Wenn Phantasie erwachsen wird: Eine vergleichende Studie zu Benno Pludras "Lütt Matten und die weiße Muschel" und "Das Herz des Piraten"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

25 Seiten, Note: 1,0

Christine Porath (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Wenn Phantasie erwachsen wird: Ein Vergleich zwischen Benno Pludras „Lütt Matten und die weiße Muschel“ und „Das Herz des Piraten“
2.1 Inhalt und Aufbau
2.2 Figurenkonstellation
2.3 Konfliktgestaltung
2.4 Die Funktion der Phantasie, des Phantastischen und des Traumes

3 Zusammenfassung und Interpretation

4 Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur

5 Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

In der DDR wurde die Literatur für Kinder und Jugendliche in besonderem Maße z.B. durch Preisausschreiben (zur Förderung der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur) gefördert. Eine Folge dessen war, dass viele Autoren sich im Bereich dieses Literaturzweiges versuchten, sowie eine Fülle an Neuerscheinungen: „Zwischen 1949 und 1989 erschienen 4804 Erstauflagentitel mit einer Gesamtauflage von 280 Millionen Exemplaren“ (Lokatis 2006, 108). Dabei gibt es jedoch nur wenige Autoren, die sich einen bleibenden Namen gemacht haben. Zu diesen Autoren gehört zweifelsohne Benno Pludra, der auch nach 1989 weiterhin Kinderbücher veröffentlichte und dessen bekanntesten Werke vielfach neu aufgelegt sowie verfilmt wurden (vgl. Rank 2006).

Obwohl Benno Pludra weitestgehend der realistischen Erzählung verpflichtet war, gibt es unter seinen Werken einige Geschichten, die entweder dem phantastischen Genre zugeordnet werden können oder sich mit der kindlichen Phantasie auseinandersetzen und dadurch phantastische Elemente mit einem real-fiktiven Geschehen verbindet. Trotz allem sind seine Erzählungen (mit der Ausnahme einiger weniger Märchen) immer gegenwartsbezogen!

Zu den Werken, die der Phantastik[1] zugeordnet werden, gehört Das Herz des Piraten, das 1985 im Kinderbuchverlag in der ersten Auflage erschien. Während sich diese Erzählung den Gattungskonventionen entsprechend in dieses Genre einordnen lässt, ist dies bei Lütt Matten und die weiße Muschel, erschienen ab 1963, nicht ohne weiteres möglich. In dieser Erzählung für Leser von 8 Jahren an sind die phantastischen Elemente und Ereignisse in einem Bereich außerhalb der Wirklichkeit – dem Traum – angesiedelt. Eine tatsächliche Konfrontation der phantastischen und realen Ebene findet also nicht oder nur bedingt statt. Demnach kann Lütt Matten und die weiße Muschel eher „als Grenzgänger zwischen den Gattungen realistischen und phantastischen Erzählens [...] gelten“ (Roeder 2006a, 718).

In dieser Arbeit sollen diese beiden Werke, zwischen deren Entstehung 20 Jahre liegen und die in vielen Dingen Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede (bedingt durch Weiterentwicklungen) aufweisen, verglichen werden. Das Hauptgewicht der Untersuchung liegt dabei bei dem Vergleich der Funktion der Phantasie, des Phantastischen und des Traumes sowie der Bezug zur allgemeinen Literaturentwicklung der DDR. Zusätzlich wird auf den Inhalt und Aufbau, die Figurenkonstellation sowie die Konfliktgestaltung eingegangen, um einen allgemeinen Zugang zu diesen Erzählungen zu ermöglichen und das einheitliche Gesamtkonzept der literarischen Werke nicht aus dem Auge zu verlieren. Zudem sind die Stellung und Bewertung der phantastischen Ereignisse nicht unabhängig von Aspekten wie Konfliktgestaltung oder Figurenkonstellation oder der literarischen „Mode“ und den konkreten Gegebenheiten der Gegenwart.

2 Wenn Phantasie erwachsen wird: Ein Vergleich zwischen Benno Pludras „Lütt Matten und die weiße Muschel“ und „Das Herz des Piraten“

2.1 Inhalt und Aufbau

Die Erzählungen Lütt Matten und die weiße Muschel (L.M.) und Das Herz des Piraten (H.P.) verbindet zunächst nur die Gemeinsamkeit des Schauplatzes: Das Meer – wie in vielen Werken Benno Pludras – und die Einleitung der Haupthandlung durch eine Legende oder Sage.

