Eliten als Minderheiten in modernen Gesellschaften


Referat (Ausarbeitung), 2009

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. WAS SIND ELITEN UND WIE KÖNNEN SIE IDENTIFIZIERT WERDEN?

3. LEGITIMITÄT, GEMEINWOHLORIENTIERUNG, PROBLEMLÖSUNGS- UND LEISTUNGSFÄHIGKEIT VON ELITEN

4. DIE ELITESTRUKTUR DER BRD: ZENTRALE ERKENNTNISSE AUS DER POTSDAMER ELITESTUDIE 1995

5. WERTEINSTELLUNGEN UND GEWOHNHEITEN VON ELITEN: ERGEBNISSE DER BEFRAGUNGEN DES ALLENSBACH INSTITUTS FÜR DIE ZEITSCHRIFT „CAPITAL“

6. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

7. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Elitenschelte ist in. Angesichts der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise und dem drohenden Staatsbankrott einiger Länder stehen Führungspersonen in der Wirtschaft unter scharfer Kritik. Manager, die ihre Institute oder Unternehmen durch hoch spekulative – von der Realwirtschaft abgekoppelte – Finanzgeschäfte ruiniert haben und jetzt Steuergelder zur Sanierung fordern oder mit Millionenabfindungen die Unternehmen verlassen, sorgen für Empörung in allen Teilen der Bevölkerung und der Politik. Beispielsweise bezeichnete Peer Steinbrück in einem Interview mit der Zeitschrift „Cicero“ im November 2008 die Wirtschaftseliten als „gierig, egoistisch und wenig solidarisch“ (vgl. SPIEGEL Online unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,591139,00.html). Auch bei anderen krisenhaften Symptomen wie hoher Arbeitslosigkeit, steigender Verschuldung und Strukturproblemen in den sozialen Sicherungssystemen wird regelmäßig an der mangelnden Leistungs- und Problemlösungsfähigkeit gesellschaftlicher Eliten gezweifelt (vgl. Grabow 2006: 19).

Bevor auf die Leistungs- und Problemlösungsfähigkeit der (vor allem politischen) Eliten in der BRD unter Beachtung der institutionellen und informellen Machtbegrenzungen, verknüpft mit der Frage nach ihrer Legitimität als herrschende Minderheit eingegangen wird, soll zunächst geklärt werden, was Eliten eigentlich sind, welche analytischen Kriterien zur Unterscheidung von Eliten herangezogen werden können und wie sie sich in modernen Gesellschaften identifizieren lassen.

Anschließend wird anhand der Potsdamer Elitestudie von 1995 und regelmäßigen Befragungen der politischen und wirtschaftlichen Eliten - durchgeführt vom Allensbach Institut für die Zeitschrift „Capital“ - versucht, empirisch einige Fragen zu beantworten, mit der sich die Elitenforschung beschäftigt. Dazu zählen der Bildungshintergrund, die Parteipräferenzen sowie Werteinstellungen und Gewohnheiten von Eliten in verschiedenen gesellschaftlich-differenzierten Teilbereichen. Dies gibt einen Einblick in die Elitenstruktur der BRD.

Ausblickend sollen einige Aspekte zum in Deutschland kontrovers diskutierten Thema der Eliteförderung aufgegriffen und unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung und Konnotation des Elitebegriffes in der deutschen Geschichte beleuchtet werden.

2. Was sind Eliten und wie können sie identifiziert werden?

Umgangssprachlich werden mit dem Begriff „Elite“ oder dem Etikett „elitär“ diejenigen bezeichnet oder betitelt, die herausragende Leistungen erbringen und dafür unsere Hochachtung erhalten. Der Begriff leitet sich aus dem lateinischen Wort „eligere“ ab und wird meist im Sinne von „sorgfältig auswählen“ oder „eine Wahl treffen“ übersetzt (vgl. Wasner 2004: 16). Obwohl der Begriff auf den ersten Blick intuitiv erscheinen mag, so gibt es dennoch keine klare, einheitliche und präzise Definition, welche Personen denn nun genau zur Elite zu zählen sind, sondern miteinander konkurrierende Definitionen. Zwischen diesen Ansätzen lässt sich allenfalls ein Minimalkonsens ausmachen, den die Theoretiker teilen und der wie folgt lautet:

„Alle gehen davon aus, dass die Eliten aus Personen bestehen, die einen (wie auch immer gearteten) Ausleseprozess durchlaufen haben. Sie gelten als eine (häufig positiv) bewertete Minderheit“ (Wasner 2004: 16).

Der Prozess der Auslese und Konkurrenz rechtfertigt die herausragende Stellung, welche Eliten einnehmen. Bis in die Gegenwart ist aber nicht klar, was eine Person als elitär qualifiziert: Leistung, Reputation, Selbstzuschreibung, Bildung, Expertenwissen, Reichtum oder Stand (vgl. Kaina 2004: 18)?

