der Kahlrückigen Wald- ameise Formica polyctena, kommt der Vorteil mehrerer eierlegender Königinnen hinzu. Der primäre Vorteil ergibt sich jedoch durch die geschützte und weitgehend verlustfreie Aufzucht des Nachwuchses im Ameisenbau. Die größten Verluste erleiden die Ameisen- völker während der Schwarmflüge, bei denen die Geschlechtstiere das schützende Nest verlassen, um sich zu paaren und neue Völker zu gründen. Viele werden dann die Beute von Vögeln oder anderen Räubern. Auch die sich anschließende Phase der Staatengrün- dung ist mit Gefahren verbunden, was insgesamt die Vorteile des Überlebens der jungen Geschlechtstiere im Ameisennest ausgleicht. Es ist wichtig zu erwähnen, dass beispiels- weise aus einem Waldameisennest jedes Jahr einige tausend fruchtbare Weibchen und Männchen ausschwärmen können. In Verbindung mit der durchschnittlichen Lebensdauer einer Königin von 20 Jahren darf somit zur Aufrechterhaltung des natürlichen Gleichge- wichts gegenüber anderen Insekten- oder Ameisenarten nur eine oder einige wenige der unzähligen Weibchen zur Staatsmutter werden.

3.2. Fortpflanzung, Schwärmen und Begattung

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 34-42; KIRCHNER 2001: 80-85; SCHWENKE 1985: 63- 71; SEIFERT 1996: 34-37)

Aufgrund der Tatsache, dass die Lebensdauer der Ameisenvölker die der Arbeite- rinnen weit übersteigt, müssen die verendeten Individuen ersetzt werden. Weiterhin wer- den Geschlechtstiere benötigt, um neue Völker zu gründen und neue Lebensräume zu be- siedeln. Folgend geht es also zum einen um die Erzeugung und Entwicklung neuer Indivi- duen und zum anderen um die Entstehung neuer Ameisenvölker, die Koloniegründung.

Zunächst möchte ich mich mit dem Prozess der Fortpflanzung beschäftigen, der es den Ameisen u.a. ermöglicht, neue Kolonien zu gründen. In der Regel versteht man un- ter Fortpflanzung die Gewinnung neuer Individuen aus den vorhandenen. Im Ameisenvolk übernehmen diese Aufgabe die Geschlechtstiere, also die Männchen und die fruchtbaren Weibchen. Arbeiterinnen sind, wie bereits erwähnt, nicht zur Fortpflanzung befähigt, ihre Eierstöcke sind in den meisten Fällen nicht funktionsfähig. Der Normalfall bei den Amei- sen ist die zweigeschlechtliche Fortpflanzung durch Männchen und Weibchen, bei einzel- nen Arbeiterinnen können in seltenen Fällen Eier heranreifen, die jedoch unbefruchtet bleiben, also auf eingeschlechtlichem Wege zustande kommen.

Bei den mitteleuropäischen Ameisenarten verläßt in der Regel pro Jahr nur eine einzige Geschlechtstiergeneration das Stammnest. Der für den Aufbau dieser Generation benötigte Zeitraum schwankt von Art zu Art beträchlich und ist nicht zuletzt von vielen Faktoren, wie z.B. der Außen- bzw. Nesttemperatur abhängig. Die überdurchschnittlich warm temperierten Nesthügel der Waldameisen beispielsweise benötigen zur Aufzucht ih- rer Geschlechtstiere nur 5-6 Wochen. Viele andere heimische Ameisenarten leben unter wesentlich ungünstigeren klimatischen Bedingungen, was die Zeitspanne der Geschlechts- tieraufzucht entsprechend in die Länge zieht. Bei vielen Weg- und Knotenameisenarten überwintern die Geschlechtstierlarven und vollenden erst nach der Winterruhe ihren Ent- wicklungsprozess (vgl. GÖSSWALD 1985: 33, 34).

