Glaubensbegründung nach der Aktion (1893) von Maurice Blondel


Diplomarbeit, 2000

82 Seiten, Note: gut (2,0)


Leseprobe


Vorwort

Während meiner Studienzeit an der Theologisch-Philosophischen Hochschule der Steyler- Missionare in St. Augustin, bin ich erstmals mit der Person Maurice Blondels und seinem Ansatz, den er in seinem Hauptwerk Aktion darlegt, in Berührung gekommen. Schon damals war ich von seinem Gedankengang in besonderer Weise angesprochen.

Gefreut habe ich mich daher, als es um die Planung der Diplomarbeit ging, daß Professor Sonnemans mir vorschlug, im Rahmen einer Glaubensbegründung, das Werk von Maurice Blondel zu bearbeiten.

Während der Monate, in denen ich mich mit dem Thema intensiv beschäftigt habe, ist mein Interesse an Blondel noch gewachsen. Seine Ausführungen sind es auf jeden Fall wert, einmal kennenzulernen.

Vielleicht sind seine Gedanken in der Lage, auch denjenigen einen Zugang zum Glauben zu liefern, die sich damit schwer tun. Blondel setzt zumindest an Erfahrungen an, die jeder Mensch in seinem Leben macht.

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich während der Zeit des Studiums und auch während der Monate der Diplomarbeit begleitet haben und mir nicht zuletzt auch durch ihr Gebet eine große Stütze waren.

Abschließend möchte ich Herrn Prof. Dr. Dr. Heino Sonnemans danken für die Begleitung meiner Diplomarbeit.

Bonn, den 28. Januar 2000 Michael Köster

am Fest des Hl. Thomas v. Aquin

Einführung

Die folgenden Ausführungen befassen sich mit dem grundlegenden Thema der Fundamentaltheologie: der Glaubensbegründung.

Der erste Petrusbrief sagt: „ Seid jederzeit bereit, allen Rechenschaft zu geben, über die Hoffnung, die euch erfüllt.“

Diesen Gedanken hat sich die Fundamentaltheologie stets zu eigen gemacht und er ist auch für die heutige Zeit von nicht unerheblicher Bedeutung.

Eine Begründung des christlichen Glaubens hat gerade dann ihre Berechtigung, wenn durch verschiedene Umstände, der Glaubensvollzug gestört wird.

Das Christentum, das immer auch geprägt ist durch die jeweilige Geschichte, muß sein Bekenntnis bewahren, um sich selbst nicht zu verlieren und um auch andere Menschen für den Glauben gewinnen zu können. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, die für die Rechtfertigung des Glaubens benutzt werden. Heute sieht eine fundamentaltheologische Methode ohne Zweifel anders aus, als noch vor einigen wenigen Jahrzehnten. Dies liegt auch an den anderen Auseinandersetzungen und Problemen, die uns gegenüber früheren Zeiten beschäftigen.

Die Gesellschaft ist heute nicht mehr einheitlich christlich, beziehungsweise kirchlich eingestellt. Die Sinnfragen des Menschen werden zwar auch weiterhin gestellt, doch werden verschiedene Antworten auf diese Fragen gegeben.

Man findet auch im Bereich des Geistigen demnach einen Pluralismus vor.

In dieser Situation, in der sich zudem einige Menschen auch ausdrücklich von der Kirche abgewandt haben, soll nun, entsprechend dem Auftrag, die Botschaft von Jesus Christus, der der einzige Heiland und Erlöser ist, verkündet werden.

Aufgabe der vorliegenden Arbeit soll es nun sein, anhand des Werkes und der Gedankengänge Maurice Blondels, die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Glaubens für den Menschen darzulegen. Er hat es in seiner Zeit erreicht, auf die Schwierigkeiten, die durch die damaligen Geistesströmungen entstanden waren, eine Antwort zu finden. Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, war, ist und wird auch noch in Zukunft von Bedeutung sein.

Erstes Kapitel: Leben und Werk Maurice Blondels (1861 – 1949)

1. Kindheit und Studienjahre

Nach P. Henrici ist der „ Angelpunkt des ganzen Denkens Blondels sein eigenes Leben und Erleben als praktizierender Katholik“.

Geboren ist Maurice Blondel am Allerseelentag 1861 in Dijon, als Sohn einer alten burgundischen Bürger- und Magistratenfamilie.

Fühlte er sich schon früh zum Priestertum hingezogen, so hat er auf Anraten eines geistlichen Begleiters, diesen Weg nicht eingeschlagen.

Bereits während seiner Gymnasialzeit kam Blondel mit der Philosophie in Berührung und zwar durch Alexis Bertrand, der Herausgeber und Kommentator von Maine de Birans und eines philosophischen Lexikons war. Auf diese Weise kam Blondel mit Aristoteles, Descartes, Leibniz und Hauptvertretern des französischen Spiritualismus, sowie Kant und Spencer in Berührung.[1]

Bertrand führte Blondel auch in die Philosophie Leibniz´ein. Über diesen hatte Blondel bereits eine Arbeit verfasst, als er an der philosophischen Fakultät von Dijon in den Jahren 1879-1881 eine Vorlesung Henri Jolys über Leibniz`Theorie des „ vinculum substantiale“ hörte. Diese Idee prägte Blondel sehr stark. Er widmete ihr seine Doktorarbeit und sie ist zur eigentlichen Keimzelle seines sowohl philosophischen, als auch theologischen Denkens geworden.

1881 erfolgte Blondels Bewerbung und Aufnahme an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Diese Lehranstalt galt als „ die höchste Stufe der wissenschaftlichen Ausbildung“[2]. Hier vollendete Blondel seine philosophischen Studien.