In L.M. wird eingangs die Legende von der weißen Muschel erzählt, die den Fischern am Bodden alljährlich „den Frühling und den Fisch und das Glück“ (L.M. 6[2] ) bringt. Im Anschluss daran wechselt die Erzählung zu den real-fiktiven Ereignissen um den Protagonisten Lütt Matten. Dieser lebt mit seinen Eltern (einem Fischer und einer Hausfrau) in einem Dorf am Bodden, das jedoch nicht näher benannt oder lokalisiert wird, und hat sich eine Reuse gebaut, die jedoch nicht fischt. Lütt Matten wird dafür von den Kindern und Erwachsenen des Dorfes ausgelacht, selbst sein Vater nimmt ihn nicht ernst und dies bereitet Lütt Matten großen Kummer. Nur Mariken – ein kleines Mädchen mit blondem Haar – hält zu ihm. Eines Nachts träumt der Junge, dass der Klabautermann (als kleiner Pinguin) mit ihm auf seinem Bett zum Bodden hinaussegelt, um die weiße Muschel zu rufen und damit sein Reusenproblem zu beheben. Am darauf folgenden Tag findet sich tatsächlich eine Plötze in seiner Reuse und Lütt Matten glaubt, dass die weiße Muschel dafür verantwortlich sei, obwohl Mariken den Fisch in die Reuse gesetzt hat, um ihm eine Freude zu machen. Doch Lütt Matten erntet für „seinen Fang“ keine Anerkennung beim Vater sondern nur Skepsis und Unglauben. Zutiefst davon verletzt beschließt Lütt Matten in der nächsten Nacht tatsächlich auf den Bodden hinauszufahren und die weiße Muschel zu suchen. Doch das Ergebnis ist, dass er sich mit dem Boot seines Vaters in einer Reuse verfängt und die Muschel nicht findet. Die Eltern Lütt Mattens bemerken jedoch sein Verschwinden und dieser kann schließlich gerettet werden. Am nächsten Tag zerstört Lütt Matten seine Reuse, doch kurz darauf kommt sein Vater und beschließt, den Kindern beim Bau einer Reuse behilflich zu sein. Die Erzählung endet schließlich mit einem Ausblick darauf, dass sie nun eine Reuse gebaut haben, die fischt.

Die Erzählung L.M. ist als durchgehender Text in auktorialer Erzählsituation gestaltet[3], es gibt

also keine Kapiteleinteilungen. Es ergibt sich allerdings – bezogen auf den Inhalt – eine Drei- teilung des Textes, die sich in der Erzählweise widerspiegelt:

1. Einleitung – Legende – Präteritum; der Leser wird angesprochen.
2. Hauptteil – Ereignisse um Lütt Matten – Präsens .
3. Schluss – Ausblick auf glückliches Ende – Präteritum; der Leser wird angesprochen.

Während der auktoriale und damit allwissende Erzähler die einleitende Legende und den Schluss, in dem die Erfolge des Reusenbaus sowie die Zukunft der Reuse und der Kinder erwähnt werden, in der Vergangenheitsform (Präteritum) mitteilt und den Leser direkt anspricht (durch Fragen oder Anreden), verbleibt dieser im Hauptteil durchgehend im Präsens und gibt die Geschehnisse und Gedanken der Figuren allwissend und wertfrei wieder. Eine Ausnahme ist hier nur die Szene am Ende von Lütt Mattens Bootsfahrt auf dem Bodden. In einigen Sätzen wird deutlich, dass der Erzähler entweder nicht mehr über ein überschauendes Wissen verfügt oder den Leser fragend anspricht:

„Und wo bleibt die weiße Muschel?

Kann sie nicht sehen: Lütt Matten ist in Not geraten?

Gibt sie kein Zeichen“ (L.M. 73)

Zumindest kann diese Passage m. E. nicht als innerer Monolog Lütt Mattens gewertet werden, sondern hat starke Ähnlichkeit mit den Fragen am Ende der Erzählung:

„Wie geht es nun weiter mit Lütt Matten? [...]