Die Begattung der Jungköniginnen erfolgt bei den meisten Ameisenarten nicht im Nest, sondern während des sog. Hochzeitsfluges. Dieser Hochzeits- oder auch Schwarm- flug hat zum einen das Ziel, Geschlechtspartner aus verschiedenen Nestern zusammenzu- führen. Dadurch soll Inzucht verhindert werden, die bei Ameisen nur sehr selten vor- kommt (z.B. bei der Pharaoameise). Zum anderen wird auf diesem Weg zu einer größeren Verbreitung der Art beigetragen. Der Zeitpunkt des Hochzeitsfluges ist bei den einzelnen Ameisenarten sehr verschieden, u.a. hängt er von der Jahreszeit, der Witterung (meist an schwül-warmen Tagen) und von der Tageszeit (meist mittags bis abends) ab. Diese artspe- zifischen Schwärmzeitpunkte verstärken die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens der richtigen Geschlechtspartner. Der Ablauf des Hochzeitsfluges ist oft sehr spektakulär, die Ameisen sammeln sich nicht selten zu tausenden an regelrechten Paarungsplätzen.

Während die Orientierung im Gelände eher optisch gesteuert ist, wird das Finden der passenden Geschlechtspartner durch Pheromone ermöglicht. Diese von den Jungköni- ginnen abgegebenen Sexuallockstoffe wirken zusätzlich stimulierend. Die eigentliche Be- gattung findet überwiegend in der Luft statt, kann jedoch auch auf festem Boden oder Pflanzen durchgeführt werden. Die Männchen sind durchaus in der Lage, sich auch mit mehreren Weibchen zu paaren. Mehrfachbegattungen einer Jungkönigin kommen vielfach bei Arten vor, die nur eine einzige Königin besitzen und sehr individuenreich sind, da hier eine entsprechend große Menge an Sperma gespeichert werden muss. Für die Speicherung des Spermas besitzen die Jungköniginnen im Hinterleib ein spezielles Organ, die sog. „Sa- mentasche“ (Receptaculum seminis), die die Spermien auch über mehrere Jahre hinweg zeugungsfähig hält. Sie werden je nach Bedarf portionsweise abgegeben, um die in der Vagina vorbei gleitenden Eier zu befruchten. Dieser effektive Speichermechanismus ist notwendig, da der von den Männchen gelieferte Spermienvorrat später nicht wieder aufge- füllt werden kann.

Nach dem Hochzeitsflug sterben die Männchen relativ rasch und werden nicht sel- ten von den Hinterbliebenden als Nahrungsergänzung genutzt. Die Weibchen hingegen stellen ihre Flugaktivitäten ein und nutzen danach nur noch ihre Beine zur Fortbewegung. Die nun überflüssig gewordenen Flügel werden an einer Sollbruchstelle abgebissen. Die für den Hochzeitsflug notwendige Flugmuskulatur ernährt die Jungkönigin in der Folge- zeit, bis sie einen Hofstaat gebildet hat, der in der Lage ist, sie zu ernähren.

Die Überlebenden des Hochzeitsfluges kommen nun in eine für die Fortpflanzung recht kritische, jedoch notwendige Lebensphase. Die Jungköniginnen können sich nun ent- weder einer schon bestehenden Ameisenkolonie anschließen oder ohne fremde Hilfe ein eigenes Volk gründen. Generelle Voraussetzung für das Überleben ist ein für die Königin geeigneter Lebensraum, den sie nach dem Hochzeitsflug bereits erreicht haben sollte. Falls sie in einem ungünstigen Lebensraum gelandet sein sollte, verringern sich ihre ohnehin schon geringen Erfolgschancen nochmals. Permanente Gefahren durch Vögel, Raubinsek- ten oder Spinnen verfolgen sie auch weiterhin. Statistisch überlebt nur eine einzige von rund 10 000 Jungköniginnen in dem Sinne, dass sie erfolgreich eine neue Kolonie gründet (vgl. KIRCHNER 2001: 85).