Über seine Kindheit bis hin zu seiner Studienzeit äüßert er sich selbst wie folgt:

„ Von Kind auf frommen Einflüssen ausgesetzt, von einer tiefchristlichen Mutter und Tante erzogen, umhegt von der Zuneigung der guten Schwestern des Klosters, wohin ich an jedem Ferientag ging, um einen Teil der Freizeit zu verbringen, mit einem jungen Priester spazierengehend und spielend, der eifrig nach Berufungen Ausschau hielt, frühzeitig „ernst und beschaulich“: so fand ich in mir den Gedanken an das Priestertum vor, ohne seinen Ursprung zu kennen. Vag und umrißlos finde ich diesen Gedanken in meinen Jünglingserinnerungen, nicht als eine plötzliche Offenbarung oder umrißhafte Erscheinung, vielmehr als eine verschwommene Erinnerung, die mir immer als meinem ersten Bewußtsein davon noch vorausliegend vorkommt. Dennoch erscheint er mir weniger als Ergebnis fremden Einflusses, denn als Ausdruck eines spontanen Bedürfnisses oder einer persönlichen Reflexion.

Friedlich durchlief ich alle meine Klassen im Dijoner Lyzeum. ... Auf Anweisung kluger Ratgeber ließen mich meine Eltern, trotz ihrer Vorliebe für das neue Kolleg, meine Rhetorik- und Philosophieklassen als Externer im Lyzeum vollenden. Dieser Entscheid kam meinen Wünschen entgegen, denn schon damals ging mein Streben dahin, den inneren Zustand der Feinde des Glaubens kennenzulernen, um sie wirksamer beeinflussen zu können. Die einzige Wirkung, die mein werdender apostolischer Plan damals auf mich ausübte, bestand darin, daß ich mich im Studium der exakten Wissenschaften, die mir doch lagen, zurückhielt und die Blicke von der Ecole Polytechnique abwandte, auf die hin man mich auszurichten suchte. Das Studium der Literatur und ganz besonders der Philosophie zog mich mächtig an; ich kann sagen, daß ich mich ihm mit ganzem Herzen widmete.

Da ich beim Abschluß des Lyzeums, noch recht jung, meine Idee nicht geändert, aber auch keinerlei Ruf vernommen hatte, begann ich mich ganz zwanglos auf meine licence ès lettres vorzubereiten: dies erschien mir als logische Folge meines innern Vorsatzes; ohne jenen heimlichen Zielpunkt wäre ich nicht darauf verfallen, einen Weg zu beschreiten, zu dem meine Eltern mich nicht drängten. Ihrem Wunsch gemäß machte ich ebenfalls mein baccalauréat ès sciences und mein baccalauréat en droit: fühlte jedoch, daß diese Studien, die ich nebenbei aus Gehorsam betrieb, für mich interessenlos waren. Die echte Inspiration, die mir mein Hintergedanke eingab, während ich Student an der Rechtsfakultät in Dijon war, ging dahin, mich für die Ecole Normale zu melden: im Milieu, worin ich lebte und das dem Universitätsleben fernstand, mit meiner Schüchternheit, meiner starken Bindung an das Familienleben, einer schwachen Gesundheit, einem übertriebenen Kleinmut allem Unbekannten gegenüber, wäre ich nie auf den Plan verfallen, wenn mich nicht die heimlich gehegte Idee dazu gedrängt hätte. Ohne das Befremdliche des Mittels wahrzunehmen, schien es mir, diese Schule ( die ich nur dem Namen nach kannte ), die um mich her und mir selbst einen Schauder einflößte, sei der für meine Absichten einzuschlagende Weg, um mich gegen die zu wappnen, denen ich die Wahrheit vortragen wollte, um eine unmittelbare und tiefere Kenntnis der Abgeirrten oder der aufrichtig Ungläubigen zu gewinnen, deren Vorurteile ich gemäß meinem Jünglingstraum dadurch zerstreuen wollte, daß ich ihre eigene Sprache redete.

Ich bewarb mich: ich wurde als zulässig erklärt. Ich entsinne mich meiner Überraschung und Furcht. Was tun? Ich wußte: mein Rang als Zugelassener gab mir alle Chancen aufgenommen zu werden. Sich zurückziehen nach diesem ersten Erfolg? Man malte mir die Schule in den bedrohlichsten Farben,

was Glaube und Sitten angeht; legte mir nahe, daß mir eine Falle gestellt sei und daß ich, unter dem Vorwand andere Pläne zurückzustellen, diese ohne Rückkehr aufgeben würde. ...

Das mündliche Examen der Ecole Normale fiel für mich noch günstiger aus als das schriftliche. Ich wurde aufgenommen ... So trat ich im November in die Ecole Normale ein. Nie habe ich über meinen Entschluß die geringste Reue, das geringste Bedauern empfunden. Im Gegenteil. Es ist mir stets gewesen, als sei ich geführt und wie hingetragen worden, wohin zu kommen ich selber weder gedacht noch gewollt noch gekonnt hätte, als hätte ich daselbst den natürlichsten und besten Gebrauch meiner Fähigkeiten gefunden, und sie nirgends sonst so vollständig entwickeln können, was für mich die Sprungfeder meines Denkens und der Grund meines Daseins war: nämlich dies Unternehmen einer christlichen Philosophie, dieser Plan, die Vorurteile der gebildesten Geister zu studieren, diese Einsicht in die neuen Zuzugsgebiete und Aufgaben der Apologetik, der brennende Wunsch zu beweisen, daß der katholische Gedanke nicht unfruchtbar ist, und ihm einen Platz zu schaffen im Kampf der modernen Wetanschauungen, aus dem er für viele ausgeschlossen zu sein scheint. So zögerte ich nicht, an der Ecole zu bleiben; nicht daß meine geheime Idee sich gewandelt hätte, sie verharrte in mir wie ein unbeweglicher Beweger, sie trieb mich zum Studium der für meinen Plan nächstliegenden Fragen, wie sie mich auch gegen die Gefahren feite, denen ich ausgesetzt war, mir den Mut gab, einer der Kämpen der kleinen Gruppe von Normaliens zu sein, die entschlossen katholisch waren, mir schließlich die genaue Natur der Arbeit umschrieb, aus der ich nebenher eine Doktorthese zu machen vorhatte ... sie war es auch, die die Seele meiner Lehrtätigkeit wurde (...).