Zunehmender Konsens in der Eliteforschung herrscht aber darüber, dass es in modernen, komplexen Gesellschaften nicht die eine Elite, sondern verschiedene Teileliten gibt. Diese Überlegungen können auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann zurückgeführt werden. Demnach sind moderne Gesellschaften gekennzeichnet durch ihre funktionale Differenzierung, d.h. es existieren ungleiche, aber gleichwertige Teilsysteme. Damit unterscheidet sich die moderne Gesellschaft von vormodernen, die z.B. segmentär, zentral/peripher oder stratifikatorisch differenziert sein können dadurch, dass sie kein Zentrum und keine Spitze hat. Vielmehr existieren Politik, Ökonomie, Recht, Erziehung, Wissenschaft, Medizin, Religion und Kunst als in sich geschlossene Teilsysteme nebeneinander (vgl. Luhmann 1997: S. 654-710). Jedes Subsystem bringt dabei nach seinem eigenen Regelwerk Eliten hervor und die Anforderungen an sie sind je nach System verschieden.

Eine darüber hinausgehende Definition, die aber fast ausschließlich bezogen auf politische Eliten ist, lautet, dass Eliten solche Personen sind, die auf Grund besonderer Handlungsressourcen und Handlungschancen zunehmend Adressaten spezifischer Erwartungen größerer Teile der Bevölkerung sind (vgl. Wasner 2004: 17). Der sozialwissenschaftliche Elitebegriff umfasst hingegen alle Personen, die über gesellschaftliche Macht verfügen und damit auf gesellschaftliche Handlungen Einfluss nehmen können.

Für die Politikwissenschaft im speziellen sind damit Eliten in modernen Gesellschaften nicht nur die engeren Entscheidungsträger, sondern auch all diejenigen, die auf Entscheidungen Einfluss üben können. Präzisiert bedeutet das:

„Es handelt sich bei Eliten demnach um eine Minderheit (quantitative Komponente), die an der Spitze der Gesellschaft [Anmerkung: systemtheoretisch: an der Spitze ihres Teilsystems] angesiedelt ist (vertikale Komponente). Dieser Minderheit gehören Personen an, die über politische Macht verfügen, indem sie allgemeinverbindlich entscheiden (Herrschaftskomponente), und darüber hinaus Personen, die aufgrund spezifischer gesellschaftlicher Machtressourcen Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben (Machtkomponente). Die Teilnahme an Entscheidungsprozessen erfolgt regelmäßig und relativ dauerhaft (temporale Komponente) und ist an die Verfügungsgewalt über Handlungsressourcen in Führungspositionen gebunden (institutionelle Komponente). Diese Führungspositionen existieren in allen gesellschaftlichen Bereichen […] (funktionale Komponente)“ (Kaina 2004: 22f.).

Zu beachten ist aber, dass bei diesem Verständnis von Elite über formale Führungspositionen, informale oder illegale Macht ausgeblendet wird.

Die Vielzahl der Elitebegriffe (z.B. Geburtselite, Bildungselite, Funktionselite, Wertelite, alte Elite) kann anhand folgender analytischer Kriterien geordnet werden, wobei sich die Begriffe bei den Zuordnungen aufgrund ihres mehrdimensionalen Charakters überlappen können (vgl. Wasner 2004: 18-22):

(1) Erreichbarkeit von Elitepositionen (offen/geschlossen)
(2) Strukturübertragung (Zuschreibung / Erwerb)
(3) Identifikationsmerkmale (Reputation, Position, Wert)
(4) Voraussetzung zum Erreichen von Elitepositionen (Leistungs-, Geburts-, Wertelite)
(5) Formen der Elitenrekrutierung (Geburt, vererbt, göttliche Auswahl, Leistung)
(6) Gesellschaftliche Funktionsbereiche (politisch, wirtschaftlich, militärisch, …)
(7) Einigung bzw. Differenzierung der Elite (Konsenselite, fragmentiert oder geteilt)

Bevor Eliten empirisch erforscht werden können, muss zunächst die prinzipielle Frage geklärt werden, wie sich Eliten im jeweiligen Kontext identifizieren lassen. Hier werden im Wesentlichen drei methodische Ansätze unterscheiden: (1) Die Reputationstechnik geht davon aus, dass einflussreiche Personen denjenigen auch bekannt sind, auf die sie Einfluss ausüben. Unter dieser Annahme werden dann im vorab definierten Untersuchungsbereich (Gemeinde, Bundesland, Bund, Politikfeld, Organisation) Befragungen durchgeführt, wer in diesem Bereich „das Sagen“ hat. Diejenigen, die oft genannt werden, bilden die Elite aufgrund ihrer Reputation. Diese Methode wird zumeist in kleineren sozialen Einheiten angewandt. Umstritten ist dabei, wie oft eine Person genannt werden muss, damit sie zur Elite zählt. Außerdem setzt sie voraus, dass die Leute die Machtstrukturen und die Personen, welche die Macht besitzen auch kennen (vgl. Wasner 2004: 119f.). Graue Eminenzen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, werden von der Methode nicht erfasst und die Eliten in legalen Machtpositionen nur, wenn sie über ausreichende Bekanntheit verfügen, was aber nicht zu verwechseln ist mit ihrem tatsächlichen Einfluss.