3.3. Arten der Koloniegründung

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 49-52; KIRCHNER 2001: 85-89; SCHWENKE 1985: 71- 9; HÖLLDOBLER 1990: 157-164; SEIFERT 1996: 37-51)

Voraussetzung für die Gründung eines neuen Staates ist ein gesundes begattetes Weibchen. Diese neue Staatsmutter erzeugt nach dem Flügelabwurf einen eigenen Geruch, der fortan die Mitglieder ihrer Kolonie identifiziert. Falls sie sich einem anderen Volk an- schließt, wird sie den dortigen Geruch annehmen. In Bezug auf andere Staaten gründende Weibchen entwickeln viele Arten einen „Mordinstinkt“, der sie dazu stimuliert, andere konkurrierende Jungköniginnen zu töten. Erkennungsmerkmal hierbei ist wiederum der in- dividuelle Staatsduft. Die Jungköniginnen einiger Ameisenarten können sich zunächst in einer Art „Gründungskammer“ zusammenschließen, wie es beispielsweise bei der Schwarzgrauen Wegameise Lasius niger vorkommt. Mit dem Ausreifen der Brut jedoch tritt sog. Brutegoismus auf, der die Königinnen dazu veranlasst, sich solange gegenseitig zu bekämpfen, bis nur noch eine übrig ist. Generell wird zwischen zwei verschiedenen Wegen der Koloniegründung unterschieden, die hier kurz dargestellt werden (vgl. HÖLLDOBLER 1990: 157).

Bei der sog. unabhängigen Koloniegründung wird ein neues Volk durch eine einzelne begattete Jungkönigin ohne fremde Hilfe gegründet. Auch die bereits erwähnte Methode der „Gründungskammer“ fällt in diese Kategorie. Die Königinnen suchen hierzu nach erfolgreichem Hochzeitsflug einen geeigneten Nistplatz, der zur Nestgründungskam- mer wird. Dies sind in der Regel schon vorhandene Hohlräume in totem Holz, unter der Rinde oder unter Steinen. Die Nistplatzwahl ist oft artspezifisch, jedoch herrscht hier eine sehr große Vielfalt auch innerhalb einer Art.

Nach der ersten Einnistung erfolgt innerhalb eines artspezifischen Zeitraumes die erste Eiablage, die daraus schlüpfenden Larven werden nun von der Königin gepflegt. Was die Ernährung dieser ersten Brut betrifft, so gibt es Arten (besonders jene mit relativ kleinen Königinnen), die auf Nahrungserwerb von außen angewiesen sind. Zu diesen ge- hört beispielsweise Myrmica rubra.

Höher entwickelte Arten wie beispielsweise Lasius niger gründen ihre Kolonie un- ter völligem Ausschluss der Außenwelt, im Versuch wirkt hier eine Zusatzfütterung eher störend. Die Größenunterschiede zwischen der Königin und ihren kleinen Arbeiterinnen sind hier beträchtlich, dementsprechend sind auch die Körperreserven der jungen Königin groß. Hinzu kommt noch, dass Lasius niger über sog. Pygmäen verfügt, das sind die ersten kleinen Arbeiterinnen der noch jungen Kolonie, die im Vergleich zu den späteren Arbeite- rinnen sehr klein sind. Auch verzehren die Junköniginnen dieser Art anfangs schwankende Mengen an Eiern bzw. Junglarven, was in einer relativ kleinen Zahl an Erstlingsarbeiterin- nen resultiert (vgl. KIRCHNER 2001: 85, 86).

Der erste Schritt der Staatengründung ist nun vollzogen und die Königin wird fort- an von ihren ersten Arbeiterinnen versorgt und gepflegt. Später werden die relativ kurzle- bigen Pygmäen durch der Art entsprechend größere Arbeiterinnen ersetzt und bereits nach den ersten drei Jahren kann die Anzahl der Individuen in diesem Jungstaat auf mehr als 30 000 Tiere ansteigen. Die Nahrungsaufnahme dieses „Superorganismus“ wächst mit stei- gender Individuenzahl, und mit der Aufzucht der ersten Geschlechtstiere hat die Kolonie ihren Reifeprozess beendet. Ein Staat mit verendeter oder unfruchtbar gewordener Köni- gin kann noch ca. drei bis sechs Jahre überleben, die verweiste Brut sowie deren Pflege sorgt in diesem Zeitraum für ausreichend Arbeit.