Ich hatte mir vorgenommen, die Vorbereitung meiner Thesen für den docteur ès lettres bis zum Abschluß meiner zehnjährigen Lehrverpflichtung weiterzuführen. Ich dachte, dies wäre der Augenblick, mich endgültig zu entscheiden, ich hätte dann Zeit genug gehabt, mich zu prüfen, die Aufnahme meiner Arbeit würde mir ein Hinweis sein, ich würde sehen, ob diese erste philosophische Studie erschöpfen könnte, was ich meinte sagen zu sollen, würde auch das echte Ziel, nach dem ich ausschauen sollte, besser ins Auge bekommen. Ich hoffte vor allem, Gott würde mir einen Zuwachs an Licht nicht verweigern, und ich bat ihn, mich wenigstens in solche Sackgassen zu stoßen, wo Sein Wille der einzige Ausweg wäre. ...

Am 7.Juni verteidigte ich meine Thesen an der Sorbonne. Der Erfolg überstieg meine Hoffnung. Man verwunderte sich, wie Prof. Brochard sagte, über „ eine Kühnheit, die, seitdem die Universität Universität ist, noch nicht da war“, und gab dennoch zu, daß ich, „wenn ich der rationalen Kritik das unterwarf, was am Übernatürlichen noch rational ist“, meine Rolle als Philosoph nicht überschritt. Die Rolle, die ich mir erträumt hatte, ich begann sie trotz meiner Schwäche in gewisser Weise zu spielen: das vielfache Echo, das mir nach der Verteidigung zukam, die Briefe, die ich empfing, gaben mit tiefe Befriedigung, die nicht einzig geschmeichelter Eitelkeit entstammte. Um nichts zu versäumen, was von mir abhing, machte ich mich daran, den Schluß meines Buches zu überarbeiten und zu festigen, das nach Ansicht meines Verlegers nicht vor dem ersten Oktober, dem günstigsten Termin, erscheinen sollte. ...[3]

Für Blondel schien es sich in den folgenden Jahren der Studien an der Ècole Normale und der ersten Lehrtätigkeit an den Lyzeen von Chaumont, Montauban und Aix, sowie am Collège Stanislas in Paris, immer mehr abzuzeichnen, daß es nicht ausreichte, in der Sprache der ungläubigen Philosophen zu sprechen und auf diese Weise Katechismuswahrheiten zu lehren. Blondel lernte zunehmend, in Denkformen der laizistischen Philosophie einzudringen und mit Hilfe ihrer Methoden, einer Art methodischem Zweifel, die Vernünftigkeit der katholischen Glaubenspraxis aufzuzeigen.

„Der Schritt selbst bedeutete für ihn schon ein ganzes, weit über ein solches Interesse hinausgehendes Programm: sich als entschiedenes Glied der Kirche der härtesten Kritik einer atheistisch- laizistisch orientierten Bildungswelt zu stellen und aus dieser Begegnung heraus eine Philosophie zu schaffen, die eine ebenso feste geistige Grundlage für den Katholizismus bilden würde, wie sie ein säkularisierter Protestantismus im Deutschen Idealismus zu finden schien.[4]

Nach diesen Ausführungen zur Person Maurice Blondels, soll im folgenden auf die Zeitumstände eingegangen werden, in der die Aktion entstanden ist.

2. Geistesgeschichtlicher Horizont der Aktion (1893)

Das Frühwerk Blondels, die Aktion von 1893, ist eigentlich nur auf dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung zu verstehen, wie generell die nachrevolutionäre französische Theologie. Die Situation des Christentums in Frankreich unterscheidet sich sehr gegenüber den anderen westlichen Ländern.

Um die Aktion richtig nachvollziehen zu können, ist es daher wichtig, wenigstens in Grundzügen einige historische Angaben zu machen.

Für das christliche Frankreich war seit dem Mittelalter eine stärkere Anbindung an das Königtum und demgegenüber eine größere Loslösung von Rom charakteristisch. Vor allem in der Zeit des Absolutismus trat das Phänomen des Gallikanismus verstärkt in den Vordergrund.

Die jahrhundertelange Verbindung von Thron und Altar, wurde durch die Aufklärung und die Revolution von 1789 mit dem Regime gestört, beziehungsweise wurde das Christentum überhaupt gestürzt. Es läßt sich sagen, daß für das nachrevolutionäre Frankreich fast uneingeschränkt jeglicher kirchlicher Glaube als unvereinbar mit dem modernen Bewußtsein gehalten wurde.

Ähnlich wie auch in Deutschland, brachte die antirationalistische und restaurative Bewegung der Romantik für eine gewisse Zeit eine Begeisterung für das Katholische. Aber insgesamt gesehen, stagnierte der Katholizismus in seiner geistigen Entwicklung.

Was sich im politischen Bereich zwischen Republik und restaurierter Monarchie abspielte, entsprach kirchlicherseits dem Umschlag von „Gallikanismus“ in „Ultramontanismus“. In der völligen Unterwerfung unter das Papsttum, erhoffte sich der französische Klerus eine Rückendeckung gegenüber einer atheistisch-laizistischen Gesellschaft.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg, waren die Republikaner zu Konzessionen an die Kirche gedrängt. So wurde der Bau der Basilika Sacré Coer auf dem Montmartre 1873 zu einem Projekt des öffentlichen Interesses erklärt.