Wie geht es weiter mit der Reuse“[4] (L.M. 90)

Obwohl diese drei Teile oder Abschnitte des Textes bedingt Einfluss aufeinander haben (z.B. der Einfluss der Legende aus Lütt Mattens Verhalten), verläuft die Erzählung linear. Es gibt keine Parallelhandlungen oder -erzählungen, die z.B. bedingt durch die Legende am Anfang möglich sein können (wie bei Das Herz des Piraten). Auch Rückschauen (auf vergangene Ereignisse oder Handlungen) finden sich im Text nur an einer Stelle: Als berichtet wird, wie die Plötze in Lütt Mattens Reuse gelangt ist - und zwar durch Mariken, die diese vorher hineingesetzt hat. Ansonsten folgt die Erzählung chronologisch den Geschehnissen von ca. drei Tagen und zwei Nächten ohne den Schauplatz – das Dorf am Bodden – zu verlassen.

Der Handlungsverlauf von L.M. zeigt eine relativ lange Phase der ansteigenden Handlung und der Zuspitzung des Konfliktes bis zum Höhepunkt – Lütt Mattens nächtliche Bootsfahrt, auf der Suche nach der weißen Muschel. Die darauf folgende absteigende Handlung, der Wendepunkt - das Angebot des Vaters, eine Reuse mit den Kindern zu bauen - sowie die dadurch eingeleitete Lösung, nehmen dahingegen viel weniger Raum ein. Allein die Lösung wird nur auf einer Seite eher angedeutet als tatsächlich ausführlich vorgeführt. In der folgenden Abbil-

dung 2.1.1. ist dieser Verlauft schematisch dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.1.1: Handlungsverlauf von Lütt Matten und die weiße Muschel

Genauso wie bei L.M. ist der Schauplatz in Das Herz des Piraten ein Dorf am Meer. In diesem nicht näher benannten Dorf wohnt Jessika alleine mit ihrer Mutter Elise. Doch bevor die Zentralfigur dem Leser vorgestellt wird, beginnt der Text mit einer Sage von einem Piraten, dessen Herz sich aus seiner Brust löste, während dieser im Meer versank. Eine Verbindung zwischen sagenhafter und real-fiktiver Handlung wird kurz darauf geknüpft: Jessika findet eben dieses Herz in versteinerter Form am Strand, ohne zunächst jedoch zu wissen, dass es sich bei dem Stein um das Herz des Piraten William handelt. Sie entdeckt, dass dieser Stein phantastische Fähigkeiten besitzt: er leuchtet, wärmt und kann sprechen. Im Laufe der Erzählung entdeckt Jessika schließlich das Geheimnis ihres wundersamen Fundes. Daneben wird ihr tägliches Leben mit ihrer alleinlebenden Mutter, die nur selten zuhause ist, geschildert. Jessika leidet unter der Abwesenheit ihres Vaters, bespricht dies jedoch nicht mit ihrer Mutter - bis eines Tages ihr leiblicher Vater (Jakko, ein Zirkusreiter) vor der Tür steht. Jessikas anfänglich dadurch geschürten Hoffnungen auf eine heile Familie werden jedoch durch die Ablehnung ihrer Mutter und den fehlenden Bemühungen Jakkos enttäuscht. Zu dem Problem mit ihrer Vaterlosigkeit kommen im Laufe der Erzählung die Verwürfnisse mit ihren Freunden und der Dorfgemeinschaft (die sie für verrückt erklären, weil sie mit dem Stein redet, aber bis auf Jessika niemand dessen wundersamen Fähigkeiten wahrnehmen kann) sowie ihre dadurch bedingte zunehmende Vereinsamung. Am Ende lösen sich jedoch diese Konflikte, indem Jessika sich von ihrem Vater und dem Herzen des Piraten symbolisch trennt (sie wirft den Stein und eine Kette ihres Vaters ins Meer). Diese Konfliktlösung wird jedoch mehr durch einen inneren Erkenntnisprozess bei Jessika und weniger durch äußere Interventionen herbeigeführt.

Der Text ist im Gegensatz zu L.M. in 20 Kapitel unterteilt und beschreibt den Ablauf von sieben Tagen und sechs Nächten. Es erfolgt jedoch auch in H.P. eine mehr inhaltliche und komplexere Gliederung des Textes durch unterschiedliche Erzählweisen. Sowohl die einleitende Legende und der weitere Text des ersten Kapitels als auch die Berichte von William über dessen Vergangenheit, die vereinzelt im Laufe der Erzählung vorkommen, werden im Präteritum erzählt. Ansonsten, d.h. wenn der auktoriale Erzähler von Jessikas Leben berichtet, wird Präsens verwendet. Somit werden die Handlungsebenen Binnenerzählung und Rahmenhandlung formal voneinander getrennt. Neben diesen beiden Ebenen findet sich noch eine phantastische Ebene, die sich gewissermaßen aus der Begegnung von Binnen- und Rahmenhandlung ergibt. Die Überschneidung aller drei Ebenen führt im Text zu zeitlichen Sprüngen, die die chronologische Folge des Erzählten (wie sie in L.M. dominant ist) ständig unterbricht:

1. Haupthandlung = fiktiv-reale Ebene – reale Gegenwart – Präsens .
2. phantastische Ebene – phantastische Gegenwart – Präsens .
3. Binnenerzählung = fiktiv(-reale?) Ebene – Vergangenheit – Präteritum .