Bei manchen Ameisenarten haben die Jungköniginnen ihre Fähigkeit zur unabhän- gigen, sprich selbständigen, Koloniegründung verloren. Sie gründen ihren Staat in Abhän- gigkeit der Arbeiterschaft einer fremden Kolonie, sie schmarotzen in einem schon beste- henden Ameisenstaat, in den sie eindrigen und die dortigen Ameisen als Wirte nutzen. Diese Art der Koloniegründung basiert auf dem sog. Sozialparasitismus und wird auch oft als abhängige Koloniegründung bezeichnet. Manche Arten verlassen nach erfolgter Auf- zucht der eigenen Brut das Wirtsnest und gründen ihren eigenen Staat. Dies wird auch als temporärer Sozialparasitismus bezeichnet. Diese Methode hat den Vorteil, dass zum einen die Gefahren der selbständigen Koloniegründung umgangen werden, zum anderen muss keine Gründungskammer gebaut werden und auch die aufwendige Aufzucht der Brut wird von den Wirtsameisen übernommen.

Als Nachteil jener Art der Staatengründung muss erwähnt werden, dass diese sozi- alparasitischen Arten zunächst ein geeignetes Wirtsnest finden müssen, was nicht immer unproblematisch abläuft. Selbst wenn die Jungkönigin fündig wird und erfolgreich in ein fremdes Nest eindringt, so ist ihre dortige Aufnahme nicht immer garantiert, denn falls sie „entlarvt“ wird, bedeutet das ihr sicheres Todesurteil (vgl. GÖSSWALD 1985: 52).

3.4. Vom Ei zur erwachsenen Ameise

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 34-42; KIRCHNER 2001: 90-94; SCHWENKE 1985: 63- 70; SEIFERT 1996: 17-20)

Wie alle Hautflügler unterliegen auch die Ameisen verschiedenen Entwicklungs- stadien, die sowohl Arbeiterinnen als auch Geschlechtstiere vollziehen müssen, bevor sie als voll entwickeltes Insekt betrachtet werden können. Während dieser Entwicklung ver- ändert sich ihre Gestalt mehrfach grundlegend (Abb. 5).

Die Entwicklungszeit der einzel- nen Schritte unterscheidet sich von Art zu Art und ist auch von diver- sen Umweltfaktoren abhängig. Während bei einigen Arten mit gleich bleibender Nesttemperatur die Entwicklung innerhalb von ca. 6 Wochen abgeschlossen ist, kann sie bei anderen wesentlich länger dauern. Besonders kurz ist bei- spielsweise die Entwicklungszeit bei einigen Waldameisenarten, bei vielen Knoten- und Rossameisen

Abbildung 5: Entwicklungsstadien von Ameisen (aus: Kaiser- Benz: 5)

beansprucht sie teilweise viele Monate bis hin zu Jahren.

Beginnend bei dem ersten Entwicklungsstadium, dem Ei, ist zunächst die Größe erwähnenswert. Ameiseneier haben eine längs-ovale Form und sind selbst bei größeren Arten nicht länger als 1 mm. Die Eier der Waldameisenart Formica polyctena beispiels- weise sind ca. 0,6 bis 0,7 mm lang. Einige Königinnen können in einem Jahreszyklus (ca. März bis September) täglich etwa 300 Eier legen (Formica rufa). Die Legeleistung der Königinnen anderer Arten kann aber auch wesentlich geringer ausfallen, Formica polycte- na z.B. legt etwa 10-30 Eier in einem Jahrezyklus. Dies kann u.a. damit erklärt werden, dass viele polygyne Arten (wie z.B. Formica polyctena) durch eine entsprechend größere Anzahl an Königinnen ihren Eierbestand regeln. Monogyne Arten hingegen verfügen nur über eine einzelne Königin, die demzufolge natürlich entsprechend mehr Eier legen muss, um den Fortbestand der Kolonie zu sichern. Dieser Effekt zeigt sich besonders bei der Weltrekordhalterin in Bezug auf die Legeleistung unter den Ameisen, der Treiberameise Eciton (keine mitteleuropäische Art), die ca. 50 Millionen Eier im Jahr legen kann (vgl. KIRCHNER 2001: 91).