Ein großer Erfolg für die Katholiken bedeutete die Gründung von zu den Universitäten parallelen Hochschulen. Diese Situation bestand allerdings nur so lange, wie den Republikanern die Hände gebunden waren.

Das Gesetz von 1880 verbot den nicht staatlich autorisierten Organisationen, vor allem den Jesuiten, den Unterricht.

Akademische Grade konnten nur noch an staatlichen Fakultäten erworben werden.

Vor allem an der versöhnenden Haltung Papst Leos XIII. lag es, daß diese radikale und auf völlige Trennung von Staat und Kirche abzielende Bewegung wieder aufgehoben wurde. Die Aussöhnung von Kirche und Republik war ein großes Anliegen des Papstes.

Die Studienjahre und die ersten Schriften Maurice Blondels fallen in diese Zeit einer Politik der Aussöhnung.

Auch die Entwicklung der katholischen Spiritualität ist von diesen Ereignissen geprägt. Durch den kritischen Geist der Moderne bedroht und der Bildungsmöglichkeiten beraubt, entstanden neue Frömmigkeitsbewegungen als

katholische Sub- und Gegenkultur, die zum Beispiel im Bau von Sacré Coeur einen starken Ausdruck fand.

Die Herz-Jesu-Verehrung, als Gegenzug zum starren Jansenismus, betonte positiv die Gegenwart Christi auf Erden. Sie darf im Zusammenhang mit der eucharistischen Bewegung, als Schritt zur liturgischen Erneuerung angesehen werden. Davon wurde schließlich die katholische Theologie des 20.Jahrhunderts geprägt.

Bedeutend für Blondels Denken ist besonders eine seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an Einfluß gewinnende philosophische Richtung. Sie ist gekennzeichnet durch die Frontstellung sowohl gegen den szientistischen Positivismus, als auch den eklektizistisch-rationalistischen Spiritualismus.

Maine de Biran (1766-1824), der als „französischer Kant“ bezeichnet wurde, übersetzte den deutschen Kritizismus in lebensphilosophisch-psychologische Kategorien, die eher romanischem Geist entsprachen.

Später geht vor allem Charles Renouvier (1818-1903) zugunsten der Freiheit gegen allen Determinismus entschieden auf Kant zurück.

Der Renouviersche „Personalismus“ ist gekennzeichnet durch seine nachidealistische Position: Darin wird der Mensch nicht als Teil eines Systems betrachtet, sei dies materialistisch oder idealistisch konzipiert.

Auf eine stärker psychologisch-lebensphilosophische Kantinterpretation Maine de Birans geht eine Gruppe von Philosophen zurück, die als „spiritualistischer Positivismus“[5] bezeichnet wurde. Darunter: Ravaisson, Lachelier[6] und Boutroux.

Obwohl diese Gruppe Kant im bezug auf seinen antideterministischen Ansatz verpflichtet ist, ist ihre gemeinsame Intention nicht nur dem Positivismus und rationalistischen Spiritualismus, sondern auch dem mechanistischen Prinzip, wie es in der Kritik der reinen Vernunft zum Ausdruck kam, entgegengesetzt.

Als gründlichster dieser Philosophen könnte Emile Boutroux bezeichnet werden. Ihm verdankt Blondel das meiste, zumindest in der formalen Ausbildung seiner Philosophie.

Ein Gedanke, der ähnlich in der Aktion anzutreffen ist, soll an dieser Stelle genannt werden:

Boutroux setzte sich besonders mit den Naturwissenschaften auseinander. In dessen frühem Werk: „Über die Kontingenz der Naturgesetze“, stellt er die Frage nach der alles konstituierenden freien Lebenskraft theistisch. So ist das erste Prinzip des Dynamismus „Gott, das vollkommene und notwendige Sein, in dem die Notwendigkeit ihren ganzen Sinn durch seine Macht, unendlich und souverän frei zu sein, erhält; Gott, dessen schöpferische Tat (action créatrice) wir im Tiefsten unserer selbst spüren, in unseren Versuchen, uns ihm zu nähern. Die von ihm errichteten Gesetze sind nichts als Werkzeuge seines freien Willens. Kurz, alle Kontingenz geht aus der großen Ursprungskontingenz hervor, welche die Schöpfung ist ... und man kann sagen, daß die positiven Wissenschaften, über ihre Untersuchung der Phänomene, bereits auf der Suche nach Gott sind.“[7]

Im weiteren Verlauf der Ausführungen wird dies noch deutlicher behandelt werden, doch sei bereits an dieser Stelle erwähnt, daß für Blondel die Philosophie nicht bei einem bloßen Theismus stehen bleiben darf, sondern ihre Aufgabe ist es aufzuzeigen, daß der Mensch für die Inkarnation aufgeschlossen und angewiesen ist.

Einer der ersten, sich offen und vorbehaltlos zum Katholizismus bekennenden Professoren an einer staatlichen Universität, war Ollé-Laprune. Beeinflußt von Renouvier und John Henry Kardinal Newman erarbeitete er in seiner Doktorthese über die „Moralische Gewißheit“[8], daß Gewißheit nicht allein auf rein intellektuellem Wege und ohne Beteiligung des Willens erreicht werden kann. Übertragend auf das religiöse Leben, läßt sich sagen: Der Mensch kann nach dem Sündenfall, ohne das sein Wille durch die Gnade gestützt werde, nicht das übernatürliche Leben erlangen. Blondel hingegen grenzt sich trotz aller Wertschätzung für seinen Lehrer in seinem Ansatz von ihm ab.