Die erste Ebene entspricht der fiktiv-realen Wirklichkeit um Jessika und ihrem Umfeld. Diese wird hauptsächlich aus der Figurenperspektive erzählt[5], wodurch der Leser zwar Einblick in ihre Gedanken erhält, aber gleichzeitig auch nur so viel erfährt, wie Jessika selbst weiß.

Zur zweiten Ebene gehören dagegen die phantastischen Geschehnisse, die in Jessikas Interaktion mit dem Stein zutage treten und sich dementsprechend hauptsächlich in der direkten Rede (d.h. in den Gesprächen zwischen Jessika und dem Stein) und den Reaktionen der einzelnen Figuren auf das Phantastische manifestieren.

Die dritte Ebene hingegen wird durch die Binnenerzählung konstituiert. Da in dieser das Leben des Piraten retrospektiv durch die Ich-Erzählsituation berichtet wird, ist nicht eindeutig klar, ob es sich um fiktiv-reale Ereignisse oder eher um eine rein fiktive Geschichte handelt.

Die Verknüpfung der Handlungsebenen ergibt im Ganzen folgenden Handlungsverlauf:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.1.2: Handlungsverlauf von Das Herz des Piraten

Der Höhepunkt (HöPu) der Handlung ereignet sich im 14. Kapitel, als Jessikas Vater plötzlich

wieder auftaucht und Jessikas Probleme scheinbar gelöst werden können. Doch diese Lösung bleibt zunächst aus. Erst nachdem Jessika im 18. Kapitel zu der Erkenntnis kommt, dass ihr Wunsch nach einer heilen Familie nicht erfüllt werden kann und der Stein wieder zurück ins Meer möchte (Wendepunkt, WePu), wird eine positive Lösung möglich.

[...]


[1] Phantastische Literatur ist durch ihre 2-Dimensionalität gekennzeichnet, in der eine Dimension die alltäglichen Erfahrungen umfasst und die zweite die übernatürlichen Ereignisse, die in die erste Dimension einbrechen. „Demnach charakterisiert phantastische [Literatur] den einbruch des ‚wunderbaren’, des ‚phantastisch-märchenhaften geschehens in die wirklichkeit’, bzw. ‚der gegensatz zwischen wunderwelt und wirklichkeit’“ (Haas 1978, 342).

[2] Zitiert nach der 13. Aufl. von 1980.

[3] Gliederung und Trennung von Text- und Sinneinheiten werden jedoch in gewissem Maße durch die Illustrationen geleistet.

[4] Dies sind allerdings keine Fragen an den Leser sondern vom Erzähler als mögliche Fragen des Leser gestellt. Die Fragen an den Leser am Ende von Lütt Mattens Bootsfahrt können jedoch ebenso als Vorwegnahme der Fragen des kindlichen Lesers an den Text bzw. die weiße Muschel gedeutet werden, durch die zudem die Anteilnahme an Lütt Mattens Not gesteigert wird.

[5] Nur einmal wechselt die Perspektive des Erzählers temporär zu Albert Wagenführ (siehe H.P. S. 32)

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Wenn Phantasie erwachsen wird: Eine vergleichende Studie zu Benno Pludras "Lütt Matten und die weiße Muschel" und "Das Herz des Piraten"
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Zur Entwicklung der KJL in der DDR
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V126939
ISBN (eBook)
9783640332991
ISBN (Buch)
9783640333004
Dateigröße
1310 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Benno Pludra, Lütt Matten und die weiße Muschel, Das Herz des Piraten, Kinder und Jugendliteratur, DDR, Phantastik, phantastische Literatur, Germanistik, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Christine Porath (Autor:in), 2008, Wenn Phantasie erwachsen wird: Eine vergleichende Studie zu Benno Pludras "Lütt Matten und die weiße Muschel" und "Das Herz des Piraten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126939

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