Die Eier werden, sobald sie die Königin verlassen, sofort in eine Art Eierlager transportiert, in dem für die Entwicklung optimale Temperatur- und Feuchtigkeitsbedin- gungen herrschen. In dieser Nestkammer werden die Eier von der zuständigen Arbei- terinnenkaste immer wieder beleckt und eingespeichelt, um ein Austrocknen zu verhin- dern und die junge Brut sauber zu halten. Oft haften die Eier aufgrund der Feuchtigkeit zu- sammen und bilden regelrechte Eipakete. Im Innern der Eier findet die Embryonalent- wicklung statt, aus der Eizelle entsteht durch Zellteilung und weiterer Differenzierung der Organe eine Ameisenlarve, die das nächste Entwicklungsstadium einleitet (Abb. 6).

Ameisenlarven sind madenförmig und besitzen daher keine Beine oder Licht- sinnesorgane. Der Kopf ist relativ klein und auch die Mundwerkzeuge sind sehr schwach ausgebildet. Der gesamte Kör- per ist mit ringförmigen Furchen verse- hen, die Larve ist weich und stellenweise durchsichtig. In Bezug auf die inneren

Abbildung 6: Myrmica ruginodis: Eier - Larve - ältere

Larve - Nacktpuppe (aus: Seifert 1996: 19)

Organe ist erwähnenswert, dass der Darm kein durchgehender Schlauch ist, daher können die Larven die Reste der verdauten Nahrung nicht ausstoßen. Die Nahrungsreste werden vielmehr in einem Kotsack gespei- chert, der erst am Ende des Lavenstadiums eine Verbindung zum After ausbildet. Hiermit wird verhindert, dass sich die Brut einkotet und somit einen gefährlichen Nährboden für Mikroorganismen bildet. Weiterhin werden die Larven von den Arbeiterinnen nur mit Nahrung versorgt, die relativ wenig unverdauliche Bestandteile enthält. Interessanterweise sondern die Larven eine klare Flüssigkeit sowohl am Kopf als auch in der Analregion ab, die von den pflegenden Arbeiterinnen begierig aufgeleckt wird. Diese Flüssigkeiten die- nen u.a. auch als Nahrung für die Königinnen, der genaue Zweck dieser Vorgänge wurde noch nicht endgültig geklärt, möglicherweise dienen sie dazu die Bindung der Arbeiterin- nen an ihre Brut zu verstärken (vgl. GÖSSWALD 1985: 36,37).

Trotz der Elastizität der Larvenhaut müssen sich diese bis zu vier mal häuten und die zu klein gewordene Haut abwerfen. Die Zahl der Häutungen unterscheidet sich dabei von Art zu Art. Die ersten Larvenstadien sind sich in Bezug auf ihre Gestalt sehr ähnlich, erst im letztem Entwicklungsabschnitt sind deutliche Veränderungen erkennbar. Der Kör- per verkürzt sich etwas und es lässt sich eine mittige Einschnürung erkennen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass unter der Larvenhaut bereits die Puppe ausgebildet wird, wes- halb dieses Entwicklungsstadium auch als Vorpuppe bezeichnet wird. Aufgrund der grundlegenden Änderungen bezüglich der Anatomie des sich entwickelnden Insekts ist eine Nahrungsaufnahme zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.