„... Und so gelange ich endlich zu dem, was das einzigartige Verdienst und die bleibende Stärke des religiösen Werks von Ollé-Laprune ausmacht. Von der offenbarten Lehre durchdrungen, von ihrer Fülle genährt, läßt er diese ihm zu eigen gewordene Substanz von seinem Leben in sein Denken übergehen. Aus dem, was er ist, entspringt das Licht und der Beweis dessen, was er denkt, wie auch sein Denken seinen tätigen Glauben erhellt und rechtfertigt, durch die Harmonie und Schönheit, die es allenthalben herzeigt und verströmt. Es gibt nichts Entscheidenderes und Unanfechtbareres als ein solches Zeugnis. Nichts ist beweiskräftiger als das Sichselbstgenügen, wenn ich so sagen darf, dieses lebendigen Systems. Man braucht nur noch zu sagen: „Kommt, seht und kostet!“ Wenn man glaubt, wenn man diesen Glauben praktisch ausübt und schließlich reflektierend den ganzen Sinn seines eigenen Glaubens und Handelns einholt, dann schließt sich der Kreis. Es bleibt kein Raum mehr für den Zweifel; der Beweis ist erbracht.

Aber hierzu muß man vom Faktum des christlichen Lebens ausgehen. Die wichtigste Anforderung an die heutige Apologetik hingegen ist, beim Faktum des theoretischen und praktischen Unglaubens anzusetzen.“[9]

Dieses erste Kapitel der Arbeit hat zu zeigen versucht, in welcher geistesgeschichtlichen Situation Maurice Blondel sein Frühwerk geschrieben hat. Dabei wurde auch näher auf seine Person eingegangen.

Im folgenden steht nun das Hauptwerk im Mittelpunkt der Ausführungen.

Zunächst soll es in seinem Aufbau beschrieben werden und darauf in seinen Gedankengängen vorgestellt werden.

Zweites Kapitel: Die Aktion (1893) – Versuch einer Kritik des Lebens und einer Wissenschaft der Praktik

Maurice Blondels Aktion kann durchaus als „eines der originellsten Werke der Philosophiegeschichte“[10] bezeichnet werden.

Schon aus seiner Entstehungsgeschichte heraus läßt sich nachvollziehen, daß Blondels Werk vielschichtig und komplex wurde.

Vor allem im Bezug auf die Frage nach Offenbarung und die Hingeordnetheit des Menschen auf dieses Geschehen, kann dieses Werk auch heute noch als „unübertroffen gelten“[11].

Es eröffnet dem Leser immer wieder neue Perspektiven und kann von verschiedenen Seiten her bedacht werden.

Es sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß es mit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ und der darin dargestellten Dialektik „verwandt“[12] ist.

Die Aktion stellt „alle Äußerungen des menschlichen Handelns in einer geordneten Dynamik vor, in der eine Ursprungsbewegung des Willens („volonté voulante“) alle seine Einzelsetzungen ( „volonté voulue“) jeweils auf eine nächst höhere Stufe hin übersteigt[13].

Bevor genau auf den Inhalt des Werkes eingegangen wird, soll im folgenden zunächst der Aufbau behandelt werden.

1. Aufbau und Methode

Von außen betrachtet, gliedert die Aktion sich in fünf Hauptteile, mit einer Einleitung und einem Schlußteil. Dabei ist der III.Teil der mit Abstand umfangreichste und nimmt mehr als die Hälfte des gesamten Buches ein.

Auffallend ist, daß auch der III. Teil in fünf „Etappen“ eingeteilt ist. Es läßt sich daher die Behauptung aufstellen, daß das ganze Werk spiegelbildlich aufgebaut ist.

In diesem spiegelbildlichen Werkaufbau entsprechen sich in Folge dessen der I. und der V., der II. und der IV. Teil.

Der I. Teil befaßt sich mit dem „Dilettantismus“, auf den im nächsten Punkt der Arbeit eingegangen wird. Dieser erklärt jedes entschlossene Tun und insbesondere jede Form der religiösen Praxis für sinnlos. Daß sich gegen diese Denkform Blondel wendet ist verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er ein zutiefst „von Gott und Christus erfüllter Mensch“[14] war.

Der V. Teil stellt daher im Gegenzug die Ernsthaftigkeit der religiösen Praxis dar und betont die Unabdingbarkeit des entschlossenen Tuns für die Gewinnung echter Seinserkenntnis.

Auf einer zweiten Problemebene behandelt Teil II den Nihilismus Schopenhauerscher Herkunft, der das Nichts zum Sinnziel allen Tuns macht. Dieses Ziel sei durch aszetische Selbstvernichtung des Wollens zu erreichen.

Dagegen wendet sich der IV. Teil. Blondel stützt sich auf die Unmöglichkeit dieser nihilistischen Lösung, um aufzuzeigen, daß sich im Tun das „Eine Notwendige“ findet, angesichts dessen Selbstverleugnung der einzige Weg zum Selbstbesitz ist.

Mit diesem Wort ist das Stichwort gefallen, das die gesamte Schrift Blondels durchzieht: „Das Eine Notwendige“. Im Verlauf dieser Arbeit wird es in besonderer Weise darum gehen. In der Aktion drängt alles nach vorne. Es gibt keinen Stillstand in der Argumentationsweise, sie ist immer in Bewegung.

Im folgenden soll auf Blondels Methodologie eingegangen werden, die er in der Einleitung darlegt und auf die er im Schlußteil wieder zurückkommt[15].