Die Annahme (2) der Entscheidungstechnik ist, dass dann eine Person zur Elite zählt, wenn sie in Streitfragen ihre Position oder Willen durchsetzen kann. Hierfür müssen bei Willensbildungsprozessen z.B. in der Gesetzgebung, die einzelnen Positionen der Akteure ermittelt werden. Danach wird die tatsächlich gefällte Entscheidung mit den vorherigen Positionen auf Schnittmengen überprüft, um zu sehen, welche Akteure wie viel von ihrem Programm umsetzen konnten. Dieser Ansatz hat ebenfalls erhebliche Nachteile. Die Machtausübung wird nämlich nur punktuell erfasst, in anderen Fällen können die Konstellationen anders geartet sein. Eine Überprüfung vieler Fälle ist aber extrem zeitaufwendig. Insgesamt liegt auch die Schwierigkeit darin, die eigentlichen Positionen und deren Wichtigkeit für die jeweiligen Akteure erst einmal zu ermitteln, gerade, wenn Entscheidungen in informellen Netzwerken oder Hinterzimmern getroffen werden (vgl. Wasner 2004: 122).

(3) Der Positionsansatz schließlich bestimmt all diejenigen Personen als Elite, welche formale Positionen innehaben, durch die sie weitgehende Entscheidungsmöglichkeiten haben. Aufgrund der Machtposition verfügen die Personen über bedeutende Machtressourcen. Die tatsächliche Macht hängt dann allerdings auch noch von individuellen Eigenschaften wie Verhandlungsgeschick, Zugang zu Expertenwissen usw. ab (vgl. Wasner 2004: 122f.). Dieser Ansatz ist der am weitesten verbreitete und lässt sich wohl am ehesten mit der oben beschriebenen Definition in Einklang bringen.

Neben der Identifikation der Eliten drehen sich die zentralen Fragen der Elitenforschung um den sozialen Hintergrund der Führungspersonen, wie der Zugang zu den Spitzenpositionen erreicht wird, ob die Karrierewege der Eliten blitzartig oder prozesshaft verlaufen und welche Qualifikationen, persönliche Merkmale, Werteinstellungen und spezifische Denkmuster die jeweiligen Eliten in ihrem Teilsystem haben (vgl. Wasner 2004: 23ff.). Die Frage, wie Elitenzirkulation verläuft, fand dabei in Deutschland nach der Wiedervereinigung besondere Beachtung. Konnten sich die Eliten aus der ehemaligen DDR in der BRD etablieren und welche Karrierechancen haben zukünftige Eliten aus den neuen Bundesländern, die noch im sozialistischen System ausgebildet und sozialisiert worden sind (vgl. Bürklin 1995: 23f.)?

Demokratietheoretisch vor allem relevant sind auch die Fragen nach der Legitimität, dem Prestige und der Repräsentativität der Eliten in modernen demokratischen Gesellschaften. Auf diesen Punkt, der verknüpft ist mit den Erwartungshaltungen an Eliten bezüglich ihrer Problem- und Leistungsfähigkeit, soll nachfolgend etwas genauer eingegangen werden.

3. Legitimität, Gemeinwohlorientierung, Problemlösungs- und Leistungsfähigkeit von Eliten

Die Frage nach der Legitimität der Eliten in der Demokratie stellt sich ganz prinzipiell, weil sie eine herrschende Minderheit sind und das zunächst im Gegensatz zur Volksherrschaft der Demokratie steht. Einige, am egalitären Gesellschaftsbild orientierte Demokratietheoretiker, sehen die Herrschaft der Eliten mit der der Demokratie als unvereinbar an. Die Mehrzahl der Theoretiker hält Eliten und Demokratie für vereinbar, wenn nicht sogar unverzichtbar, knüpft das aber an bestimmte Kontrollmechanismen des Volkes gegenüber den Eliten. Dieses Problem hat sich für die politischen Eliten im Zuge des ausbreitenden Parlamentarismus im 19. und 20. Jahrhundert entschärft. Unter der Annahme, dass in großen Flächen- und Territorialstaaten nicht alle Bürger gleichermaßen Herrschaftsaufgaben wahrnehmen können, muss eine Auswahl an Personen erfolgen, die zeitlich befristete, repräsentative, allgemeinverbindliche Entscheidungen treffen können. Die Wahl und die Abwahl als Instrument der vertikalen Herrschaftskontrolle sichert den gewählten Parlamentariern die Legitimation durch das Volk.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Eliten als Minderheiten in modernen Gesellschaften
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Minderheiten - Bereicherung oder bloße Herausforderung für Gesellschaften?
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V126925
ISBN (eBook)
9783640332878
Dateigröße
1432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eliten, Minderheit, moderne Gesellschaft;, soziale Verantwortung;, Eliteförderung;, Elitefeindlichkeit;, Eliteuniversität;, BRD;, DDR;
Arbeit zitieren
Martin Schultze (Autor:in), 2009, Eliten als Minderheiten in modernen Gesellschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126925

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