Nach der letzten Häutung der Vorpuppe kommt die eigentliche Puppe zum Vor- schein. An dieser Puppe zeigt sich die grundlegende Veränderung, die das werdende In- sekt seit dem Larvenstadium vollzogen hat. Durch die anfangs noch weißlich dünne Kör- perdecke sind bereits erste Glieder des zukünftigen Ameisenkörpers zu erkennen, erst spä- ter wird die Puppenhülle dunkler und fester. Bei einigen Ameisenarten, wie z.B. den Ross- ameisen, findet die Metamorphose im Puppenstadium in einem Kokon aus feinen Fäden statt. Dieser Kokon wurde während des letzten Larvenstadiums gesponnen und besteht aus einem sich erhärtenden Sekret der Labialdrüsen. Diese Drüsen sind speziell bei den Amei- senlarven sehr gut entwickelt. Weiterhin gibt es einige Ameisenarten, die gänzlich auf einen Puppenkokon verzichten, diese sog. Nacktpuppen gibt es u.a. bei den Knotenamei- sen (z.B. Myrmica rubra).

Wie bei den bisherigen Entwicklungsstadien werden auch die Puppen durch eine eigens für sie zuständige Arbeiterinnenkaste umsorgt. Auch sie werden den optimalen Umweltbedingungen entsprechend gelagert. Nach dem Puppenstadium schlüpft die fertige Ameise unterstützt durch die Arbeiterinnen aus ihrem Kokon. Auch nach der abgeschlos- senen Metamorphose vollziehen sich noch Veränderungen im Organsystem und Verhalten der Ameise, allerdings hat sie nun ihre endgültige Größe erreicht und es finden keine Häu- tungen mehr statt. Entgegen der weitläufigen Meinung „wachsen“ die Ameisen also nach erfolgter Metamorphose nicht mehr.

Die Lebensdauer der Ameisen ist im Vergleich zu anderen Insektenarten relativ lang. Dies gilt allerdings nicht für die männlichen Geschlechtstiere, die nach dem bereits erwähnten Hochzeitsflug sterben. Die Arbeiterinnen vieler Ameisenarten werden durchaus 1-2 Jahre alt, es gibt jedoch auch Arten, deren Arbeiterinnen ein Alter von 6-10 Wochen nicht überschreiten. Was die Königinnen angeht, so können sie nicht selten ein erstaunli- ches Alter von 10-20 Jahren erreichen. Die Königin einer in einem Formikarium gehalte- nen Lasius niger Kolonie hat nachweislich ein Alter von 29 Jahren erreicht (vgl. KIRCHNER 2001: 94)

3.5. Ameisenkasten und deren Entstehung

(zusammengestellt aus: GÖSSWALD 1985: 42-45; KIRCHNER 2001: 95-98; SCHWENKE 1985: 16- 24; BOURKE 1961: 39-67; SEIFERT 1996: 17-20)

Einzelne Individuen der staatenbildenden Insekten sind, wie bereits erwähnt, ohne ihre Kolonie nicht lebensfähig. Daher bezieht sich die Arterhaltung nicht auf einzelne Tie- re, sondern auf den gesamten Ameisenstaat, für dessen Bestehen eine Differenzierung in eine Arbeiterinnen- bzw. Geschlechtstierkaste nötig ist. Folgend soll nun geklärt werden, warum aus einem Teil der von der Königin produzierten Eier männliche und aus einem anderen Teil weibliche Tiere entstehen, es geht also zunächst um die Geschlechtsbestim- mung. Weiterhin wird geklärt, welche Faktoren dafür ausschlaggebend sind, ob sich aus einer weiblichen Larve eine Jungkönigin oder eine Arbeiterin entwickelt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass in diesen Bereichen immer noch Forschungsbedarf besteht, da noch nicht alle Faktoren endgültig geklärt worden sind. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Vor- gänge von Art zu Art unterschiedlich ablaufen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Die Lebensweise mitteleuropäischer Ameisenarten. Erläuterungen zur Haltung in Formikarien
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
/
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
77
Katalognummer
V126976
ISBN (eBook)
9783640329878
ISBN (Buch)
9783640331680
Dateigröße
6870 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mitteleuropäische, Ameisenarten, Haltung, Formikarien
Arbeit zitieren
Andreas Eden (Autor:in), 2006, Die Lebensweise mitteleuropäischer Ameisenarten. Erläuterungen zur Haltung in Formikarien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126976

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