Blondel beginnt die Einführung in die Aktion mit den Worten: „Hat das menschliche Leben einen Sinn oder nicht? Hat der Mensch eine letzte Bestimmung? Ich bin tätig, ohne eigentlich zu wissen, was das Tätigsein ist, ohne das Leben gewünscht zu

haben, ohne genau zu wissen, wer ich bin noch ob ich bin. ... So bin ich denn zum Leben verurteilt, zum Tode verurteilt, zur Ewigkeit verurteilt! ... Das Problem ist unausweichlich; der Mensch löst es, ob er will oder nicht; und diese rechte oder falsche, aber ebenso frei gewollte als notwendige Lösung trägt jeder in seinen Taten. Deshalb muß man die Aktion untersuchen.“[16]

Nach diesen Einleitungssätzen stellt Blondel fest, daß ich mich immer schon am Tun vorfinde und daß ich der Notwendigkeit, etwas zu tun, in keiner Weise ausweichen kann. Er sagt wörtlich: „Nach dem unmittelbaren Augenschein zu schließen, ist das Tun in meinem Leben eine Tatsache, und zwar die allgemeinste und beständigste von allen, der Ausdruck des allgemein und notwendig bestimmenden Zuges in mir; es erzeugt sich selbst ohne mich. Es ist mehr als ein Faktum, es ist eine Notwendigkeit, die von keiner Doktrin geleugnet wird, da es leugnen höchst anstrengend wäre; ... es geschieht selbst ohne das ich es will.“[17]

Diese Notwendigkeit des Tuns erscheint zuweilen als Pflicht, weil jedes Tun zu einer Entscheidung zwingt und zu einem Verzicht auf unzählige andere Taten, die ebenfalls möglich gewesen wären: „Gibt es etwas Schmerzlicheres als den Verzicht eines jungen Menschen, der, um ins Leben zu treten, seine Wissenssehnsucht wie mit Scheuklappen begrenzen muß? Jede Festlegung bedeutet die Beschneidung einer unbegrenzten Zahl möglicher Taten. Dieser natürlichen Selbstverleugnung kann sich niemand entziehen.“[18]

Die Entscheidung, die zu treffen von mir erwartet wird, läßt sich nicht aufschieben, da auch dies wieder eine Entscheidung ist. Jede von mir, aus freiem Willen vollbrachte Tat, entzieht sich, sobald sie abgeschlossen ist, meiner Verfügung. Ihre Folgen sind niemals ganz und gar für mich abzusehen. Daher lastet vor, in und nach meinem Tun eine Notwendigkeit auf mir, der ich nicht ausweichen kann: „Das praktische Tun, das keinen Aufschub duldet, läßt nie völlige Klarheit zu; seine vollständige Analyse ist dem endlichen Denken nicht möglich. ... Ich kann das Tun nicht aufschieben, bis die Evidenz aufleuchtet. ... In jeder Tat liegt ein Akt des Glaubens eingeschlossen. ... Meine Entscheidungen gehen oft über meine Gedanken und meine Taten über meine Absichten hinaus. ... Und diese Taten, die ich nicht

ganz vorausgesehen, die ich nicht vollständig geordnet habe, lasten, sobald sie vollzogen sind, auf mein ganzes Leben und wirken offensichtlich mehr auf mich als ich auf sie wirke. ... Ein erster Blick auf meine Situation zeigt mir, daß es unmöglich ist, mich zu enthalten und mich vorzubehalten, daß ich unfähig bin, mich zufriedenzustellen, mir zu genügen und über mich hinauszukommen. ... Eben diese Notwendigkeit gilt es zu rechtfertigen. Sie rechtfertigen heißt aber nichts anderes als zu zeigen, daß sie dem innersten Streben des Menschen entspricht.“[19]

Auf den ersten Seiten des Werkes zeigt sich bereits das Grundthema und es wird schon zu Beginn deutlich, was Blondel mit Aktion, die eine Notwendigkeit ist, meint, nämlich nicht allein die eine oder andere Art von Handlungen, sondern den gesamten Lebensvollzug, der auf Sinnhaftigkeit hin befragt wird: „ Die Aktion ist eine Notwendigkeit; ich werde handeln. Die Aktion erscheint mir oft als eine Verpflichtung; ich werde gehorchen.“[20]

Die Antwort auf die Sinnfrage muß sich folglich im Tun selbst und im gelebten Leben erweisen. Im bezug auf die Notwendigkeiten und Anforderungen des Tuns, die sich einem jeden stellen, wird in der Literatur auf die „Wette“ Pascals verwiesen: „ Im Unterschied zur „Wette“ Psacals ist Blondels „option“ nicht eigentlich eine religiöse Entscheidung. Es geht in ihr um die menschliche Existenz als solche, um das Alles oder Nichts, vor das sich jeder Mensch als solcher, mit seinen metaphysischen Sehnsüchten und seinem moralischen Gewissen unausweichlich gestellt sieht. Diese unausweichliche Grundentscheidung drängt sich dem Philosophen als Problem auf.“[21]

Im weiteren Verlauf der Einführung geht Blondel auch darauf ein, worauf sein Werk sich richtet, beziehungsweise wogegen es sich stellen möchte. Da sich die Aktion an die Öffentlichkeit wendet, werden Menschen in den Blick genommen, die sich von allerlei vorgefaßten Ideen und Ansichten leiten lassen. Daraus leitet sich ein „indirektes“ Lösungsverfahren ab, das sich folgendes zur Aufgabe macht: Die Ideen, die bewußt oder unbewußt die Lebensführung der Menschen bestimmen, werden nacheinander überprüft. Dabei werden die falschen und ungenügenden ausgeschieden, bis schließlich die einzig richtige Lösung übrigbleibt.

Kurz gesagt besteht die Methode darin, die vorgefundenen und sich aufdrängenden Notwendigkeiten soweit es möglich ist zu leugnen, damit im Letzten das Unabweisbare immer klarer hervortrete. „So bietet sich mir, auch wenn jederlei theoretische Diskussion aussteht, wie auch im Laufe jeder spekulativen Untersuchung über die Aktion, eine direkte und ganz praktische Methode der Nachprüfung an. Dieses einzigartige Mittel, über die Bindungen des Lebens zu urteilen und die Ansprüche des Gewissens richtig einzuschätzen, liegt darin, sich ganz einfach allem hinzugeben, was das Gewissen und das Leben von mir fordern. Nur auf diese Weise werde ich das Einvernehmen zwischen der Notwendigkeit, die mich zwingt zu handeln, und der Bewegung meines eigenen Wollens festhalten. ... Unter der Bedingung also, diesen geraden Weg des praktischen Tuns nicht zu verlassen, den man nur auf Grund einer Inkonsequenz verlassen würde, birgt die Praktik selbst eine vollständige Methode und bereitet ohne Zweifel eine gültige Lösung des Problems vor, die sie jedem Menschen auferlegt.“[22]

Die Aktion beinhaltet eine Fülle verschiedener möglicher und verfehlter Lebenshaltungen und zeigt den Menschen, der mit einem geringen Maß an Entscheidungen auskommen will, sich aber vor die Grundentscheidung gestellt sieht, seinen Autonomieanspruch aufzugeben, um seine Selbstvollendung, die er, wie Blondel an mehreren Stellen des Buches immer wieder dem Leser einschärft, ausschließlich als Gnadengeschenk aus der Hand eines anderen entgegennehmen kann.

Im Tun des Menschen findet sich mehr, als damit eigentlich erreicht werden will. Der Mensch weist mit seinem Handeln weit über sich hinaus, ist sich aber im Klaren darüber, daß er sich nicht aus eigener Kraft seine Vollendung bereiten kann, wenn es in ihm auch den Hang dazu gibt, „sich selbst zu genügen“ (so Blondel).

Blondel verfolgt keine starre Methode und es findet sich auf den jeweiligen Stufen auch kein wiederkehrendes Schema. Es geht ihm vielmehr darum, die der jeweiligen Willenshaltung beziehungsweise dem vom Willen jeweils angezielten Objekt, eine eigene innere Dialektik herauszustellen und sichtbar zu machen. Die Aktion bewegt sich daher, wie ihr Aufbau gezeigt hat, absteigend und aufsteigend, regressiv und progressiv über die verschiedenen Problemebenen hinweg. Dabei paßt sich die Methode dem jeweils zu untersuchenden Willensobjekt an.

Abschließend zu diesem Punkt sei auf folgendes hingewiesen: Der ständig wiederholte Hinweis auf den Phänomencharakter des von Blondel Beschriebenen hat den Sinn zu verdeutlichen, daß das Wirkliche oder Eigentliche über jeden philosophischen Diskurs hinaus geht und sich von ihm her auch nicht aussagen läßt. Dies kann vielmehr nur im wirklich gelebten Leben erlebt und erfahren werden.

Somit läßt sich sagen: Blondel sucht in der Aktion nicht das darzustellen, was sich im Wollen und im Tun zeigt, sondern was sich darin als notwendig erweist.

Im folgenden Punkt wird es nun darum gehen, die einzelnen Teile der Aktion durchzugehen, wobei auf bestimmte Themen in besonderer Weise eingegangen wird.

2. Durchführung

In einem ersten Schritt muß sich die Tatsache des Tuns als notwendig erweisen. Wenn sich das Tun auch auf den ersten Blick als unausweichlich dargestellt hat, muß dennoch der Frage nachgegangen werden, ob dies auch tatsächlich so ist.

Um diesen Aspekt zu behandeln, befaßt sich Blondel im ersten Teil: „Gibt es ein Problem des Tuns?“, mit dem radikalsten, überhaupt denkbaren Leugnungsversuch: Es gibt zwar das Tun, aber dieses hat keinerlei Sinn. Ich „will“ zwar, aber ich will „nicht wollen“.

Dieser Gedanke wurde von Blondel nicht theoretisch entwickelt, sondern er fand ihn in seinem geistigen Umfeld.

Er wird bezeichnet als Dilettantismus. Auf diese Denkrichtung soll im folgenden in einem eigenen Punkt eingegangen werden.

2.1 Das Problem des Dilettantismus

Im ersten Kapitel des ersten Teiles beschreibt Blondel den Dilettantismus, oder Ästhetizismus, der inhaltlich dasselbe meint.

An dieser Stelle soll auf Erscheinungsform und Wesen des Dilettantismus eingegangen werden. Einige Stellen der Aktion mögen als Verdeutlichung genannt sein.

„Es gibt keine unlösbareren Probleme als die, die nicht existieren. Sollte dies beim Problem der Aktion der Fall sein? Und wäre nicht der sicherste und der einzige Weg, damit fertig zu werden, der, es zu unterschlagen? Wäre es nicht gut, zur Erleichterung der Gewissensnot und um dem Leben seine Anmut, seine Leichtigkeit und seine Fröhlichkeit wiederzugeben, die menschlichen Akte ihres unbegreiflichen Ernstes und ihrer geheimnisvollen Wirklichkeit zu entledigen? Die Frage unserer Bestimmung ist erschreckend, ja schmerzlich, wenn man die Naivität hat, in ihr eine Antwort zu suchen und an eine Antwort zu glauben, mag sie auch immer epikuräisch, buddhistisch oder christlich sein. Man soll sie überhaupt nicht stellen.“[23]

Blondel blickt auf die Situation, in der sich jeder befindet und stellt dabei fest: „Es ist einerlei, was man ist, was man denkt und was man tut, wenn man ist, denkt und tätig ist; es gelingt einem nicht, die lastende Illusion zum Verschwinden zu bringen, daß es immer ein Subjekt gegenüber einem Objekt gibt; mag das Idol gewechselt haben, der Kult und der Anbeter bleiben.“[24]

Es gibt unausweichlich einen Zug, der den Menschen zum Handeln treibt. Es existiert, so sagt Blondel, ein Zwang zur Aktion. Davon vermag sich niemand freizumachen, auch dann nicht, wenn man noch so sehr kämpft: „Das Nichtstun ist ein schwieriges Handwerk: Wieviel Feingefühl und welche Geschicklichkeit ist zum otium erforderlich ...“[25]

Blondel möchte in seiner Argumentationsführung innerhalb seiner Dilettantismuskritik darauf hinaus, zu zeigen, daß das Ich-Will unausweichlich besteht.

Es bestehen vielfältige Formen von Denkansätzen, die nebeneinander stehen. Unabhängig voneinander fordern sie Authentizität und Richtigkeit in ihren Aussagen und Behauptungen ein. Wie soll mit diesen kontroversen philosophischen Systemen umgegangen werden? Blondel wendet sich in seinen Ausführungen diesem Problem zu:

„Es gibt keinen Irrtum, so sagt man, der nicht eine Seele von Wahrheit birgt; scheinbar gibt es auch keine Wahrheit, die nicht eine Last an Irrtum zu tragen hat. ... Alle philosophischen Systeme, selbst die entgegengesetztesten, haben sich im gleichen Fallstrick verfangen. Sie haben stets nach dem Bezug des Seins zum Erkennen, des Realen zum Idealen gefragt und ihn zu definieren geglaubt. Der ontologische Beweis findet sich im Grunde eines jeden dogmatischen Systems wieder, selbst des skeptischen. ... Die Behauptung der Existenz des Nichts ist doch ein heiterer Scherz, und wie fröhlich muß man sein, wenn man weiß, daß das Sein nicht existiert und daß nicht zu sein das höchste Gut ist!“[26]

[...]


[1] Henrici, P.: Deutsche Quellen der Philosophie Blondels? In: Theologie und Philosophie 43 ( 1968 )

542-561, hier: 555-557.

[2] so Hansjürgen Verweyen in: Maurice Blondel – Zur Methode der Religionsphilosophie, Einsiedeln

1974, S. 26.

[3] Blondel, Maurice: Tagebuch vor Gott, 575-578

[4] Verweyen, Hansjürgen: Zur Methode der Religionsphilosophie, 25

[5] Taine, H.: Littérature anglaise, Bd.V, 1864, Aufl. v. 1878, zit. nach E. Bréhier, Histoire de la

philosophie; Bd. II, 4, Paris 1945, S. 1003ff.

[6] Henrici,P.: Deutsche Quellen der Philosophie Blondels, in: Theol.u. Phil. 43 (1968), S.558.

[7] Chevalier, J.: Histoire de la pensée, Bd.IV, Paris 1966, S.470; Zitat aus Boutroux, Contingence,

S. 173.

[8] Ollé-Laprune, De la certitude morale, Paris 1880

[9] Blondel,M.: Brief über die Anforderungen des heutigen Denkens an die Apologetik und über die

Methode der Philosophie bei der Untersuchung des Problems Religion; zit. nach:

M. Blondel, Zur Methode der Religionsphilosophie, S. 120.

[10] Henrici,P.: Die Strukturen der „Action“ im Licht der französischen Philosophie; in: „Das Tun-der

Glaube – die Vernunft; Herausgegeben von A. Raffelt u. a., Würzburg 1995, S.33.

[11] Verweyen,Hansjürgen: Methodik der Religionsphilosophie, in:ThPh 64 (1989) 210-221, S.212.

[12] Vgl. P. Henrici, Hegel und Blondel. Eine Untersuchung über Form und Sinn der Dialektik in der

„Phänomenologie des Geistes“ und der ersten „Action“, Pullach b. München 1958.

[13] Verweyen,Hansjürgen: ThPh 64 (1989), S.212.

[14] Tilliette, Xavier v. SJ: Die Vielfalt der christologischen Ansätze im Frühwerk Maurice Blondels

in: ThPh 64 (1989) 199-209; S. 199.

[15] Die im folgenden erscheinenden Zitate, stammen aus der Übersetzung der Action von Robert

Scherer: Maurice Blondel, Die Aktion (1893) – Versuch einer Kritik des Lebens und einer

Wissenschaft der Praktik, Freiburg i. Br. 1965.

[16] Die Aktion, 9.

[17] Die Aktion, 10.

[18] Die Aktion, 10.

[19] Die Aktion, 10/11.

[20] Die Aktion, 13.

[21] Henrici,P.: Die Strukturen der „Action“ im Licht der französischen Philosophie, in: Das Tun, der

Glaube – die Vernunft, S. 45.

[22] Die Aktion, 15.

[23] Die Aktion, 25.

[24] Die Aktion, 25.

[25] Die Aktion, 26.

[26] Die Aktion, 27.

Ende der Leseprobe aus 82 Seiten

Details

Titel
Glaubensbegründung nach der Aktion (1893) von Maurice Blondel
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Katholische Fakultät)
Note
gut (2,0)
Autor
Jahr
2000
Seiten
82
Katalognummer
V12690
ISBN (eBook)
9783638185066
Dateigröße
694 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Glaubensbegründung, Aktion, Maurice, Blondel
Arbeit zitieren
Michael Köster (Autor:in), 2000, Glaubensbegründung nach der Aktion (1893) von Maurice Blondel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12690

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